OGH 7Ob189/16v

OGH7Ob189/16v13.10.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** L*****, vertreten durch Dr. Kurt Bayr und Dr. Marco Rovagnati, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei G***** Versicherung AG, *****, vertreten durch Dr. Harald Vill und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 2.000 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 14. Juni 2016, GZ 4 R 74/16p‑13, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 22. März 2016, GZ 41 Cg 144/15t‑8, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00189.16V.1013.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.175,22 EUR (darin enthalten 195,87 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Das Berufungsgericht begründete die nachträgliche Zulassung der ordentlichen Revision damit, dass die Frage, ob die Begehung einer Straftat im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 (§§ 83 Abs 1, 84 Abs 1) StGB noch unter die „Gefahr des täglichen Lebens“ zu subsumieren sei, über den Einzelfall hinaus Bedeutung haben könnte.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor. Ein dem Berufungsgericht unterlaufener Verfahrensverstoß bildet nur dann einen Verfahrensmangel, wenn er abstrakt geeignet war, eine unrichtige Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz herbeizuführen (RIS‑Justiz RS0043027; RS0043049). Diese Behauptung hat der Rechtsmittelwerber aufzustellen (RIS‑Justiz RS0043027 [T1, T10]), was in der Revision unterlassen wird.

2.1. Zwischen den Parteien besteht ein Bündelversicherungsvertrag, der eine Haftpflichtversicherung beinhaltet und dem die ABH 2006/Stufe 2 zugrunde liegen. Nach Art 12.1. ABH 2006 erstreckt sich die Versicherung „auf Schadenersatzverpflichtungen des Versicherungsnehmers als Privatperson aus den Gefahren des täglichen Lebens mit Ausnahme der Gefahr einer betrieblichen, beruflichen oder gewerbsmäßigen Tätigkeit, ...“.

2.2. In Art 12.1. ABH 2006 wird die primäre Risikoumschreibung vorgenommen (7 Ob 184/14f). Der versicherungsrechtliche Begriff der „Gefahren des täglichen Lebens“ ist nach ständiger Rechtsprechung so auszulegen, dass der Versicherungsschutz für die Haftpflicht des Versicherungsnehmers jene Gefahren umfasst, mit denen üblicherweise im Privatleben eines Menschen gerechnet werden muss (RIS‑Justiz RS0081099). Die Gefahr, haftpflichtig zu werden, stellt im Leben eines Durchschnittsmenschen nach wie vor eine Ausnahme dar. Deshalb will die Privathaftpflichtversicherung prinzipiell Deckung auch für außergewöhnliche Situationen schaffen, in die auch ein Durchschnittsmensch hineingeraten kann. Damit sind aber nicht alle ungewöhnlichen und gefährlichen Tätigkeiten abgedeckt (RIS‑Justiz RS0081276). Für das Vorliegen einer „Gefahr des täglichen Lebens“ ist nicht erforderlich, dass sie geradezu täglich auftritt. Vielmehr genügt es, wenn die Gefahr erfahrungsgemäß im normalen Lebensverlauf immer wieder, sei es auch seltener, eintritt. Es darf sich nur nicht um eine geradezu ungewöhnliche Gefahr handeln, wobei Rechtswidrigkeit oder Sorglosigkeit eines Verhaltens den daraus entspringenden Gefahren noch nicht die Qualifikation als solche des täglichen Lebens nehmen. Voraussetzung für einen aus der Gefahr des täglichen Lebens verursachten Schadenfall ist nämlich immer eine Fehlleistung oder eine schuldhafte Unterlassung des Versicherungsnehmers (RIS‑Justiz RS0081070).

2.3. Keine „Gefahr des täglichen Lebens“ ist dann gegeben, wenn ein Versicherungsnehmer seine Annäherungsversuche trotz mehrfacher, eindeutiger verbaler und körperlicher Ablehnung durch eine Frau fortsetzt und sie letztlich so bedrängt, dass er durch seine Platzwahl beim Tisch ihr Aufstehen und Weggehen verhindert und sie sich dagegen zur Wehr setzt und von ihm verletzt wird (7 Ob 182/15p = RIS‑Justiz RS0081070 [T7] = RS0081099 [T19] = RS0081276 [T4]). Auch ein Raufhandel eines 18‑jährigen Burschen mit einem anderen in einer Diskothek, wobei er dabei unabsichtlich ein unbeteiligtes Mädchen verletzt, gehört nicht mehr zu den „Gefahren des täglichen Lebens“ (7 Ob 245/13z = RIS‑Justiz RS0081070 [T4] = RS0081099 [T16], dazu Ertl, Romeo, Julia und die Gefahren des täglichen Lebens – Zugleich Besprechung der Entscheidung 7 Ob 245/13z, ecolex 2014, 849).

2.4. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, das Versetzen von zwei kräftigen Faustschlägen ins Gesicht einer Frau, mit der der Kläger eine verbale Auseinandersetzung hatte und die ebenfalls erheblich alkoholisiert war, mag sich der Kläger auch im Zustand der vollen Berauschung befunden haben, gehöre nicht zur „Gefahr des täglichen Lebens“, weil dies einem Durchschnittsmenschen, selbst wenn dieser einmal übermäßig Alkohol konsumiert habe und in eine verbale Auseinandersetzung gerate, nicht passieren könne, hält sich im Rahmen der Judikatur. Eine derartige Verhaltensweise zeigt – auch im Zustand voller Berauschung – ein einem Durchschnittsmenschen völlig fremdes, übermäßiges Gewaltpotential. Entgegen der Meinung des Klägers, der mit der abweichenden deutschen Bedingungslage argumentiert (vgl zur dort enthaltenen Formulierung „mit Ausnahme der Gefahren … einer ungewöhnlichen und gefährlichen Beschäftigung“: Schimikowski in r + s 1997, 453 [Anmerkung zu BGH IV ZR 269/96]), wird der Umstand, dass er einer Frau nach vorangegangenem Streit im Vollrausch zwei Faustschläge in das Gesicht versetzte und sie dadurch schwer verletzte, nicht zur Gefahr des täglichen Lebens. Ein Durchschnittsmensch gerät – auch wenn er erheblich alkoholisiert ist – nicht in die Situation, dass er als aktiv Beteiligter eine schwere Körperverletzung (wie der Kläger, der wegen des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 [§§ 83 Abs 1, 84 Abs 1] StGB verurteilt wurde) begeht.

3. Die Revision ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen. Einer weitergehenden Begründung bedarf diese Entscheidung nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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