OGH 8Ob132/10k

OGH8Ob132/10k29.6.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in Rechtssache der klagenden Partei B*****, vertreten durch Dr. Gerhard Deinhofer, Dr. Friedrich Petri und Dr. Benedikt Wallner, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei E***** AG, *****, vertreten durch Neumayer, Walter & Haslinger, Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, wegen 24.845,45 EUR sA, über die Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. Juli 2010, GZ 1 R 145/10s-28, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 24. Februar 2010, GZ 39 Cg 45/08y-21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Beide Revisionen sowie die Revisionsbeantwortung der beklagten Partei werden zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin binnen 14 Tagen die mit 1.049,04 EUR (darin 174,84 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin, ein bevorrechteter Verband iSd § 29 KSchG, macht abgetretene Schadenersatzansprüche einer Konsumentin aus einer Fehlberatung durch Mitarbeiter der Beklagten bei der Vermittlung von Wertpapieren („M*****-Zertifikate“) geltend.

Die Konsumentin, eine AHS-Lehrerin, war bis zur gegenständlichen Veranlagung eine „Sparbuchsparerin“ ohne Vorkenntnisse oder Erfahrung mit Wertpapieren bzw Aktien; sie wollte ihr Kapital möglichst risikolos und außerdem kurzfristig verfügbar anlegen. Der Berater erklärte ihr, dass die Zertifikate genau das Richtige für sie seien, da es sich dabei um eine einem Sparbuch vergleichbare Möglichkeit der Veranlagung handle und das Geld nach drei Monaten jederzeit ohne Verluste gut „verzinst“ behebbar wäre. Die Zertifikate seien im Gegensatz zu einer Aktie, bei der der Kurs hinauf- und hinuntergehen könne, mündelsicher.

Die Konsumentin investierte am 8. 5. 2007 zunächst 17.000 EUR in die gegenständlichen Zertifikate. Die von ihr dazu unterfertigten Formulare, die unter anderem Hinweise auf die Möglichkeit des Teil- oder Gesamtverlusts des Kapitals enthielten, hat sie nicht durchgelesen, weil der Berater sinngemäß meinte, dies wäre nicht nötig. Anfang Juli 2007 erwarb die Konsumentin auf telefonisches Anraten des Beraters noch um weitere 7.107 EUR Zertifikate, obwohl sie bei Nachschau im Internet einen Abwärtstrend des Kurses festgestellt hatte. Hätte sie gewusst, dass mit dem Erwerb der Zertifikate ein nicht unerhebliches Verlustrisiko verbunden war, hätte sie die Investition nicht getätigt. Statt dessen hätte sie ihr Geld auf einem Sparbuch veranlagt und damit den Klagsbetrag realisiert. In der Folge sank der Kurswert der gegenständlichen Zertifikate dramatisch und betrug bei Klagseinbringung weniger als ein Drittel des Kurses zum Zeitpunkt des Erwerbs.

Das Erstgericht wies das auf Feststellung gerichtete ursprüngliche Hauptbegehren (unangefochten) ab und gab dem Eventualbegehren teilweise dahin statt, dass es die Beklagte schuldig erkannte, der Klägerin 16.563,63 EUR sA, Zug um Zug gegen Rückstellung von 755 Stück Zertifikaten, zu bezahlen. Das Zahlungsmehrbegehren wies es ab. Der Beklagten sei grob schuldhafte unrichtige Beratung vorzuwerfen, weil die gegenständliche Veranlagung den offengelegten Zielen der Anlegerin in keiner Weise entsprochen habe. Auch die Konsumentin treffe allerdings ein - mit einem Drittel zu gewichtendes - Mitverschulden im Sinn einer Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten, weil sie die von ihr unterschriebenen Formulare nicht einmal oberflächlich gelesen habe.

Das von beiden Parteien angerufene Berufungsgericht billigte diese Rechtsausführungen, bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung und ließ die ordentliche Revision zu. Der im Erwerb einer „falschen“ Anlageform liegende Schaden sei davon unabhängig, ob die real eingetretenen Kursverluste - wie von der Beklagten behauptet - zu einem gewissen Teil durch strafbare Handlungen Dritter mitverursacht wurden. Der Rechtswidrigkeitszusammenhang bestehe auch hinsichtlich solcher Schadensanteile.

Rechtliche Beurteilung

Ungeachtet des Ausspruchs des Berufungsgerichts sind die Revisionen beider Streitteile nicht zulässig, weil darin jeweils keine Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO normierten Bedeutung aufgezeigt wird (RIS-Justiz RS0102059).

1. Zur Revision der Beklagten:

1.1. Die behauptete Aktenwidrigkeit liegt nicht vor. Mit dem Vorbringen, die Konsumentin sei überhaupt nicht von der Möglichkeit eines Kapitalverlusts an sich, sondern nur von dessen Ausmaß überrascht worden, wogegen sie marktübliche Schwankungen in Kauf genommen habe, versucht die Revision vielmehr unzulässig, die Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen zu bekämpfen. Auch ein innerer Widerspruch ist nicht zu erkennen. Dass der Anlegerin zum Zeitpunkt des Nachkaufs ein sinkender Kurs der Zertifikate bewusst war, bedeutet keineswegs logisch zwingend, dass sie bereits das gesamte vom Berater verleugnete Risikopotential erkannt hatte.

1.2. Die Vorinstanzen haben sich der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs angeschlossen, wonach der Schaden des Kunden bereits im Erwerb der nicht gewünschten Vermögenswerte liegt, die er bei richtiger Beratung nicht gekauft hätte (7 Ob 253/97z; 8 Ob 123/05d; 8 Ob 25/10z). Auf die spätere Kursentwicklung des Finanzprodukts kommt es dabei grundsätzlich nicht an (so jüngst 5 Ob 246/10b). Der Geschädigte hat Anspruch auf Schadenersatz durch Naturalrestitution, die in der - auch im vorliegenden Fall begehrten - Rückzahlung des Kaufpreises, Zug um Zug gegen Ausfolgung der erhaltenen Vorteile in Form der Wertpapiere und Anrechnung allfälliger Zinsen bzw Dividenden besteht (vgl 7 Ob 253/97z = ÖBA 1999/787, 388 [Kletecka]; 3 Ob 40/07i; 5 Ob 246/10b; 4 Ob 65/10b = ecolex 2010/350, 952 [Wilhelm]; 8 Ob 25/10z; 10 Ob 11/07a; 8 Ob 123/05d; RIS-Justiz RS0120784; Ramharter, Aktuelle Fragen der Anlageberatungshaftung, ZAK 2009/654, 403).

1.3. Die Revisionswerberin stellt diese Rechtsprechung und grundsätzlich auch ihre Anwendung auf den vorliegenden Fall nicht in Frage. Sie führt jedoch ins Treffen, der Wertverfall der Zertifikate sei nur zu einem Teil auf das allgemeine Aktienkursrisiko, überwiegend aber auf konkrete kriminelle Marktmanipulationen zurückzuführen, deren Risiko von der Aufklärungspflicht eines Beraters nicht umfasst sei.

Es trifft zu, dass die Rechtsprechung die Haftung des Beraters auf jene Schäden begrenzt, die adäquat durch die Verletzung von Aufklärungspflichten verursacht wurden. Verwirklicht sich ein Risiko, über das im Einzelfall nicht aufgeklärt werden musste, ist ein (allein) daraus entstehender Schaden nicht vom Berater zu ersetzen (RIS-Justiz RS0124492; 8 Ob 38/11p [Insolvenzrisiko]).

Zum Problem der Schadensberechnung in einem Schadensfall, bei dem sich sowohl Risiken verwirklicht haben, über die aufzuklären gewesen wäre, als auch solche, für die das nicht galt, wurde in der Lehre im Sinne der Argumentation der Revisionswerberin die Ansicht vertreten, der Naturalrestitution erlangende Anleger erhielte in einem solchen Fall „reflexartig“ einen rechnerischen Schaden ersetzt, den er bei isolierter Betrachtung oder bei Geltendmachung des Differenzschadens nicht ersetzt verlangen könnte; zur Vermeidung eines unbilligen Ergebnisses sei deshalb ein Ausgleich geboten (vgl Wendehorst, Anlageberatung, Risikoaufklärung und Rechtswidrigkeitszusammenhang, ÖBA 2010, 562).

Der hier vorliegende Sachverhalt bietet jedoch keinen geeigneten Anlass für eine nähere Auseinandersetzung mit diesen Überlegungen.

Der Revision ist zuzustimmen, dass das Risiko von - hier behaupteten - Malversationen fast jeder Fremdveranlagung immanent ist, sodass eine gesonderte Aufklärung darüber im Allgemeinen und ohne konkrete Verdachtsmomente nicht erforderlich ist (RIS-Justiz RS0124492). Die Möglichkeit eines Kursverfalls durch aufgedeckte Marktmanipulationen („Kurspflege“) liegt aber auch nicht außerhalb jeder Lebenserfahrung und stellt keine außergewöhnliche Verkettung von Umständen dar (vgl RIS-Justiz RS0098939). Liegt der entscheidende Beratungsfehler, wie im vorliegenden Verfahren, in der pflichtwidrigen Unterlassung einer Aufklärung über die Möglichkeit eines Kursabsturzes an sich, ist damit auch ein Schaden durch Kursabsturz infolge von Marktmanipulationen adäquat herbeigeführt. Auch der Rechtswidrigkeitszusammenhang ist evident, weil eine Aufklärung über das Kursrisiko gerade verhindern soll, dass der unwissende Anleger mit einer ungewollten spekulativen Anlageform einen Kapitalverlust erleidet, der ihm bei richtiger Beratung, die zur Auswahl eines nicht marktabhängigen Wertpapiers geführt hätte, nicht erwachsen wäre. Die durch Manipulationen entstandenen Verluste verwirklichen nur einen Teilaspekt des gesamten Risikobündels der unbesicherten Kursabhängigkeit.

Die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen, die von einer Haftung der Beklagten ohne Rücksicht auf die konkreten Ursachen des Kursabsturzes ausgegangen sind, ist daher nach den Umständen des vorliegenden Sachverhalts nicht korrekturbedürftig (vgl auch Wendehorst aaO 3.3.1).

Der Zuspruch von 4 % Verzugszinsen aus dem Kapitalsbetrag gründet sich auf § 1333 iVm § 1000 ABGB und hat entgegen der Auffassung der Beklagten nichts mit dem potentiellen Ertrag der festgestellten Alternativveranlagung zu tun.

2. Zur Revision der Klägerin:

2.1. Ob die Konsumentin die Untüchtigkeit ihres Beraters - wie in § 1299 ABGB verlangt - gekannt hat oder bei gewöhnlicher Aufmerksamkeit erkennen hätte können, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kommt ein Mitverschulden des Kunden eines Anlageberaters - speziell auch in der Form der Nichtbeachtung von Informationsmaterial - prinzipiell in Frage (RIS-Justiz RS0102779; 9 Ob 128/06y).

Die betroffene Konsumentin, eine Akademikerin, hat vorgelegte Formulare mit umfassenden rechtlichen Hinweisen ungelesen unterfertigt und dadurch nicht erkannt, dass deren Inhalt den Ausführungen ihres Beraters teilweise diametral widersprach. Vor dem Nachkauf des zweiten Teils der Zertifikate wusste die Konsumentin überdies bereits, dass der Kurs ihrer Wertpapiere gesunken und folglich die Behauptung ihres Beraters, sie könne die Zertifikate jederzeit ohne Verluste verkaufen, definitiv falsch war. Bei diesem Sachverhalt ist die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass die Konsumentin die mangelnde Verlässlichkeit ihres Beraters im Sinn des § 1299 ABGB bei gehöriger Aufmerksamkeit erkennen hätte können, jedenfalls vertretbar.

2.2. Auch die Gewichtung des Mitverschuldens der Konsumentin mit insgesamt einem Drittel kann ausgehend von der bereits vorliegenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht als unvertretbar beurteilt werden (vgl 8 Ob 9/10x).

3. Die Revisionschrift der Klägerin wurde dem Vertreter der beklagten Partei am 24. 9. 2010 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs zugestellt, sodass die erst am 27. 10. 2010 eingebrachte Revisionsbeantwortung verspätet war (§ 507a Abs 1 ZPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO; die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten hingewiesen.

Stichworte