OGH 3Ob190/16m

OGH3Ob190/16m26.1.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr.

Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein *****, vertreten durch Dr. Sebastian Schumacher, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei L***** AG, *****, vertreten durch Dr. Michael Drexel, Rechtsanwalt in Graz, wegen 33.257,84 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 20. Mai 2016, GZ 2 R 6/16v‑25, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 30. Oktober 2015, GZ 17 Cg 113/13z‑19, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0030OB00190.16M.0126.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.119,14 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 353,19 EUR an USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Gegenstand des Verfahrens sind dem klagenden Verein von einem Ehepaar (im Weiteren: Konsumenten) abgetretene Ansprüche auf Schadenersatz durch die beklagte Bank wegen mehrfach fehlerhafter Anlageberatung im Zusammenhang mit drei Veranlagungen in geschlossene Fonds. Beide Vorinstanzen bejahten Beratungsfehler der Beklagten, darunter unterlassene Aufklärung über hohe Weichkosten, und verneinten eine Verjährung der Ansprüche. Während das Erstgericht den Konsumenten ein Mitverschulden von 50 % anlastete, lehnte das Berufungsgericht diesen Einwand ab.

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagte zeigt in ihrer Revision keine erhebliche Rechtsfrage auf, wehalb das Rechtsmittel – ungeachtet des nicht bindenden Zulässigkeitsausspruchs des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) – als nicht zulässig zurückzuweisen ist. Das ist wie folgt zu begründen (§ 510 Abs 3 ZPO):

1.  Die geltend gemachten Mängel des Berufungsverfahrens liegen nicht vor.

1.1.  Der Kläger machte in erster Instanz als separaten Beratungsfehler (des Mitarbeiters) der Beklagten mehrfach den hohen Weichkostenanteil der Beteiligungen geltend (einschließlich des 5%-igen Agios: 21 %, 34 % und 17 %, jeweils bezogen auf das Kommanditkapital der Konsumenten) und verwies dazu ua auf Judikatur des deutschen Bundesgerichtshofs (BGH). Die Beklagte nahm dazu ausdrücklich Stellung, indem sie vorbrachte, dass die Weichkosten (mit Ausnahme einer Bestandsprovision von 1 % und des Agios von 5 %) nicht ihr zugekommen seien und die Konsumenten nicht abgehalten hätten, die Veranlagung zu zeichnen. Damit hat sie weder eine sie treffende Aufklärungspflicht noch die Höhe der behaupteten Kosten substantiiert bestritten, sondern nur die Kausalität des Beratungsfehlers.

1.2.  Angesichts des übrigen, sehr umfangreichen Bestreitungsvorbringens und der Argumentation der Beklagten auf Basis des gegnerischen Vorbringens liegt somit ein schlüssiges Zugeständnis der diesbezüglichen Tatsachenbehauptungen des Klägers vor (RIS‑Justiz RS0039927 [T3 und T12]). Schon in erster Instanz war daher unstrittig, dass die – um das 5%-ige Agio bereinigten – Weichkosten 16 %, 29 % und 12 % jeweils bezogen auf das Kommanditkapital betrugen, sodass in den diesen Werten entsprechenden Annahmen des Berufungsgerichts kein Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz zu erblicken ist; ebensowenig bestehen in diesem Zusammenhang sekundäre Feststellungsmängel.

1.3.  Die Beklagte konnte aufgrund des bereits dargelegten Inhalts des erstinstanzlichen Verfahrens auch nicht davon überrascht werden, dass das Berufungsgericht den schon vom Erstgericht bejahten Beratungsfehler ebenfalls als gegeben erachtete und sich in dieser Frage (auch) mit Judikatur des BGH auseinandersetzte (RIS‑Justiz RS0122365 [T1]). Der Berufungsentscheidung liegt daher kein Verstoß gegen § 182a ZPO zugrunde.

1.4.  Das Tatsachenvorbringen, welches die Beklagte in der Revision zum Nachweis der Relevanz des vermeintlichen Verstoßes gegen das Verbot der Überraschungsentscheidung vorträgt, widerspricht somit dem auch im Revisionsverfahren gemäß § 504 Abs 2 ZPO geltenden Neuerungsverbot und muss deshalb unbeachtet bleiben. Das gilt auch für die dazu erst in dritter Instanz vorgelegten Beweisurkunden.

2.  Die Beklagte vermag in ihrer Rechtsrüge nicht schlüssig darzulegen, weshalb die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Konsumenten wären von ihr über die – von der Beklagten selbst in ihrer Berufung als „relativ hohe“ bzw „nicht unerhebliche Kosten des Kapitals“ bezeichneten (S 12 unten), also – erheblichen Weichkosten (vgl dazu die Definition in 6 Ob 193/15y) aufzuklären gewesen, unzutreffend sein sollte. Die konkrete Ausgestaltung der Beratungspflichten hängt nämlich immer von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0029601 [T9]; RS0119752 [T3]), sodass nur eine grobe Fehlbeurteilung zu korrigieren wäre (RIS‑Justiz RS0106373).

2.1.  Es trifft zwar zu, dass das Berufungsgericht zur Begründung seiner Rechtsansicht auch Judikatur des BGH zitierte; zunächst berief es sich aber auf die gefestigte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Ausgestaltung und zum Umfang der Beratungspflichten nach dem hier noch anzuwendenden WAG 1996 (Beratungszeitpunkte September 2004 und Mai 2005; vgl 1 Ob 21/16v P 3.5), welche die Grundlage der Beurteilung dieser Rechtsfrage bildet. Einer Auseinandersetzung mit dem Inhalt und der Entwicklung der Judikatur des BGH zum Thema Weichkosten bedarf es daher nicht.

2.2. Die Beklagte stellt zwar in Frage, ob sie als vermittelnde Bank zur Aufklärung über die Weichkosten verpflichtet sei, nennt jedoch keinen tragfähigen Grund, warum sie diese Verpflichtung nicht treffen sollte, zumal sie gegenüber den Konsumenten unstrittig die Stellung eines Anlageberaters einnahm.

Vielmehr gesteht sie selbst zu, dass diese Kosten Einfluss auf die Beurteilung der Werthaltigkeit der Anlage, also des veranlagten Kapitals hatten (Revision S 13 oben) und ein erhebliches Ausmaß erreichten; damit kann eine unvertretbare Fehlbeurteilung der Vorinstanzen nicht begründet werden: Hat auch nach ständiger Rechtsprechung die Informationserteilung dem Gebot vollständiger, richtiger und rechtzeitiger Beratung zu genügen, durch die der Kunde in den Stand versetzt werden muss, die Auswirkungen seiner Anlageentscheidung zu erkennen (RIS‑Justiz RS00123046; 6 Ob 28/15h). Daher erübrigen sich – schon nach dem Standpunkt der Beklagten – weitere Überlegungen zur Frage, ob die Weichkosten zum Veranlagungskapital des Anlegers oder zur Gesamtinvestitionssumme des Fonds ins Verhältnis zu setzen sind, bzw zu einem allfälligen Mindestprozentsatz.

2.3.  Der Verweis darauf, dass sich aus dem Kapitalmarktprospekt zur im September 2004 getätigten Veranlagung der Weichkostenanteil rechnerisch nachvollziehen lasse, weshalb die Beklagte aufgrund der vollständigen, richtigen und nicht irreführenden Darstellung in den Unterlagen keine eigenständige Aufklärungspflicht getroffen habe, übergeht, dass den Konsumenten gar keine Kapitalmarktprospekte ausgefolgt wurden.

Zwar traf die Beklagte keine gesetzliche Pflicht dazu (§ 17 Abs 3 Z 1 WAG 1996; 6 Ob 193/15y); auch nach den Wohlverhaltensregeln des WAG 1996 sind jedoch Beratung und Aufklärung nicht vom Kunden nachzufragen, sondern von den in § 11 WAG 1996 genannten Rechtsträgern anzubieten (RIS‑Justiz RS0119752 [T14] = RS0123046 [T4]). Die Möglichkeit der Konsumenten, vom Inhalt des Kapitalmarktprospekts Kenntnis zu erlangen, ändert daher nichts an der Informationspflicht der Beklagten über nur darin enthaltene, wesentliche Umstände.

2.4.  Für die Konsumenten bestand – mangels konkreter Anhaltspunkte für das Vorliegen von erheblichen Weichkosten in den ihnen vorliegenden Unterlagen – keine Obliegenheit, sich den Kapitalmarktprospekt zu beschaffen und diesen zu lesen (vgl 3 Ob 112/15i). Daher kann eine diesbezügliche Unterlassung kein Mitverschulden begründen.

2.5.  Da sich die Beklagte auf mangelndes Verschulden am Rechtsirrtum über die hier gegenständliche Informationspflicht in erster Instanz nicht berufen hat, verstößt dieser Einwand der Revision gegen das Neuerungsverbot.

2.6.  Auch wenn die Beklagte die Feststellung des Erstgerichts zur Kausalität des angenommenen Beratungsfehlers als nicht nachvollziehbar bezeichnet, greift sie in unzulässiger Weise die Sachverhaltsgrundlage an, worauf nicht weiter einzugehen ist.

2.7.  Der Vorwurf, es fehle an einer Feststellung zur Kausalität des angenommenen Beratungsfehlers für die beiden im Mai 2005 vorgenommenen Veranlagungen, missachtet die angesichts der gewählten Formulierung vertretbare Auslegung der von der Beklagten erfolglos bekämpften Feststellungen des Erstgerichts zu dieser Tatfrage (Ersturteil S 34 unten; Berufungsurteil S 14/15). Daher geht das Argument, den Konsumenten wären die Weichkosten im Ankaufszeitpunkt egal gewesen, ebenfalls nicht vom – in dritter Instanz unangreifbaren – Sachverhalt aus.

2.8.  Dem erstmals in der Revision erhobenen Einwand, die Klage wäre „auch deshalb wegen Verjährung abzuweisen gewesen, weil die Kostenbelastung nur einen Teilaspekt des Totalverlustrisikos (5 Ob 133/15t) darstellt“, fehlt überdies eine gesetzmäßige Ausführung (§ 506 Abs 2 ZPO): Die zitierte Entscheidung beschäftigt sich nämlich gar nicht mit Weichkosten und auch sonst wird von der Beklagten nicht dargelegt, aus welchen Gründen der von den Vorinstanzen angenommene Beratungsfehler keine eigenständige, den geltend gemachten Anspruch begründende Pflichtverletzung darstellen sollte.

3.  Eine weitere Auseinandersetzung mit der auch noch bekämpften Eventualbegründung des Berufungsgerichts (nur) zu den beiden im Mai 2005 getätigten Veranlagungen ist entbehrlich, weil bereits die Hauptbegründung keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedarf.

4.  Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen und deshalb gemäß §§ 41, 50 ZPO Anspruch auf die Kosten seiner Revisionsbeantwortung.

Stichworte