European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0140OS00020.17Y.0704.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der gegen das Adhäsionserkenntnis gerichteten Berufung der Ursula S***** wird dahin Folge gegeben, dass die Frist für die Zahlung der zugesprochenen Beträge in Ansehung dieser Angeklagten mit 14 Tagen bestimmt wird.
Dieser Angeklagten fallen auch die durch ihr Rechtsmittel erwachsenen Kosten des Verfahrens zur Last.
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 15. Juli 2016, GZ 131 Hv 10/15m-450, wurden – soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes und die gegen das Adhäsionserkenntnis gerichtete Berufung der Ursula S***** relevant – nachstehende Angeklagte je des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs, und zwar Wolfgang B***** nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 zweiter Fall, 15, 12 teils zweiter, teils dritter Fall StGB (A/I), Tomaz L***** nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 2, 148 zweiter Fall, 15, 12 dritter Fall StGB (B/I und B/II/1), Martin M***** nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 3, 148 zweiter Fall, 15, 12 zweiter Fall StGB (C/II), Ursula S***** nach §§ 12 dritter Fall, 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 3, 148 zweiter Fall, 15 StGB (D/II/1) und Robert Sa***** nach §§ 12 dritter Fall, 146, 147 Abs 1 Z 1, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall, 15 StGB (G/I) sowie Franz K***** des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 12 dritter Fall, 146, 147 Abs 2, 15 StGB (E/I) schuldig erkannt und sämtliche Angeklagte zu (Zusatz-)Freiheitsstrafen verurteilt.
Unter einem wurden „gemäß § 369 Abs 1 StPO … folgenden Privatbeteiligten nachangeführte Schadenersatz-beträge gegenüber nachgenannten Angeklagten zugesprochen“, und zwar:
1) der Wiener Gebietskrankenkasse gegenüber den Angeklagten Wolfgang B*****, Tomaz L*****, Martin M*****, Ursula S*****, Franz K***** und Robert Sa***** 34.630,68 Euro;
2) der Wiener Gebietskrankenkasse gegenüber den Angeklagten Wolfgang B*****, Martin M*****, Ursula S***** und Robert Sa***** 3.727,47 Euro;
3) der Wiener Gebietskrankenkasse gegenüber den Angeklagten Tomaz L*****, Martin M*****, Ursula S*****, Franz K***** und Robert Sa***** 11.255,04 Euro;
4) der Wiener Gebietskrankenkasse gegenüber den Angeklagten Martin M*****, Ursula S***** und Robert Sa***** 15.935,13 Euro;
5) der Niederösterreichischen Gebietskranken-kasse gegenüber den Angeklagten Wolfgang B*****, Martin Martin M*****, Ursula S***** und Robert Sa***** 22.535,11 Euro;
6) der Niederösterreichischen Gebietskranken-kasse gegenüber den Angeklagten Martin M*****, Ursula S***** und Robert Sa***** 88.090,57 Euro;
sowie weiteres – soweit hier wesentlich – jeweils auch „gegenüber Ursula S*****“
7) der Mo***** AG 8.785,08 Euro;
8) der T***** GmbH 9.521,36 Euro;
9) der F***** 31.797,43 Euro;
10) der F***** 16.522,67 Euro;
11) der Li***** GmbH 8.076 Euro;
12) der La***** eGen 5.600,74 Euro;
13) der Me***** GmbH 5.154,40 Euro;
14) der E***** GmbH 1.863,20 Euro.
Mit ihren „über Punkt 6. (88.090,57 Euro) hinausgehenden Ansprüchen“ wurde die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse „gemäß § 366 Abs 2 StPO … auf den Zivilrechtsweg verwiesen“ (US 18 f).
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs haben die Angeklagten – soweit hier von Bedeutung – in wechselnder Beteiligung (§ 12 StGB) und teilweise unter Mitwirkung Dritter mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und – mit Ausnahme von Franz K***** – gewerbsmäßig, nachgenannte berechtigte Sozialversicherungs-träger durch die Vorgabe, die nachstehend genannten vermögenslosen und keine Geschäftstätigkeit ausübenden Gesellschaften seien die Dienstgeber der zur Anmeldung gebrachten Dienstnehmer, während diese Dienstnehmer tatsächlich bloß zum Schein auf diese Gesellschaften angemeldet wurden und in Wahrheit für die BF***** GmbH und die Si***** GmbH tätig waren, mithin durch Täuschung über Tatsachen, zur Abstandnahme von der Geltendmachung und Einhebung der aus den Anmeldungen resultierenden Beiträge zur Sozialversicherung bei den tatsächlichen Dienstgebern verleitet, wodurch die berechtigten Sozialversicherungsträger Vermögensschäden in nachstehender Höhe erlitten, und zwar
A/I/1/a) und C/II/1/a/a.a) Wolfgang B***** und Martin M***** als faktische Geschäftsführer der L***** GmbH, sohin als unmittelbare Täter, Tomaz L***** (B/II/1), Ursula S***** (D/II/1), Franz K***** (E/I) und Robert Sa***** (G/I) jeweils als Beitragstäter (§ 12 dritter Fall StGB) von März bis Oktober 2009 Mitarbeiter der Wiener Gebietskrankenkasse durch die Anmeldung von 110 Dienstnehmern bei der L***** GmbH (Schaden: 34.630,68 Euro);
A/I/1/b) und C/II/b/b.a) Wolfgang B***** und Martin M***** als faktische Geschäftsführer der I***** GmbH, sohin als unmittelbare Täter, Ursula S***** (D/II/1) und Robert Sa***** (G/I) jeweils als Beitragstäter (§ 12 dritter Fall StGB) von September 2009 bis Februar 2010 Mitarbeiter der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse durch die Anmeldung von 39 Dienstnehmern bei der I***** GmbH (Schaden: 22.535,11 Euro);
A/I/1/c) und C/II/1/c/c.a) Wolfgang B***** und Martin M***** als faktische Geschäftsführer der C***** GmbH, sohin als unmittelbare Täter, Ursula S***** (D/II/1) und Robert Sa***** (G/I) jeweils als Beitragstäter (§ 12 dritter Fall StGB) von März bis Mai 2010 Mitarbeiter der Wiener Gebietskrankenkasse durch die Anmeldung von 13 Dienstnehmern bei C***** GmbH (Schaden: 3.727,47 Euro);
C/II/1/a/a.b) Martin M***** als faktischer Geschäftsführer der L***** GmbH, sohin als unmittelbarer Täter, Tomaz L***** (B/II/1), Ursula S***** (D/II/1), Franz K***** (E/I) und Robert Sa***** (G/I) jeweils als Beitragstäter (§ 12 dritter Fall StGB) von März bis Oktober 2009 Mitarbeiter der Wiener Gebietskrankenkasse durch die Anmeldung von 4 Dienstnehmern bei der L***** GmbH (Schaden: 11.255,04 Euro);
C/II/1/b/b.b) Martin M***** als faktischer Geschäftsführer der I***** GmbH, sohin unmittelbarer Täter, Ursula S***** (D/II/1) und Robert Sa***** (G/I) jeweils als Beitragstäter (§ 12 dritter Fall StGB) von August 2009 bis Februar 2010 Mitarbeiter der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse durch die Anmeldung von 46 Dienstnehmern bei der I***** GmbH (Schaden: 88.090,57 Euro);
C/II/1/c/c.b) Martin M***** als faktischer Geschäftsführer der C***** GmbH, sohin als unmittelbarer Täter, Ursula S***** (D/II/1) und Robert Sa***** (G/I) jeweils als Beitragstäter (§ 12 dritter Fall StGB) von Februar bis August 2010 Mitarbeiter der Wiener Gebietskrankenkasse durch die Anmeldung von 11 Dienstnehmern bei der C***** GmbH (Schaden: 15.935,13 Euro).
Ursula S***** hat – gleichfalls soweit hier von Bedeutung – zu D/II/1 weiters mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und gewerbsmäßig dadurch, dass sie im Februar 2009 die gesellschaftsrechtlichen Formalitäten einschließlich der Eröffnung des Gesellschaftskontos sowie der Anmeldung beim Finanzamt und der Einsetzung des (Schein‑)Geschäftsführers hinsichtlich der L***** GmbH abwickelte, zum (von B/I und J umfassten) Betrug der unmittelbaren Täter Tomaz L***** und Albert R***** beigetragen, die teils im einverständlichen Zusammenwirken, teils alleine (Tomaz L***** zu B/I/3) über Veranlassung des Martin M***** (C/II/2) durch die „listige“ Vorgabe, die L***** GmbH sei eine zahlungswillige und -fähige Kundin, Nachgenannte zu Handlungen verleitet haben, durch die die von den Getäuschten vertretenen Unternehmen in einem insgesamt 5.000 Euro übersteigenden Betrag an ihrem Vermögen geschädigt wurden oder werden sollten (B/I/3/a.a., 3.a.b), indem Tomaz L***** die bezughabenden Verträge und Bestellungen in seiner Funktion als handelsrechtlicher Geschäftsführer der L***** GmbH unterfertigte und Albert R***** ihn zu den Tatorten begleitete, ihn nach den Vorgaben des Martin M***** instruierte und als Dolmetscher fungierte, und zwar
- Verfügungsberechtigte der Mo***** AG am 5. März 2009 und am 24. März 2009 zum Abschluss von Mobiltelefonverträgen, zur Ausfolgung von Mobiltelefonen und Erbringung der vertraglich vereinbarten Leistungen (Schaden 8.785,08 Euro; B/I/1 und J/1);
- Verfügungsberechtigte der T***** GmbH am 5. März 2009 zum Abschluss von Mobiltelefonverträgen, zur Ausfolgung von Mobiltelefonen und Erbringung der vertraglich vereinbarten Leistungen (Schaden 9.521,36 Euro; B/I/1/2 und J/2);
- Verfügungsberechtigte der F***** Zweigniederlassung der FC***** unter Verwendung falscher Urkunden, nämlich eines Leasingvertrags und einer „Selbstauskunft für Unternehmer“, auf denen der abgesondert verfolgte Friedrich Ra***** die Unterschrift des ohne sein Wissen als Bürgen eingesetzten Semsudin H***** nachgeahmt hatte, und gefälschter Lohnbestätigungen des Letztgenannten, wobei die Tatvollendung infolge der Anzeigenerstattung des Semsudin H***** scheiterte, und zwar am 16. Juni 2009 zum Abschluss eines Leasingvertrags hinsichtlich eines Fahrzeugs der Marke Ford Ranger Doppelkabine XL (intendierter Schaden 29.000 Euro) und am 17. Juni 2009 zum Abschluss eines Kreditvertrags hinsichtlich des zuvor dem Wolfgang B***** gehörenden Fahrzeugs der Marke Audi A6 Allrad Diesel (intendierter Schaden 39.916,48 Euro; B/I/3/a), am 10. Juli 2009 zum Abschluss eines Leasingvertrags hinsichtlich des erstgenannten Fahrzeugs (Schaden 29.000 Euro; B/I/3/b; vgl auch US 48) und am 10. Juli 2009 zum Abschluss eines Kreditvertrags hinsichtlich des zweitgenannten Fahrzeugs (Schaden 16.522,67 Euro; B/I/3/c);
- Verfügungsberechtigte der La***** eGen in vier Angriffen zwischen 13. August und 13. September 2009 zur Herausgabe von Werkzeug und Baumaterial (Schaden 5.438,24 Euro; B/I/4 und J/3; vgl auch US 81);
- Verfügungsberechtigte der Me***** GmbH am 21. August 2009 zur Herausgabe von elektronischen Geräten (Schaden 5.154,40 Euro; B/I/5 und J/4);
- Verfügungsberechtigte der Li***** GmbH in drei Angriffen zwischen 25. August und 17. September 2009 zur Herausgabe von Werkzeug und Baumaterial (Schaden 8.076 Euro; B/I/6 und J/5);
- Verfügungsberechtigte der E***** GmbH im September/Oktober 2009 zur Herausgabe von Werkzeug und Baumaterial (Schaden 1.863,20 Euro; B/I/9 und J/8).
Die gegen das Urteil erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Ursula S*****, Franz K*****, Robert Sa***** und Caroline Ko***** wurden mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom heutigen Tag zum AZ 14 Os 128/16d, 14 Os 129/16a zurückgewiesen, einer Beschwerde des Angeklagten Robert Sa***** gegen den Beschluss der Vorsitzenden des Schöffengerichts vom 26. September 2016 (ON 474) nicht Folge gegeben. Dabei wurde die Entscheidung über die von der Generalprokuratur gegen den die Angeklagten Wolfgang B*****, Tomaz L*****, Martin M*****, Ursula S*****, Franz K***** und Robert Sa***** betreffenden Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche der Wiener und der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes sowie die gegen sämtliche Zusprüche an die Privatbeteiligten gerichtete Berufung der Ursula S***** einem
Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung vorbehalten.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes:
Die Generalprokuratur erblickt im– ausschließlich von Ursula S*****, nicht aber von den übrigen Angeklagten bekämpften (vgl insofern: RIS‑Justiz RS0099989; Ratz , WK‑StPO § 295 Rz 13, § 290 Rz 5; Spenling , WK‑StPO § 366 Rz 46) – Zuspruch an die eben genannten Gebietskrankenkassen (Punkte A/1 bis 6 des Adhäsionserkenntnisses) sowie in der Verweisung der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse auf den Zivilrechtsweg eine Verletzung von §§ 366 Abs 2 erster Satz, 369 Abs 1 StPO iVm § 64 Abs 1 ASVG und führt dazu Nachstehendes aus:
Das Recht zur Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen als Privatbeteiligter (§ 67 StPO) setzt voraus, dass dem Antragsteller durch die Straftat ein Schaden erwachsen ist, der einen privatrechtlichen Anspruch begründet. Beruht der aus der Tat resultierende Anspruch dagegen auf öffentlichem Recht, so ist dessen Geltendmachung durch Anschluss als Privatbeteiligter und damit auch der Zuspruch einer Entschädigung mittels Adhäsionserkenntnisses eines Strafgerichts unzulässig (RIS‑Justiz RS0095973 [T1], RS0086704 [T1 und T3]; Spenling, WK‑StPO Vor §§ 366 bis 379 Rz 29).
Unbeschadet dessen, dass das Bundesgesetz zur Verbesserung der Sozialbetrugsbekämpfung (Sozialbetrugsbe-kämpfungsgesetz – SBBG, BGBl I 2015/113) der zuständigen Abgabenbehörde sowie den Trägern der Krankenversicherung – in Anlehnung an die Bestimmung des § 200 FinStrG – eine Privatbeteiligtenstellung kraft Gesetzes einräumt (§ 7 SBBG), sind Angelegenheiten der Beiträge der Versicherten und ihrer Dienstgeber keine Leistungssachen, sondern Verwaltungs-sachen gemäß § 355 Z 3 ASVG. Rückständige Beiträge sind vom Sozialversicherungsträger im Verwaltungsverfahren einzutreiben (§ 64 Abs 1 und 2 ASVG), sodass hiefür der Rechtsweg unzulässig und deren Geltendmachung im Adhäsionsverfahren nach dem 17. Hauptstück der Strafprozessordnung (§§ 366 ff StPO) ausgeschlossen bleibt (RIS-Justiz RS0118868 [T1], RS0124921 [T3]; Kirchbacher/Presslauer in WK2 StGB § 153c Rz 33 ff und § 153d Rz 35; vgl zu § 200 FinStrG: RIS‑Justiz RS0086704 [T2 und T3], RS0086734; Lässig in WK2 FinStrG § 200 Rz 1 ff; Reger/Judmaier/Kalcher/Kuroki FinStrG Bd 24 [2016] S 1378 f).
Die Privatbeteiligtenstellung des Krankenver-sicherungsträgers erschöpft sich bei Vorliegen öffentlich-rechtlicher Anspruchsgrundlagen vielmehr in der Ausübung prozessualer Rechte und dient dazu, durch Sicherung der objektiven Rechtmäßigkeit des Strafverfahrens öffentliche Interessen im Zusammenhang mit der Verletzung von sozialversicherungsbeitragsrechtlichen Bestimmungen wahr-zunehmen und im Strafverfahren Beweismittel zu erlangen, die bei der Einbringlichmachung von Beitragsrückständen im öffentlich-rechtlichen Weg nützlich sein können (ErläutRV 692 BlgNR 25. GP , 3 f).
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
Entscheidend für die Zulässigkeit des Rechtswegs (und damit des Zuspruchs an einen Privatbeteiligten) ist, ob ein privatrechtlicher Anspruch geltend gemacht wird, der nicht durch Gesetz ausdrücklich vor eine Verwaltungsbehörde verwiesen wurde
(RIS‑Justiz RS0001477). Maßgebend ist dabei der Wortlaut des Klagebegehrens in Verbindung mit dem Klagegrund. Danach ist zu beurteilen, ob der Streitgegenstand seinem Wesen nach als privatrechtlicher Anspruch zu qualifizieren ist, über den die Zivilgerichte zu erkennen haben (RIS‑Justiz RS0045584, RS0045718).
Während privatrechtliche (Entschädigungs-) Ansprüche der Finanzstrafbehörde, die im Adhäsionsverfahren gemäß den §§ 365 ff StPO miterledigt werden könnten, nicht denkbar sind (RIS‑Justiz
RS0086704), ist in Bezug auf Angelegenheiten der Beiträge der Versicherten und ihrer Dienstgeber eine differenzierte Betrachtung geboten, wiewohl diese nach § 355 Z 3 ASVG zu den Verwaltungssachen gehören.
§ 64 Abs 1 und 2 ASVG, demzufolge den Sozialversicherungsträgern zur Eintreibung nicht rechtzeitig entrichteter Beiträge – nach Ausfertigung eines Rückstands-ausweises – die Einbringung im Verwaltungsweg gewährt ist (§ 3 Abs 3 Verwaltungsvollstreckungsgesetz 1950), bezieht sich auf die Eintreibung beim Beitragsschuldner, also dem Dienstgeber (§ 58 Abs 2 und 3 ASVG, § 4 AMPFG; vgl auch Derntl in Kert/Kodek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht Rz 5.111).
Nach § 67 Abs 10 ASVG haften die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandels-gesellschaften berufenen Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern insoweit für die von diesen zu entrichtenden Beiträge, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Die Haftung ist nach § 410 Abs 1 Z 4 ASVG mit Bescheid auszusprechen, was nach dem Vorgesagten eine Durchsetzung im Zivilrechtsweg gleichfalls ausschließt.
Der VwGH unterschied in diesem Zusammenhang in ständiger Rechtsprechung (vor der Novellierung von § 58 Abs 5 ASVG mit BGBl I 2010/102) auf den ordentlichen Rechtsweg verwiesene Schadenersatzansprüche zufolge der Verletzung allgemeiner Gläubigerschutzbestimmungen (etwa des Verbots der Konkursverschleppung) von der durch § 67 Abs 10 ASVG sanktionierten Missachtung rein beitragsrechtlicher, in den Sozialversicherungsgesetzen selbst normierter Pflichten (Melde- und Auskunftspflichten, soweit diese in § 111 ASVG iVm § 9 VStG auch gegenüber Vertretern sanktioniert waren, sowie die Verpflichtung zur Abfuhr einbehaltener Dienstnehmerbeiträge nach § 114 Abs 2 ASVG [nunmehr § 153c Abs 2 StGB]; vgl 1 Ob 50/99f, 2 Ob 36/17h jeweils mwN).
Damit übereinstimmend bejahte der Oberste Gerichtshof die Zulässigkeit des Rechtswegs bei Ansprüchen aufgrund einer vom Vertreter übernommenen Bürgschaft (2 Ob 222/04t, ZIK 2007, 35) oder wegen Verletzung allgemeiner Gläubigerschutzbestimmungen (5 Ob 522/94, 1 Ob 50/99f, SZ 72/76; 10 ObS 43/12i, DRdA 2013/38 [Kietaibl]) und sprach aus, dass der Sozialversicherungsträger bei einer Konkurrenz der Anspruchsgrundlagen – also bei einem Verstoß gegen spezifisch sozialversicherungsrechtliche Pflichten einerseits und gegen allgemeine Gläubigerschutzbestimmungen andererseits – im Ergebnis den Weg zur Durchsetzung wählen könne. Die Möglichkeit der Bescheiderlassung wegen Verletzung spezifisch sozialversicherungsrechtlicher Pflichten stehe dem Geltendmachen des mit einem Verstoß gegen allgemeine Gläubigerschutzbestimmungen begründeten Ersatzanspruchs vor den ordentlichen Gerichten nicht entgegen (1 Ob 50/99f; RIS-Justiz RS0111939).
Nur in den Fällen, in denen der Gesetzgeber demgegenüber zu erkennen gegeben habe, dass die hoheitliche Gestaltung zwingend ist, bestünde keine Wahlfreiheit zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Handlungsformen. Der Zivilrechtsweg stehe demgemäß nicht offen, wenn der Sozialversicherungsträger den konkret geltend gemachten Anspruch (nur) mit Bescheid durchsetzen könne (erneut 2 Ob 36/17h mwN).
Dies trifft nach der Rechtsprechung auf Ansprüche zu, die aus dem Nichtabführen von einbehaltenen Dienstgeberbeiträgen durch einen Dienstgeber oder dessen Vertreter (§ 114 Abs 2 ASVG, nunmehr § 153c Abs 1 und 2 StGB; vgl zum Begriff des Vertreters Kirchbacher/Presslauer in WK² StGB § 153c Rz 34) oder aus dem betrügerischen Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen durch den Dienstgeber oder dessen leitenden Angestellten (§ 153d Abs 1 und 3 StGB idF vor BGBl I 2015/112) entstanden sind. Insoweit ist eine Durchsetzung im Zivilrechtsweg und damit auch die Geltendmachung der Ansprüche als Privatbeteiligter im Strafverfahren ausgeschlossen (
zu § 153c StGB: 13 Os 99/12a;
14 Os 77/12y, 105/12s; zu § 153d StGB idF vor BGBl I 2015/112: 13 Os 58/14z; vgl auch OLG Wien 17 Bs 377/08b; 22 Bs 383/12b; zum Ganzen erneut [mit ausführlicher Begründung] 2 Ob 36/17h; Kirchbacher/ Presslauer in WK² StGB § 153c Rz 33 ff, § 153d Rz 35; vgl auch Derntl in Kert/Kodek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht Rz 5.73 ff, 5.111 ff).
Vorliegend begehrten die Sozialversicherungs-träger als Privatbeteiligte – soweit hier relevant – den Ersatz von Schäden, die aus dem von den oben angeführten Schuldsprüchen umfassten Verhalten der nach dem Adhäsionserkenntnis zum Schadenersatz verpflichteten Angeklagten resultierten. Dieses – in den Entscheidungs-gründen gleichlautend deren zusammenfassendem Referat im Erkenntnis beschriebene – Verhalten subsumierte das Erstgericht zu Recht §§ 146 ff StGB und nicht (auch) § 153d StGB, weil unmittelbarer Täter der letztgenannten strafbaren Handlung in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung vor BGBl I 2015/112 nur der Dienstgeber und dessen leitende Angestellte sein konnten (vgl dazu gleich unten sowie Kirchbacher/Presslauer in WK² StGB § 153d Rz 1 ff).
§ 146 StGB ist ein Schutzgesetz im Sinn des § 1311 ABGB, in dessen Schutzbereich gerade das Vermögen des durch den Betrug Geschädigten einbezogen ist (RIS‑Justiz RS0027653). Ein so begründeter Schadenersatzanspruch hat an sich zivilrechtlichen Charakter. Ein gesetzlicher Verweis solcher Ansprüche vor eine Verwaltungsbehörde besteht im konkreten Fall nicht:
Beitragsschuldner im hier maßgeblichen sozialversicherungsrechtlichen Sinn ist – wie oben dargelegt – der Dienstgeber (§ 58 Abs 2 und 3 ASVG, § 4 AMPFG). Dienstgeber ist gemäß § 35 Abs 1 ASVG derjenige, für dessen Rechnung der Betrieb (die Verwaltung, die Hauswirtschaft, die Tätigkeit) geführt wird, in dem der Dienstnehmer in einem Beschäftigungsverhältnis steht (auch wenn der Dienstgeber den Dienstnehmer durch Mittelspersonen in Dienst genommen hat oder ihn ganz oder teilweise auf Leistungen Dritter an Stelle des Entgelts verweist). Maßgebend sind die tatsächlichen Gegebenheiten, nicht etwa die in der Anmeldung genannten (§ 539a ASVG; Kirchbacher/Presslauer in WK² StGB § 153d Rz 12).
Wirkliche Dienstgeber der vorliegend zur Anmeldung gebrachten Dienstnehmer und damit Beitragsschuldner waren nach den hier wesentlichen Urteilsannahmen die BF***** GmbH und die Si***** GmbH und nicht die nach der Überzeugung der Tatrichter bloß scheinhalber in den inkriminierten Anmeldungen zur Sozialversicherung als Dienstgeber bezeichneten Gesellschaften, nämlich die L***** GmbH, die I***** GmbH sowie die C***** GmbH.
Die unmittelbaren Täter Wolfgang B***** und Martin M***** setzten das hier relevante inkriminierte Verhalten als faktische Geschäftsführer der drei letztgenannten Unternehmen, womit insoweit eine – nach § 410 Abs 1 Z 4 ASVG mit Bescheid auszusprechende – Haftung nach § 67 Abs 10 ASVG, die nach dem Vorgesagten nur für schuldhafte Pflichtverletzungen von Vertretern der Beitragsschuldner besteht, die sie im Rahmen ihrer Vertretungsmacht für diese begangen haben, ausscheidet. Dies gilt umso mehr für die (gleichfalls nicht als Vertreter der wirklichen Dienstnehmer agierenden) Beitragstäter Tomaz L*****, Ursula S*****, Franz K***** und Robert Sa***** (vgl dazu ein weiteres Mal 2 Ob 36/17h).
Dass Wolfgang B***** (auch) einziger Gesellschafter und handelsrechtlicher Geschäftsführer der BF***** GmbH sowie der Si***** GmbH war (US 26), ändert daran nichts, weil ihm im hier interessierenden Zusammenhang in dieser Funktion gesetzte Taten nicht vorgeworfen werden und zudem insoweit das Vorliegen konkurrierender Anspruchsgrundlagen zu bejahen wäre.
Daraus folgt, dass die geschädigten Sozialversicherungsträger ihre Schadenersatzansprüche gegen die Angeklagten, hinsichtlich derer eine Bescheiderlassung demnach nicht möglich war, im Strafverfahren als Privatbeteiligte geltend machen konnten und dem Erstgericht kein das entsprechende Adhäsionserkenntnis betreffender Rechtsfehler unterlaufen ist.
Zur Berufung der Angeklagten Ursula S*****:
Soweit sich diese auf die auch von der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes bekämpften Zusprüche an die Wiener und die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse richtet, war die Angeklagte mit ihrem inhaltlich gleichlautenden Vorbringen auf das Vorgesagte zu verweisen.
Hinsichtlich der Zusprüche an die übrigen Privatbeteiligten (Punkte 7 bis 14) erschöpfen sich die Ausführungen in einem Hinweis auf das fehlende Anerkenntnis der Berufungswerberin und der Behauptung, die Privatbeteiligten hätten auf den Zivilrechtsweg verwiesen werden müssen, weil aufgrund der „(mangelhaften) Sachverhaltsfeststellungen zu den von der Viertangeklagten angeblich gesetzten strafbaren Handlungen, insbesondere in Hinblick auf die subjektive Tatseite, … die Basis für eine Verurteilung und den Privatbeteiligtenzuspruch mit dem vorliegenden Urteil nicht gegeben ist“. Damit orientiert sich das Rechtsmittel nicht am – im Verfahren über eine
Berufung wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche nicht bekämpfbaren – Schuldspruch (D/II). Die zugesprochenen Beträge finden in diesem und in den – nicht in Zweifel gezogenen – Feststellungen zur Höhe des durch die zur Verurteilung gelangten Taten herbeigeführten Vermögensschadens der Opfer Deckung. Der Berufung war daher insoweit keine Folge zu geben.
Zu berücksichtigen war aber (vgl zur Unterstellung eines umfassenden Anfechtungswillens beim Angeklagten: Ratz , WK-StPO § 294 Rz 11, § 295 Rz 10 f),
dass das Erstgericht zum Nachteil der Berufungswerberin (vgl Fucik in Fasching/Konecny ² § 409 ZPO Rz 3) die – bei Privatbeteiligtenzusprüchen gesetzlich vorgesehene (§ 366 Abs 2 StPO iVm § 409 ZPO;
Spenling , WK-StPO § 366 Rz 13) – Setzung einer Leistungsfrist zum Nachteil der Berufungswerberin unterlassen hat und diese mit 14 Tagen zu bestimmen.
Bleibt der Vollständigkeit halber anzumerken, dass diese Gesetzesverletzung zu Gunsten der weiteren vom Adhäsionserkenntnis betroffenen Angeklagten, die dagegen keine Berufung erhoben haben, nicht von Amts wegen wahrgenommen werden konnte, weil das beneficium cohaesionis für den Ausspruch über privatrechtliche Ansprüche nicht gilt (RIS‑Justiz RS0099989; Ratz , WK‑StPO § 295 Rz 13, § 290 Rz 5; Spenling , WK‑StPO § 366 Rz 46).
Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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