European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0140OS00094.17F.1212.000
Spruch:
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Philip Z***** wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch A/III, demgemäß auch in dem diesen Angeklagten betreffenden Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie im Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche der Privatbeteiligten B***** GmbH aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht St. Pölten verwiesen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde dieses Angeklagten wird im Übrigen, jene der Angeklagten Natalie Z***** zur Gänze zurückgewiesen.
Philip Z***** wird mit seiner Berufung gegen den Strafausspruch, die Staatsanwaltschaft mit ihrer nur diesen Angeklagten betreffenden Berufung auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung der Angeklagten Natalie Z***** und die gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche des Pavel Zu***** gerichtete Berufung des Angeklagten Philip Z***** werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Philip Z***** des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB (A/I) sowie der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (A/II) und der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 StGB (A/III), Natalie Z***** des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 und Abs 4 StGB (B) schuldig erkannt.
Danach haben
(A) Philip Z***** in M***** und an anderen Orten Österreichs
I) am 18. Dezember 2014 Zdenek Br***** mit Gewalt unter Verwendung einer
Waffe 2.000 Euro und 15.000 tschechische Kronen Bargeld mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen, indem er den Genannten, den er unter dem Vorwand einer am 16. Dezember 2014 getätigten Holzbestellung auf ein unbewohntes Grundstück gelockt hatte, im Zug der entsprechenden Holzlieferung und deren Verrechnung um Wechselgeld bat, ihm sodann Pfefferspray ins Gesicht sprühte und ihm seine Brieftasche mit dem Geld entriss;
II) von einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2014 bis zum 21. Jänner 2015 eine Urkunde, über die er nicht oder nicht allein verfügen durfte, nämlich den Führerschein des Abraham Ö*****, mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass dieser im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht wird;
III) zwischen September 2014 und 21. Jänner 2015 sich ein Gut, das ihm anvertraut worden war, nämlich Bohrmaschinen seines ehemaligen Arbeitgebers B***** GmbH mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz zugeeignet, indem er diese „nach Auflösung des Dienstverhältnisses widerrechtlich für sich behielt und nicht zurückgab“;
(B) Natalie Z***** am 23. Jänner 2015 in A***** als Zeugin im (aufgrund des zu A/I dargestellten Sachverhalts geführten) Ermittlungsverfahren gegen Philip Z***** wegen des Verbrechens des schweren Raubes bei ihrer förmlichen Vernehmung zur Sache gegenüber einem ermittelnden Beamten der Polizeiinspektion A***** falsch ausgesagt, indem sie wahrheitswidrig behauptete, sich am 18. Dezember 2014 von 12:00 Uhr bis 19:00 Uhr gemeinsam mit Philip Z***** in dessen Wohnung in T***** aufgehalten zu haben.
Dagegen richten sich die von Philip Z***** aus § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 lit a und 11 StPO, von Natalie Z***** aus § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 9 lit b StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten. Nur erstere ist zum Teil berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Philip Z*****:
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zeigt zum Schuldspruch A/III zutreffend auf, dass die Urteilsannahmen die Subsumtion des Täterverhaltens nach § 133 Abs 1 StGB mangels Feststellungen zu einer objektiven Zueignungshandlung des Angeklagten nicht zu tragen vermögen. Den dazu getroffenen Konstatierungen, nach denen Philip Z***** eine Rückgabe der ihm von seinem Arbeitgeber für den Außendienst zur Verfügung gestellten Bohrmaschinen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses unterließ und diese für sich behielt (US 5), ist nämlich nicht zu entnehmen, durch welches aktive Tun er seinen Zueignungswillen in objektiv erkennbarer Weise betätigt hat (vgl RIS‑Justiz RS0094156; Salimi in WK² StGB § 133 Rz 96), infolge dessen die Sicherheit des ehemaligen Arbeitgebers, sein Eigentum wiederzuerlangen, in Frage gestellt worden wäre (vgl RIS‑Justiz RS0094072).
Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen erfordert die Aufhebung des Urteils im Schuldspruch A/III, demgemäß auch im diesen Angeklagten betreffenden Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie in der Verweisung der Privatbeteiligten B***** GmbH mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg (vgl dazu RIS‑Justiz RS0101303) bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO) samt Rückverweisung der Sache in diesem Umfang an das Erstgericht.
Zufolge Kassation des Strafausspruchs erübrigt sich ein Eingehen auf das Vorbringen der Sanktionsrüge.
Mit seiner gegen den Strafausspruch gerichteten Berufung war der Angeklagte ebenso auf diese Entscheidung zu verweisen wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer nur Philip Z***** betreffenden Berufung.
Im Übrigen kommt der Nichtigkeitsbeschwerde dieses Angeklagten keine Berechtigung zu.
Entgegen dem Einwand der Verfahrensrüge (Z 4) zum Schuldspruch A/I wurden durch die Abweisung der in der Hauptverhandlung vom 20. Februar 2017 gestellten Beweisanträge (ON 113 S 28 f) Verteidigungsrechte nicht verletzt.
Jener auf Einholung eines Gutachtens eines Sachverständigen aus dem Bereich des Mobilfunkwesens zum Beweis dafür, dass die – von der Kriminalpolizei aufbereiteten (ON 20 S 5 und 11) – „Standortdaten ON 28 nach vollständiger Auswertung ergeben, dass das Täterhandy“ (zu ergänzen: und jenes des Beschwerdeführers) „nicht von einer und derselben Person benutzt werden konnten“, ließ nicht erkennen, warum die beantragte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis
erwarten lasse. Mit Blick auf die – imfür die Beurteilung maßgeblichen Antragszeitpunkt – vorliegenden (gegenteiligen) Verfahrensergebnisse (vgl erneut ON 20 S 5 und 11 sowie ON 103, ON 104, ON 113 S 10 f, 16 f [vgl zur Unmöglichkeit der Rekonstruktion der Situation am Tattag va S 17]), war die Tauglichkeit der Beweisführung für das Schöffengericht auch nicht ohne weiteres erkennbar, womit das Begehren auf eine im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung abzielte (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 330).
Gemäß § 154 Abs 1 StPO ist
Zeuge eine vom Beschuldigten (Angeklagten) verschiedene Person, die zur Aufklärung der Straftat wesentliche oder sonst den Gegenstand des Verfahrens betreffende Tatsachen mittelbar oder unmittelbar wahrgenommen haben könnte und darüber im Verfahren aussagen soll. Demgemäß hat eine
Zeugenvernehmung nur Wahrnehmungen von Tatsachen zum Gegenstand, nicht aber Schlussfolgerungen, Wertungen oder andere intellektuelle Vorgänge wie Plausibilitäts-einschätzungen oder wissenschaftliche Analysen (RIS‑Justiz RS0097540; Kirchbacher , WK‑StPO § 154 Rz 8).
Davon ausgehend wurde dem Begehren, den Sachverständigen Dr. Bernhard M***** zu einer im Auftrag des Beschwerdeführers verfassten „Analyse der Daten zu ON 28“ (aus der sich nach dem Antragsvorbringen gleichfalls ergeben sollte, „dass es unplausibel ist, dass das Täterhandy mit dem Herrn Z***** kurz vor der Tatausübung gemeinsam bewegt wurde“) als Zeugen zu vernehmen, mit Recht nicht entsprochen.
Gleiches gilt für die Anträge auf „zeugenschaftliche Vernehmung“ der Verfasser dreier– entgegen § 252 StPO in der Hauptverhandlung verlesener (ON 113 S 31; RIS‑Justiz RS0115646; Kirchbacher , WK‑StPO § 252 Rz 40; Hinterhofer , WK‑StPO § 125 Rz 25) –
Privatgutachten, Dr. Armin Zo***** und Ing. Günther K*****. Während nämlich hinsichtlich des Letztgenannten ein Beweisthema gar nicht explizit genannt wurde, dieser nur „bezüglich seines Gutachtens vom 11. April 2016, ON 85“ vernommen werden sollte, zielte das Dr. Armin Zo***** betreffende Begehren – trotz des nominell auf dessen „Wahrnehmungen“ bei der Erstellung seiner beiden Gutachten (ON 85 und 105) Bezug nehmenden Vorbringens – explizit auf seine Einschätzung der „wissenschaftlichen Nachvollziehbarkeit“ der Aussage des Zeugen Zdenek Br***** und damit der Sache nach gleichfalls auf den Nachweis der Richtigkeit eben dieser Expertisen ab.
Der Antrag auf „Ladung eines Mitarbeiters sowohl von T***** als auch von H*****, der zu ON 28 Angaben machen kann“, enthielt erneut gar kein Beweisthema, worauf das Schöffengericht den Beschwerdeführer hinwies, ohne dass dieser eine entsprechende Ergänzung vorgenommen hätte (ON 113 S 30). Selbst unter der Prämisse, dass damit – wie mit dem Begehren auf Beiziehung eines Experten für das Mobilfunkwesen – die Unrichtigkeit der Annahme erwiesen werden sollte, der Angeklagte habe zur Tatzeit sowohl sein eigenes als auch das „Täterhandy“ mit sich geführt
(zu Ausnahmen von der Verpflichtung zur expliziten Nennung des Beweisthemas vgl 13 Os 51/10i, 14 Os 75/16k), wurde die Tauglichkeit der Beweisführung ein weiteres Mal nicht dargetan.
Entsprechende Ausführungen ließ auch das Begehren auf „Bestellung und Einvernahme eines Sachverständigen aus dem Bereich der Waffenkunde, zum Beweis dafür, dass der vom Zeugen Br***** geschilderte Tathergang nicht der Wahrheit entsprechen kann“, vermissen (vgl erneut Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 330).
Dass es sich bei der auf einer schwarzen Haube am Tatort aufgefundenen Spur um eine „Misch‑DNA“ handelt, aus der keine zweifelsfreien Rückschlüsse auf die Täterschaft gezogen werden können, hielt das Erstgericht ohnehin für erwiesen (ON 113 S 30), womit auch der zum Beweis genau dafür gestellte Antrag auf „Bestellung und Einvernahme eines Sachverständigen aus dem Bereich der Molekularbiologie“ mit Recht abgewiesen wurde (§ 55 Abs 2 Z 3 StPO; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 342).
In der Rechtsmittelschrift umfangreich nachgetragene Argumente zur Fundierung sämtlicher Anträge unterliegen dem Neuerungsverbot und finden daher keine Berücksichtigung (RIS‑Justiz RS0099618).
Feststellungen sind nur insoweit mit Mängelrüge (Z 5) anfechtbar, als sie (für die Schuld‑ oder die Subsumtionsfrage) entscheidend sind (RIS‑Justiz RS0117499).
Die Tatrichter gingen zwar – aufgrund der für glaubwürdig erachteten Angaben des Zeugen Gerald F***** – davon aus, dass der Beschwerdeführer seine Idee, einen Raubüberfall auf einen Holzzusteller zu begehen, als „Operation Walküre“ betitelte, und vertraten auf dieser Basis im Rahmen ihrer beweiswürdigenden Überlegungen die Ansicht, dass (unter anderem) eine (schon) am 11. Dezember 2014 an Gerald F***** gesendete SMS der Natalie Z***** mit der Bitte, „Philip“ anzurufen, weil „Operation Walküre“ heute stattfinde, seine Täterschaft indiziere (US 8 f), erblickten darin aber erkennbar keine
notwendige Bedingung für die (aus einer vernetzten Betrachtung einer Vielzahl von Verfahrensergebnissen abgeleiteten; US 6 ff) Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen. Diese Sachverhaltsannahmen sind daher einer Kritik aus Z 5 entzogen (RIS‑Justiz RS0116737).
Davon abgesehen liegt der behauptete Widerspruch (Z 5 dritter Fall; vgl dazu
RIS‑Justiz
RS0117402; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 439 f) zwischen den eben dargestellten Erwägungen des Erstgerichts und der Urteilsannahme, nach der der Angeklagte in Umsetzung seines Tatplans (erst) am 16. Dezember 2016 eine Holzbestellung tätigte (US 4), bei – von der Beschwerde prozessordnungswidrig nicht vorgenommenen (RIS‑Justiz RS0119370) – Gesamtbetrachtung der Entscheidungsgründe schon deshalb nicht vor, weil die Tatrichter die vermeintliche Inkonsistenz klarstellend auflösten, indem sie im Rahmen der kritisierten Begründungspassage ausdrücklich auch auf die in diesem Zusammenhang getätigten Depositionen des in Rede stehenden Zeugen, er habe auf das angesprochene SMS geantwortet, dass er am nächsten Tag arbeiten und daher die „Operation Walküre“ verschieben müsse (ON 90 S 55), sowie auf eine dementsprechende aktenkundige Kurzmitteilung des Genannten (ON 57 S 7) Bezug nahmen (US 9).
Indem die Rüge aus den Verfahrensergebnissen den eigenständigen Schluss zieht, die „Operation Walküre“ könne „keinesfalls das Vorhaben gewesen sein, einen Holztransporter zu überfallen“ und den Zeugen Gerald F***** einer diesbezüglichen „offensichtlichen Lüge“ und „hartnäckiger Falschbehauptung“ bezichtigt, zeigt sie einen Begründungsmangel nicht auf, sondern bekämpft bloß unzulässig die Beweiswürdigung der Tatrichter und deren Überzeugung von der Verlässlichkeit der Angaben des Genannten nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.
Entgegen dem Einwand offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellungen zur subjektiven Tatseite zum Schuldspruch A/II entspricht deren Ableitung aus dem objektiven Täterverhalten im Verein mit
dem aus allgemeiner Lebenserfahrung erschlossenen Umstand, dass der Angeklagte den Führerschein – wie jeder Staatsbürger – als Urkunde erkannte (US 12; vgl dazu Kienapfel/Schroll in WK² StGB § 229 Rz 34), sowohl den Gesetzen logischen Denkens als auch grundlegenden Erfahrungssätzen und begegnet daher unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit keinen Bedenken (RIS‑Justiz RS0116882).
Indem die Beschwerde den Sachverhaltsannahmen der Tatrichter eigene – auf der im Urteil als unglaubwürdig eingestuften Verantwortung des Angeklagten (erneut US 12) basierende – Auffassungen und Erwägungen gegenüberstellt sowie auf die intellektuellen Defizite des Beschwerdeführers („einfaches Gemüt“), dessen geringe Schulbildung (Mindestschulabschluss ohne Berufsausbildung, US 3) und Unbescholtenheit verweist, erschöpft sie sich erneut in einem unzulässigen Angriff auf die Beweiswürdigung der Tatrichter.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Natalie Z*****:
Die Verfahrensrüge (Z 4) kritisiert – mit wortgleichem Vorbringen wie jene des Philip Z***** – die Abweisung der auch von diesem thematisierten, im Namen beider Angeklagten gestellten Beweisanträge.
Ihr ist zu entgegnen, dass der Tatbestand des § 288 StGB lediglich auf die objektive Unrichtigkeit der Beweisaussage, also ob der Aussageinhalt mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt (vgl Plöchl/Seidl in WK² StGB § 288 Rz 27), abstellt. Entscheidend ist vorliegend demnach primär nur, ob die Angabe der Beschwerdeführerin, sich am 18. Dezember 2014 von 12:00 Uhr bis 19:00 Uhr gemeinsam mit Philip Z***** in dessen Wohnung in T***** aufgehalten zu haben, einen Widerspruch zwischen Wort und Wirklichkeit bildet, während der Frage, ob der Genannte im in Rede stehenden Zeitraum eine strafbare Handlung begangen hat, allenfalls für die Beurteilung des Vorliegens der subjektiven Tatseite Bedeutung zukommen könnte. Darauf aber waren die Beweisanträge nicht gerichtet, womit die darauf bezogenen Beschwerdeausführungen bereits aus diesem Grund ins Leere gehen.
Im Übrigen kann dazu, ebenso wie zur – ebenfalls mit dem entsprechenden Einwand der Mängelrüge des Erstangeklagten identen – Behauptung eines Widerspruchs im Sinn der Z 5 dritter Fall auf das Vorgesagte verwiesen werden.
Die Rechtsrüge (Z 9 lit b) reklamiert unter Hinweis auf die Angehörigeneigenschaft der Beschwerdeführerin als Schwester des Angeklagten Philip Z***** den Entschuldigungsgrund des Aussagenotstands nach § 290 Abs 1 StGB mit der Begründung, sie habe sich nicht auf ihr „Zeugnisverweigerungsrecht“ berufen können, weil damit „wohl klar gewesen wäre“, dass „ihr Bruder, der sie zuvor als Alibigeberin benannt hatte, tatsächlich am Tattag gar nicht in ihrer Anwesenheit gewesen war, sohin das behauptete Alibi unzulänglich und die Gefahr der strafgerichtlichen Verfolgung, die durch das Alibi eindeutig hätte verhindert werden können, gegeben war“. Daraus sei zweifelsfrei abzuleiten, dass sie bloß in der Absicht gehandelt habe, eben diesen Nachteil von ihrem Bruder abzuwenden und dass „in Wahrheit die Falschaussage … leider alternativlos war“.
Dass die Angeklagte nicht gewusst hätte, von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines Zeugnisses befreit zu sein (§ 290 Abs 1 Z 1 StGB) oder zu Unrecht zur Ablegung der inkriminierten Aussage verhalten worden wäre (Z 3), behauptet die Beschwerde (übrigens mit Recht: vgl ON 20 S 57) ebensowenig, wie, dass sie nach einer ihr gegebenen Instruktion befürchtet hätte, zur Begründung ihrer Zeugnisverweigerung belastende Tatsachen angeben zu müssen.
Inwieferne aber – entgegen dem Wortlaut des § 290 Abs 1 Z 2 StGB – aus der bloßen tatsächlichen Inanspruchnahme eines bereits offenliegenden Befreiungsgrundes (hier: § 156 Abs 1 Z 1 StPO) ein Nachteil im Sinn des § 290 Abs 1 StGB zu besorgen gewesen wäre, erklärt sie nicht und leitet solcherart die angestrebte rechtliche Konsequenz nicht methodisch vertretbar aus dem Gesetz ab (RIS‑Justiz RS0116565).
Bleibt daher nur der Vollständigkeit halber anzumerken, dass sich ein Zeuge, der nach entsprechender Belehrung, zur Aussageverweigerung ohne Nennung von Gründen berechtigt zu sein, trotzdem falsch ausgesagt hat, nicht auf Aussagenotstand berufen kann. Eine allenfalls vorhanden gewesene bloße Besorgnis trotz korrekter Instruktion im aufgezeigten Sinn bei einer Verweigerung der Aussage Verdacht auf – hier – einen Angehörigen zu lenken, erfüllt die Voraussetzungen des § 290 Abs 1 StGB nicht (SSt 54/63). Die befürchteten Nachteile müssen vielmehr als Folge der Offenbarung der für die Aussagebefreiung maßgeblichen Tatsachen drohen, es genügt nicht, dass sie als Konsequenz der Inanspruchnahme dieses Rechts an sich zu befürchten wären, zumal eine solche keinen für die Beweiswürdigung verwertbaren Umstand darstellt (zum Ganzen RIS‑Justiz RS0096333; Plöchl/Seidl in WK² StGB § 290 Rz 16 mwN).
Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher in diesem Umfang bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
Daraus folgt die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten Philip Z***** gegen den – den Schuldspruch A/I betreffenden und damit nicht von der Aufhebung umfassten – Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche des Pavel Zu***** sowie über die Berufung der Angeklagten Natalie Z*****.
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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