OGH 1Ob50/99f

OGH1Ob50/99f27.4.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*****, vertreten durch Dr. Amhof & Dr. Damian, Rechtsanwaltspartnerschaft in Wien, wider die beklagten Parteien 1) Dagmar W*****, und 2) Emmerich S*****, beide *****, vertreten durch Kosch & Partner, Rechtsanwälte Kommanditpartnerschaft in Wiener Neustadt, wegen 453.904,61 S sA infolge ordentlicher Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgerichts vom 22. Oktober 1998, GZ 15 R 14/98h-45, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 26. Oktober 1997, GZ 16 Cg 219/93t-40, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

I. Die Revision wird, soweit sie Nichtigkeit geltend macht, zurückgewiesen.

II. Im übrigen wird der Revision nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 21.829,50 S (darin 3.638,25 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagten waren seit 6. Dezember 1989 Geschäftsführer und mit einer Beteiligung von je 50 % am Stammkapital auch Gesellschafter einer Gesellschaft mbH, über deren Vermögen am 6. März 1991 der Konkurs eröffnet wurde. Die Gläubiger - so auch die klagende Partei - wurden in dem bereits beendeten Konkursverfahren von einem vollständigen Ausfall ihrer Forderungen betroffen. Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 15. Oktober 1992 wurden die Beklagten wegen der Vergehen der fahrlässigen Krida nach § 159 Abs 1 Z 1 und 2 StGB schuldig erkannt, weil sie als Geschäftsführer der Gesellschaft als Schuldnerin mehrerer Gläubiger

1. deren Zahlungsunfähigkeit vom 6. Dezember 1989 bis Ende August 1990 insbesondere dadurch herbeigeführt hatten, daß sie das "Unternehmen ohne vorhergehende genaue Prüfung" übernommen und den Geschäftsbetrieb ohne Eigenkapital sowie unter unverhältnismäßiger und leichtsinniger Kreditbenützung begonnen und fortgeführt hatten;

2. die Befriedigung von Gläubigern in Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit des Gesellschaftsunternehmens von Anfang September 1990 bis 26. Februar 1991 dadurch vereitelt bzw geschmälert hatten, daß sie neue Verbindlichkeiten begründet, Schulden willkürlich bezahlt und keinen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt hatten.

Von der Anklage, Dienstnehmerbeiträge zur Sozialversicherung von 39.315,30 S als Dienstgeber in Verletzung des § 114 Abs 1 und 2 ASVG einbehalten und dem berechtigten Sozialversicherungsträger nicht abgeführt zu haben, wurden sie hingegen freigesprochen.

Die "Anmeldung des Insolvenzverfahrens wäre den Beklagten zumindest zum 30. 7. 1990 zumutbar gewesen", sie führten allerdings "die Firma" weiter. Die klageweise geltend gemachten Rückstände an Sozialversicherungsbeiträgen sind während der Geschäftsführertätigkeit der Beklagten aufgelaufen.

Die klagende Partei begehrte nach Einschränkung ihres Begehrens (ON 39 S. 1 und 6) noch den Zuspruch von 453.904,61 S sA an den vom Dezember 1990 bis Juni 1991 fällig gewordenen, noch unbeglichenen Sozialversicherungsbeiträgen und brachte vor, sie werde im Konkurs über das Gesellschaftsvermögen keine Quote erhalten. Die Beklagten hafteten für den Beitragsausfall aus dem Titel des Schadenersatzes. Deren strafgerichtliche Verurteilung sei im Zivilverfahren bindend. Sie könnten nur beim Vergehen nach § 159 Abs 1 Z 2 StGB behaupten und beweisen, daß Gläubiger durch die Konkursverschleppung keinen Schaden erlitten hätten, weil der jeweilige Forderungsausfall auch im Falle eines rechtzeitigen Antrags auf Konkurseröffnung nicht geringer gewesen wäre. Das Tatbild nach § 159 Abs 1 Z 1 StGB schließe dagegen den Einwand eines "hypothetischen rechtmäßigen Alternativverhaltens" aus, weil die Zahlungsunfähigkeit des Gesellschaftsunternehmens bei rechtmäßigem Verhalten der Geschäftsführer gar nicht eingetreten wäre. Der Schutzzweck dieser Norm diene der Vermeidung aller Schäden, die Gläubigern durch die fahrlässige Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners verursacht worden seien.

Die Beklagten wendeten ein, sie hätten Beitragsrückstände im Zeitraum vom März bis Juni 1991 nicht verschuldet, weil der Konkurs über das Gesellschaftsvermögen bereits im März 1991 eröffnet worden sei. Hätten sie sich rechtmäßig verhalten, wäre der Schaden der beklagten Partei auch nicht geringer gewesen. Sie hätten zur Vermeidung des Delikts der schuldhaften Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft "nach Prüfung der Geschäftsunterlagen im Zuge der Übernahme des Unternehmens" nur "unverzüglich einen Insolvenzantrag" stellen können. Der Forderungsausfall der klagenden Partei wäre aber auch dann nicht geringer gewesen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Nach seiner Ansicht umfaßt der Schutzzweck des § 159 Abs 1 Z 1 StGB die Vermeidung aller Schäden, die im Vermögen von Gläubigern durch den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners entstehen. Die Beklagten hafteten daher auch für die erst nach Konkurseröffnung aufgelaufenen Beitragsschulden. Deren Einwand, selbst ein rechtmäßiges Verhalten hätte im Vermögen der klagenden Partei den gleichen Schaden verursacht, sei nur bei Verletzung des § 159 Abs 1 Z 2 StGB von Bedeutung. Selbst wenn aber die Quote der klagenden Partei im Falle eines rechtzeitigen Konkurseröffnungsantrags Null gewesen wäre, sei der Zuspruch des gesamten Klagebetrags durch die rechtskräftige und daher bindende strafgerichtliche Verurteilung der Beklagten wegen des Vergehens nach § 159 Abs 1 Z 1 StGB gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und ließ die ordentliche Revision zu. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts und führte überdies aus, der Schutzzweck des § 159 Abs 1 Z 1 StGB reiche weiter als der nach Z 2 derselben Gesetzesstelle. Er diene der Vermeidung aller Schäden, die im Vermögen von Gläubigern durch die fahrlässige Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners schlechthin verursacht worden seien. Der Schaden trete bereits mit Eintritt der Zahlungsunfähigkeit ein. Der Geschäftsführer einer GmbH hafte daher auch für ungetilgte Sozialversicherungsbeiträge, die erst nach Konkurseröffnung aufgelaufen seien. Die Beklagten hätten das bereits erkennbar überschuldete Unternehmen nach Prüfung der Geschäftsbücher entweder gar nicht übernehmen oder nach seiner Übernahme "sofort den Konkursantrag" stellen müssen. Nur in solchen Fällen wäre die Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens durch die Beklagten zu verneinen gewesen, eine Annahme, die jedoch wegen deren die Zivilgerichte bindenden rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung ausscheide. Die Beklagten hätten daher jene Beitragsrückstände zu ersetzen, die ohne Verletzung der Gläubigerschutznorm des § 159 Abs 1 Z 1 StGB nicht aufgelaufen wären. Die unterbliebene Klärung von Tatfragen zur Frage eines allfälligen Differenzschadens, die nur im Rahmen des von den Beklagten gleichfalls verwirklichten Tatbilds nach § 159 Abs 1 Z 2 StGB von Bedeutung gewesen wären, begründe somit keinen Mangel des Verfahrens erster Instanz. Ein rechtmäßiges Alternativverhalten der Beklagten hätte auch nur "in der Nichtverwirklichung des Tatbildes nach § 159 Abs 1 Z 1 StGB" bestehen können. Dann hätten sie aber auch das Vergehen nach § 159 Abs 1 Z 2 StGB nicht begangen. Die klagende Partei sei Neugläubigerin, weil die geltend gemachten Beitragsrückstände solche seien, die erst nach dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Konkurseröffnung hätte gestellt werden müssen, aufgelaufen seien. Ein solcher Gläubiger habe Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens, also jenes Vermögensnachteils, den er durch den Abschluß weiterer Rechtsgeschäfte nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners erlitten habe. Das Auflaufen weiterer Sozialversicherungsbeiträge durch die Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin sei "als Eingehen neuer Schulden zu verstehen". Die klagende Partei sei daher "so zu stellen, als hätte sie bei unverzüglicher Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der gemeinschuldnerischen GmbH deren Dienstnehmern keinen Versicherungsschutz gewähren müssen oder hiefür die im Gesetz vorgesehenen, dem Versicherungsschutz äquivalenten Beiträge erhalten". Die klagende Partei, die zur Gewährung von Versicherungsschutz aufgrund von Dienstverhältnissen auch nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gesetzlich verpflichtet gewesen sei, könne einen Vertrauensschaden zwar gar nicht selbst erlitten haben, Vertrauensschäden der Dienstnehmer würden jedoch nach Sozialversicherungsvorschriften auf sie überwälzt, dürften letztere doch darauf vertrauen, ihr Dienstgeber werde die auf sie entfallenden Beiträge als Voraussetzung der Gewährung von Versicherungsschutz bezahlen. Soweit die klagende Partei ihren Anspruch auch auf eine Verletzung des § 159 Abs 1 Z 2 StGB durch die Beklagten stütze, fehle es an einem Vorbringen der insofern behauptungs- und beweispflichtigen Beklagten, die Dienstverhältnisse wären bei einem rechtzeitigen Antrag auf Konkurseröffnung beendet worden, weshalb weitere Beitragsrückstände gar nicht mehr hätten auflaufen können. Die Beklagten hafteten daher auch nach diesem Gesichtspunkt für den geltend gemachten Schaden, der (auch) durch die Unterlassung eines pflichtgemäßen Antrags auf Konkurseröffnung verursacht worden sei. Die ordentliche Revision sei "wegen der Unklarheiten in der Frage der Anspruchsberechtigung des Sozialversicherungsträgers bei Vertrauensschäden zuzulassen".

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil der Oberste Gerichtshof noch nicht näher zur Frage Stellung genommen hat, ob die Ausfallshaftung eines Vertreters für ungetilgte Schulden des Vertretenen an Sozialversicherungsbeiträgen nach § 67 Abs 10 ASVG, über die im Verwaltungsverfahren durch Erlassung eines Haftungsbescheids abzusprechen ist, Schadenersatzansprüche, über die Zivilgerichte im streitigen Verfahren zu erkennen haben, ausschließt. Das Rechtsmittel ist jedoch nicht berechtigt.

I. Die Beklagten vertreten erstmals in der Revision die Ansicht, die Verfahren und Urteile der Vorinstanzen seien nichtig, weil die klagende Partei über die eingeklagten Beitragsrückstände im Verwaltungsverfahren durch Erlassung eines Haftungsbescheids nach § 67 Abs 10 ASVG hätte erkennen müssen. Daneben bestehe keine konkurrierende "deliktische Haftung wegen Konkursverschleppung".

I. 1. Der Oberste Gerichtshof hätte eine allfällige Unzulässigkeit des Rechtswegs hier gemäß § 240 Abs 3 ZPO - auch von Amts wegen - wahrzunehmen, weil die Vorinstanzen die Zulässigkeit des Rechtswegs als absolute Prozeßvoraussetzung weder im Spruch noch in den Gründen ihrer Entscheidungen behandelten und somit keine das Revisionsgericht nach § 42 Abs 3 JN bindende Entscheidung trafen (1 Ob 30/97m; 1 Ob 29/97i; SZ 68/195; SZ 63/128; SZ 54/190 uva, Kodek in Rechberger, Kommentar zur ZPO Rz 2 zu § 503 mwN; Mayr in Rechberger aaO Rz 2 zu § 42 JN je mwN).

Der erkennende Senat folgt daher insoweit nicht einer vereinzelten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, nach der die Unzulässigkeit des Rechtswegs im Revisionsverfahren selbst dann nicht mehr wahrgenommen werden kann, wenn die Vorinstanzen die Zulässigkeit des Rechtswegs - wie auch im vorliegenden Fall - "nur implizit durch meritorische Behandlung des Klagsanspruches und Fällung einer Sachentscheidung" bejahten (SSV-NF 10/38 [die dafür als Stütze zitierte Vorentscheidung 9 ObA 169/94 = Arb 11.280 trägt den maßgeblichen Rechtssatz nicht]).

I. 2. Die Zulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs bestimmt sich nach dem Streitgegenstand. Maßgebend ist also der Wortlaut des Klagebegehrens in Verbindung mit dem Klagegrund (den Klagebehauptungen). Danach ist zu beurteilen, ob der Streitgegenstand seinem Wesen nach als privatrechtlicher Anspruch im Sinne des § 1 JN zu qualifizieren ist, über den die Zivilgerichte zu erkennen haben (SZ 68/220; SZ 64/57 je mwN).

I. 3. Nach den in I. 1. erörterten Gesichtspunkten konnte der Oberste Gerichtshof die Zulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs für Schadenersatzansprüche im Verhältnis zur Ausfallshaftung nach § 67 Abs 10 ASVG in der Entscheidung 2 Ob 268/98w (= RdW 1999, 74 [soweit unveröffentlicht]) - wie dort dargelegt - deshalb nicht mehr prüfen, weil die Vorinstanzen diese Frage - wenngleich nur in den Entscheidungsgründen - ausdrücklich erörtert und damit die Zulässigkeit des Rechtswegs bindend bejaht hatten.

In den Entscheidungen 5 Ob 522/94 (= HS XXV/4) und 5 Ob 2339/96y (= SZ 69/251) war die Ausfallshaftung nach § 67 Abs 10 ASVG deshalb nicht von Schadenersatzansprüchen abzugrenzen, weil sich der Klageanspruch auf Beitragszeiträume vor Inkrafttreten des § 67 Abs 10 ASVG bezogen hatte. In einem obiter dictum wurde in der erstgenannten Entscheidung allerdings angemerkt, daß "die Fälle der Geschäftsführerhaftung für Kridadelikte nicht von der Ausweitung der Beitragspflicht durch § 67 Abs 10 ASVG erfaßt werden sollten". In der Entscheidung 10 Ob 2009/96f (= RdW 1997, 332 = ARD 4857/22/97 = SVSlg 42.172 [Zurückweisung einer außerordentlichen Revision]) bejahte der Oberste Gerichtshof sodann - ohne Erwähnung der Ausfallshaftung nach § 67 Abs 10 ASVG - die schadenersatzrechtliche Haftung eines GmbH-Prokuristen, der die Vergehen nach § 159 Abs 1 Z 1 und 2 StGB begangen hatte, für die im Gesellschaftskonkurs ungedeckten Sozialversicherungsbeiträge, obgleich sich die geltend gemachten Beitragsrückstände der Gesellschaft bereits auf einen Zeitraum nach Inkrafttreten des § 67 Abs 10 ASVG bezogen haben dürften.

I. 3. 1. Der Abs 10 wurde dem § 67 ASVG durch die 41. ASVG-Novelle BGBl 1986/111 eingefügt und trat am 1. Jänner 1986 in Kraft. Den Gesetzesmaterialien (RV 774 BlgNR 16. GP, 28) ist zu seinem Verständnis an einer Schnittstelle des öffentlichen und des privaten Rechts nichts zu entnehmen. Der Verfassungsgerichtshof hob mit Erkenntnis vom 9. März 1989 zu G 163/88 u. a. (= VfSlg 12.008) eine bestimmte Wortfolge dieser einfachgesetzlichen Bestimmung als verfassungswidrig auf. Mit der 48. ASVG-Novelle wurde die Rechtslage sodann der im zitierten Aufhebungserkenntnis ausgesprochenen Rechtsansicht angepaßt. Darauf beziehen sich die folgenden Ausführungen.

I. 3. 2. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (siehe etwa die Erkenntnisse vom 19. Februar 1990 zu 90/08/0100 = SVSlg 37.057 und 90/08/0045 = SVSlg 37.051 sowie vom 25. Jänner 1994 zu 93/08/0146 = SVSlg 39.934 = ARD 4570/29/94 = ZfVB 1995/2/595) ist die Vertreterhaftung gemäß § 67 Abs 10 ASVG "ihrem Wesen nach eine dem Schadenersatzrecht nachgebildete Verschuldenshaftung" (auch) des Geschäftsführers einer GmbH, wenn und soweit "er seine gegenüber dem Sozialversicherungsträger bestehenden gesetzlichen Verpflichtungen zur rechtzeitigen Abfuhr von Sozialversicherungsbeiträgen" verletzte. Eine solche Pflichtwidrigkeit, für deren Beurteilung die von der Rechtsprechung zu § 9 und § 80 BAO entwickelten Grundsätze heranzuziehen seien, könne - so der Verwaltungsgerichtshof - darin liegen, daß "der Geschäftsführer sonstige Gesellschaftsschulden zum Unterschied von Beitragsschulden bediene" oder bei Fehlen "ausreichender Mittel" nicht für eine "zumindest anteilige Befriedigung auch der Forderung des Sozialversicherungsträgers Sorge" trage. Geschäftsführerpflichten, deren Verletzung eine Haftungsvoraussetzung nach § 67 Abs 10 ASVG seien, erschöpften sich jedoch in "(sozialversicherungs-)beitragsrechtlichen Verpflichtungen". Dagegen habe der Gesetzgeber mit dieser Regelung "nicht etwa Verletzungen jeglicher, dem Gläubigerschutz dienender Bestimmungen (etwa der sich aus § 69 Abs 2 KO ergebenden Pflicht zur rechtzeitigen Antragstellung auf Konkurseröffnung) sanktionieren" wollen. Dem Sozialversicherungsträger stehe vielmehr zur Geltendmachung von Ansprüchen als Folge einer Verletzung von Schutzgesetzen im Sinne des § 1311 ABGB - wie anderen Gläubigern - der ordentliche Rechtsweg offen. Deshalb sei für die Haftung nach § 67 Abs 10 ASVG "auch die Frage ohne Bedeutung, ob ein Geschäftsführer von der Anklage der fahrlässigen Krida freigesprochen" worden sei "bzw ob er den geschäftlichen Mißerfolg des Unternehmens sonst zu verantworten" habe.

Für die Beurteilung von Pflichtverletzungen sei immer nur das Verhalten des Geschäftsführers im Zeitpunkt der Fälligkeit der jeweiligen Beiträge bedeutsam (VwGH 19. März 1991 89/08/0331 = SVSlg 37.060). Die "Haftung oder fehlende Haftung in einem der beiden Haftungsbereiche" - nämlich der sozialversicherungsrechtlichen Ausfallshaftung nach § 67 Abs 10 ASVG einerseits und der zivilrechtlichen Schadenersatzhaftung nach Schutznormverletzungen andererseits - müsse "nicht notwendig jene im jeweils anderen ein- oder ausschließen" (VwGH 25. Jänner 1994 zu 93/08/0146 = SVSlg 39.934 = ARD 4570/29/94 = ZfVB 1995/2/595). Jedenfalls könnten einer Haftung nach § 67 Abs 10 ASVG nicht Umstände außerhalb des Pflichtenkreises dieser Bestimmung - wie etwa ein verspäteter Antrag auf Konkurseröffnung oder ein Anwachsen der Forderung des Sozialversicherungsträgers wegen "Verzögerung der Betriebseinstellung" - zugrundegelegt werden (VwGH 12. Dezember 1995 95/08/0082 = SVSlg 42.159 = ARD 4775/39/96).

Der Verwaltungsgerichtshof unterscheidet also, wie zusammenfassend festzuhalten ist, auf den ordentlichen Rechtsweg verwiesene Schadenersatzansprüche zufolge der Verletzung allgemeiner Gläubigerschutzbestimmungen von der durch § 67 Abs 10 ASVG sanktionierten Mißachtung rein beitragsrechtlicher, in den Sozialversicherungsgesetzen selbst normierter Pflichten.

I. 3. 3. Die Analyse der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs in I. 3. 2. belegt bereits, daß - für sich betrachtet - weder die Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit einer GmbH noch die Verschleppung deren Konkurses eine beitragsrechtliche Pflicht verletzt, die in den Sozialversicherungsgesetzen selbst normiert wäre. Damit kann aber der Sozialversicherungsträger einen Haftungsbescheid nach § 67 Abs 10 ASVG - entgegen der Ansicht der Beklagten - nicht auf die schuldhafte Verletzung allgemeiner Gläubigerschutzbestimmungen stützen, weil über derartige Schadenersatzansprüche ausschließlich die Gerichte im streitigen Rechtsweg zu verhandeln und zu entscheiden haben.

I. 3. 4. Das Schrifttum folgt überwiegend der in I. 3. 2. referierten Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs (Bartos, Die geänderten Haftungsbestimmungen des § 67 Abs 10 ASVG, SozSi 1990, 297, 299; Grömmer/Wachter, Die persönliche Haftung des GesmbH-Geschäftsführers für nicht entrichtete Sozialversicherungsbeiträge, DRdA 1990, 472, 473 f; unklar Kostner/Umfahrer, GmbH5 Rz 292). R. Resch (GmbH-Geschäftsführerhaftung für Sozialversicherungsbeiträge, in JBl 1996, 218) und Reich-Rohrwig (Das österreichische GmbH-Recht I2 Rz 2/575 [nur unter Berufung auf R. Resch ohne zusätzliche Argumente]) stehen dieser Abgrenzung kritisch gegenüber.

R. Resch (aaO 225 f) meint, es könne der Rechtsordnung "im Hinblick auf rechtsstaatliche Grundsätze" nicht unterstellt werden, daß der Sozialversicherungsträger die "Haftungen" nach § 67 Abs 10 ASVG sowie nach § 69 KO und § 159 StGB , also "für ein und denselben Schaden - nämlich die offenen SV-Beiträge - aufgrund ein und derselben Schädigungshandlung sowohl vor einer Verwaltungsbehörde als auch vor einem Zivilgericht geltend" machen könne. Ein "Nebeneinander" der Haftungen bestehe in Fällen deliktischer Konkursverschleppung und/oder fahrlässiger Krida nur für Handlungen "außerhalb der Geschäftsführertätigkeit". Soweit dagegen "das von der Konkursverschleppungshaftung sanktionierte Pflichtenbündel gerade eine Verpflichtung nach ASVG" betreffe, "worunter die Verletzung der dem Vertreter als solchen(m) auferlegten Pflichten, also die Geschäftsführertätigkeit im engeren Sinn", falle, werde "§ 67 Abs 10 ASVG als Spezialregelung vorgehen" und "für eine deliktische Haftung aus Schutzgesetzverletzung kein Raum" bleiben.

Dieser Ansicht ist schon deshalb nicht beizutreten, weil sie unzutreffenderweise unterstellt, vielfach werde durch "ein und dieselbe Schädigungshandlung" derselbe Schaden, der einerseits nach dem dem Privatrecht zugehörigen Schadenersatzrecht ersatzfähig sei, andererseits aber auch nach Vorschriften des Verwaltungsrechts geltend gemacht werden könne, verursacht: Schädigungshandlungen des Geschäftsführers, die den Tatbestand des § 67 Abs 10 ASVG verwirklichen, unterscheiden sich nämlich stets von solchen, die allgemeine Gläubigerschutzbestimmungen verletzen. In I. 3. 2. wurde dargelegt, daß der Geschäftsführer § 67 Abs 10 ASVG dann zuwiderhandelt, wenn und soweit er die Verpflichtungen zur rechtzeitigen Abfuhr von Sozialversicherungsbeiträgen verletzt, so etwa dadurch, daß er wohl andere, nicht aber Beitragsschulden tilgt oder - in Ermangelung ausreichender Gesellschaftsmittel - nicht auch die Forderung des Sozialversicherungsträgers zumindest anteilig befriedigt. Dabei ist es für die Verwirklichung des Tatbestands nach § 67 Abs 10 ASVG belanglos, ob der Geschäftsführer die Zahlung fälliger Sozialversicherungsbeiträge nur deshalb nicht veranlaßte, weil er in Verletzung allgemeiner Gläubigerschutzbestimmungen entweder die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft herbeigeführt oder deren Konkurs bis zur Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge verschleppt hatte. Identisch sind nicht etwa die unter sozialversicherungs- bzw schadenersatzrechtlichen Gesichtspunkten bestimmenden "Schädigungshandlungen", sondern lediglich deren Folgen - die ungetilgten Sozialversicherungsbeiträge. Der erkennende Senat vermag daher - entgegen R. Resch - keine Verletzung "rechtsstaatlicher Grundsätze" darin zu erblicken, daß der Gesetzgeber die Tilgung von Beitragsrückständen nicht nur durch die in § 67 Abs 10 ASVG geregelte öffentlich-rechtliche Ausfallshaftung, sondern auch durch die Möglichkeit der Geltendmachung zivilrechtlicher Schadenersatzansprüche zufolge Verletzung allgemeiner Gläubigerschutzbestimmungen gewährleisten will.

Diese Erwägungen führen zusammenfassend zu folgendem Rechtssatz:

Der ordentliche Rechtsweg ist für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen den Geschäftsführer einer GmbH wegen des Ausfalls an Sozialversicherungsbeiträgen, der zufolge dessen Verletzung allgemeiner Gläubigerschutzbestimmungen eintrat, selbst dann nicht verwehrt, wenn der Sozialversicherungsträger die öffentlich-rechtliche Ausfallshaftung nach § 67 Abs 10 ASVG für dieselben Beitragsschulden auch durch Erlassung eines Haftungsbescheids hätte realisieren können, weil der Geschäftsführer nach Eintritt der Fälligkeit von Sozialversicherungsbeiträgen auch eine der durch diese gesetzliche Bestimmung sanktionierten spezifischen Handlungspflichten mißachtete.

Deshalb ist die Revision, soweit darin die Unzulässigkeit des Rechtswegs geltend gemacht wird, zurückzuweisen.

II. 1. Die Deliktstatbestände nach § 159 Abs 1 Z 1 und 2 StGB sind Schutzgesetze im Sinne des § 1311 ABGB (SZ 70/215; ÖBA 1997, 738; SZ 67/128) zur Vermeidung einer Gläubigerschädigung.

II. 2. § 159 Abs 1 Z 1 StGB verbietet die fahrlässige Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit eines Schuldners mehrerer Gläubiger schlechthin. Dessen Schutzzweck ist weiter als jener des § 159 Abs 1 Z 2 StGB und erstreckt sich auf die Vermeidung aller Schäden, die im Vermögen von Gläubigern durch die fahrlässige Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners verursacht werden können. Danach haftet etwa der Geschäftsführer einer GmbH, der die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft schuldhaft herbeiführte, Gesellschaftsgläubigern, deren Forderungen noch vor Eintritt der Überschuldung bzw der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft begründet wurden, für das Erfüllungsinteresse; dagegen haben Gesellschaftsgläubiger, deren Forderungen - wie hier jene der klagenden Partei - erst nach Eintritt der Überschuldung bzw der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft entstanden, Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens. Noch ungetilgte Sozialversicherungsbeiträge in gesetzlicher Höhe stellen aber - gleichviel, welcher der für den Schadensumfang maßgeblichen Gesichtspunkte im Einzelfall von Bedeutung sein mag - jedenfalls einen Schaden dar, der durch die Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit des Beitragsschuldners verursacht wurde (RdW 1999, 74 mwN).

II. 3. § 159 Abs 1 Z 2 StGB stellt bestimmte Verhaltensweisen des Schuldners mehrerer Gläubiger nach dem Eintritt seiner Zahlungsunfähigkeit unter Strafe. Dabei trifft die aus der Verletzung dieser Schutznorm abzuleitende Haftung auch den (die) Geschäftsführer einer GmbH als Schuldnerin. Der Haftungsumfang des (der) Ersatzpflichtigen bestimmt sich nach der Stellung des jeweils geschädigten Gläubigers. Altgläubigern, also solchen, deren Forderungen noch vor Eintritt der Konkursreife des Schuldners entstanden, ist die Differenz zwischen der tatsächlich erzielten und der fiktiven Konkursquote bei pflichtgemäßer Antragstellung auf Konkurseröffnung zuzuerkennen. Dagegen können Neugläubiger - wie hier die klagende Partei - den Ersatz ihres Vertrauensschadens beanspruchen. Letztere sind dabei so zu stellen, als hätten sie mit der Gesellschaft nicht mehr kontrahiert. Deshalb sind bei der Ermittlung der Schadenshöhe vom Fakturenwert der erworbenen Forderung die Gewinnspanne (SZ 70/215; ÖBA 1997, 738) und die dem Neugläubiger im Konkurs des Schuldners tatsächlich zugewiesene Quote (10 Ob 2009/96f = RdW 1997, 332 = ARD 4857/22/97 = SVSlg 42.172) abzuziehen.

II. 4. Der Oberste Gerichtshof sprach schon wiederholt aus, das Entstehen weiterer Beitragsschulden infolge der Weiterbeschäftigung von Dienstnehmern nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners sei als Eingehung weiterer Schulden zu beurteilen, sodaß dem Sozialversicherungsträger insofern gleichfalls die Stellung eines Neugläubigers zukomme (10 Ob 2009/96f; WBl 1989, 155). Er sei dann so zu stellen, als hätte er die im Gesetz für die Gewährung des Versicherungschutzes vorgesehenen Beiträge zur Gänze erhalten (10 Ob 2009/96f; 5 Ob 522/94 = HS XXV/4), sodaß von dieser gesetzlichen Beitragsschuld nur die tatsächlich erlangte Konkursquote abzuziehen sei (10 Ob 2009/96f).

II. 5. Die Beklagten stellen nicht in Frage, daß sie sich gegenüber der klagenden Partei wegen der materiellen Rechtskraft ihrer strafgerichtlichen Verurteilung nicht erfolgreich darauf berufen können, das Vergehen der fahrlässigen Krida nicht begangen zu haben (siehe zur Bindungswirkung SZ 68/195 [verstärkter Senat]). Sie sind allerdings der Ansicht, ihr deliktisches Verhalten könne im Vermögen der klagenden Partei nur soweit einen Schaden verursacht haben, als "die Höhe der Beitragsrückstände zum hypothetisch richtigen Zeitpunkt der Konkursantragstellung ... geringer gewesen" wäre, hätten sie doch vor dem 6. Dezember 1989 (Erwerb der Geschäftsanteile und Übernahme der Geschäftsführerpositionen) gar keine Möglichkeit zur Beendigung von Dienstverhältnissen oder zur Disposition "in irgendeiner anderen Form" gehabt.

Dieser Prozeßstandpunkt ist, wie die Ausführungen zu II. 2. bis II. 4. belegen, unzutreffend, weil der klagenden Partei der eingeklagte Schaden an Beitragsrückständen - mangels einer zugewiesenen Konkursquote - zur Gänze zuzuerkennen ist, gleichviel, welcher der abgehandelten Tatbestände des § 159 Abs 1 StGB der Haftung der Beklagten zugrundegelegt wird. Keiner Erörterung bedarf dabei der von den Vorinstanzen zuerkannte Zinsenschaden, dessen Höhe von den Beklagten nicht beanstandet wird.

Demzufolge bestätigte das Berufungsgericht das Ersturteil ohne Rechtsirrtum, weshalb der Revision ein Erfolg zu versagen ist.

II. 6. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens stützt sich auf § 41 und § 50 Abs 1 ZPO.

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