OGH 7Ob245/13z

OGH7Ob245/13z26.2.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** F*****, vertreten durch Dr. Markus Sorger, Rechtsanwalt in Gleisdorf, gegen die beklagte Partei H***** AG, *****, vertreten durch Dr. Christoph Lassmann‑Wichtl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 11. September 2013, GZ 60 R 25/13a‑12, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 11. Februar 2013, GZ 2 C 279/12m‑8, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 744,43 EUR (darin enthalten 124,07 EUR an USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben eine Bündelversicherung abgeschlossen. Davon umfasst ist eine Haushalts‑ samt Privathaftpflichtversicherung. Dem Versicherungsvertrag liegen unter anderem die Allgemeinen Bedingungen für die Haushaltsversicherung mit gehobener Deckung (ABHG) 2007 zu Grunde. Diese lauten auszugsweise:

Art 8

Was ist versichert?

1. Die Versicherung erstreckt sich auf Schadenersatzverpflichtungen des Versicherungsnehmers als Privatperson aus den Gefahren des täglichen Lebens, insbesondere […]

Art 10

Wer ist versichert?

Die Versicherung umfasst auch gleichwertige Schadenersatzverpflichtungen

[...]

2. der minderjährigen Kinder (auch Enkel‑, Adoptiv‑, Pflege‑ und Stiefkinder) des Versicherungsnehmers, seines mitversicherten Ehegatten oder Lebensgefährten, und darüber hinaus bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres, aber nur solange die Kinder über keinen eigenen Haushalt und kein regelmäßiges Einkommen verfügen;

[...]

Der Sohn des Klägers, der zum Zeitpunkt des Schadensereignisses 18 Jahre alt war und im gemeinsamen Haushalt mit dem Kläger lebte, verdiente bis Oktober 2010 als Lehrling 850 EUR netto und bezog nach der einvernehmlichen Auflösung dieses Dienstverhältnisses Arbeitslosengeld von 15,02 EUR täglich bis zumindest 8. 1. 2011.

An diesem Tag besuchte der Sohn des Klägers eine Diskothek. Er riss im Zuge einer tätlichen Auseinandersetzung mit einem Dritten M***** S***** um, die dadurch eine offene Unterschenkelfraktur am linken Bein erlitt.

Die Verletzte forderte vom Sohn des Klägers wegen dieses Vorfalls unter Klagsandrohung 9.333,38 EUR an Schadenersatz und das Anerkenntnis der Haftung für Spät‑ und Dauerfolgen.

Der Kläger begehrt die Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten. Sein Sohn verfüge über kein regelmäßiges, die Führung eines eigenen Haushalts ermöglichendes Einkommen. Die fahrlässige Verletzung der M***** S***** stelle eine Gefahr des täglichen Lebens im Sinn der Bedingungen dar.

Die Beklagte bestreitet. Da der Sohn des Klägers monatliches Arbeitslosengeld von zumindest 450 EUR beziehe, sei der Ausschlusstatbestand des Art 10 Z 2 ABHG verwirklicht. Eine tätliche Auseinandersetzung stelle keine Gefahr des täglichen Lebens dar.

Das Erstgericht stellte die Deckungspflicht der Beklagten fest. Der Sohn des Klägers sei mangels eines regelmäßigen Einkommens als mitversicherte Person anzusehen und die (nur) fahrlässige Verletzung der M***** S***** durch ihn sei unter den Begriff der Gefahren des täglichen Lebens einzuordnen, weshalb die Beklagte im Rahmen der Privathaftpflichtversicherung Deckung zu leisten habe.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahin ab, dass es das Klagebegehren abwies. Maßgeblich für die Mitversicherung sei die zumindest in gewisser Weise fortbestehende Aufsicht der Eltern durch den gemeinsamen Haushalt und der Mangel eines zum Ersatz eines etwa angerichteten Schadens heranziehbaren eigenen regelmäßigen Einkommens. Dass ein solches Einkommen nur zum Ausschluss der Mitversicherung führen könne, wenn es in einer (zumindest) die Selbsterhaltungsfähigkeit begründenden Höhe vorliege, könne nicht angenommen werden. Lediglich insoweit sei eine Untergrenze erforderlich, als die Höhe der Einkünfte die Leistung von Schadenersatz überhaupt ermöglichen müsse, weil darin eine negative Voraussetzung für die Mitversicherung liege. Es komme auch nicht darauf an, aus welchem Titel (Arbeitslosenunterstützung oder Erwerbseinkommen) die Einkünfte bezogen würden. Da der Sohn des Klägers zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls Arbeitslosengeld von rund 450 EUR monatlich bezogen habe, liege ein zum Ersatz des verursachten Schadens heranziehbares regelmäßiges Einkommen im Sinn von Art 10 Z 2 ABHG vor, was den Ausschluss der Mitversicherung und damit die Abweisung des Deckungsbegehrens bereits aus diesem Grund zur Folge habe. Die Frage, ob die Schadenersatzverpflichtungen des Sohnes des Klägers aus einer Gefahr des täglichen Leben resultierten, stelle sich nicht. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil der Oberste Gerichtshof zu der Frage, ob für ein den Ausschluss von der Mitversicherung begründendes Einkommen eine Untergrenze anzusetzen und ob auch Arbeitslosengeld als die Mitversicherung ausschließendes Einkommen anzusehen sei, noch nicht Stellung genommen habe.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte begehrt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

1. Die vorliegende Haftpflichtversicherung umfasst den Versicherungsschutz gegen Gefahren des täglichen Lebens.

1.1. Der versicherungsrechtliche Begriff der „Gefahren des täglichen Lebens“ (Art 8 ABHG) ist nach ständiger Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0081099) dahin auszulegen, dass der Versicherungsschutz für die Haftpflicht des Versicherungsnehmers jene Gefahren umfasst, mit denen üblicherweise im Privatleben eines Menschen gerechnet werden muss. Die Gefahr, haftpflichtig zu werden, stellt im Leben eines Durchschnittsmenschen nach wie vor eine Ausnahme dar. Deshalb will die Privathaftpflichtversicherung prinzipiell Deckung auch für außergewöhnliche Situationen schaffen, in die auch ein Durchschnittsmensch hineingeraten kann. Freilich sind damit nicht alle ungewöhnlichen und gefährlichen Tätigkeiten mitabgedeckt (RIS‑Justiz RS0081276). Für das Vorliegen einer „Gefahr des täglichen Lebens“ ist nicht erforderlich, dass solche Gefahren nahezu täglich auftreten; vielmehr genügt es, wenn die Gefahr erfahrungsgemäß im normalen Lebensverlauf immer wieder, sei es auch seltener, eintritt. Es darf sich nur nicht um eine geradezu ungewöhnliche Gefahr handeln, wobei Rechtswidrigkeit und Sorglosigkeit eines Verhaltens den daraus entspringenden Gefahren noch nicht die Qualifikation als solche des täglichen Lebens nimmt. Voraussetzung für einen aus der Gefahr des täglichen Lebens verursachten Schadensfall ist nämlich eine Fehlleistung oder eine schuldhafte Unterlassung des Versicherungsnehmers (RIS‑Justiz RS0081070). Auch ein vernünftiger Durchschnittsmensch kann aus Unvorsichtigkeit eine außergewöhnliche Gefahrensituation schaffen oder sich in einer solchen völlig falsch verhalten oder sich zu einer gefährlichen Tätigkeit, aus der die entsprechenden Folgen erwachsen, hinreißen lassen. Derartigen Fällen liegt eine falsche Einschätzung der jeweiligen Sachlage zugrunde.

1.2. Davon unterscheidet sich der vorliegende Fall aber dadurch, dass der Sohn des Klägers aktiv in eine tätliche Auseinandersetzung verwickelt war. Das bewusste Einlassen in einen Raufhandel schafft eine Situation, die nicht nur eine Gefahr für die daran Beteiligten mit sich bringt, sondern auch für daran unbeteiligte Dritte, ohne dass dafür die geringste Notwendigkeit besteht. Die Gefährlichkeit und die möglichen Folgen solchen Handelns müssen jedem Erwachsenen bewusst sein. Ein Raufhandel ist kein bloßer Jux, sondern umfasst bewusste Angriffe gegen die körperliche Unversehrtheit und birgt ein entsprechend hohes Gefahrenpotential sowohl für den oder die unmittelbaren Gegner als auch für unbeteiligte, sich zufällig am Austragungsort aufhaltende Personen. Ein vernünftiger Durchschnittsmensch gerät üblicherweise gerade nicht als aktiv Beteiligter in einen Raufhandel. Die Gefahren, die solchen nach allgemeinem Bewusstsein nicht zu tolerierenden Akten entspringen, gehören nicht zum täglichen Leben.

Der Raufhandel, an dem der Sohn des Klägers aktiv beteiligt war, und die ‑ wenn auch fahrlässig ‑ herbeigeführte schwere Verletzung des unbeteiligten Mädchens stellen keine Gefahr des täglichen Lebens dar.

2. Der Revision ist schon aus diesem Grund keine Folge zu geben, ohne dass es der vom Berufungsgericht als erheblich angesehenen Auslegung des Art 10.2 bedarf.

3. Die Kostenentscheidung gründet auf die §§ 41, 50 ZPO.

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