OGH 9ObA150/16y

OGH9ObA150/16y26.1.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner und die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug und KR Karl Frint in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** L*****, vertreten durch Dr. Thomas Stampfer, Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Gerd Mössler, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen 2.157,21 EUR sA (Revisionsinteresse 1.189,20 EUR netto sA), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 29. September 2016, GZ 7 Ra 31/16g‑16, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 1. Februar 2016, GZ 43 Cga 74/15d‑12, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00150.16Y.0126.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 548,86 EUR (darin 91,48 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 581,50 EUR (darin 62,92 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war von 6. 10. bis 24. 11. 2014 bei der Beklagten als Arbeiter beschäftigt. Sein Wohnsitz ist in Slowenien. Die Beklagte hat neben ihrem Firmensitz in K***** (Kärnten) eine Zweigniederlassung in E***** (Steiermark), die auch auf dem Dienstzettel angeführt ist. Das Arbeitsverhältnis unterlag dem Kollektivvertrag für das Steinarbeitergewerbe (idF: Kollektivvertrag), nach dessen § 11 Z 1 betriebsentsandte Arbeitnehmer bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen einen Anspruch auf Trennungsgeld haben. Im Dienstzettel ist als „gewöhnlicher Arbeitsort“ des Klägers festgehalten: „Baustelle – Jedoch bleibt dem Arbeitgeber die vorübergehende oder dauernde Versetzung an einen anderen Arbeitsort vorbehalten.“ Der Kläger wurde von der Beklagten für den Dienstort Wien aufgenommen. Das wusste er und war damit auch einverstanden. Während des Arbeitsverhältnisses war er für die Beklagte, die damals nur in Wien Baustellen hatte, auf zwei Baustellen in Wien im Einsatz. Die Beklagte stellte ihm in dieser Zeit auf ihre Kosten ein Quartier in Wien zur Verfügung.

Soweit revisionsgegenständlich, begehrte der Kläger 1.189,29 EUR netto sA an Trennungsgeld iSd § 11 des Kollektivvertrags. Dessen Höhe ist im Revisionsverfahren nicht strittig.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, eine Entsendung im Sinn des Kollektivvertrags liege nicht vor. Der Kläger sei während der gesamten Dauer des befristeten Dienstverhältnisses beim Bauvorhaben „TU Wien“ eingesetzt gewesen. Mit ihm sei als Dienstort die Baustelle vereinbart worden. Das Dienstverhältnis sei ausschließlich wegen dieses Bauvorhabens begründet worden.

Das Erstgericht wies das diesbezügliche Klagebegehren ab. Nach dem Kollektivvertrag solle für den Anspruch auf Trennungsgeld grundsätzlich der Betriebsort des Arbeitnehmers entscheiden. Mit dem Kläger sei als ständiger Betriebsort Wien vereinbart worden. Er sei daher nicht als „betriebsentsandter“ Arbeitnehmer anzusehen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung des Trennungsgeldes. Unter Betriebsort sei jener Ort zu verstehen, an dem sich der den Arbeitnehmer beschäftigende Betrieb befinde (K***** oder E*****) und von dem aus der Arbeitnehmer auf eine Arbeitsstätte (Baustelle) entsendet werde. Die Festlegung einer nicht näher definierten Baustelle als gewöhnlicher Arbeitsort im Dienstzettel sei nicht in Betracht gekommen, zumal es diesfalls dem Arbeitgeber freistünde, jeden Anspruch auf Trennungsgeld auszuschließen, indem jede Baustelle als Betriebsort festgelegt werden könnte. In diesem Sinn könnten auch eine oder mehrere Baustellen in Wien nicht als „ständiger Betriebsort des Klägers“ angesehen werden. Die Beklagte habe auch gar nicht behauptet, in Wien zB eine Verwaltung oder ein Büro zu führen. Dass der Kläger für Wiener Baustellen aufgenommen worden sei, ändere daran nichts, weil der gegenständliche Kollektivvertrag eine Regelung wie etwa der frühere Kollektivvertrag für die Bauindustrie und das Baugewerbe („… betriebsentsandte Arbeitnehmer sind solche, aa) die vom Betrieb auf eine Arbeitsstelle außerhalb ihres Wohnortes oder außerhalb des Dienstortes, an dem sie aufgenommen wurden, entsandt werden, sofern sie nicht eigens für diese Arbeitsstelle aufgenommen wurden …“), nicht enthalte. Nach § 11A Pkt 1. des Kollektivvertrags (Taggeld) würden Arbeiten auf Baustellen jedenfalls als Arbeit außerhalb des ständigen ortsfesten Betriebes gelten. Anhaltspunkte für eine Differenzierung zum Trennungsgeld bestünden nicht.

In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsabweisung.

Der Kläger beantragt, der Berufung keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

1. Die dem normativen Teil eines Kollektivvertrags angehörenden Bestimmungen sind nach den Grundsätzen der §§ 6, 7 ABGB, also nach der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang und der Absicht des Normgebers auszulegen (RIS‑Justiz RS0008782; RS0008807); maßgeblich ist, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann (RIS‑Justiz RS0010088). Bei der Auslegung von kollektivvertraglichen Normen ist aber auch davon auszugehen, dass die Kollektivvertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen und einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten (s RIS‑Justiz RS0008828; RS0008897).

2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Kollektivvertrags lauten:

§ 11 Trennungsgeld, Quartierbeistellung, Fahrtspesen

1. Betriebsentsandte Arbeitnehmer – das sind solche, die auf eine außerhalb ihres ständigen Betriebsortes gelegene Arbeitsstätte entsendet werden, die vom Betrieb oder Wohnort (Familienwohnsitz) so weit entfernt ist, dass ihnen eine tägliche Rückkehr nicht zugemutet werden kann – haben Anspruch auf Trennungsgeld.

§ 11A Taggeld

1. Arbeitnehmer, die außerhalb des ständigen ortsfesten Betriebes, für den sie aufgenommen wurden, zur Arbeit auf Baustellen eingesetzt werden und täglich an ihren Wohnort zurückkehren, erhalten ein Taggeld, sofern dies in einer Betriebsvereinbarung vereinbart wurde. Arbeiten auf Baustellen gelten jedenfalls als Arbeit außerhalb des ständigen ortsfesten Betriebes.

...“

Der Anspruch des Klägers auf Trennungsgeld hängt sohin davon ab, ob er iSd § 11 Z 1 des Kollektivvertrags auf eine außerhalb seines ständigen Betriebsortes gelegene Arbeitsstätte entsendet wurde.

3. Der Wortlaut „ihres ständigen Betriebsortes“ spricht für ein Verständnis dahin, dass es sich um den Ort handelt, in dem ein Arbeitnehmer nach Maßgabe der vertraglichen Vereinbarung regelmäßig und dauerhaft eingesetzt wird. Erster Bezugspunkt ist jedenfalls nicht der Betrieb des Arbeitgebers, sondern der Betriebsort des Arbeitnehmers. Nach der – zu mehreren Kollektivverträgen ergangenen – Rechtsprechung stellt der Ausdruck „ständiger Betrieb“ (Betriebsstätte, Werksgelände, Lager usw) auf die Arbeitsstelle und nicht auf den Betriebsbegriff im Sinn des ArbVG ab (RIS‑Justiz RS0029668). So konnte nach Pkt VIII Z 2 des Kollektivvertrags für die Arbeiter in der erdöl‑ und erdgasgewinnenden Industrie Österreichs im Montagewesen auch die zuständige Bauleitung (das Baubüro) als Betriebsstätte gelten (RIS‑Justiz RS0029668 [T1]) oder bei der Überlassung für eine längerfristige Tätigkeit auf ein und derselben Baustelle ein „ständiger Betrieb“ iSd Art VIII Z 7 und 17 des Kollektivvertrags für das eisen‑ und metallverarbeitende Gewerbe begründet werden (RIS‑Justiz RS0029668 [T3]). Denn Zweck dieser Bestimmung ist, die Arbeiten an der regelmäßigen Arbeitsstelle jenen gegenüberzustellen, die ausnahmsweise und unregelmäßig außerhalb dieses engeren Bereiches zu leisten sind (9 ObA 81/01d).

4. Diese Rechtsprechung ist auch auf den Kläger übertragbar.

Aus dem Fehlen einer mit § 9 des Kollektivvertrags für Bauindustrie und Baugewerbe aF vergleichbaren Regelung (Trennungsgeld, sofern der Arbeitnehmer „nicht eigens für diese Arbeitsstelle aufgenommen wurde“, s RIS‑Justiz RS0064152) ist entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nichts zu gewinnen.

5. Die Zweigniederlassung der Beklagten oder ihr Firmensitz in K***** sind nicht als „ständiger Betriebsort“ des Klägers anzusehen, weil er dort weder aufhältig noch tätig war. Vergleichsweise wurden auch in der Entscheidung 9 ObA 148/11x, in der ein Montagetischler seine Arbeiten ausschließlich an den jeweiligen Standorten der Kunden verrichtete und zu keinem Zeitpunkt einen fixen Arbeitsplatz im Betrieb des Dienstgebers hatte, Arbeiten „außerhalb des ständigen Arbeitsplatzes“ – und folglich ein Anspruch auf eine Außerhauszulage – verneint. Nach dem festgestellten Sachverhalt hatte der Kläger danach keine „außerhalb seines ständigen Betriebsortes gelegene Arbeitsstätte“ aufzuweisen. Daraus ergibt sich aber zwangsläufig, dass er auch nicht von seinem ständigen Betriebsort auf eine andere Arbeitsstätte entsendet wurde.

6. Der Kläger wurde von der Beklagten für Wiener Baustellen aufgenommen und auch ausschließlich in Wien eingesetzt. Während seiner siebenwöchigen Tätigkeit für die Beklagte gab es keine Veränderung/Entsendung von seinem ständigen Betriebsort auf eine außerhalb seines ständigen Betriebsortes gelegene Arbeitsstätte, die für ihn die nachteilige Konsequenz gehabt hätte, dass ihm nun eine tägliche Rückkehr nicht mehr habe zugemutet werden können.Die Gefahr, dass der Anspruch auf Trennungsgeld vom Arbeitgeber umgangen werden könnte, stellt sich nach Lage des Falls nicht.

7. Auch aus einem Vergleich mit § 11A des Kollektivvertrags (Anspruch auf Taggeld) ergibt sich nichts anderes. Mit der Regelung, dass Arbeiten auf Baustellen jedenfalls als Arbeit außerhalb des ständigen ortsfesten Betriebes gelten, wird auf den Regelfall einer Tätigkeit auf Baustellen Bezug genommen, während § 11 für die – tendenzielle – Ausnahmesituation einer nachteiligen Veränderung/Entsendung konzipiert ist, die hier nicht vorlag.

Der Anspruch des Klägers auf Trennungsgeld besteht damit mangels eines Entsendungstatbestandes iSd § 11 Z 1 des Kollektivvertrags nicht zurecht.

Da sich die Revision der Beklagten danach als berechtigt erweist, war das insoweit klageabweisende Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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