OGH 3Ob209/13a

OGH3Ob209/13a19.12.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. A*****, vertreten durch Kosch & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wiener Neustadt, gegen die beklagte Partei Mag. P*****, vertreten durch Dr. Helmut Hoberger, Rechtsanwalt in Perchtoldsdorf, und der auf seiner Seite beigetretenen Nebenintervenientin B***** GmbH, *****, vertreten durch Neumayer, Walter & Haslinger Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, wegen 52.457,05 EUR sA, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 23. Juli 2013, GZ 12 R 22/13p‑41, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 26. September 2012, GZ 20 Cg 178/10b‑30, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Den Gegenstand des Revisionsverfahrens bildet die Frage der Haftung des Beklagten aus einer Anlageberatung. Der Beklagte, ein selbständiger Vermögensberater, hatte für die Klägerin, eine Ärztin mit hohem Sicherheitsbedürfnis, Anfang des Jahres 2005 ein Umschuldungskonzept erstellt. Diesem entsprechend nahm die Klägerin einen endfälligen Fremdwährungskredit in Schweizer Franken auf und schloss als Tilgungsträger eine Lebensversicherung ab. Unter anderem erwarb sie am 28. Februar 2005 5.311 Stück Investment-Zertifikate von M***** zu einem Kaufpreis von 75.037,50 EUR inklusive Spesen. Davon verkaufte sie im Zeitraum von April 2005 bis August 2007 entsprechend dem Tilgungsplan 640,40 Stück. Die Ausschüttungen aus den Zertifikaten in Höhe von 10.957 EUR wurden zur anteiligen Zahlung der Versicherungsprämien sowie der Zinsen und Spesen des aufgenommenen Kredits verwendet. Nach einem massiven Kursverfall der Zertifikate verkaufte die Klägerin im September 2009 die verbliebenen 4.670,60 Stück um einen Gesamtveräußerungserlös von 22.580,45 EUR.

Gestützt auf falsche Aufklärung über Art und Umfang des Veranlagungsrisikos und die fahrlässige Unterlassung der zugesagten Vermögensverwaltung verlangt die Klägerin den Differenzbetrag (auf den seinerzeitigen Kaufpreis) in Höhe von 52.457,05 EUR vom Beklagten ersetzt.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Die Klägerin habe das ihr nach der Trennung von ihrem Mann zur Verfügung stehende Geld (150.000 EUR) für die Abstattung eines Kredits für eine Wohnung ansparen und kein besonders hohes Risiko eingehen wollen. In diesem Sinn habe der Beklagte als Berater die Veranlagung als eher sichere Anlageform bezeichnet. Die Risikoeinstufung der Veranlagung im Anlageprofil mit „mittel“ habe nicht der Risikoerwartung der Klägerin entsprochen, diese wäre mit „gering“ festzusetzen gewesen. Dass das gegenständliche Wertpapier jemals in diese Risikoklasse gefallen wäre, behaupte der Beklagte nicht einmal. Schon aus diesem Umstand ergebe sich seine Haftung.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichts, so auch die Feststellung, dass die Klägerin das nun strittige Produkt nicht gezeichnet hätte, hätte sie gewusst, dass es sich dabei nicht um eine österreichische Immobilien-Aktie, sondern um ein Investment-Zertifikat handle, das dem Recht von J***** unterliege.

Ein Anlageberater sei zur Aufklärung seiner Kunden über die Risikoträchtigkeit der in Aussicht genommenen Anlage verpflichtet. Stelle er ein typisches Risikogeschäft als sichere Anlageform hin und veranlasse er dadurch den Anleger zur Zeichnung einer solchen Beteiligung, dann hafte er für die fehlerhafte Beratung selbst dann, wenn er von der Seriosität des Anlagegeschäfts überzeugt gewesen sein sollte. Der Beklagte habe durch fehlerhafte Beratung bei der Klägerin den irrigen Eindruck erweckt, dass es sich bei M***** um eine österreichische Immobilienaktiengesellschaft handle und dass die von ihr erworbenen Wertpapiere sicherer seien als „normale“ Aktien. Obwohl dem Beklagten das hohe Sicherheitsbedürfnis der Klägerin bewusst gewesen sei, habe er sie auch nicht über das mit der Veranlagung verbundene Risiko eines gänzlichen oder teilweisen Verlustes des investierten Kapitals aufgeklärt, sondern ihre diesbezügliche Bedenken damit beschwichtigt, dass er auf ihr Geld jeden Tag achten werde. Das von der Klägerin gewünschte Veranlagungsziel sei somit mit der erfolgten Veranlagung in M*****-Zertifikaten nicht vereinbar gewesen, sodass eine falsche Beratung durch den Beklagten erfolgt sei. Für den dadurch verursachten Schaden habe er der Klägerin zu haften.

Es treffe zwar zu, dass im Allgemeinen eine gesonderte Aufklärung über das fast jeder Fremdveranlagung immanente Risiko von Malversationen im Allgemeinen nicht erforderlich sei. Bei unterlassener oder fehlerhafter Aufklärung über die Risikogeneigtheit eines Wertpapiers sei aber auch ein Schaden durch Kursmanipulation adäquat verursacht und stehe im Rechtswidrigkeitszusammenhang, weil die Möglichkeit eines Kursverfalls durch aufgedeckte Marktmanipulationen („Kurspflege“) nicht außerhalb jeder Lebenserfahrung liege und auch keine außergewöhnliche Verkettung von Umständen darstelle. Der Rechtswidrigkeitszusammenhang sei zu bejahen, wenn zwar bezüglich eines bestimmten Anlagerisikos (Kursmanipulation) keine Aufklärungspflicht bestanden habe, die Verletzung anderer Informationspflichten aber dazu geführt habe, dass sich die Wahrscheinlichkeit der Verwirklichung dieses Risikos im Vermögen des Anlegers bei objektiver Betrachtung nicht bloß unerheblich erhöht habe.

Das Vorbringen des Beklagten in seiner außerordentlichen Revision lässt sich dahin zusammenfassen, dass es ‑ entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ‑ nicht von Bedeutung sei, dass er die Klägerin nicht darüber aufgeklärt habe, dass es sich bei M***** nicht um eine österreichische, sondern eine ausländische Aktiengesellschaft nach dem Recht von J***** gehandelt habe. Die Klägerin habe Kursverluste, wie sie bei Aktien immer eintreten könnten, in Kauf genommen; es sei ihr nicht zugesagt worden, dass die Sicherheit dem eines Bausparvertrags oder eines Rentenfonds entspreche. Mangels Verpflichtung zur Aufklärung über das jeder Veranlagung immanente Risiko habe auch keine Verpflichtung zur Aufklärung der Klägerin über die Möglichkeit eines Kurssturzes wegen Kursmanipulationen zur Kurspflege bestanden; solche Handlungen seien sowohl nach österreichischem Recht als auch nach demjenigen von J***** unzulässig, aber nicht zu verhindern. Insoweit bestehe auch kein Kausalzusammenhang zwischen einer mangelhaften Beratung und dem Vermögensnachteil der Klägerin. Nur wenn der entscheidende Beratungsfehler in der pflichtwidrigen Unterlassung einer Aufklärung über die Möglichkeit eines Kursabsturzes liege, sei damit auch ein Schaden durch Kursabsturz infolge von Marktmanipulationen adäquat herbeigeführt.

Rechtliche Beurteilung

Mit diesem Vorbringen wird keine erhebliche Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) dargestellt.

1. Inhalt und Umfang der Beratungspflicht des Anlageberaters sind von einer Reihe von Faktoren abhängig, die sich einerseits auf die Person des Kunden und andererseits auf das Anlageprojekt beziehen. Die konkrete Ausgestaltung der Beratungspflichten hängt damit entscheidend von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0029601 [T9]). Grundsätzlich muss die Beratung vollständig, richtig und verständlich sein, sie darf objektive Risken nicht herunterspielen und muss der Rechtslage entsprechen (RIS‑Justiz RS0026135 [T23]). Ist das Papier in eine höhere Risikoklasse einzustufen als es den Risikovorstellungen des Kunden entspricht, muss eine vollständige, richtige und sorgfältige Beratung auch beinhalten, dass der Berater die Risikoklasse mit dem Kunden erörtert und ihn über deren Bedeutung und Auswirkungen auf das verfolgte Anlageziel aufklärt (10 Ob 7/12w).

2. Im Zusammenhang mit der erforderlichen Aufklärung über die Risikoträchtigkeit einer vorgeschlagenen Anlageform liegt dementsprechend ein Beratungsfehler vor, wenn der Anlageberater ein typisches Risikogeschäft als sichere Anlageform hinstellt und dadurch den Anleger zur Zeichnung einer solchen Beteiligung veranlasst. In einem solchen Fall tritt (bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen eines Schadenersatzanspruchs) eine Haftung für die fehlerhafte Beratung auch dann ein, wenn der Anlageberater von der Seriosität des Anlagegeschäfts überzeugt gewesen sein sollte: Er darf nämlich ein solches Geschäft nicht ohne weiteres als sichere Anlageform anpreisen (RIS-Justiz RS0108074 [T1]). Eine generelle Aufklärung über ein letztlich jeder Fremdveranlagung immanentes Risiko wie Malversationen ist allerdings bei einer Anlageberatung nicht von vornherein zu verlangen (RIS-Justiz RS0124492).

3.1. Nach den Feststellungen stellte der Beklagte das Produkt als österreichische Immobilienaktie dar, das aber nicht die üblichen Risiken einer Aktie aufweise, sondern deutlich geringere, da es von einer großen österreichischen Bank begeben würde und in Immobilien investiert würde, die nicht beliebig vermehrbar seien, weshalb eine hohe Sicherheit geboten werde. Dem Beklagten war bewusst, dass die Klägerin ein hohes Sicherheitsbedürfnis hat.

3.2. Der von den Vorinstanzen gezogene Schluss, die Zusage des Beklagten gegenüber der auf hohe Sicherheit bedachten Klägerin, die von ihr erworbenen Wertpapiere seien sicherer als „normale“ Aktien, sei als Fehlberatung zu qualifizieren, ist nicht zu beanstanden. Der Hinweis auf die „österreichische“ Immobilienaktie ist im Licht der hohen Sicherheitserwartung zu sehen.

4. Auch wenn man mit dem Vorbringen des Beklagten davon ausginge, dass er mangels Erkennbarkeit nicht über die Möglichkeit eines Kursverfalls durch aufgedeckte Marktmanipulationen („Kurspflege“) aufklären musste, wird seine Haftung nach jüngerer Rechtsprechung nicht ausgeschlossen.

4.1. In der Entscheidung 6 Ob 249/07x (RIS‑Justiz RS0022933 [T7]) hat der Oberste Gerichtshof im Zusammenhang mit Veruntreuungshandlungen noch ausgesprochen, dass die Unterlassung des Hinweises auf ein bestimmtes (erkennbares) Risiko, das sich in der Folge jedoch nicht verwirklichte, mangels entsprechenden Rechtswidrigkeitszusammenhangs noch nicht die Haftung wegen des Eintritts anderer Risken begründet.

4.2. Die jüngere Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0127012) hat demgegenüber den Gedanken der Risikoerhöhung ins Treffen geführt: Hat der Berater den Eindruck einer sicheren Anlage vermittelt, muss ins Kalkül gezogen werden, ob die (im Zuge einer Fehlberatung) vorgeschlagenen Papiere etwa in Bezug auf Malversationen wie Kursmanipulationen mit einem deutlich höheren Risiko ausgestattet sind, indem sich das Risiko der Anleger, durch solche Manipulationen Vermögensnachteile zu erleiden, erheblich vergrößert (ausführlich 4 Ob 62/11p = SZ 2011/84 = ecolex 2011/311, 805 [zustimmend, aber differenzierend G. Graf] = EvBl 2011/146, 1017 [Völckl] = ÖBA 2011/1759, 892 [Ramharter] = wbl 2012/12, 44 [van Husen]). Eine ansatzweise vergleichbare Begründung enthält die Entscheidung 8 Ob 132/10k (= ecolex 2011/312, 806 [zustimmend Wilhelm] = ÖBA 2011/1758, 888 [Ramharter]), wonach Kursmanipulationen als „Teilaspekt des gesamten Risikobündels der unbesicherten Kursabhängigkeit“ zu sehen sind.

Der erkennende Senat hat sich in seiner Entscheidung 3 Ob 220/12t (= ecolex 2013/165, 420 [Wilhelm]) diesen Grundsätzen bereits angeschlossen.

4.3. Auch im vorliegenden Fall ist der Rechtswidrigkeitszusammenhang ungeachtet der Gründe für den späteren Ausfall zu bejahen. Der Beklagte hat der Klägerin zugesichert, dass das vorgeschlagene Produkt ein deutlich geringeres Risiko als Aktien aufweise; die tatsächliche dahinter stehende Konstruktion ermöglichte aber in viel höherem Maß als bei Aktien von in Immobilien investierenden Unternehmen Manipulationen und die Gefahr von Verlusten (in diesem Zusammenhang ist auch auf den Inhalt der Beilagen ./10 und ./13 zu verweisen). Zusammenfassend hat der Beklagte der Klägerin ‑ durchaus aufgrund eigener Überzeugung ‑ eine Anlage als risikoarm dargestellt, obwohl diese Eigenschaft nicht gegeben war; das Verlustrisiko hat sich für die Klägerin durch die konkrete Auswahl deutlich erhöht. Darauf, ob es sich bei M***** um eine österreichische oder um eine ausländische Aktiengesellschaft handelte, kommt es nach diesen Kriterien nicht entscheidend an.

5. Da die Vorinstanzen im Einklang mit der jüngeren höchstgerichtlichen Rechtsprechung entschieden haben, ist die außerordentliche Revision der beklagten Partei mangels erheblicher Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) zurückzuweisen.

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