OGH 20Os9/16y

OGH20Os9/16y20.12.2016

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 20. Dezember 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Grassner und Dr. Haslinger als Anwaltsrichter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Jorda als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die Berufungen des Disziplinarbeschuldigten und des Kammeranwalts gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 4. April 2016, AZ D 26/15 (DV 4/16), TZ 25, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Bauer, des Kammeranwalts der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer Dr. Hackl und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0200OS00009.16Y.1220.000

 

Spruch:

 

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwalt ***** schuldig erkannt, er habe– zusammengefasst –

(zu 1./) die St*****gesellschaft mbH (deren Geschäftsführer Johann M***** und deren Gesellschafter und faktischer Geschäftsführer Gerhard S***** waren) sowohl vor ihrer Insolvenzeröffnung (am 14. Dezember 2012) in den Verfahren AZ 32 Cga 173/09x des Landesgerichts Leoben und AZ 44 Cga 120/09x des Landesgerichts Innsbruck als auch „als Schuldnervertreter“ im über ihr Vermögen geführten Insolvenzverfahren AZ 20 S 150/12b des Landesgerichts Wels und

(zu 2./) „die Sta*****-Gesellschaft mbH deren Geschäftsführer Gerhard S***** war sowohl vor ihrer Insolvenzeröffnung am 14. Dezember 2012 mehrfach als auch als Schuldnervertreter im über ihr Vermögen geführten Insolvenzverfahren AZ 20 S 151/12z des Landesgerichts Wels“

vertreten

und dennoch in den vom Masseverwalter der St*****gesellschaft mbH beim Landesgericht Wels gegen Gerhard S***** (AZ 6 Cg 29/13s) sowie gegen Johann M***** (AZ 5 Cg 28/14p) geführten Verfahren die Vertretung der dort Beklagten und somit eine unechte (formelle) Doppelvertretung übernommen.

Der Disziplinarrat erblickte darin die durch Verstoß „gegen § 10 RAO und § 1 DSt“ verwirklichten Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung sowie der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes und verhängte eine Geldbuße in der Höhe von 3.000 Euro.

Er legte dabei – soweit für das Berufungsverfahren von Interesse – folgenden Sachverhalt zugrunde:

Der Disziplinarbeschuldigte vertrat die „S*****-Gruppe“ seit etwa 25 bis 30 Jahren. Vor Insolvenzeröffnung über das Vermögen der St*****gesellschaft mbH am 14. Dezember 2012 beschränkten sich seine Vertretungshandlungen für diese Gesellschaft „vorwiegend“ auf solche in arbeitsgerichtlichen Passivverfahren. Für die Sta*****-Gesellschaft mbH nahm er „außerhalb von arbeitsgerichtlichen Verfahren auch Vertretungen im Zusammenhang mit Schadenersatzansprüchen betreffend CMR‑Schäden und darüber hinaus auch Beratungstätigkeiten im Zusammenhang mit steuerrechtlichen Verfahren“ vor.

In den Insolvenzverfahren über das Vermögen der St*****gesellschaft mbH (AZ 20 S 150/12b des Landesgerichts Wels) und der Sta*****-Gesellschaft mbH (AZ 20 S 151/12z desselben Gerichts) gab der Disziplinarbeschuldigte am 5. Februar 2013 die rechtsfreundliche Vertretung der beiden schuldnerischen Gesellschaften bekannt (wobei im erstgenannten Verfahren– nachdem der Geschäftsführer vorerst bestritten hatte, die Anwaltssozietät des Disziplinarbeschuldigten bevollmächtigt zu haben – am 20. Februar 2013 eine mit 15. Februar 2013 datierte Vollmacht vorgelegt wurde, weil „die ursprünglich in den Akten erliegende 'alte' Vollmacht nicht mehr auffindbar sei“) und beantragte in beiden Verfahren Fristerstreckung zur Vorlage der Vermögensverzeichnisse.

Der Disziplinarbeschuldigte meldete (jeweils am 28. Februar 2013) in beiden Insolvenzverfahren für seine Anwaltssozietät offene Honorarforderungen an, und zwar für Rechtsvertretungen der St*****gesellschaft mbH in arbeitsgerichtlichen Verfahren (ES 10) sowie „aus verschiedensten Vertretungshandlungen“ für die Sta*****-Gesellschaft mbH.

Anlässlich der in beiden Insolvenzverfahren am 14. März 2013 durchgeführten Berichts‑ und Prüfungs-tagsatzungen kam es zu keinen Vertretungshandlungen des Disziplinarbeschuldigten für die beiden Schuldnerinnen bzw für deren Geschäftsführer, sehr wohl aber in den vom Insolvenzgericht am selben Tag abgehaltenen Tagsatzungen zur Unterfertigung der Vermögensverzeichnisse.

In den Verfahren des klagenden Masseverwalters der St*****gesellschaft mbH gegen Gerhard S*****, AZ 6 Cg 29/13s des Landesgerichts Wels, und gegen Johann M***** und Gerhard S*****, AZ 5 Cg 28/14p des Landesgerichts Wels, übernahm der Disziplinarbeschuldigte– während aufrechten Mandats zur Vertretung der St*****gesellschaft mbH im Insolvenzverfahren – die rechtsfreundliche Vertretung der jeweiligen Beklagten. Dem erstgenannten Verfahren lagen eine nicht bezahlte Stammeinlage und die Frage nach dem für einen Wertpapierverkauf erzielten Erlös zugrunde; im zweitgenannten ging es um Rückforderungsansprüche der Insolvenzmasse wegen Zahlungen „nach Eintritt einer insolvenzgerichtlich relevanten Situation“ der St*****gesellschaft mbH, wobei die Beklagten Gerhard S***** und Johann M***** einwendeten, dass zum Zeitpunkt der Zahlungen noch keine „insolvenzrechtlich relevante Situation“ bei der schuldnerischen Gesellschaft vorgelegen sei; überdies wären den Zahlungen adäquate Gegenleistungen zugrunde gelegen. Diese beiden Verfahren standen – den weiteren (disloziert in der rechtlichen Beurteilung getroffenen) Annahmen des Disziplinarrats zur Folge – in keinem inhaltlichen Zusammenhang „mit Rechtssachen“, in welchen „der Disziplinarbeschuldigte die Gemeinschuldnerin vertreten hat“.

Mit Eingabe vom 8. Juni 2015 gab der Disziplinarbeschuldigte in beiden Insolvenzverfahren (AZ 20 S 150/12b und AZ 20 S 151/12z jeweils des Landesgerichts Wels) die Auflösung der Vollmachtsverhältnisse bekannt. Er war somit jeweils in der Zeit vom 5. Februar 2013 bis 8. Juni 2015 als bevollmächtigter Rechtsvertreter der St*****gesellschaft mbH bzw der Sta*****-Gesellschaft mbH ausgewiesen.

 

Dieses Erkenntnis wird vom Disziplinarbeschuldigten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe, vom Kammeranwalt aber wegen Strafe bekämpft.

 

Rechtliche Beurteilung

Das Verbot der Doppelvertretung resultiert aus der Treuepflicht des Anwalts zum eigenen Mandanten (§ 9 RAO, § 10 RL‑BA 1977), wobei zwischen echter (materieller; § 10 Abs 1 RAO) und unechter (formeller; § 12a RL‑BA 1977; nunmehr – hier aber gemäß § 59 Abs 3 RL‑BA noch nicht anwendbar – § 10 Abs 1 RL‑BA 2015) Doppelvertretung zu unterscheiden ist.

Erstere liegt nach § 10 Abs 1 RAO vor, wenn der Anwalt eine Vertretung übernimmt oder auch nur einen Rat erteilt, in derselben oder einer damit zusammenhängenden Sache aber auch die Gegenpartei vertritt oder vertreten hat (zur weiten Auslegung des Doppelvertretungsverbots durch die Rechtsprechung, die auf alle Rechtskonstellationen abstellt, in denen Interessenskollisionen zweier Parteien vorliegen bzw sich abzeichnen, siehe RIS‑Justiz RS0117715).

Unechte (formelle) Doppelvertretung ist nach § 12a RL‑BA 1977 (in Kraft seit 10. Mai 2011; Anwaltsblatt 2011, 281) dann gegeben, wenn der Anwalt ein neues Mandat übernimmt oder ein bestehendes Mandat nicht niederlegt, obwohl dies die Wahrnehmung der Interessen der jeweiligen Parteien in den jeweils anvertrauten Mandaten beeinträchtigt, insbesondere weil die Gefahr der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht bezüglich der von einer früheren Partei anvertrauten oder im Zuge der Vertretung sonst erlangten Informationen besteht (Z 1), die Kenntnisse der Belange einer früheren Partei der neuen Partei zu einem unlauteren Vorteil gereichen würden (Z 2), es zu einem Interessenkonflikt zwischen diesen Parteien kommt (Z 3) oder die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts bei der Mandatsausübung auch nur gegenüber einer der Parteien nicht gesichert erscheint (Z 4).

Dieses – vor allem auch auf die Treuepflicht zum Mandanten gegründete – Verbot der unechten (formellen) Doppelvertretung ergibt sich aus der Annahme, dass der Rechtsanwalt bestimmte Verhaltensweisen, Einstellungen sowie wirtschaftliche Gegebenheiten seines Mandanten kennt und diese Kenntnis bei der Vertretung einer anderen Partei zu dessen Nachteil nutzen könnte.

Das gleichzeitige Aufscheinen in der Öffentlichkeit einmal gegen und das andere Mal für ein und dieselbe Partei (der Frontwechsel bzw der Anschein eines solchen) erschüttert überdies das Vertrauen der rechtsuchenden Bevölkerung in den Rechtsanwaltsstand und kann disziplinäre Haftung selbst dann begründen, wenn ein Vertrauensbruch konkret gar nicht vorliegt, für den Mandanten kein Schaden entstanden ist und auch die Gefahr einer Interessenkollision nicht besteht (vgl 24 Os 1/14y mwN; Csoklich/Scheuba, Standesrecht der Rechtsanwälte2, Kap 5.2.3.4, 64 mwN), zumal durch eine Doppelvertretung stets der Eindruck erweckt wird, es könnten materielle Interessen des (ehemaligen) Klienten preisgegeben werden (RIS‑Justiz RS0055369 [T5]).

Daher stellt das Einschreiten des Disziplinarbeschuldigten als Beklagtenvertreter der Organe bzw der Gesellschafter der insolventen St*****gesellschaft mbH in zwei vom Masseverwalter derselben gegen sie geführten Zivilverfahren während seines aufrechten Mandats zur Vertretung dieser schuldnerischen Gesellschaft in deren Insolvenzverfahren eine unechte (formelle) Doppelvertretung iSd § 12a RL‑BA 1977 dar. Die Gefahr einer Verschwiegenheitspflichtverletzung sowie das Vorliegen eines Interessenkonflikts beim einschreitenden Rechtsanwalt sind im Gegenstand schon aufgrund der den beiden Verfahren zugrunde liegenden Streitigkeiten (nämlich der Frage nach der tatsächlichen Bezahlung von Stammeinlagen, der Bewertung von Wertpapierverkaufserlösen sowie der Beurteilung von Rückforderungsansprüchen der Insolvenzmasse) hinreichend indiziert (vgl RIS‑Justiz RS0123546).

Im Übrigen wäre bereits im – vom Schuldspruch indes nicht umfassten – Umstand, dass der Disziplinarbeschuldigte die St*****-gesellschaft mbH sowie die Sta*****-Gesellschaft mbH in ihren jeweiligen Insolvenzverfahren vertreten und in diesen Verfahren – während aufrechter Vertretung – auch eigene Interessen verfolgte, indem er offene Forderungen seiner Anwaltssozietät gegen die jeweilige Insolvenzschuldnerin anmeldete, eine echte (materielle) Doppelvertretung iSd § 10 Abs 1 RAO zu erblicken (vgl RIS‑Justiz RS0055258).

Dem wiederholten Einwand sowohl der Mängel- (Z 5) als auch der Rechtsrüge (Z 9 lit a) zuwider kommt es „bei der Beurteilung der weitergehenden Treuepflicht nach Beendigung eines Mandatsverhältnisses“ zu einer Gesellschaft mbH nicht auf allfällige Treuepflichten gegenüber ihren Gesellschaftern, sondern auf jene gegenüber der Gesellschaft an. Denn zwischen einer Kapitalgesellschaft und ihren Gesellschaftern besteht ebenso wenig Identität wie zwischen der juristischen Person und deren Organen. Wenngleich der Geschäftsführer einer GmbH für diese als Organ handelnd auftritt, kann keine Rede davon sein, dass es sich bei diesem Vertreter und der von ihm vertretenen Gesellschaft um ein‑ und dieselbe Person handelt (RIS‑Justiz RS0055023 [T4]). Doppelvertretung ist demnach auch dann verwirklicht, wenn ein Rechtsanwalt ein Unternehmen, dem selbst Rechtspersönlichkeit zukommt, und gleichzeitig einen Gesellschafter dieses Unternehmens gegen das Unternehmen vertritt (RIS‑Justiz RS0055023 [T6]; vgl auch RS0055504).

Entgegen der Kritik fehlender Publizität ist deren für eine Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes erforderliches Ausmaß bereits dann gegeben, wenn ein Verstoß gegen das Doppelvertretungsverbot – wie hier (vgl ES 17) – zumindest einigen Gerichtspersonen zur Kenntnis gelangt (RIS‑Justiz RS0055403 [T3]).

Die vom Disziplinarbeschuldigten zutreffend aufgezeigte irreführende Formulierung des Schuldspruchs in seinem Punkt 2./, der isoliert den Eindruck erweckt, der Tatvorwurf beträfe auch die Sta*****-Gesellschaft mbH, wird bei Gesamtbetrachtung des Tenors– wonach eine unzulässige Doppelvertretung nur in Ansehung der St*****gesellschaft mbH zur Last liegt – klärend aufgelöst.

Die Schuldberufung lässt keine Bedenken gegen die Richtigkeit der Konstatierungen des Disziplinarrats aufkommen. Die Kritik, den arbeitsgerichtlichen Verfahren wäre eine „völlig andere Interessenlage“ zugrunde gelegen, kann auf sich beruhen, weil die unzulässige und demnach disziplinäre (formelle) Doppelvertretung fallbezogen bereits in der gleichzeitigen Vertretung einerseits der St*****gesellschaft mbH (im Insolvenzverfahren AZ 20 S 150/12b des Landesgerichts Wels) und andererseits ihrer Organe bzw ihrer Gesellschafter in zwei vom Masseverwalter der Schuldnerin gegen sie angestrengten Zivilverfahren zu erblicken ist.

Soweit der Disziplinarbeschuldigte den „ausdrücklichen Wunsch“ seiner Mandanten ins Treffen führt, ihre Vertretung zu übernehmen, kann ihn dies vom Vorwurf der Doppelvertretung nicht befreien (RIS-Justiz RS0109463).

Der Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Nichtigkeit und Schuld war daher – wie bereits die Generalprokuratur zutreffend ausführte – der Erfolg zu versagen.

Zur Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Strafe ist zu betonen, dass eine unzulässige Doppelvertretung nach ständiger Rechtsprechung ein schweres Disziplinardelikt darstellt (RIS‑Justiz RS0054993). Selbst der Umstand, dass die vom Disziplinarrat bei der Strafbemessung berücksichtigte Vorstrafe bereits im Jahre 2009 verhängt und in ihr über ein sehr lange Zeit zurückliegendes Fehlverhalten des Disziplinarbeschuldigten abgesprochen wurde, erweist sich die erstinstanzliche Strafzumessung nicht als nach unten korrekturbedürftig.

Dies ist sie aber auch nicht nach oben:

Soweit die Berufung des Kammeranwalts wegen Strafe vermeint, der Disziplinarrat habe bei Ausmessung der von ihm verhängten Geldbuße unberücksichtigt gelassen, dass der Disziplinarbeschuldigte Doppelvertretungen sowohl in Ansehung der St*****gesellschaft mbH als auch der Sta*****-Gesellschaft mbH zu verantworten habe, geht sie nicht vom Schuldspruch aus.

Wenngleich ein „faktisches Tatsachengeständnis“ (ES 17) einen wesentlichen Beitrag zur Wahrheitsfindung darstellen kann (§ 34 Abs 1 Z 17 2. Fall StGB; RIS‑Justiz RS0091460), verschlägt dies vorliegend, weil sich der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits unstreitig aus den im Akt befindlichen Urkunden erschließt. Die damit zusammenhängend erhobene Forderung nach (negativer) Wertung fehlender Schuldeinsichtigkeit orientiert sich nicht an der dazu gegenteiligen ständigen Judikatur (20 Os 25/15z uva).

Beiden Strafberufungen war somit nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet auf § 54 Abs 5 DSt.

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