OGH 9Ob57/16x

OGH9Ob57/16x26.1.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshof Dr. Hargassner sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn und Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Klaus Perktold, Rechtsanwalt in Innsbruck, sowie der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei ***** O***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Martin Wuelz, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei C***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Roman Schobesberger, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 97.824,24 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 47.426,10 EUR sA) gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 28. Juli 2016, GZ 2 R 62/16h‑79, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0090OB00057.16X.0126.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Der Antrag der beklagten Partei auf Zuspruch der Kosten ihrer Revisionsbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO abgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs können Vertragsparteien von einem vereinbarten Formvorbehalt einvernehmlich abgehen, auch ohne Einhaltung der Schriftform und nicht nur ausdrücklich, sondern auch konkludent (RIS-Justiz RS0038673; RS0014378). Macht ein Vertragspartner bestimmte Zusagen, so widerspricht es den Grundsätzen des redlichen Verkehrs, wenn er sich im Nachhinein auf eine damit in Widerspruch stehende Klausel beruft (RIS-Justiz RS0014378 [T9]).

Die Auslegung von Erklärungen und Verhaltensweisen ist regelmäßig eine Frage des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0042936; RS0044088 [T27]; RS0044358; RS0044298 [T22] ua). Mangels einer über den Anlass hinausreichenden Aussagekraft von Einzelfallentscheidungen steht die Revision zu ihrer Überprüfung nach § 502 Abs 1 ZPO nicht offen, es sei denn, dem Berufungsgericht wäre bei seiner Entscheidung eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen, die ausnahmsweise zur Wahrung der Rechtssicherheit einer Korrektur bedürfte.

Hier fordert die Klägerin, die im Zuge der Errichtung eines mehrgeschossigen Büro- und Geschäftshauses die Beklagte mit Fliesenleger- und Natursteinarbeiten beauftragte, von der Beklagten den Betrag zurück, den diese durch den Abruf einer Bankgarantie (zu Lasten der Klägerin) erhalten hat. Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagte keine berechtigten Werklohnforderungen mehr gegen sie hatte.

Während der Bauarbeiten herrschte insgesamt ein hoher Termindruck und die Beklagte konnte nicht zum vorgesehenen Zeitpunkt mit ihren Arbeiten beginnen. Die von der Klägerin gewünschte Vorgangsweise, für jede Abweichung vom Leistungsverzeichnis ein schriftliches Nachtragsangebot vorzulegen und dieses jeweils noch vor Beginn der Ausführung seitens der (Geschäftsführung der) Klägerin unterschreiben zu lassen, konnte wegen des engen Zeitplans der Fertigstellung (Eröffnungstermin; hohe Pönaleforderung für den Fall einer Verspätung) nicht eingehalten werden. Im Einzelnen steht fest, welche Positionen der Schlussrechnung der Beklagten jeweils von den zuständigen Personen der örtlichen Bauaufsicht (Nebenintervenientin) für die Klägerin bei der Beklagten in Auftrag gegeben und jeweils auch von der Beklagten erbracht wurden. Seitens der Klägerin wurde mehrfach ausdrücklich in Aussicht gestellt, die schriftliche Genehmigung für notwendige Nachtragsarbeiten durch die Geschäftsführung so rasch wie möglich nachzureichen.

Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin stellt die Entscheidung des Berufungsgerichts, die auf Basis der Feststellungen des Erstgerichts zu dem Ergebnis kommt, dass die Vertragsparteien durch ihre Vorgangsweise im Zuge der Bauarbeiten von der im Vertrag vereinbarten Schriftform abgegangen sind und von einer wirksamen Beauftragung der Beklagten (mit den näher angeführten Zusatzarbeiten und Massenmehrungen) auszugehen ist, keine aufzugreifende Fehlbeurteilung dar. Wenn die Beklagte die schriftliche Genehmigung bereits durchgeführter Zusatzarbeiten weiterhin einmahnte, so heißt das nicht, dass sie damit die Wirksamkeit ihrer Beauftragung angezweifelt hätte. Die in der außerordentlichen Revision zitierte Entscheidung betrifft einen anderen Sachverhalt.

2. Zur Inhaltskontrolle des Werkvertrags gemäß § 864a ABGB und § 879 Abs 3 ABGB hat das Berufungsgericht im konkreten Fall ausgeführt, die – wie hier feststeht: nicht branchenübliche – Vertragsklausel, nach der auch für zusätzliche Leistungen, deren Notwendigkeit für den Werkunternehmer nicht vorhersehbar war, kein Entgelt gebühren sollte, sei ungewöhnlich im Sinn des § 864a ABGB und daher unwirksam. Diese Regelung findet sich nicht in den „wesentlichen Vertragsbestimmungen“, in denen etwa auch Zusatzleistungen geregelt sind, sondern in einem eigenen, späteren Punkt mit der Überschrift „Zur Vermeidung von Missverständnissen“.

Die Beurteilung von Vertragsklauseln als „ungewöhnlich“ ist stets von der Kasuistik des Einzelfalls geprägt und auf die singuläre Rechtsbeziehung der Streitteile zugeschnitten, sodass darin grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage zu sehen ist (RIS-Justiz RS0122393).

Entgegen der Meinung der Revisionswerberin besteht kein Widerspruch zu einem verbindlichen Kostenvoranschlag, weil im Anlassfall von einem solchen nicht ausgegangen werden kann: Der Vertrag regelt vor der als ungewöhnlich im Sinn des § 864a ABGB beurteilten (auf eine Pauschalierung abzielenden) Bestimmung, dass die angebotenen Gesamtleistungen „gemäß tatsächlichen Maßen abgegolten werden“, und dass ein Anspruch auf ein zusätzliches Entgelt für „erhöhte Massen/Mengen […] (insbesondere bei mit dem Auftraggeber vereinbarten Änderungen des Leistungsumfangs)“ nur (aber immerhin) bei vorheriger schriftlicher Zustimmung besteht. Auch in diesem Punkt gelingt es der Revision daher nicht, eine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts aufzuzeigen.

3. In engem Zusammenhang mit der Auslegung der konkret festgestellten Vorgangsweise der Beteiligten (als jeweils wirksam erteilte Zusatzaufträge) steht die von der Revisionswerberin als drittes Argument ins Treffen geführte Frage einer (Duldungs- oder Anscheins-)Vollmacht der örtlichen Bauaufsicht, für die Klägerin wirksame Aufträge zu erteilen.

Das Vorliegen einer Rechtsscheinhaftung ist ebenfalls stets anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu prüfen (RIS-Justiz RS0019609 [T9, T18]; RS0020145 [T24]; RS0020251 [T22]).

Hier führten der zuständige Projektbetreuer der Klägerin, der zuständige Mitarbeiter der örtlichen Bauaufsicht sowie der Geschäftsführer der Beklagten bereits bei den Vergabeverhandlungen Gespräche und die Ergebnisse dieser Besprechungen wurden schließlich (zumindest teilweise) zum Vertragsinhalt. Der Geschäftsführer der Beklagten konnte aufgrund des Auftretens der Beteiligten bei den Besprechungen zur Auftragsvergabe davon ausgehen, dass der Mitarbeiter der örtlichen Bauaufsicht von der Klägerin bevollmächtigt war, wirksame Vereinbarungen mit den Professionisten für das Bauprojekt zu treffen. Eine ausdrückliche (gegenteilige) Vereinbarung darüber, dass– entgegen den laut Sachverhalt üblichen Abläufen bei der Abwicklung von Bauleistungen mit privatrechtlichen Auftraggebern – die Freigabe einer Leistung durch die örtliche Bauaufsicht keine Leistungsbeauftragung darstellen sollte, ist in den Verträgen der Streitteile hingegen nicht enthalten. Auch in diesem Punkt ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichts daher nicht zu beanstanden.

4. Eine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO wird damit in der außerordentlichen Revision insgesamt nicht aufgezeigt. Einer weiteren Begründung bedarf der Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

5. Da eine Rechtsmittelbeantwortung nicht freigestellt war, diente die von der Beklagten eingebrachte Revisionsbeantwortung nicht der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung und ist nicht zu honorieren (§ 508a Abs 2 ZPO; RIS-Justiz RS0043690).

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