OGH 9ObA148/11x

OGH9ObA148/11x29.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Peter Schnöller (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S***** Z*****, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wider die beklagte Partei M***** K*****, vertreten durch Dr. Anton Hintermaier, Mag. Michael Pfleger, Mag. Jürgen Brandstetter, Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen 856,25 EUR brutto sA (Revisionsinteresse: 421,59 EUR brutto sA), über die Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. September 2011, GZ 7 Ra 64/11z‑13, mit dem über die Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 26. Jänner 2011, GZ 22 Cga 92/10y‑9, teilweise abgeändert (421,59 EUR brutto sA) wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 225,07 EUR (darin 37,51 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 22. 12. 2009 bis 12. 2. 2010 im Betrieb des Beklagten, der für ein Unternehmen IKEA‑Möbel montiert, als Montagetischler beschäftigt. Auf sein Dienstverhältnis ist der Kollektivvertrag für das holz‑ und kunststoffverarbeitende Gewerbe (idF: KV) anzuwenden. Die Streitteile schlossen weder einen schriftlichen Dienstvertrag ab, noch wurde dem Kläger ein Dienstzettel ausgehändigt. Am Beginn des Dienstverhältnisses vereinbarten sie, dass der Kläger von seinem Wohnort zu den jeweiligen Kunden zur Montage fahren solle, wofür ihm der Beklagte ein vollständig ausgestattetes Fahrzeug zur Verfügung stellte. Mit diesem holte er seine Kollegen ab und fuhr mit ihnen gemeinsam zum jeweiligen Kunden.

Soweit revisionsgegenständlich, begehrte der Kläger den Zuspruch von 421,59 EUR brutto als Stör-(Außerhaus‑)Zulage gemäß § 11 des KV.

Der Beklagte bestritt dies, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass der Arbeitsplatz des Klägers als Monteur beim jeweiligen Kunden und nicht in einem bestimmten Betrieb gewesen sei. Er könne daher schon aufgrund seiner arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit keine zusätzliche Außerhauszulage gemäß § 11 des KV begehren.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte fest, dass der Kläger während des Dienstverhältnisses insgesamt 141 Stunden geleistet habe, die außerhalb der 10‑km‑Zone im Umkreis des Unternehmens durchgeführt worden seien, und leitete daraus den Anspruch nach § 11 KV ab.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren in diesem Punkt mit Teilurteil ab. Aufgrund der Beweisrüge des Beklagten übernahm es die eben genannte Feststellung nicht, hielt eine Ersatzfeststellung aber nicht für erforderlich, weil sich die Störzulage nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung auf Arbeiten beziehe, die nur vorübergehend im Auftrag des Arbeitgebers außerhalb und in einer bestimmten Entfernung vom ständigen Arbeitsplatz erbracht würden, nicht jedoch auf beim jeweiligen Kunden erbrachte Arbeiten. Dienstort (Arbeitsstätte) des Klägers sei der jeweilige Kunde, nicht jedoch der Betriebsort des Beklagten. Letzterer sei daher auch nicht „ständiger Arbeitsplatz“ iSd § 11 des Kollektivvertrags. Die 10‑Kilometer‑Zone iSd § 11 Z 3 des Kollektivvertrags sei somit nicht auf den Betriebsort des Beklagten zu beziehen. Ebenso würden die Arbeiten des Klägers bei den jeweiligen Kunden keine „Außerhausarbeiten“ darstellen. Die Revision wurde mangels einer erheblichen Rechtsfrage nicht zugelassen.

In seiner dagegen gerichteten Revision begehrt der Kläger die Abänderung des Teilurteils des Berufungsgerichts dahin, dass dem Klagebegehren im Ausmaß von 421,59 EUR brutto sA stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Berufungsgericht nachträglich zugelassene Revision ist zulässig, weil die strittige Kollektivvertragsbestimmung für eine große Anzahl von Arbeitsverhältnissen von Bedeutung sein kann, sodass eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO vorliegt. Sie ist jedoch nicht berechtigt.

1. § 11 des Kollektivvertrags für das holz‑ und kunststoffverarbeitende Gewerbe lautet:

§ 11 Stör‑(Außerhaus‑)Zulagen

1. a) Für das holz‑ und kunststoffverarbeitende Gewerbe mit Ausnahme des Bildhauer‑, Binder‑, Bürsten- und Pinselmacher‑, Drechsler‑ und Spielzeugherstellergewerbes in Niederösterreich und der Mitgliedsbetriebe der Fachvertretung der Kunststoffverarbeiter Kärnten:

Bei Arbeiten außerhalb des ständigen Arbeitsplatzes bis zu 10 km kürzester Wegstrecke vom ständigen Arbeitsplatz ‑ in den Städten Wien, Graz und Linz innerhalb der Stadtgrenze ‑ erhält der Arbeitnehmer eine Stör‑(Außerhaus‑)Zulage von 10 %; Lehrlinge erhalten eine Störzulage von 0,50 EUR pro Stunde.

b) …

2. …

3. Für Arbeiten außerhalb der 10‑Kilometer‑Zone (in Wien, Graz und Linz außerhalb der Stadtgrenze) erhält der Arbeitnehmer, wenn diese Arbeiten auch nur einen Tag dauern, einen Zuschlag von 33 % auf seinen Stundenlohn nebst Beistellung einer Schlafstelle; Lehrlinge erhalten eine Störzulage von 1 EUR pro Stunde nebst Beistellung einer Schlafstelle.

2. Die dem normativen Teil eines Kollektivvertrags angehörenden Bestimmungen sind nach den Grundsätzen der §§ 6, 7 ABGB, also nach der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang und der Absicht des Normgebers auszulegen (RIS‑Justiz RS0008782; RS0008807). Den Kollektivvertragsparteien darf dabei grundsätzlich unterstellt werden, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten, sodass bei mehreren an sich in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten, wenn alle anderen Auslegungsgrundsätze versagen, jener der Vorzug zu geben ist, die diesen Anforderungen am meisten entspricht (RIS‑Justiz RS0008828; RS0008897). Maßgeblich ist, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann (RIS‑Justiz RS0010088).

Eine Zusammenschau von § 11 Z 1 und 3 KV zeigt, dass die Stör‑(Außerhaus‑)Zulage für Arbeiten außerhalb der 10‑Kilometer‑Zone (in Wien, Graz und Linz außerhalb der Stadtgrenze), gerechnet ab dem ständigen Arbeitsplatz des Arbeitnehmers, zustehen soll. Damit soll offenkundig ein zusätzlicher Aufwand des Arbeitnehmers dafür abgegolten werden, dass er seinen ständigen Arbeitsplatz zur Durchführung einer Arbeit zu verlassen hat.

Für den Kläger ist daher nur dann etwas gewonnen, wenn die jeweiligen Standorte der Kunden als von einem „ständigen Arbeitsplatz“ verschiedene, von diesem mehr als zehn Kilometer entfernte Orte angesehen werden können. Das ist jedoch nicht der Fall:

3. Voranzustellen ist, dass zum wesentlichen Inhalt der Arbeitspflicht der Ort gehört, an dem die Leistung zu erbringen ist. Dieser ergibt sich ‑ sofern der Arbeitsort nicht ausdrücklich vereinbart wurde ‑ meist schlüssig aus dem Standort des Betriebs bei Vertragsabschluss, doch können Natur und Zweck des Arbeitsverhältnisses (§ 905 ABGB), etwa bei Reisenden, Bauarbeitern oder Monteuren, auch wechselnde Arbeitsorte innerhalb bestimmter Bereiche ergeben (RIS‑Justiz RS0018175).

In diesem Sinne wurde in der Entscheidung 9 ObA 109/03z ausgeführt, dass Arbeitsort eines Arbeitnehmers der regelmäßige Mittelpunkt seines tatsächlichen Tätigwerdens ist, der mit dem Betriebsort bzw der Zentrale des Unternehmens nicht zusammenfallen muss. Je nach Art der Tätigkeit kann er daher wechseln oder einen engeren Bereich bedeuten. Bei Bauarbeitern wird im Zweifel angenommen, dass sie sich an den jeweiligen Baustellen einzufinden haben (ebenso 8 ObA 36/04h; Grillberger, AZG3 § 2 Rz 13 [zu Wegzeiten]).

Weiters entspricht es der Rechtsprechung, dass der Ausdruck „ständiger Betrieb“ auf die konkrete (vereinbarte) Arbeitsstelle und nicht auf den Betriebsbegriff des ArbVG abstellt (RIS‑Justiz RS0029668, zuletzt 9 ObA 69/08z).

4. Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass der Kläger seine Arbeit ausschließlich an den jeweiligen Standorten der Kunden des Beklagten verrichtete, dagegen zu keinem Zeitpunkt einen fixen Arbeitsplatz im Betrieb des Beklagten hatte. Die Vereinbarung, dass er mit dem vom Beklagten zur Verfügung gestellten Fahrzeug von seinem Wohnort zu den jeweiligen Kunden zur Montage fahren sollte, gibt auch keinen Grund zur Annahme, dass er sich regelmäßig am Betriebssitz einzufinden gehabt hätte. Damit scheidet der Betriebssitz des Beklagten als „ständiger Arbeitsplatz“ aus.

5. Als „ständiger Arbeitsplatz“ kommen aber auch nicht die jeweiligen Montagestellen, die der Kläger von seinem Wohnort aufzusuchen hatte, in Frage, weil sie ‑ anders als etwa längerfristig eingerichtete Baustellen ‑ einem ständigen, bei Küchenmontagen wohl meist täglichen Wechsel unterworfen sind. Vielmehr handelt es sich um innerhalb bestimmter Bereiche wechselnde Arbeitsorte eines Monteurs (vgl RIS‑Justiz RS0018175).

Doch selbst wenn man die Montagestellen als „ständige Arbeitsplätze“ ansähe, könnte der Kläger daraus keine Störzulage ableiten, weil er diesfalls keine Arbeiten außerhalb der 10‑km‑Zone dieser Orte erbracht hätte.

6. Ungeachtet dessen, dass der Kläger selbst davon ausgegangen ist, dass er keinen „ständigen Arbeitsplatz“ hatte (Berufungsbeantwortung S 5 = AS 133), beruft er sich in der Revision erstmals darauf, seinen Wohnsitz als Arbeitsstätte heranzuziehen, weil er vereinbarungsgemäß von dort aus seine Tätigkeiten zu verrichten gehabt habe. Dieser Betrachtung steht entgegen, dass seine Wohnung nach den Feststellungen nicht als regelmäßiger Mittelpunkt seines tatsächlichen ‑ betrieblichen ‑ Tätigwerdens (vgl 9 ObA 109/03z) angesehen werden kann, womit sie aber ebenfalls als „ständiger Arbeitsplatz“ ausscheidet. Dass der Weg von der Wohnung zum Ort der Aufnahme der Arbeit mangels einer anderen kollektiv‑ oder individualvertraglichen Regelung grundsätzlich nicht als Arbeitszeit zu beurteilen ist, hat schon das Berufungsgericht zutreffend dargelegt.

Andere Anhaltspunkte für einen „ständigen Arbeitsplatz“ des Klägers, den er zulagenbegründend zur Durchführung von Arbeiten zu verlassen gehabt hätte, liegen nicht vor.

7. Dass der Anspruch auf Störzulage damit letztlich im Belieben des Arbeitgebers stünde und selbst dann entfiele, wenn etwa Arbeitnehmer und Arbeitgeber ihren (Wohn‑)Sitz in Wien, die Kunden jedoch ihren Sitz in Tirol hätten, fürchtet der Kläger zu Unrecht: Denn ungeachtet dessen, dass die Festlegung des Arbeitsorts beim Kunden noch kein Belieben des Arbeitgebers für die Zuerkennung der Störzulage darstellt, hat der Kläger gar nicht behauptet, dass er unüblich weit entfernte Arbeitsorte aufzusuchen gehabt hätte. Für Arbeitsplätze, durch die der Arbeitnehmer gezwungen ist, außerhalb seines Wohnorts zu übernachten, sieht § 11 Z 4 KV ohnedies einen von der 10‑Kilometer‑Zone unabhängigen Anspruch auf die Stör‑(Außerhaus‑)Zulage vor.

8. Der Sorge des Klägers, dass ein ständig schwankender Arbeitsort auch „Auswirkungen auf die Zweige der Sozialversicherung“ hätte, begegnen gesetzliche Sonderbestimmungen wie § 30 Abs 2 ASVG.

9. Das Berufungsgericht ist folglich zutreffend zum Ergebnis gekommen, dass die klagsgegenständlichen Montagearbeiten des Klägers keine Außerhausarbeiten außerhalb der 10‑Kilometer‑Zone eines „ständigen Arbeitsplatzes“ darstellen, sodass die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Stör‑(Außerhaus‑)Zulage iSd § 11 KV nicht vorliegen.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Stichworte