OGH 24Os1/14y

OGH24Os1/14y12.3.2014

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 12. März 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Bartl und Dr. Hofstätter sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als weitere Richter in der Disziplinarsache gegen Mag. Walter B*****, Rechtsanwalt in Graz, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Schuld und Strafe gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom 23. Jänner 2013, AZ D 46/11, D 16/12, D 25/12, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Knibbe, des Vertreters der Kammeranwaltschaft Dr. Keber und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: AT:OGH:2014:E107192

 

Spruch:

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen ‑ auch einen rechtskräftigen Freispruch von weiteren Vorwürfen enthaltenden ‑ Erkenntnis wurde Mag. Walter B***** der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes (§ 1 erster und zweiter Fall DSt) schuldig erkannt.

Danach hat er dadurch, dass er in Graz

1./ (im Jahr 2012) im Verfahren ***** des Bezirksgerichts Graz-Ost die Hausverwaltung P***** GmbH der Liegenschaft H*****gasse ***** gegen Dr. Karl und Gertrude M***** wegen Abberufung der Hausverwaltung und gleichzeitig im Verfahren ***** des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz die Wohnungseigentümergemeinschaft H*****gasse *****, der Dr. Karl und Gertrude M***** angehörten, gegen den Bauträger H*****-GmbH vertrat, gegen das Verbot der Doppelvertretung verstoßen,

2./ die Schreiben des Rechtsanwalts Dr. Bernhard K***** vom 28. Oktober und 12. Dezember 2011, sowie vom 13. Jänner, 26. Jänner und 27. Februar 2012 nicht oder nicht innerhalb angemessener Frist beantwortete, gegen § 18 RL‑BA 1977 verstoßen, sowie

3./ (im Jahr 2012) im Verfahren ***** des Bezirksgerichts Graz-Ost und sodann im selben Verfahren ***** des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz die D***** OG sowie Mag. Sabine He***** vertrat, obwohl er gleichzeitig die Gesellschafterin der OG Mag. He***** gegen den Mitgesellschafter Peter F***** vertrat, gegen das Verbot der Doppelvertretung verstoßen.

Er wurde hiefür gemäß § 16 Abs 1 Z 2 DSt zu einer Geldbuße von 2.000 Euro sowie zum Ersatz der Verfahrenskosten verurteilt.

Rechtliche Beurteilung

Gegen 1./ und 3./ des Schuldspruchs und gegen den Strafausspruch richtet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Schuld und Strafe.

Ihr kommt keine Berechtigung zu.

Der Verzicht des DSt auf die in der StPO vorgesehene Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe bedeutet, dass der von den Kategorien der (die Schuldfrage betreffenden) Nichtigkeitsgründe erfasste Fehlerbereich von der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld erfasst wird (§ 49 DSt), die demnach im DSt die Berufungspunkte des § 464 Z 1 und 2 erster Fall StPO meint (RIS-Justiz RS0128656).

Zu 1./:

Soweit die ‑ vor der Rechtsrüge zu behandelnde (Ratz, WK-StPO § 476 Rz 9) ‑ Schuldberufung sich gegen die Konstatierungen des Disziplinarrates wendet, wonach vom Disziplinarbeschuldigten „Abtretungserklärungen der Ansprüche unter anderem der Ehegatten M***** an die Wohnungseigentümergemeinschaft“ erstellt wurden, und behauptet, diese träfen nicht zu, weil er „nur ein namenloses Abtretungsformular erstellt“ und keine Kenntnis gehabt habe, ob „die Familie M***** überhaupt von diesem Formular Gebrauch macht“, vermag der Berufungswerber die bezeichneten Feststellungen nicht in Frage zu stellen, sollte doch die von ihm konzipierte Erklärung unter anderem der Abtretung der Ansprüche der Ehegatten M***** dienen.

Die Rechtsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) orientiert sich mit der Behauptung, die Feststellung, dass in beiden Verfahren „ein identer Anspruch vorliegt“, sei „unrichtig“, nicht an den tatsächlichen Annahmen des Disziplinarrates, denen zufolge dieselben behaupteten Baumängel jeweils Anspruchsgrund waren, weil deren Nichtverfolgung als Abberufungsgrund gegenüber der Hausverwaltung geltend gemacht wurde (ES 8). Auf Basis dieser Konstatierungen ist die Beurteilung des Disziplinarrates, dass es sich um „zusammenhängende Rechtssachen“ handelte, nicht zu beanstanden.

Ausgehend von den getroffenen Feststellungen liegt ‑ der Rechtsrüge zuwider ‑ eine unzulässige Doppelvertretung vor:

Aus der Treuepflicht zum eigenen Mandanten (§ 9 RAO, § 10 RL‑BA) resultiert für den Anwalt unter anderem das Verbot der Doppelvertretung, wobei zwischen der echten (materiellen) (§ 10 RAO) und der unechten (formellen) Doppelvertretung zu unterscheiden ist.

Erstere liegt nach § 10 RAO ua vor, wenn ein Anwalt gegen die Verbote verstößt, eine Vertretung zu übernehmen oder auch nur einen Rat zu erteilen, wenn er die Gegenpartei in derselben oder in einer damit zusammenhängenden Sache vertreten hat.

Der Begriff der „Gegenpartei“ iSd § 10 RAO ist nach der Rechtsprechung weit auszulegen, er ist demnach nicht nur auf die formal prozessbeteiligten (juristischen oder physischen) Personen beschränkt, sondern es ist auch auf den Widerstreit der Interessenlagen abzustellen (vgl RIS-Justiz RS0117715). So begeht ein Rechtsanwalt (im Fall als zusammenhängend anzusehender Sachen: echte) Doppelvertretung, wenn er eine ‑ als Vertreterin aller Miteigentümer anzusehende ‑ Miteigentumsgemeinschaft bei Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen gegen Bauunternehmen und gleichzeitig den Wohnungseigentumsorganisator als Antragsgegner in einem gerichtlichen Verfahren gegen Wohnungseigentümer, welche die Abberufung des Wohnungseigentumsorganisators als Hausverwalter begehren, vertritt (AnwBl 1995, 33; RIS-Justiz RS0054995 [T19]). Gegenständlich vertrat der Disziplinarbeschuldigte im Verfahren gegen den Wohnungseigentumsorganisator und Bauträger die Miteigentümergemeinschaft, somit auch die Interessen der Wohnungseigentümer M*****, gleichzeitig aber im Verfahren gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft die Interessen der Hausverwaltung gegen die Interessen der Ehegatten M*****. Weil der Disziplinarbeschuldigte somit in zusammenhängenden Rechtssachen einerseits ‑ der Sache nach ‑ für und andererseits gegen Dr. Karl und Gertrude M***** vertretend tätig wurde, verstieß er gegen das Verbot der materiellen Doppelvertretung, wodurch er schuldhaft die Pflichten seines Berufes verletzte und durch sein Verhalten das Ansehen des Standes beeinträchtigte (§ 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt).

Zu 3./:

Unechte Doppelvertretung ist ‑ nach Konkretisierung dieses Verbotes durch (mit am 10. Mai 2011 kundgemachten Beschluss des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages in Kraft getretenen) § 12a RL‑BA (RIS-Justiz RS0054995 [T24]) ‑ gegeben, wenn der Anwalt ein neues Mandat übernimmt oder ein bestehendes Mandat nicht niederlegt, obwohl dies die Wahrnehmung der Interessen der jeweiligen Parteien in den jeweils anvertrauten Mandaten beeinträchtigt, insbesondere weil die Gefahr der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht bezüglich der von einer früheren Partei anvertrauten oder im Zuge der Vertretung sonst erlangten Information besteht, die Kenntnisse der Belange einer früheren Partei der neuen Partei zu einem unlauteren Vorteil gereichen würden, es zu einem Interessenkonflikt zwischen diesen Parteien kommt oder die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts bei der Mandatsausübung auch nur gegenüber einer der Parteien nicht gesichert erscheint.

Das Verbot der unechten (formellen) Doppelvertretung ergibt sich aus der Annahme, dass der Rechtsanwalt bestimmte Verhaltensweisen, Einstellungen sowie wirtschaftliche Gegebenheiten seines Mandanten kennt und diese Kenntnis bei der Vertretung einer anderen Partei zu dessen Nachteil nutzen könnte. Das gleichzeitige Aufscheinen in der Öffentlichkeit, einmal gegen und das andere Mal für ein und dieselbe Partei (der Frontwechsel oder auch nur der Anschein eines solchen), erschüttert überdies das Vertrauen der rechtsuchenden Bevölkerung in den Rechtsanwaltsstand, und zwar selbst dann, wenn ein Vertrauensbruch konkret nicht vorliegt (Csoklich/Scheuba, Standesrecht der Rechtsanwälte, Rz 5.2.3.4). Eine unzulässige formelle Doppelvertretung kann somit auch dann anzunehmen sein, wenn den Mandanten letztlich kein Schaden entstand oder sich die bestehende Gefahr der Interessenkollision nicht verwirklichte (vgl RIS‑Justiz RS0054985; RS0055014), so auch bereits dadurch, dass ein Rechtsanwalt in Rechtssachen, die in keinem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang stehen, zeitgleich das eine Mal als Vertreter der einen Partei und das andere Mal als Vertreter der anderen Partei tätig wird (RIS‑Justiz RS0054995).

Gegenständlich vertrat der Disziplinarbeschuldigte die Gesellschafterin Mag. He***** in einer persönlichen gesellschaftsrechtlichen Streitigkeit mit Peter F*****, gleichzeitig aber in einem arbeitsrechtlichen Verfahren neben Mag. He***** auch die (gemeinsame) OG. Ein Anwalt, der einerseits als Vertreter einer Personengesellschaft einschreitet und andererseits in engem zeitlichen Zusammenhang in einer gesellschaftsrechtlichen Angelegenheit betreffend dieselbe Gesellschaft einen Gesellschafter gegen den anderen vertritt, verstößt gegen das Doppelvertretungsverbot (vgl RIS-Justiz RS0055023).

Eine ‑ vom Disziplinarbeschuldigten behauptete ‑ „konkludente Einwilligung“ des Peter F***** kann ihn schon deshalb nicht exkulpieren, weil das Verbot der Doppelvertretung als Vorschrift des öffentlichen Standesrechtes zum Schutz des Vertrauens der Rechtsuchenden in den Anwaltsstand der zivilrechtlichen Disposition nicht zugänglich ist (RIS‑Justiz RS0055342 [T2]).

Demnach handelte der Disziplinarbeschuldigte durch das zu 3./ festgestellte Verhalten dem Verbot der formellen Doppelvertretung zuwider und verwirklichte auch dadurch den Tatbestand des § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt.

Zur Berufung wegen Strafe:

Der Disziplinarrat wertete vier disziplinäre Vorstrafen (wobei eine konkret wegen Doppelvertretung verhängt wurde) als erschwerend, als mildernd hingegen das teilweise Geständnis.

Neben der Tatwiederholung tritt erschwerend hinzu, dass der Disziplinarbeschuldigte sein Verhalten zu 1./ ungeachtet von Hinweisen durch den Prozessgegner und durch ein Mitglied des Ausschusses der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer fortsetzte. In Hinblick auf Tatunrecht und Täterschuld und weil durch jede Doppelvertretung eine erhebliche Beeinträchtigung des Vertrauens der rechtsuchenden Bevölkerung in die Tätigkeiten des Anwaltstandes eintritt (Feil/Wennig, Anwaltsrecht7, § 10 RAO Rz 18), ist die vom Disziplinarrat verhängte Geldbuße von 2.000 Euro einer Herabsetzung nicht zugänglich.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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