European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0060OB00066.16Y.1129.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung zu lauten hat:
„Die beklagte Partei ist schuldig, die Äußerung, die klagende Partei sei ein Altnaziverein, zu unterlassen.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 7.871,85 EUR bestimmten Kosten (davon 3.157 EUR Barauslagen und 785,81 EUR Umsatzsteuer) aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die klagende Partei ist der niederösterreichische Landesverband des bundesweiten Dachvereins Ö***** (Ö*****). Mitglieder eines Landesverbands sind die Orts- und Stadtverbände. Die Mitglieder eines Orts- oder Stadtverbands sind gleichzeitig Mitglieder des Hauptverbands. Die Statuten der einzelnen Orts- und Stadtverbände sind im Wesentlichen gleich.
Der Ö***** wurde 1954 von Kriegsteilnehmern gegründet. Unter den Gründungsmitgliedern waren ehemalige Mitglieder der NSDAP. Auch bei der Ortsgruppe G***** des Ö***** waren Personen Mitglied, die während des 2. Weltkriegs Mitglieder der Waffen‑SS bzw der NSDAP waren. Ob gegenwärtig noch Mitglieder mit NS-Vergangenheit beim Ö***** tätig sind, konnte nicht festgestellt werden.
Der Ö***** sieht sich als überparteiliche Organisation, die sich uneingeschränkt zu den demokratischen Einrichtungen der Republik Österreich bekennt. Der Ö*****, seine Landesverbände und die Orts- und Stadtverbände verfolgen nach ihren Statuten in erster Linie wehrpolitische Ziele. In den Statuten heißt es:
„Förderung des Vaterlands- und Wehrgedankens, ...
Förderung des Wehrwillens, der Wehrbereitschaft und des Selbstschutzgedankens im Sinn der Bundesverfassung und im Rahmen der 'Umfassenden Landesverteidigung' durch Veranstaltungen, Vorträge und Verbreitung von Informationen an die Mitglieder und die Bevölkerung über alle Medien sowie durch Information der Wehrfähigen und ideelle Betreuung der Wehrpflichtigen, ….“
Der Ö***** äußert sich öffentlich zu politischen Themen. Im Jahr 2012 sprach sich der Präsident des Ö***** in einer Presseaussendung gegen die beabsichtigte Errichtung eines Denkmals für Wehrmachtsdeserteure aus.
Die Beklagte ist Gemeinderätin der „G***** L*****“ in G*****.
Gegenstand der öffentlichen Gemeinderatssitzung am 5. 12. 2013 war unter anderem ein Antrag des Ortsverbands G***** des Ö***** auf Gewährung einer Subvention von 300 EUR für eine Spende an das SOS Kinderdorf H*****. An der Gemeinderatssitzung nahmen neben der Beklagten weitere Gemeinderäte und der Leiter des Gemeindeamts teil. Medienvertreter oder Zuhörer waren nicht anwesend. Die Beklagte sprach sich gegen den Subventionsantrag aus und sagte während der Diskussion über diesen Antrag, sie sei dagegen, dass die Gemeinde G***** einem Altnaziverein eine Subvention gewährt. Sie schränkte diese Äußerung nicht ausdrücklich auf den Ortsverband G***** ein. Ihr waren Struktur und Gliederung des Ö***** nicht bekannt. Die Äußerung der Beklagten, die im Protokoll der Gemeinderatssitzung nicht festgehalten wurde, wurde in der Folge einer breiten Öffentlichkeit durch Zeitungen und einen Fernsehbericht bekannt. Aufgrund der Lektüre der 3. Auflage des vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes herausgegebenen Buches „Rechtsextremismus in Österreich nach 1945“, waren der Beklagten die grundsätzliche politische Orientierung und die Ausrichtung des Ö***** bekannt. In diesem Buch heißt es über den Ö*****:
„Eine der großen etablierten Organisationen des österreichischen Rechtsextremismus, um Anerkennung der Großparteien, des Bundesheeres und anderer Institutionen bemüht, dabei Bekundung der Loyalität zur demokratischen Republik Österreich. In den Publikationen treten jedoch eindeutig rechtsextreme Tendenzen zutage … .“
Ob der Ö***** auch gegenwärtig als rechtsextrem gesehen wird, konnte nicht festgestellt werden.
Die klagende Partei begehrt von der Beklagten die Unterlassung der Behauptung, sie sei ein Altnaziverein. Die Beklagte habe mit ihrer unvertretbaren und unrichtigen Äußerung den Ö***** und auch die klagende Partei, die rund 30.000 Mitglieder habe, diffamiert. Mit dieser Äußerung habe sie zum Ausdruck gebracht, dass ihrer Meinung nach die klagende Partei bzw deren Mitglieder mit nationalsozialistischem Gedankengut sympathisierten oder dieses sogar verbreiten. Dies treffe nicht zu.
Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Ihre Äußerung habe sich eindeutig nur auf den Ortsverband G***** und nicht auf den Ö***** oder die klagende Partei bezogen. Ihr sei es unverständlich gewesen, für eine beabsichtigte Spende einen Subventionsantrag zu stellen. Ihrer Äußerung liege ein wahrer Tatsachenkern zugrunde. Ehemalige Mitglieder des Ortsverbandes G***** des Ö***** seien nämlich auch Mitglieder der NSDAP oder der Waffen‑SS gewesen. Selbst wenn das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands den Ö***** nicht mehr als rechtsextreme Organisation einstufen sollte, habe es dies über lange Zeit getan. Gegen die geplante Errichtung eines Deserteursdenkmals am Ballhausplatz in Wien habe sich der Präsident des Ö***** mit der Begründung ausgesprochen, dass Desertion in allen Rechtsstaaten ein Strafdelikt sei, das nicht glorifiziert werden dürfe.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen. Das im Rahmen einer Gemeinderatssitzung aus Anlass eines Subventionsantrags geäußerte Werturteil der Beklagten, von dem auch die klagende Partei betroffen gewesen sei, sei durch Art 10 EMRK gedeckt. Die Äußerung impliziere, dass dem Verein selbst oder aber zumindest dessen Mitgliedern in irgendeiner Weise eine NS‑Vergangenheit anlaste. Das Werturteil beruhe im Kern auf einer wahren Tatsachengrundlage. Der Ö***** sei nämlich vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes als rechtsextrem eingestuft worden und ehemalige NSDAP‑Mitglieder seien im Verein aktiv gewesen.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es hielt fest, dass die 3. Auflage des vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes herausgegebenen Buches „Rechtsextremismus in Österreich nach 1945“ im Jahr 1979 erschien, und führte aus: Auch wenn die beanstandete Äußerung wohl gegen den den Subventionsantrag stellenden Verein und nicht gegen den übergeordneten Landesverband gerichtet gewesen sei, sei auch die klagende Partei Betroffene der Äußerung der Beklagten, weil davon auszugehen sei, dass nicht nur der Beklagten die Unterschiede nicht bekannt gewesen seien, sondern nach dem Verständnis eines Durchschnittsmenschen die einzelnen Organisationen im Fall des Ö***** nicht auseinandergehalten würden. Die klagende Partei sei kein unpolitischer Verein, äußere sich doch der Ö***** öffentlich zu politischen Themen. Der Ortsverband habe sich durch die Stellung eines Subventionsantrags an die Gemeinde der politischen Diskussion ausgesetzt. Der Ausdruck „Altnazi“ sei jedenfalls eine Bezeichnung für Personen, die während der Zeit des Nationalsozialismus überzeugte Anhänger des Nationalsozialismus gewesen seien. Das Wort „Altnaziverein“ könne nicht nur dahin ausgelegt werden, dass nur Personen, die während der Zeit des Nationalsozialismus dessen Anhänger gewesen seien, Mitglieder seien, sondern auch so verstanden werden, dass es sich um einen von solchen Personen gegründeten Verein handle. Dies sei nach dem festgestellten Sachverhalt der Fall. Die Bezeichnung „Altnaziverein“ spiele auf eine NS‑Vergangenheit seiner Mitglieder bzw ehemaligen Mitglieder an und lasse sich auf ein im Kern wahres Tatsachensubstrat zurückführen. Berücksichtige man, dass die Ortsgruppe eine Subvention für eine von ihr im eigenen Namen zu tätigende Spende beantragt habe und die Beklagte als Gemeinderätin mit der Verwendung öffentlicher Gelder dafür nicht einverstanden gewesen sei, könne ein Wertungsexzess gerade noch verneint werden, zumal keine unlauteren Motive der Beklagten in der politischen Diskussion im Vordergrund gestanden seien. Der Freiheit der Meinungsäußerung im Rahmen einer politischen Debatte sei gegenüber dem Anspruch der klagenden Partei auf Persönlichkeitsschutz der Vorzug zu geben.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil der Frage der Auslegung des Begriffs „Altnaziverein“ gemessen am Grundrecht der Freiheit der Meinungsäußerung im Hinblick auf die bundesweite Organisationsstruktur des Ö***** und wegen der im politischen Diskurs zu beachtenden Grenzziehungen über den Einzelfall hinaus erhebliche Bedeutung zukomme.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Beklagten beantwortete Revision der klagenden Partei ist zulässig; sie ist auch berechtigt.
1. Die klagende Partei kann sich auf eine Verletzung ihrer Ehre (§ 1330 Abs 1 ABGB) berufen. Bei Ansprüchen nach § 1330 Abs 1 ABGB ist derjenige aktiv legitimiert, der von den ehrenrührigen Behauptungen betroffen ist. Das kann auch eine juristische Person – wie ein Verein – sein, weil auch juristische Personen passiv beleidigungsfähig sind (6 Ob 45/14g mwN; vgl RIS‑Justiz RS0031845; RS0008985). Eine juristische Person kann unmittelbar in ihrer Ehre aber nur beeinträchtigt sein, wenn es sich um ihre soziale Wertstellung innerhalb der Gemeinschaft handelt (4 Ob 31/92; RIS‑Justiz RS0008985 [T1]). Die Bezeichnung „Altnaziverein“ betrifft eine juristische Person in ihrem sozialen Geltungsanspruch. Das ist auch zwischen den Parteien nicht strittig.
2. Das Berufungsgericht ging zu Recht davon aus, dass auch die klagende Partei Betroffene der beanstandeten Äußerung der Beklagten ist. Es trifft zwar zu, dass Ausgangspunkt der Diskussion, in deren Rahmen die beanstandete Äußerung fiel, die Beschlussfassung über den Subventionsantrag eines Ortsverbandes des Ö***** im Gemeinderat war, doch kann eine gesamtösterreichisch tätige Organisation oder eine ihrer Landesorganisationen regelmäßig auch durch solche, nicht ausdrücklich auf ihre Gliederungen beschränkte Äußerungen betroffen sein, die von der Tätigkeit einer Untergliederung veranlasst werden (vgl 4 Ob 109/92; RIS‑Justiz RS0031787). Nach den Feststellungen der Vorinstanzen ist die Verbindung zwischen dem Dachverband und seiner Landesverbände mit den Orts- und Stadtverbänden so eng, dass die einzelnen Organisationen als unterschiedliche Rechtssubjekte vom Publikum gar nicht auseinandergehalten werden.
3. Die Revision wendet sich im Ergebnis mit Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die beanstandete Äußerung sei unter dem Aspekt der durch Art 10 EMRK verbürgten Meinungsäußerungsfreiheit nicht als rechtswidrig anzusehen.
4. Das jedermann gewährleistete, einen Grundpfeiler jeder demokratischen Gesellschaft bildende Recht auf freie Meinungsäußerung (Art 10 Abs 1 EMRK) schützt nicht nur Informationen und Ideen, die allgemein als zustimmend aufgenommen oder als unschädlich oder unwichtig angesehen werden, sondern auch Meinungen, die den Staat oder irgendeinen Teil der Bevölkerung kränken, schockieren oder beunruhigen können (RIS‑Justiz RS0050067). Dieses Recht kann nach Art 10 Abs 2 EMRK bestimmten, vom Gesetz vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse unter anderem des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind.
5. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und des EGMR sind die Grenzen zulässiger Kritik an Politikern in Ausübung ihres öffentlichen Amtes im Allgemeinen weiter gesteckt als bei Privatpersonen, weil sich Politiker unweigerlich und wissentlich der eingehenden Beurteilung ihrer Worte und Taten durch die Presse und die allgemeine Öffentlichkeit aussetzen. Politiker müssen daher einen höheren Grad an Toleranz zeigen, besonders wenn sie selbst öffentliche Äußerungen tätigen, die geeignet sind, Kritik auf sich zu ziehen. Dieser Grundsatz gilt aber auch für Privatpersonen und private Vereinigungen, sobald sie die politische Bühne (die Arena der politischen Auseinandersetzung) betreten (RIS‑Justiz RS0115541). Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin trifft dies auf sie zu.
Die Rechtsprechung des EGMR versteht unter Politiker auch Vereine, die sich allgemeinen politischen Zielsetzungen verschrieben haben. Entscheidend ist die Teilnahme an der politischen Debatte (EGMR, Unabhängige Initiative Informationsvielfalt ./. AUT, Nr 28525/95, ÖJZ 2002, 468; Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6 405 f mwN). Dass die klagende Partei (und der Ö*****) im öffentlichen Bereich tätig waren (und sind) ergibt sich nicht nur aus den Feststellungen, sondern schon aus dem Vorbringen der klagenden Partei.
6. Bei Mandatsträgern, auch auf kommunaler Ebene, fordert die Rechtsprechung des EGMR eine besonders strenge Kontrolle der Grundrechtsbeschränkungen, denn sie vertreten als vom Volk Gewählte die Interessen ihrer Wählerschaft (EGMR, Jerusalem ./. AUT, Nr 26958/95, ÖJZ 2001, 693; Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6 399 f mwN).
7. Ein im öffentlichen Bereich tätiger Verein setzt sich mit einem Subventionsantrag, über den ein Gemeinderat abzustimmen hat, der politischen Debatte aus. Der Zweck der Rede der Beklagten war, der begehrten Unterstützung aus öffentlichen Mitteln entgegen zu treten.
8.1. Auch der Revisionswerber geht davon aus, dass die in einer Gemeinderatssitzung gegenüber Gemeinderäten und dem Amtsleiter der Gemeinde im Zusammenhang mit der Behandlung eines Subventionsantrags eines Mitgliedvereins der klagenden Partei gefallene Äußerung der beklagten Gemeinderätin eine wertende Meinungsäußerung ist. Der Verwendung des Ausdrucks „Altnaziverein“ kann von jenen, die ihn hören oder lesen, ein unterschiedlicher Gehalt zugemessen werden, was seinen Inhalt und seine Bedeutung anbelangt, sodass man nicht von einer reinen Tatsachenbehauptung ausgehen kann. Für eine Überprüfung der Richtigkeit fehlte aber auch jeder Anhaltspunkt, welchen der möglichen Bedeutungsinhalte des Ausdrucks „Altnaziverein“ die Beklagte nach dem Verständnis der Zuhörer ihres Debattenbeitrags zugrunde gelegt hat, was eine Beurteilung als „konkludente Tatsachenbehauptung“ ausschließt (vgl 4 Ob 171/93; RIS‑Justiz RS0031849).
8.2. Solange bei wertenden Äußerungen die Grenzen zulässiger Kritik nicht überschritten werden, kann auch massive, in die Ehre eines anderen eingreifende Kritik, die sich an konkreten Fakten orientiert, unter dem Aspekt des Art 10 EMRK zulässig sein (RIS‑Justiz RS0054817). Werturteile ohne hinreichendes Tatsachensubstrat oder Wertungsexzesse sind nicht vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt (RIS‑Justiz RS0054830 [T7]).
8.3. Die Ermittlung des Sinns und Bedeutungsinhalts einer Äußerung in ihrem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck ist im Allgemeinen eine Rechtsfrage, deren Beantwortung von den näheren Umständen des Einzelfalls abhängt (6 Ob 189/15k; 6 Ob 232/10a; RIS‑Justiz RS0115693). Maßgebend ist das Verständnis des unbefangenen Durchschnittslesers oder -hörers der Äußerung, nicht aber der subjektive Wille des Erklärenden (RIS‑Justiz RS0031883).
8.4. Die Beklagte kritisierte den Subventionsantrag nicht mit dem sachlichen Argument, dass es nicht Aufgabe einer Gemeinde sei, mit öffentlichen Geldern eine Spende eines privaten Vereins zu subventionieren. Ihr festgestellter Beitrag zur Debatte war, den Subventionswerber (und die Organisation, der er angehört) durch die Bezeichnung „Altnaziverein“ als nicht förderungswürdig hinzustellen. Ein verständiger Adressat dieser Äußerung wird sie in Anbetracht der seit dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft verstrichenen Zeit und des heutigen Lebensalters von Personen, die vor oder während dieser Herrschaft Nationalsozialisten waren, nicht als Mitteilung der Auffassung der Beklagten verstehen, Altnazis seien in einer relevanten Anzahl Mitglieder oder Funktionäre des Ö***** oder einer seiner Gliederungen, weshalb die Subvention nicht gewährt werden soll. Den mit dem Ziel, eine Mehrheit für die Ablehnung des Subventionsantrags herbeizuführen, geäußertem Vorwurf, ein „Altnaziverein“ zu sein, wird ein verständiger Gemeinderat als Anschuldigung auffassen, der Verein sei (auch) gegenwärtig nicht frei von nationalsozialistischem Gedankengut. Dieses Verständnis wird auch durch die Einlassung der Beklagten nahe gelegt, wonach ihre Meinungskundgabe aufgrund der Einstufung des Ö***** als rechtsextremistische Organisation im Buch „Rechtsextremismus in Österreich nach 1945“ und der Äußerung des Präsidenten des Ö***** im Jahr 2012 zur geplanten Errichtung eines Denkmals für Wehrmachtsdeserteure ausreichend fundiert sei.
8.5. Der klagenden Partei muss ein Interesse zugebilligt werden, nicht mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht zu werden. Die Beklagte hat mit ihrer Äußerung in deren Bezugszusammenhang den Ö***** und seine Gliederungen in die Nähe eines strafbaren Verhaltens (s § 3 VerbotsG) gestellt. Auch wenn der Gebrauch des Ausdrucks „Nazi“ nach der vom Obersten Gerichtshof zu beachtenden Rechtsprechung des EGMR nicht automatisch aufgrund des ihm anhaftenden Stigmas eine Verurteilung wegen übler Nachrede rechtfertigt (EGMR, Scharsach und News ./. Österreich, Nr 39394/98 – Kellernazi; RIS‑Justiz RS0125103 [T1]), die klagende Partei einen höheren Grad an Toleranz zeigen muss und die Beklagte in ihren politischen Äußerungen besonders privilegiert ist, fällt im vorliegenden Fall die Abwägung zwischen dem Interesse der klagenden Partei an der Wahrung ihres guten Rufs durch ein Verbot der Wiederholung der Äußerung, die durch den Subventionsantrag nicht herausgefordert wurde, und dem Interesse der Beklagten, ihre Meinung in der politischen Debatte frei äußern zu können, zugunsten der klagenden Partei aus, weil ein hinreichendes Tatsachensubstrat für den zuvor dargelegten Bedeutungsinhalt der Äußerung der Beklagten nicht festgestellt ist (anders etwa EGMR Borka ./. Deutschland, Nr 5709/09). Die Einstufung des Ö***** im Jahr 1979 als rechtsextreme Organisation leitet keine hinreichenden Grundlagen für eine Anschuldigung im Jahr 2013, ein Altnaziverein zu sein. Dass damals nach der Beurteilung des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes in den Publikationen des Ö***** eindeutig rechtsextreme Tendenzen zutage traten, lässt nicht den Schluss zu, dass dies auch noch in ausreichender zeitlicher Nähe zur Äußerung der Beklagten der Fall war. Die Ablehnung der Errichtung eines Denkmals für Wehrmachtsdeserteure durch den Präsidenten des Ö***** mit dem Argument, dass Desertion in allen Rechtsstaaten ein Strafdelikt sei, das nicht glorifiziert werden dürfe, mag mit einem von maßgeblichen Teilen der Gesellschaft heute abgelehnten Pflichtverständnis zu tun haben, ist aber nicht Ausdruck typischer nationalsozialistische Gesinnung.
9. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.
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