OGH 8Ob109/17p

OGH8Ob109/17p28.9.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, den Hofrat Dr. Brenn, die Hofrätin Mag. Korn und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** A*****, vertreten durch Mag. Rainer Rienmüller, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei f***** GmbH, *****, vertreten durch die Lederer Rechtsanwalt GmbH in Wien, und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei E***** AG, *****, vertreten durch die Widter Mayrhauser Wolf Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 143.476,01 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 3. Juli 2017, GZ 1 R 72/17i‑26, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0080OB00109.17P.0928.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Mit seinen Ausführungen zur Beweislastverteilung bzw zur „Beweislastverpflichtung“ will der Kläger in Wirklichkeit die Feststellung des Erstgerichts zur Mitteilung über die Tilgungslücke bekämpfen. Die Beweiswürdigung kann im Revisionsverfahren allerdings nicht mehr angefochten werden (RIS‑Justiz RS0043371). Die Frage nach der Beweislastverteilung stellt sich von vornherein nur dann, wenn sich entscheidungserhebliche Tatsachen vom Gericht nicht feststellen lassen (1 Ob 42/09x). Dies war hier nicht der Fall.

2.1 Inhalt und Umfang der Beratungspflicht des Anlageberaters sind vom Anlagemodell und von der Person des Kunden abhängig. Ausgehend vom konkreten Anlageziel und der konkreten Risikovorstellung des Kunden sind die typischen Risiken der in Aussicht genommenen Anlage darzustellen. Zudem muss über die Auswirkung des Risikogehalts des Finanzprodukts auf das verfolgte Anlageziel aufgeklärt werden (10 Ob 7/12w; 3 Ob 209/13a). In dieser Hinsicht muss die Beratung vollständig, richtig und verständlich sein. Der Kunde muss in den Stand versetzt werden, die Auswirkungen seiner Anlageentscheidung zu erkennen (3 Ob 241/11d; 8 Ob 60/15d = VbR 2016/58). Die konkrete Ausgestaltung der Beratungspflicht hängt dabei typisch von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0029601). Bei einem Fremdwährungskredit ist nach der Rechtsprechung über das Zinsrisiko und das Währungs- bzw Wechselkursrisiko, das sich auf die Kreditsumme auswirken kann, aufzuklären (7 Ob 48/17k). Beide Faktoren haben Auswirkungen auf den Rückzahlungsbetrag (vgl 7 Ob 191/14k).

Wird ein (endfälliger) Kredit mit einem Tilgungsträger (zB Lebensversicherung) kombiniert, so ist zusätzlich über das Wertentwicklungsrisiko aufzuklären, das sich auf den veranschlagten Deckungsbetrag auswirken kann.

2.2 Nach den Feststellungen wurde der Kläger sowohl vom Mitarbeiter der Beklagten als auch von der Mitarbeiterin der Nebenintervenientin im Rahmen der Beratungsgespräche über die relevanten Risikofaktoren umfassend aufgeklärt. Zudem erhielt er entsprechende Informationsblätter, die mit ihm erörtert wurden. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass eine Verletzung der Aufklärungspflicht hier nicht vorliegt, erweist sich als nicht korrekturbedürftig.

3.1 Bei Veranlagungs- und/oder Finanzierungs‑ konzepten, die eine Kombination von Fremdwährungskrediten mit Tilgungsträgern vorsehen, ist für den Beginn der Verjährungsfrist von Ansprüchen aus Beratungsfehlern nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs entscheidend, zu welchem Zeitpunkt der Geschädigte erkennt, dass das Gesamtkonzept den Zusagen nicht entspricht, also entgegen den Zusicherungen nicht oder nicht im zugesagten Ausmaß risikolos ist (5 Ob 177/15p; 1 Ob 28/17z). Für den Verjährungsbeginn ist somit die Kenntnis der Risikoträchtigkeit des gesamten Modells maßgebend. Die spezifischen Risiken, die diese Risikoträchtigkeit bedingen (Wechselkurs, Zinsentwicklung, Ertrags- bzw Wertentwicklung des Tilgungsträgers als Veranlagungs‑ produkt), stehen nach der Interessenlage eines durchschnittlichen Anlegers in einem derart engen Zusammenhang, dass eine unterbliebene oder fehlerhafte Aufklärung über die einzelnen Teilaspekte – wovon hier allerdings nicht auszugehen ist – verjährungsrechtlich jeweils als unselbständige Bestandteile eines einheitlichen Beratungsfehlers zu qualifizieren sind (5 Ob 133/15t = VbR 2016/82 [ Kolba ]). Zu welchem Zeitpunkt der Kläger konkret Kenntnis vom Primärschaden erlangte, hängt ebenso von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0113916) wie die Frage, wann er diese Kenntnis bei gebotenen Nachforschungen erlangt hätte (RIS‑Justiz RS0034327 [T20]).

3.2 Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass mit der Information an den Kläger über die Tilgungslücke im Jänner 2012 ausreichende Anhaltspunkte für die Risikoträchtigkeit des Anlagemodells vorlagen und damit der Beginn der Verjährungsfrist ausgelöst wurde, hält sich ebenfalls im Rahmen der Rechtsprechung. Nach den Feststellungen war der Kläger zu diesem Zeitpunkt über die Entwicklung der Kreditsumme informiert. Zudem bestanden bei der Nebenintervenientin „Lückenlisten“. Aufgrund der ihm erteilten Information hätte der Kläger nicht untätig bleiben dürfen. Tatsächlich lehnte er den empfohlenen Gesprächstermin ausdrücklich ab.

4. Mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

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