OGH 5Ob127/17p

OGH5Ob127/17p29.8.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragstellerin W* OG, *, vertreten durch Jeannee Rechtsanwalt GmbH in Wien, gegen die Antragsgegnerin A* AG, *, vertreten durch Mag. Franz Podovsovnik, Rechtsanwalt in Wien, wegen § 37 Abs 1 Z 8 MRG iVm § 12a Abs 3 MRG über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 26. April 2017, GZ 40 R 73/17g‑12, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 23. Februar 2017, GZ 30 Msch 19/16v‑8, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E119258

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 37 Abs 3 Z 16 MRG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

 

Begründung:

Nach Auffassung der Antragsgegnerin seien erhebliche Rechtsfragen darin gelegen, ob der Vermieter ein Mietzinsanhebungsrecht nach § 12a Abs 3 MRG dann habe, wenn der Mieter die Machtverhältnisse in der Gesellschaft derart bestimme, dass bei Ausscheiden eines Mehrheitsgesellschafters kein verbleibender Gesellschafter die Mehrheit der Anteile an der Gesellschaft halte; ob eine wirtschaftliche Änderung bei einer Personengesellschaft eintrete, wenn der bisherige Mehrheitsgesellschafter aus der Personengesellschaft ausscheide und dessen Anteil auf die bisherigen Minderheitsgesellschafter verteilt werde, ohne dass es einen neuen Machtträger in der Gesellschaft gebe und letztlich, ob die Judikatur zu § 12a Abs 3 MRG betreffend die „Machtwechseltheorie“ sowohl auf Kapital‑ als auch Personengesellschaften anzuwenden sei.

Rechtliche Beurteilung

Mit ihren Ausführungen zeigt die Antragsgegnerin keine erhebliche Rechtsfrage auf:

1.1. Zur Anwendung des § 12a Abs 3 MRG vertritt die nunmehr herrschende Ansicht die sogenannte „Machtwechseltheorie“, zu der sich auch der erkennende Senat – wenngleich zu anders gelagerten Sachverhalten – mittlerweile mehrfach ausdrücklich bekannt hat (5 Ob 198/09t = wobl 2010/126, 274 [Vonkilch] = immolex 2010/85, 252 [Limberg]; 5 Ob 91/12m = GesRZ 2013, 294 [zust Schauer] = NZ 2013/40 [zust Walch]; 5 Ob 196/13d = wobl 2014/89). Die Machtwechseltheorie entspricht auch der herrschenden Lehre (Schauer, Geschäftsraummiete und Unternehmensübertragung, GesRZ 1994, 12; ders, aktuelle Entwicklungen der Rechtsprechung des OGH zu § 12a MRG, wobl 1999, 39; Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht², § 12a MRG Rz 42 mwN; Hawel in Illedits/Reich‑Rohrwig, Wohnrecht2 § 12a MRG Rz 19 f; Würth/Zingher/Kovanyi, Miet‑ und Wohnrecht23 § 12a MRG Rz 18 mwN).

1.2. Die im Revisionsrekurs primär ins Treffen geführte Entscheidung 5 Ob 262/02v (= ecolex 2004/289 [Wallner]; krit Vonkilch,Mietzinsanhebung nach § 12a Abs 3 MRG: 5. Senat bricht mit herrschender Rechtsprechung, GesRZ 2004, 121 ff und Schauer,§ 12a MRG revisited: Alles zurück zum Start, wobl 2004, 229 ff), wonach es dann, wenn nach den Änderungen in der Mietergesellschaft die Mehrheit der Anteile nunmehr anderen Personen als den bisherigen Gesellschaftern zuzurechnen sei, keines eigentlichen Machtwechsels in der Gesellschaft mehr bedürfe, weil sich bei einer Anteilsverschiebung um mehr als 50 % daraus bereits eine entscheidende Änderung der rechtlichen und wirtschaftlichen Einflussmöglichkeiten ergebe, ist als überholt anzusehen; soweit aus der Entscheidung 9 Ob 53/11a (= wobl 2012/95 [krit Vonkilch]), die an sich ebenfalls auf ein „Kippen der Mehrheitsverhältnisse“ abstellte (RIS‑Justiz RS0108983) zu entnehmen ist, dass es auf einen „Machtwechsel“ im eigentlichen Sinn in einem solchen Fall nicht mehr ankomme, wird sie nicht geteilt. Nach nunmehr gefestigter höchstgerichtlicher Auffassung auch des erkennenden Senats indiziert ein Kippen der Mehrheitsverhältnisse den Machtwechsel zwar, die konkreten Auswirkungen sind aber jeweils im Einzelfall zu prüfen. Ergibt eine solche Prüfung, dass trotz Änderung der rechtlichen Verhältnisse keine wirtschaftliche Änderung eintritt, weil am Ende des Vorgangs letztlich unveränderte Machtverhältnisse stehen, ist kein Anhebungsrecht bewirkt (RIS‑Justiz RS0125715; RS0111167 [T14, T17]; 5 Ob 228/15p = immolex 2016/60 [Cerha]; 10 Ob 79/15p = wobl 2016/77 [zust Vonkilch]). Es bedarf daher einer Änderung der rechtlichen und der wirtschaftlichen Einflussmöglichkeiten der Mietergesellschaft, beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen (1 Ob 180/07p mwN = ecolex 2008/313).

1.3. Zur Anwendung des § 12a Abs 3 MRG im Zusammenhang mit Personengesellschaften liegt bereits höchstgerichtliche Rechtsprechung im nennenswerten Umfang vor (RIS‑Justiz RS0118946; RS0108809; RS0108984). Demnach ist bei einer Personengesellschaft eine entscheidende Änderung der rechtlichen und wirtschaftlichen Einflussmöglichkeiten dann anzunehmen, wenn der persönlich haftende Gesellschafter ausgetauscht wird oder sich die Beteiligungsverhältnisse bei den kraft Gesetzes geschäftsführungsbefugten Komplementären einer Kommanditgesellschaft entscheidend verschieben. Erhält ein Komplementär mehr als 50 % der Gesellschaftsanteile, indiziert dies in Anlehnung an das vom Gesetzgeber ganz generell für den „Machtwechsel“ in einer Gesellschaft erwähnte Beispiel einer Veräußerung der Mehrheit der Anteile eine im Sinn des § 12a Abs 3 erster Satz MRG relevante Verlagerung der rechtlichen und wirtschaftlichen Einflussmöglichkeiten, obwohl sich – wie im gesetzlichen Modell dieser Personengesellschaft vorgesehen – an der Zuteilung der Geschäftsführungsbefugnisse vielleicht gar nichts geändert hat. In diesem Sinn wurde etwa bereits die rechtsformwandelnde Änderung einer OHG mit zwei persönlich haftenden Gesellschaftern in eine KG, bei der einer der bisher persönlich haftenden Gesellschafter die Rechtsposition des Kommanditisten übernimmt, der andere Gesellschafter die des Komplementärs, als rechtlicher und wirtschaftlicher Machtwechsel in der Personengesellschaft angesehen (5 Ob 244/04z = wobl 2006/36); ebenso die Auswechslung des einzelnen Komplementärs einer KG unabhängig von internen Absprachen (5 Ob 236/09f = immolex 2010/99 [Cerha] = wobl 2011/124 [Schauer]). Demgegenüber begründet die Fortführung der bisherigen Personengesellschaft durch die bisher einzige Komplementärin als Einzelunternehmen keine erhebliche Änderung der wirtschaftlichen und rechtlichen Einflussmöglichkeiten (5 Ob 196/13d = wobl 2014/89).

2. Die Auffassung des Rekursgerichts, hier liege kein „Kippen der Machtverhältnisse“ verbunden mit einer entscheidenden Änderung der rechtlichen und wirtschaftlichen Einflussmöglichkeiten auf die Antragstellerin vor, ist jedenfalls vertretbar. Der bisherige Mehrheitsgesellschafter schied aufgrund Todes aus, seinen Anteil übernahmen die drei verbliebenen offenen Gesellschafter in einem solchen Ausmaß, dass unverändert keiner von ihnen über eine Anteilsmehrheit in der Mietergesellschaft verfügt. Die Beurteilung des Rekursgerichts, darunter sei kein „Kippen der Mehrheitsverhältnisse“ in dem von der Judikatur verlangten Sinn zu verstehen, bedarf keiner Korrektur im Einzelfall. Sie hält sich im Rahmen der Rechtsprechung, wonach etwa die bloße Begründung von Streubesitz an der Holding AG der Mieterin nicht den Tatbestand des § 12a Abs 3 MRG zu begründen vermag (3 Ob 114/00m) und auch der Wechsel der Mehrheit der Vereinsmitglieder für sich allein noch nicht zu einem die Mietzinsanhebung erlaubenden „Machtwechsel“ führen kann (10 Ob 79/15p = wobl 2016/77 [zust Vonkilch]).

3. Für eine Änderung der wirtschaftlichen Machtverhältnisse, die selbst durch ein „Kippen der Mehrheitsverhältnisse“, nur indiziert wäre, ist im Übrigen der Vermieter behauptungs‑ und beweispflichtig (3 Ob 78/07b). Hier schied der bisherige Mehrheitsgesellschafter zwar durch Tod aus der Gesellschaft aus, die übrigen Gesellschafter blieben unverändert allein geschäftsführungs- und vertretungsbefugt für die Gesellschaft. Ungeachtet der Übernahme der Anteile des Verstorbenen ist nach wie vor keiner von ihnen Mehrheitsgesellschafter bzw konkret in der Lage, aufgrund seiner Gesellschafterstellung die Geschicke der Antragstellerin so zu bestimmen, als hätte er das Unternehmen selbst erworben (vgl die Übersicht bei Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht², § 12a MRG Rz 50; 10 Ob 79/15p). Die Auffassung des Rekursgerichts, die bloße Stärkung der Einflussmöglichkeiten der verbleibenden Minderheitsgesellschafter, die im Zusammenwirken mit anderen Minderheitsgesellschaftern Beschlüsse fassen könnten, reiche hier für eine wesentliche Änderung der wirtschaftlichen Machtverhältnisse (noch) nicht aus, ist angesichts der zu unterstellenden Struktur der Antragstellerin als reines Familienunternehmen jedenfalls vertretbar.

4. Da die Frage, ob der Tatbestand des § 12a Abs 3 erster Satz MRG verwirklicht wurde, immer nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls entschieden werden kann (RIS‑Justiz RS0111167 [T11]; RS0118809 [T1]; vgl auch RS0125715) und diesfalls eine erhebliche Rechtsfrage nur dann vorläge, wenn dem Rekursgericht eine grobe Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (RIS‑Justiz RS0044088), was hier nicht der Fall ist, ist der Revisionsrekurs mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG unzulässig und zurückzuweisen.

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