OGH 9Ob37/17g

OGH9Ob37/17g28.11.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula in der Rechtssache der klagenden Partei A*Ltd, *, vertreten durch Schwarz Schönherr Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei A* GmbH, *, vertreten durch Fiebinger Polak Leon & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 140.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. April 2017, GZ 16 R 173/16b‑22, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 29. August 2016, GZ 27 Cg 49/15x‑13, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E120165

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die erstgerichtliche Entscheidung als Endurteil zu lauten hat:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 140.000 EUR samt 4 % Zinsen seit 9. 6. 2015 zu bezahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 7.927,70 EUR (darin 412,95 EUR USt und 5.450 EUR Barauslagen) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei die mit 7.527,92 EUR (darin 573,32 EUR USt und 4.088 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 6.465,18 EUR (darin 1.077,53 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Folgender Sachverhalt ist zwischen den Parteien nicht weiter strittig:

Die Streitteile sind konkurrierende, im pharmazeutischen Bereich international tätige Unternehmen.

Zur Vorgeschichte:

Im Jahr 1971 wurde in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) das Arzneimittel „R*“ zugelassen.

Am 19. 7. 2005 hat das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in einem Nachzulassungsverfahren dieses Arzneimittel für die Indikationen „Non-Hodgkin-Lymphom“ und „multiples Myelom“ zugelassen, hingegen die Zulassung für die Indikation „chronisch lymphatische Leukämie“ abgelehnt. Gegen die Abweisung der Zulassung für die letztgenannte Indikation brachte die Beklagte beim Verwaltungsgericht * eine Klage ein. Dieses Verfahren endete mit einem Vergleich, in dem die Beklage auf die Zulassung verzichtete.

Am 15. 7. 2010 wurde auf Antrag der Beklagten in einem dezentralisierten Verfahren in Frankreich die Zulassung für die mit „R*“ idente Arzneispezialität „L*“ für die Indikationen „Non-Hodgkin-Lymphom“, „multiples Myelom“ und „chronisch lymphatische Leukämie“ erteilt.

Mit Bescheid vom 10. 9. 2014 hat das österreichische Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) auf Antrag der Klägerin die Arzneispezialität „B* 2,5 mg/ml Pulver für ein Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, Zul.Nr.:*“ gemäß §§ 10 Abs 1, 15 und 20 des Arzneimittelgesetzes (AMG) zur Abgabe im Inland für die Dauer von fünf Jahren zugelassen. Bei diesem Arzneimittel handelt es sich um ein Generikum.

Die Beklagte erhob gegen den Bescheid Beschwerde und beantragte dessen Aufhebung. Darin brachte sie – gestützt auf ein Gutachten des Univ.‑Prof. Dr. C* K* von der Universität * – vor, dass R* nicht als Referenzarzneimittel für das Generikum B* geeignet sei, weil das konkrete deutsche Nachzulassungsverfahren für B* nicht den Anforderungen der Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (kurz: Arzneimittelrichtlinie) entsprochen habe. Die Klägerin habe deshalb auf die Unterlagen des im Wesentlichen inhaltsstoffgleichen Nachfolgeprodukts L* zurückgegriffen. Die Unterlagenschutzfrist für L* sei jedoch noch nicht abgelaufen, weil die erste unionsrechtskonforme Zulassung dieses Arzneimittels in Frankreich am 15. 7. 2010 erfolgt sei.

Eine bestandskräftige finale deutsche Zulassungsentscheidung liege deshalb nicht vor, weil diese den Anforderungen an die Klar- und Konkretisierungsfunktion im Hinblick auf die Übereinstimmung mit der Richtlinie 2001/83/EG , insbesondere Art 8 und dem AMG nicht gerecht werde. Die Beklagte habe am 19. 7. 2005 nur für bestimmte Indikationen (Non-Hodgkin-Lymphom und Multiples Mylom, nicht aber chronische lymphatische Leukämie) eine Zulassung für R* erhalten. Da sie diese Entscheidung bekämpft habe und ihrem Rechtsmittel aufschiebende Wirkung zugekommen sei, habe sie weiterhin das Arzneimittel R* rechtmäßig – nach dem „alten“ Nachzulassungsstatus – vertreiben können. In einem mit der deutschen Behörde in der Folge abgeschlossenen Vergleich sei bestätigt worden, dass es sich um eine „fiktive“ und somit eben um keine europarechtskonforme Zulassung handle. Erst 2007 habe sie ein dezentralisiertes Zulassungsverfahren für R* eingeleitet.

Darüber hinaus gingen die für das Arzneimittel B* zugelassenen Indikationen über jene hinaus, die von der „alten“ („fiktiven“) Zulassung von R* erfasst seien. Auch aus diesem Grund habe die Klägerin auf das Referenzarzneimittel L*, das zum Zeitpunkt der Zulassung von B* noch unter Unterlagenschutz gestanden sei, zurückgreifen müssen.

In seiner Beschwerdevorentscheidung wies das BASG die Bescheidbeschwerde der Beklagten ab. Da die Europäische Kommission das Vertragsverletzungsverfahren nach Änderungsgesetzgebungen zum deutschen Arzneimittelgesetz eingestellt habe, sei davon auszugehen, dass die deutschen Nachzulassungen unionsrechtskonform erfolgt seien. Überhaupt gehe aus der Rechtsprechung des EuGH hervor, dass der einzige Grund zur Versagung der Anerkennung einer in einem anderen Mitgliedstaat erteilten Genehmigung das Bestehen der Gefahr für die öffentliche Gesundheit sei. Die österreichischen Behörden seien daher nicht berechtigt, eine materielle Prüfung der deutschen Nachzulassungen vorzunehmen.

Die Beklagte beantragte, ihr Rechtsmittel dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorzulegen.

Das Bundesverwaltungsgericht wies zunächst den Antrag der Klägerin auf Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde der Beklagten zurück. Die Ausübung der der Klägerin eingeräumten Berechtigung sei nicht wegen Gefahr im Verzug dringend geboten.

Mit Urteil vom 8. 6. 2015 (*) wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde der Beklagten ab und stellte den angefochtenen Bescheid wieder her. Die Revision ließ es mangels Vorliegens einer von grundsätzlicher Bedeutung vorliegenden Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B‑VG nicht zu. Das Bundesverwaltungsgericht erwog in rechtlicher Hinsicht, dass das (Referenz‑)Arzneimittel R* am 19. 7. 2005 für die Indikationen Non-Hodgkin-Lymphom und Multiples Mylom rechtswirksam zugelassen worden sei. Weder der spätere Verzicht der Beklagten auf diese Genehmigung noch die Erweiterung der Indikationen und Namensänderung des Arzneimittels R* in L* hätten an der rechtswirksamen Genehmigung und damit dem Beginn der sechsjährigen Schutzfrist nach § 15a Abs 1 Z 2 AMG idF vor Inkrafttreten der Novelle BGBl 2005/153 etwas geändert. Die Schutzfrist habe daher am 19. 7. 2011 geendet. Der von der Beklagten angeregten Vorlage der Rechtssache an den EuGH bedürfe es nicht.

Mit Beschluss vom 9. 11. 2016 (*) wies schließlich der Verwaltungsgerichtshof die von der Beklagten gegen die abweisliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts erhobene Revision zurück. Der Verwaltungsgerichtshof kam zum Ergebnis, dass die belangte Behörde nicht verpflichtet gewesen sei, die für die Zulässigkeit der Revision ins Treffen geführte Frage zu lösen, ob die geltend gemachten näheren Umstände der im Jahr 2005 erfolgten Nachzulassung von R* in Deutschland einer Qualifikation dieses Arzneimittels als Referenzarzneimittel entgegen stünden. Sie habe vielmehr darauf vertrauen können, dass die von der zuständigen deutschen Behörde bestätigte unionsrechtskonforme Zulassung tatsächlich vorliege. Nach dem dritten und zwölften Erwägungsgrund sowie den Art 28 und 29 der Arzneimittelrichtlinie und der Entscheidung des EuGH vom 16. 10. 2008 in der Rechtssache C‑452/06 , Synthon BV,bilde das Bestehen einer Gefahr für die öffentliche Gesundheit den einzigen Grund, auf den sich ein Mitgliedstaat berufen dürfe, um einer von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Genehmigung für das Inverkehrbringen die Anerkennung zu versagen. Aus der Arzneimittelrichtlinie ergebe sich klar, dass diese Grundsätze auch für den Fall der Genehmigung eines Generikums eines in einem anderen Mitgliedstaat zugelassenen Referenzarzneimittels gemäß Art 10 Abs 1 dritter Unterabsatz der Arzneimittelrichtlinie gelten.

Da die Europäische Kommission das ursprünglich aufgrund der mangelnden Unionsrechtskonformität des Nachzulassungsverfahrens gegen Deutschland eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren eingestellt habe, nachdem das deutsche Arzneimittelgesetz novelliert worden sei, sei die Genehmigung des Referenzarzneimittels bereits aufgrund der geänderten Bestimmungen erfolgt. Eine Versagung der Genehmigung des gegenständlichen Generikums mit der Begründung, dass die in Deutschland erfolgte Genehmigung des Referenzarzneimittels – entgegen der gemäß Art 10 Abs 1 dritter Unterabsatz der Arzneimittelrichtlinie ausgestellten Bestätigung – in einem nicht in allen Bereichen unionsrechtskonformen Verfahren zustande gekommen sei, widerspräche der aus der Arzneimittelrichtlinie ableitbaren Verpflichtung zur Anerkennung.

Die Klägerin begehrt mit der vorliegenden Klage von der Beklagten den Betrag von 140.000 EUR samt Zinsen an Schadenersatz wegen entgangenem Gewinn aufgrund rechtsmissbräuchlicher Erhebung der Bescheidbeschwerde durch die Beklagte an das Bundesverwaltungsgericht. Die Erhebung des Rechtsmittels sei inhaltlich sinnlos und erkennbar aussichtslos gewesen, habe aber für die Beklagte den strategischen Vorteil mit sich gebracht, dass die Klägerin durch die aufschiebende Wirkung der Beschwerde über weitere neun Monate vom österreichischen Markt ferngehalten worden sei. Die Beschwerde habe daher nur dazu gedient, der Klägerin einen Schaden zuzufügen. Die entscheidende Frage, ob bei Berechnung der Unterlagenschutzfrist zu Recht auf eine deutsche Nachzulassung, wie im konkreten Fall für das ehemalige DDR‑Arzneimittel R* aus dem Jahr 2005, abgestellt werden habe können, sei in der deutschen Rechtsprechung durch das Urteil des Verwaltungsgerichts * vom 21. 4. 2010 bereits bejaht worden. Auch die weitere entscheidende Frage, ob der Umstand, dass die Beklagte für ihr Produkt weitere Indikationen begehrt und hiefür die Zulassung im Jahr 2010 unter dem Produktnamen „L*“ erlangt habe, etwas daran geändert habe, dass bei Berechnung der Unterlagenschutzfrist auf die deutsche Nachzulassung aus dem Jahr 2005 abzustellen sei, sei bereits durch das Grundsatzurteil des EuGH vom 3. 12. 1998 in der Rechtssache C‑368/96 , Generics UK, beantwortet worden. Danach sei gemäß dem Prinzip der „Globalen Zulassung“ die spätere Zulassung als von der ersten Zulassung umfasst. Seit dem Inkrafttreten der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG sei das Prinzip der Globalen Zulassung überdies in Art 6 Abs 1, Unterabsatz 2 der Richtlinie 2001/83/EG geregelt. Auch wenn die spätere Zulassung des Referenzarzneimittels – wie im vorliegenden Fall – eine neue Indikation umfasse, beginne daher die Unterlagenschutzfrist dennoch nicht erneut zu laufen. Erst jüngst habe dies der EuGH in seiner Entscheidung vom 15. 9. 2015, T-472/12 , bestätigt. Die anwaltlich vertretene Beklagte hätte auch erkennen können, dass die im Gutachten Univ.‑Prof. Dr. K* vertretene Rechtsansicht in Widerspruch zur dargelegten deutschen und europäischen Rechtsprechung sowie dem geltenden Richtlinienrecht stehe.

Da die Beklagte – bedingt durch den Unterlagenschutz – für Produkte mit dem Wirkstoff B* eine beherrschende Stellung auf dem Markt gehabt habe, stütze die Klägerin ihren Schadenersatzanspruch auch auf eine Verletzung der als Schutznorm iSd § 1311 ABGB anzusehenden Bestimmung des Art 102 AEUV.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach und beantragte Klagsabweisung. Sie wandte ein, dass das konkrete deutsche Verfahren der Nachzulassung des Arzneimittels R* nicht nach den vorgesehenen europarechtlichen Standards abgelaufen sei, weil die deutsche Behörde im Zusammenhang mit der Nachzulassung Dossiers und Bewertungen akzeptiert habe, die nicht der Richtlinie 2001/83/EG entsprochen hätten. Die Nachzulassung von R* sei unter Erteilung bestimmter Auflagen erfolgt, die zur Beseitigung von Dossiermängel gedient hätten. Es habe sich somit ein Arzneimittel am Markt befunden, welches nicht auf Grundlage eines vollständigen Dossiers zugelassen worden sei. Da die Beklagte zudem in einem mit der deutschen Zulassungsbehörde abgeschlossenen Vergleich auf die „fiktive“ Zulassung von R* für die Indikationen Non-Hodgkin-Lymphom und Multiples Myelom verzichtet habe, sei die deutsche Zulassungsentscheidung nie rechtskräftig geworden. Erst auf der Grundlage eines vollständig neu erarbeiteten Dossiers sei am 15. 7. 2010 in Frankreich die erste unionsrechtskonforme Zulassung von R* – auch für die Indikation „chronisch lymphatische Leukämie“ – erfolgt. Die sechsjährige Frist für den Unterlagenschutz habe daher zu diesem Zeitpunkt begonnen. Auch nach Ansicht des EuGH (Entscheidung vom 18. 6. 2009 zu C‑527/07 betreffend das Arzneimittel N*) könne ein Arzneimittel, dem keine dem geltenden Gemeinschaftsrecht entsprechende Genehmigung erteilt worden sei, nicht als Referenzarzneimittel iSd Art 10 des Abs 2 Buchst a der Richtlinie 2004/27/EG angesehen werden. Die Beklagte habe ihr Recht, gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, daher keinesfalls rechtsmissbräuchlich ausgeübt. Ihre – ua auch von Univ.‑Prof. Dr. K*, einem der renommiertesten Europarechtler, in seinem Gutachten vertretene – Rechtsansicht sei nicht aussichtslos, sondern jedenfalls vertretbar gewesen.

Das Erstgericht gab dem Schadenersatzbegehren der Klägerin mit Zwischenurteil dem Grunde nach statt. Mit der Erhebung ihrer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht habe die Beklagte nicht nur rechtsmissbräuchlich iSd § 1295 Abs 2 ABGB gehandelt, sondern dadurch auch den Missbrauchstatbestand des Art 102 AEUV erfüllt. Der Zweck der Beschwerde der Beklagten, die Klägerin dadurch zu schädigen, sei augenscheinlich so sehr im Vordergrund gestanden, dass allfällige andere Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund getreten seien. Der EuGH habe in der Rechtssache Synthon bereits ausgeführt, dass Art 28 Abs 4 RL 2001/83/EG zu entnehmen sei, dass eine von einem Mitgliedstaat erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen grundsätzlich innerhalb von 90 Tagen nach Erhalt des Antrags und des Beurteilungsberichts des Referenzmitgliedstaats von den zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten, unabhängig von dem für die Erteilung dieser Genehmigung befolgten Verfahren, anzuerkennen sei. Das Bestehen einer Gefahr für die öffentliche Gesundheit iSv Art 29 Abs 1 der Richtlinie bilde den einzigen Grund, auf den sich ein Mitgliedstaat berufen dürfe, um einer von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Genehmigung für das Inverkehrbringen die Anerkennung zu versagen. Der Rechtsstandpunkt der Beklagten vor dem Bundesverwaltungsgericht, die österreichische Zulassungsbehörde hätte sich mit den von der Beklagten behaupteten Mängeln der in Deutschland vollzogenen Nachzulassung auseinandersetzen müssen, sei unvertretbar gewesen und hätte der Beklagten aussichtslos erscheinen müssen. Die Beklagte habe der Klägerin daher grundsätzlich den dadurch verursachten Schaden (entgangenen Gewinn) zu ersetzen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es teilte die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts. Für die Einleitung eines Vorabentscheidungs-verfahrens beim EuGH, wie sie von der Beklagten im Berufungsverfahren nachträglich vorgeschlagen worden sei, bestehe kein Anlass. Ebensowenig liege ein Grund vor, das Berufungsverfahren im Hinblick auf das vom Obersten Verwaltungsgericht (Finnland) eingeleitete Vorab-entscheidungsverfahren, auf das sich die Beklagte beziehe, zu unterbrechen.

In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer vom Senat freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision der Beklagten mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist zulässig und berechtigt.

Rechtsmissbrauch iSd § 1295 Abs 2 ABGB liegt nach der Rechtsprechung nicht nur dann vor, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen Grund der Rechtsausübung bildet, sondern auch dann, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein ganz krasses Missverhältnis besteht, wenn also jemand unter bloß formaler Berufung auf ein Recht die Rechtsausübung unter augenscheinlich im Vordergrund stehenden unlauteren Motiven begehrt und daher andere Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund treten (RIS‑Justiz RS0026265 [T8, T13, T14]; vgl RS0026271 ua). An sich ist aber jeder berechtigt, sich zur Durchsetzung eigener oder zur Abwehr fremder Ansprüche in einen Rechtsstreit einzulassen (6 Ob 129/16p). Jeder Person muss grundsätzlich die Möglichkeit offen stehen, strittige Rechtsfragen durch das Gericht oder die sonst zuständige Behörde klären zu lassen, ohne mit einer abschreckenden Verantwortlichkeit für die Rechtsverteidigung belastet zu werden (6 Ob 17/13p). Prozessführung für sich allein begründet daher im Allgemeinen noch kein Verschulden, wenn sie aufgrund vertretbarer Rechtsansicht erfolgt (RIS‑Justiz RS0018235).

Eine über die Kostenersatzpflicht hinausgehende Verpflichtung zum Ersatz der durch die Prozessführung verursachten Schäden an einen Dritten kommt nur ausnahmsweise (3 Ob 155/14m) in Betracht, wenn der im Verfahren Unterlegene wusste oder wenigstens wissen musste, dass sein Rechtsstandpunkt entweder der tatsächlichen Voraussetzungen entbehrt oder schon an sich unhaltbar ist, sodass sein gegenteiliger Standpunkt bei zumutbarer Aufmerksamkeit als schlechthin aussichtslos erscheinen muss, oder er den Prozess gar überhaupt wider besseres Wissen oder mutwillig geführt hat (6 Ob 129/16p; RIS‑Justiz RS0022840 [T11]; RS0022854). Dies ist auch dann der Fall, wenn der später zur Leistung Verurteilte wusste oder wissen musste, dass sein Rechtsstandpunkt entweder der tatsächlichen Voraussetzungen entbehre oder von vornherein unhaltbar sei, dessen ungeachtet aber den Prozess führt, um sich länger im Besitz des nicht gebührenden Vorteils zu erhalten (RIS‑Justiz RS0020727).

Eine gutgläubige Anrufung des Gerichts wird vermutet, weshalb bei der Beurteilung der Frage, ob ein Prozess mutwillig oder nur unter Außerachtlassung der zu beobachtenden Sorgfalt geführt wurde, (zu Lasten des Geschädigten) ein strenger Maßstab angelegt werden muss (RIS‑Justiz RS0022777; RS0022796). Der Geschädigte muss behaupten und beweisen, dass der Schädiger den Prozess schuldhaft rechtswidrig führte (1 Ob 223/03f; 9 Ob 25/16s; RIS‑Justiz RS0022777 [T2, T4]; RS0026205).

Der für den mit der Klage geltend gemachten Schadenersatzanspruch notwendige Beweis eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens der Beklagten durch die Erhebung der Beschwerde gegen den Bescheid des BASG vom 10. 9. 2014, womit dem Antrag der Klägerin auf Zulassung der Arzneispezialität B* als Generikum zur Abgabe im Inland für die Dauer von fünf Jahren stattgegeben wurde, ist der Klägerin jedoch – entgegen der Rechtsauffassung der Vorinstanzen – nicht gelungen. Der von der Beklagten in der gegenständlichen Beschwerde vertretene Rechtsstandpunkt war weder unhaltbar noch für die Beklagte erkennbar aussichtslos; dies aus den unter Punkt II dargestellten Erwägungen:

I. Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 AMG dürfen Arzneispezialitäten im Inland erst dann abgegeben werden, wenn sie – von hier nicht relevanten Ausnahmen (ua die zentrale Zulassung nach der VO (EG) 726/2004 vom 31. März 2004) abgesehen – vom BASG zugelassen sind. Im Rahmen einer sogenannten „bezugnehmenden Zulassung“ iSd § 10 Abs 1 Z 1 AMG – wie sie auch hier der Zulassung des Arzneimittels B* zugrunde liegt –, ist der Antragsteller nicht verpflichtet, die Ergebnisse der nichtklinischen Versuche und klinischen Prüfungen bzw Versuche und die Ergebnisse der Unbedenklichkeits- und Rückstandsversuche vorzulegen, wenn er nachweisen kann, dass es sich bei dem Arzneimittel um ein Generikum (§ 1 Abs 19 AMG) eines Referenzarzneimittels (§ 1 Abs 20 AMG) handelt und die erstmalige Zulassung in einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) mindestens acht Jahre zurückliegt. Ein Generikum, das gemäß § 10 Abs 1 AMG zugelassen wurde, darf erst nach Ablauf von zehn Jahren nach Erteilung der erstmaligen Zulassung für das Referenzarzneimittel in Verkehr gebracht werden (§ 10 Abs 2 AMG). § 10 Abs 1 AMG findet auch dann Anwendung, wenn das Referenzarzneimittel nicht in Österreich zugelassen ist, sofern es in einem anderen EWR‑Staat zugelassen wurde. In diesem Fall hat der Antragsteller im Antragsformular den Namen des EWR‑Staats anzugeben, in dem das Referenzarzneimittel zugelassen ist oder wurde. Das BASG hat in diesem Fall die zuständige Behörde des anderen Staats zu ersuchen, binnen eines Monats eine Bestätigung darüber zu übermitteln, dass das Referenzarzneimittel genehmigt ist oder wurde, sowie die vollständige Zusammensetzung des Referenzarzneimittels und andere Unterlagen, sofern diese für die Zulassung des Generikums erforderlich sind (§ 10 Abs 5 AMG).

Gemäß § 10 Abs 15 AMG gelten die Schutzfristen der Abs 1, 2, 3, 4, 12 für Anträge auf Zulassung eines Referenzarzneimittels, für die der Antrag auf Zulassung nach Ablauf des 30. 10. 2005 gestellt wurde. Da das Referenzarzneimittel R* im Wege des deutschen Nachzulassungsverfahrens bereits am 19. 7. 2005 zugelassen wurde, kommt hier unstrittig die sechsjährige Schutzfrist gemäß § 10 Abs 14 AMG iVm § 15a AMG idF vor BGBl 2005/153 zur Anwendung (VwGH 28. 6. 2010, 2008/10/0291). Das Arzneimittel L* wurde hingegen erst am 15. 7. 2010 zugelassen.

Wurde ein Arzneimittel in einem Mitgliedstaat der Union rein national zugelassen, darf es auch nur in diesem Staat vertrieben werden (Königshofer in Resch/Wallner, Handbuch Medizinrecht2 Arzneimittelrecht Rz 25). Im Falle einer zentralen Zulassung iSd VO (EG) 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Erreichung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur darf das Arzneimittel in allen Mitgliedstaaten der Union vertrieben werden.

Weitere Zulassungsverfahren, die darauf abzielen, eine Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels in mehr als einem Mitgliedstaat zu erhalten, sind in § 18a AMG geregelt. Dem Verfahren der gegenseitigen Anerkennung liegt zugrunde, dass für das Arzneimittel bereits eine Genehmigung für das Inverkehrbringen in zumindest einem EWR-Staat vorliegt (§ 18a Abs 1 AMG iVm Art 28 Abs 2 RL).

Ist die Arzneispezialität im Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht zugelassen, so hat das BASG, sofern Österreich auf Ersuchen des Antragstellers als Referenzmitgliedstaat fungiert, einen Beurteilungsbericht, einen Entwurf der Fachinformation, einen Entwurf der Gebrauchsinformation und für die Kennzeichnung zu erstellen und dem Antragsteller und den anderen EWR‑Staaten, bei denen ein Zulassungsdossier eingereicht wurde, zu übermitteln (dezentralisiertes Verfahren nach § 18a Abs 2 AMG iVm Art 28 Abs 3 RL). Mit § 18a AMG wurde die RL 2004/27/EG in Österreich umgesetzt (Königshofer in Resch/Wallner, Handbuch Medizinrecht2 Arzneimittelrecht Rz 48).

Ob der dem Bescheid des BASG vom 10. 9. 2014 zugrunde liegende Antrag der Klägerin auf Zulassung des Generikums B*rein national oder im Wege eines dezentralen Verfahrens gestellt wurde, lässt sich dem festgestellten Sachverhalt nicht entnehmen. Die Beklagte geht in ihrem Vorbringen von einem dezentralisierten Verfahren aus, die Klägerin führt dazu in ihrer Revisionsbeantwortung nichts aus. Letztlich ist diese Unterscheidung für die Beurteilung, ob die Beklagte ihre Beschwerde gegen die Entscheidung des BASG rechtsmissbräuchlich erhoben hat, aber – wie nachstehend dargelegt wird – nicht ausschlaggebend.

II. Die Beklagte konnte sich in ihrer Bescheidbeschwerde auf ein privates Rechtsgutachten des Univ.‑Prof. Dr. C* K* von der Universität * stützen. Die Behauptung der Klägerin, die Beklagte hätte erkennen können, dass die darin vertretene Rechtsansicht in Widerspruch zur deutschen und europäischen Rechtsprechung sowie geltendem Richtlinienrecht stehe und daher unhaltbar sei, ist nicht begründet. Der Gutachter hat sich ua auch mit der Entscheidung des EuGH vom 3. 12. 1998 in der Rechtssache C‑368/96 , Generics UK, auseinandergesetzt. Dass er aus dieser Entscheidung andere Schlüsse gezogen hat als die Klägerin, macht seinen Standpunkt ebensowenig unvertretbar wie das Vorliegen der von der Klägerin behaupteten gegenteiligen Entscheidung eines deutschen Verwaltungsgerichts.

Vor allem aber spricht auch das Vorabentscheidungsersuchen des finnischen Obersten Gerichtshofs vom 31. 10. 2016 in der Rechtssache C‑557/16 , Astellas Pharma, und die dazu ergangene schriftliche Erklärung der Europäischen Kommission vom 7. 2. 2017fürden von der Beklagten in ihrer Bescheidbeschwerde vertretenen Rechtsstandpunkt, sodass diese jedenfalls nicht von vornherein – zumindest aufgrund eines Größenschlusses – als aussichtslos erscheinen musste; dies auch dann, wenn das dem Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegende Zulassungsverfahren (Finnland als betroffener Mitgliedstaat im dezentralisierten Verfahren) mit jenem der Bescheidbeschwerde (Österreich als Referenzmitgliedstaat im dezentralisierten Verfahren?) nicht völlig ident ist. Der finnische Oberste Gerichtshof ist sich unsicher (Rn 66), ob die dortige Beschwerdeführerin (hier Beklagte) im dezentralisierten Zulassungsverfahren vor der zuständigen Behörde eines betroffenen Mitgliedstaats geltend machen kann, dass die Dokumentationsschutzfrist des (ihres) Referenzarzneimittels noch nicht abgelaufen und der Beginn der Unterlagenschutzfrist von der Behörde zu prüfen ist. Er hat daher entsprechende Vorabentscheidungsfragen gestellt.

Die Europäische Kommission schlägt in ihrer Stellungnahme vor, diese Frage grundsätzlich zu bejahen (Rz 45). Während nach Ansicht des Berufungsgerichts der Verweis der Beklagten auf die EuGH-Entscheidung vom 23. 10. 2014, C‑104/13 , Olainfarm, ins Leere geht, nimmt die Kommission darauf ausdrücklich Bezug und verweist auf das Recht, beim einzelstaatlichen Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf (Art 47 GRC) gegen den Genehmigungsbeschluss einzulegen, und zwar unabhängig davon, ob der Mitgliedstaat im dezentralisierten Verfahren die Stellung als Referenzmitgliedstaat oder beteiligter Mitgliedstaat hatte (Rz 52 ff). Das einzelstaatliche Gericht könne eine den Anfangszeitpunkt der Unterlagenschutzfrist eines Referenzarzneimittels betreffende Behauptung untersuchen, die im Zusammenhang mit einem gegen den Beschluss einer zuständigen einzelstaatlichen Behörde über die Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Generikums eingelegten Rechtsbehelf geäußert wurde. Bei Zweifeln an der Unionskonformität des Beschlusses der deutschen Behörde vom 19. 7. 2005 über die Genehmigung des Inverkehrbringens von R* könne in dieser Angelegenheit eine Vorabentscheidung beantragt werden (Rz 56 f; 64; siehe auch vorgeschlagene Antwort auf die zweite Vorlagefrage).

Zwar bleibt damit weiterhin die Rechtsfrage ungeklärt, ob diese Überprüfungsmöglichkeit auch für die Behörde bei einer rein nationalen Zulassung gilt, die gemäß § 10 Abs 5 AMG um Übermittlung der Unterlagen ersucht. Von einer einschlägigen europäischen, diese Rechtsfrage verneinenden Rechtsprechung, die den Rechtsstandpunkt der Beklagten in ihrer Bescheidbeschwerde als völlig unvertretbar und aussichtslos erscheinen lassen muss, kann aber hier nicht die Rede sein. Insofern „belegen“ auch die in der Revisionsbeantwortung zitierten Entscheidungen des Verwaltungsgerichts * und des Oberverwaltungsgerichts * nicht den von der Klägerin behaupteten Rechtsmissbrauch der Beklagten. Entgegen der Rechtsauffassung in der Revisionsbeantwortung vermochte die Klägerin nicht nachzuweisen, dass das Verhalten der Beklagten jedenfalls – also selbst wenn der EuGH die Rechtsfrage zur Entscheidungsbefugnis der österreichischen Behörde über die Zulässigkeit der Heranziehung des Referenzarzneimittels R* zur Prüfung des Beginns der Unterlagenschutzfrist anders als der VwGH entscheiden sollte – rechtsmissbräuchlich war.

Die Klägerin vermag auch in Erörterung mit den inhaltlichen Argumenten der Beklagten, mit denen sich die Beklagte in der Bescheidbeschwerde gegen eine zulässige Bezugnahme auf R* als Referenzmittel wendet, nicht nachzuweisen, dass die Beklagte ihre – auf das Rechtsgutachten fußende – Rechtsansicht für erkennbar aussichtslos halten musste.

Zusammengefasstgelang der Klägerin nicht der ihr obliegende Beweis, dass die Beklagte die Beschwerde gegen den Bescheid des BASG vom 10. 9. 2014, womit dem Antrag der Klägerin auf Zulassung der Arzneispezialität B* als Generikum zur Abgabe im Inland für die Dauer von fünf Jahren stattgegeben wurde, deshalb schuldhaft rechtswidrig erhob, weil die Beklagte wissen hätte müssen, dass ihr darin eingenommener Rechtsstandpunkt von vornherein unhaltbar und aussichtslos sei.

Der Revision der Beklagten ist danach Folge zu geben und das Klagebegehren in Abänderung der dem Grunde nach klagsstattgebenden Entscheidung der Vorinstanzen mit Endurteil abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der der Beklagten im erstinstanzlichen Kostenverzeichnis unterlaufene Additionsfehler (Gesamtsumme ohne Hinzuzählung der verzeichneten ERV‑Gebühr gemäß § 23a RATG) konnte ohne Verstoß gegen § 405 ZPO von Amts wegen korrigiert werden (RIS‑Justiz RS0113805). Der dreifache Einheitssatz für die Berufungsschrift (§ 23 Abs 9 RATG) errechnet sich richtig mit 1.718,70 EUR.

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