OGH 7Ob191/15m

OGH7Ob191/15m15.6.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** M*****, vertreten durch Vogl Rechtsanwalt GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei U***** Versicherungen AG, *****, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 45.414,53 EUR sA und Rente, über die Revisionen und Rekurse beider Parteien gegen das Teilurteil und den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 11. August 2015, GZ 4 R 86/15a‑55, mit dem das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 20. April 2015, GZ 56 Cg 120/13x‑48, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, zu Recht erkannt und beschlossen :

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00191.15M.0615.000

 

Spruch:

 

Der Revision und dem Rekurs der klagenden Partei sowie dem Rekurs der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben und das Ersturteil in seinem Punkt 2. wiederhergestellt. Insoweit bleibt die Kostenentscheidung der Endentscheidung vorbehalten.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat bei der Beklagten einen Unfallversicherungsvertrag abgeschlossen, dem die „Klipp & Klar Bedingungen für die Unfallversicherung 2009“ der Beklagten (kurz: U700) zu Grunde liegen. Diese haben auszugsweise folgenden Inhalt:

...

Versicherungsleistungen

Was kann versichert werden? – Art 7 bis 16

Dauernde Invalidität – Art 7

Soweit nichts anderes vereinbart ist, gilt:

1. Voraussetzung für die Leistung:

Die versicherte Person ist durch den Unfall auf Dauer in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. Die Invalidität ist innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten. Sie ist unter Vorlage eines Befundberichtes, aus dem Art und Umfang der Gesundheitsschädigung und die Möglichkeit einer auf Lebenszeit verbleibenden Invalidität hervorgeht, bei uns geltend gemacht worden. Kein Anspruch auf Invaliditätsleistung besteht, wenn die versicherte Person unfallbedingt innerhalb eines Jahres nach dem Unfall stirbt.

2. Art und Höhe der Leistung:

2.2. Bei völligem Verlust oder völliger Funktionsunfähigkeit der nachstehend genannten Körperteile und Sinnesorgane gelten ausschließlich, soweit nichts anderes vereinbart ist, die folgenden Invaliditätsgrade:

‑ der Sehkraft beider Augen 100 %

‑ Sehkraft eines Auges 35 %

‑ sofern die Sehkraft des anderen Auges vor Eintritt des Versicherungsfalles bereits verloren war 65 %

2.3. Bei Teilverlust oder Funktionsbeeinträchtigung gilt der entsprechende Teil des jeweiligen Prozentsatzes.

3. Für andere Körperteile und Sinnesorgane bemisst sich der Invaliditätsgrad danach, inwieweit die normale körperliche oder geistige Funktionsfähigkeit insgesamt beeinträchtigt ist. Dabei sind ausschließlich medizinische Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Waren betroffene Körperteile oder Sinnesorgane oder deren Funktionen bereits vor dem Unfall dauernd beeinträchtigt, wird der Invaliditätsgrad um die Vorinvalidität gemindert.

4. Sind mehrere Körperteile oder Sinnesorgane durch den Unfall beeinträchtigt, werden die nach den vorstehenden Bestimmungen ermittelten Invaliditätsgrade zusammen-gerechnet. Mehr als 100 % werden jedoch nicht berücksichtigt.

7. Im ersten Jahr nach dem Unfall wird eine Invaliditätsleistung von uns nur erbracht, wenn Art und Umfang der Unfallfolgen aus ärztlicher Sicht eindeutig feststehen.

8. Steht der Grad der dauernden Invalidität nicht eindeutig fest, sind sowohl die versicherte Person als auch wir berechtigt, den Invaliditätsgrad jährlich bis vier Jahre ab dem Unfalltag ärztlich neu bemessen zu lassen.

...

Der Kläger erlitt am 22. 1. 2012 einen Verkehrsunfall, bei dem er schwer verletzt wurde. Er hat beim Unfall durch die berstende Windschutzscheibe Verletzungen der Augen erlitten. Es liegt eine dauernde Gebrauchsminderung des rechten Auges von 10 % und des linken Auges von 5 % vor. Weiters erlitt der Kläger unfallkausal nach Kopfverletzungen ab März 2012 innerhalb eines Zeitraums von etwa einem Jahr epileptische Anfälle vom Grand‑mal‑Typus, wobei der dritte Anfall auf die vernachlässigte Einnahme der verordneten Medikamente zurückzuführen war.

Der Kläger begehrte von der Beklagten auf Basis einer Gesamtinvalidität von 37,5 % nach (Teil‑)Zahlung eine näher bezifferte Invaliditätsleistung und eine (teilweise kapitalisierte) Rente. Er brachte – soweit noch entscheidungswesentlich – vor, dass, zumal beide Augen dauernd beeinträchtigt seien, die Invaliditätsleistung von jeweils 50 % (der Sehkraft beider Augen [= 100 %]) zu berechnen sei. Damit ergebe sich für das rechte Auge (10 % von 50 %) eine Invalidität im Ausmaß von 5 % und für das linke Auge (5 % von 50 %) eine solche von 2,5 %. Der Invaliditätsgrad für die Funktionsbeeinträchtigung beider Augen betrage daher zusammen 7,5 %. Aus neurologischer Sicht bestehe eine Invalidität von 30 %, insgesamt daher eine solche von 37,5 %.

Die Beklagte wandte – soweit noch entscheidungswesentlich – ein, dass, komme es bei beiden Augen zu einer Funktionsbeeinträchtigung, jedoch zu keinem völligen Funktionsverlust nach der Berechnung laut dem Urteil des BGH vom 8. 7. 1987, IVa ZR 95/86, hinsichtlich eines Auges die Bemessungsgrundlage um die Differenz zwischen 65 % und 35 % multipliziert mit dem Invaliditätsgrad des anderen Auges zu erhöhen sei. 10 % von [35 % + (65 – 35 %)] x 1/20 ergebe 3,65 %, 5 % von 35 % ergebe 1,75 %, somit betrage die Gesamtinvalidität (hinsichtlich der Augen) 5,4 %. Die daraus resultierende Invaliditätsleistung habe sie dem Kläger bereits bezahlt. Ansonsten – insbesondere aus neurologischer Sicht – liege keine dauernde Invalidität vor, weshalb das weitere Begehren des Klägers nicht berechtigt sei.

Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte, dem Kläger 41.780,27 EUR sA (Punkt 1.) sowie ab 1. 4. 2015 die begehrte monatliche Rente von 182,51 EUR (Punkt 3.) zu bezahlen. Das Mehrbegehren von 3.634,26 EUR und das Zinsenmehrbegehren wies es ab (Punkt 2.). Es ging über den eingangs dargestellten Sachverhalt von folgenden weiteren – im Berufungsverfahren bekämpften – Feststellungen aus:

Innerhalb eines Jahres nach dem Unfall ist eine neurologische Schädigung des Klägers eingetreten, wobei eine Invalidität aus der vorliegenden Epilepsie in Verbindung mit Nebenwirkungen der Medikation sowie infolge der zu erwartenden Konzentrationsstörungen von 30 % besteht. Der Kläger ist zwar durch die eingenommenen Medikamente anfallsfrei, durch diese aber in seiner körperlichen Funktionsfähigkeit beeinträchtigt, und zwar aufgrund erhöhter Müdigkeit und Konzentrationsstörungen als klassischen Nebenwirkungen. Eine künftige Anfallsfreiheit unter Medikamenteneinnahme kann jedoch nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 bis 60 % vorausgesagt werden, zumal noch nicht klar ist, ob der Kläger die Medikamente auf Dauer verträgt. Es kann nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden, dass der Kläger jemals die Medikamente absetzen kann. Aus neurologischer Sicht wäre nur dann keine Invalidität gegeben, wenn der Kläger über weitere fünf Jahre unter medikamentöser Behandlung anfallsfrei wäre, sodann ein „schöner“ EEG‑Befund vorliegen würde, anschließend die Medikamente „ausgeschlichen“ werden könnten, weiterhin Anfallsfreiheit bestünde und nach weiteren zwei Jahren das EEG immer noch positiv wäre.

In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, dass selbst unter Zugrundelegung einer – garantierten – Anfallsfreiheit bei Medikamenteneinnahme allein durch deren Notwendigkeit eine Invalidität im Ausmaß von 10 % gegeben sei. Allerdings stehe nicht fest, dass der Kläger überhaupt jemals die Medikamente absetzen werde können. Ausgehend von einer dauernden Invalidität aus neurologischer Sicht von 30 % und jener aus augenfachärztlicher Sicht von 5,4 % entsprechend der von der Beklagten vorgenommenen Berechnung ergebe sich eine Invalidität von insgesamt 35,4 %.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Parteien (teilweise) Folge. Es verpflichtete die Beklagte mit Teilurteil zur Zahlung von 951,83 EUR sA, wies das Mehrbegehren von 865,13 EUR sA ab und hob im übrigen Umfang das Urteil des Erstgerichts zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es führte rechtlich – soweit noch relevant – aus, dass für die 5%‑ige Schädigung beider Augen der Invaliditätsgrad für den Verlust beider Augen (5 % [5 aus 100]) und für die weiteren 5 % Schädigung des rechten Auges die Gliedertaxe für den Verlust der Sehkraft eines Auges (1,75 % [5 % aus 35]) heranzuziehen seien, womit sich für die Beeinträchtigung der Augen ein Invaliditätsgrad von insgesamt 6,75 % ergebe.

Fraglich sei, ob der Umstand, dass binnen Jahresfrist nach dem Unfall jedenfalls betreffend die Augen eine dauernde Beeinträchtigung des Klägers eingetreten sei, bereits hinreiche, um im Neubemessungszeitraum (hier: vier Jahre nach dem Unfall) auch neurologische Störungen des Klägers zu berücksichtigen, oder ob auch hinsichtlich dieser neurologischen Beeinträchtigungen bereits innerhalb eines Jahres nach dem Unfall deren immerwährende Dauer zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit feststehen müsse. Nach Art 7.4. U700 würden dann, wenn mehrere Körperteile oder Sinnesorgane durch den Unfall beeinträchtigt seien, die ermittelten Invaliditätsgrade zusammengerechnet, also eine gesamte unfallkausale Invalidität ermittelt. Daraus könne der Schluss gezogen werden, dass es jedenfalls hinreiche, wenn unfallbedingt eine dauernde Beeinträchtigung des Versicherungsnehmers aus einem medizinischen Fachgebiet binnen Jahresfrist feststehe, um eine Berücksichtigung von Beeinträchtigungen aus einem anderen medizinischen Fachgebiet (hier: Neurologie) innerhalb des Neubemessungszeitraums zu ermöglichen. Allerdings seien die Feststellungen des Erstgerichts zu den neurologischen Beeinträchtigungen des Klägers für eine endgültige rechtliche Beurteilung nicht ausreichend deutlich:

Das Erstgericht sei einerseits davon ausgegangen, dass der Kläger im Zeitraum von „etwa einem Jahr“ nach März 2012 drei epileptische Anfälle erlitten und innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eine neurologische Schädigung im Ausmaß von 30 % bestanden habe, der künftige Verlauf der epileptischen Symptome und des Anfallsrisikos aber nicht habe festgestellt werden können. Andererseits habe das Erstgericht festgestellt, dass eine künftige Anfallsfreiheit unter Medikamenteneinnahme nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 bis 60 % vorhergesagt werden könne und auch nicht feststehe, dass der Kläger die Medikamente jemals werde absetzen können. Schließlich gehe das Erstgericht offensichtlich doch davon aus, dass beim Kläger – zumal ohne Medikamenteneinnahme – ein lebenslanges Anfallsrisiko bestehe. Zur entscheidungs-wesentlichen Frage, ob beim Kläger unfallskausal eine neurologische Schädigung auf Dauer eingetreten und gegebenenfalls wann dies der Fall gewesen sei (bzw festgestellt hätte werden können), lägen somit keine, zumindest keine hinreichend deutlichen Feststellungen vor, die nach einer Ergänzung bzw Erörterung des vorliegenden neurologischen Gutachtens zu treffen seien, was auch eine sofortige Erledigung der Beweisrüge der Beklagten erübrige. Dieser Ergänzungsbedarf gelte unabhängig davon, welcher Rechtsansicht man sich zum notwendigen Vorliegen von Beeinträchtigungen aus verschiedenen medizinischen Fachgebieten binnen Jahresfrist anschließe.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig seien. Zur Berechnung der Invaliditätsleistung bei beidseitiger Schädigung „paralleler“ Sinnesorgane liege zur anzuwendenden Bedingungslage ebenso wenig eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vor, wie zur Frage, ob es im Neubemessungszeitraum zur Berücksichtigung dauernder Beeinträchtigungen des Versicherungsnehmers aus verschiedenen medizinischen Fachbereichen hinreiche, dass auch nur eine dauernde Beeinträchtigung binnen Jahresfrist nach dem Unfall feststellbar sei.

Gegen das Teilurteil richten sich die Revisionen und gegen den Aufhebungsbeschluss die Rekurse beider Parteien jeweils wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung.

Der Kläger bekämpft das Teilurteil im Umfang der Abweisung von 865,83 EUR sA mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Klagsstattgebung. Hilfsweise stellt der Kläger auch einen Aufhebungsantrag. Anstelle des Aufhebungsbeschlusses strebt der Kläger die Bestätigung des klagsstattgebenden Teils des Ersturteils (Punkte 1. und 3.) an.

Die Beklagte bekämpft das Teilurteil im Umfang seines klagsstattgebenden Teils von 951,83 EUR sA mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Wiederherstellung des insoweit klagsabweisenden Punktes 2. des Ersturteils. Anstelle des Aufhebungsbeschlusses strebt die Beklagte die Abänderung des Ersturteils in seinen Punkten 1. und 3. in Richtung einer Klagsabweisung an. Hilfsweise begehrt die Beklagte, dem Erstgericht nicht die Rechtsansicht zu überbinden, dass eine „Neubemessung“ der dauernden Invalidität eines Körperteils möglich sei, bei dem innerhalb eines Jahres nach dem Unfall keine dauernde Invalidität eingetreten sei.

Rechtliche Beurteilung

Alle Rechtsmittel sind zulässig; im Ergebnis ist allerdings nur die Revision der Beklagten berechtigt.

I. Teilweise Funktionsunfähigkeit beider Augen – Invaliditätsgrad:

1. In tatsächlicher Hinsicht ist unstrittig, dass der Kläger unfallbedingt eine Funktionsminderung seines rechten Auges von 10 % und seines linken Auges von 5 % erlitten hat.

2.  Art 7.2.2. U700 sieht bei völligem Verlust der Sehkraft beider Augen einen Invaliditätsgrad von 100 % vor. Bei völligem Verlust der Sehkraft eines Auges beträgt der Invaliditätsgrad 35 bzw 65 %, sofern die Sehkraft des anderen Auges vor Eintritt des Versicherungsfalls bereits verloren war. Nach Art 7.2.3. U700 gilt bei „Teilverlust oder Funktionsbeeinträchtigung (...) der entsprechende Teil des jeweiligen Prozentsatzes“.

3. Der Kläger will die Funktionsminderung beider Augen gesondert und jeweils ausgehend von 50 % der Gesamtinvalidität berechnen (insgesamt 7,5 %), weil die Zugrundelegung nur des Maximalwerts für ein Auge (35 %) nicht (ausreichend) der Tatsache Rechnung trage, dass beide Augen betroffen seien. Die Beklagte und das Erstgericht folgen einer vom Bundesgerichtshof (BGH) im Urteil vom 8. 7. 1987, IVa ZR 95/86 (= NJW‑RR 1987, 1308), angestellten Berechnung und kamen zu dem Ergebnis, dass für das erste Auge ein Invaliditätsgrad von 3,65 % anzunehmen und dazu die Schädigung des anderen Auges mit 1,75 % zu addieren sei, was einen Invaliditätsgrad von insgesamt 5,4 % ergebe. Das Berufungsgericht berechnete demgegenüber die jeweils bei beiden Augen vorliegende 5%‑ige Funktionsminderung von der Gesamtinvalidität (100 %) und legte für die weitere 5 %-ige Funktionsminderung den Maximalwert von 35 % zugrunde, was insgesamt einen Invaliditätsgrad von 6,75 % ergibt. Zu diesen unterschiedlichen Ansätzen für die Berechnung des Invaliditätsgrads bei der Funktionsminderung von paarigen Sinnesorganen hat der Senat Folgendes erwogen:

4. Für den Fall einer dauernden Invalidität des Versicherten hat der Versicherer die sich aus der Versicherungssumme und dem Grad der Invalidität zu berechnende Versicherungsleistung zu erbringen. Die zwischen den Streitteilen vereinbarte Gliedertaxe bestimmt nach einem abstrakten und generellen Maßstab feste Invaliditätsgrade bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit der mit ihr benannten Glieder. Bei teilweisem Verlust oder teilweiser Funktions- oder Gebrauchsunfähigkeit wird der entsprechende Teil des Prozentsatzes angenommen. Die Funktions- oder Gebrauchsunfähigkeit eines Gliedes wird üblicherweise in Bruchteilen der vollen Gebrauchsunfähigkeit ausgedrückt. Der in der Gliedertaxe vorgesehene Prozentsatz wird entsprechend dieses Bruchteils vermindert (7 Ob 82/13d mwN = VersE 2481).

5. Für den Fall des teilweisen Verlusts der Sehkraft sieht Art 7.2.3. U700 nur vor, dass „der entsprechende Teil des jeweiligen Prozentsatzes“ maßgeblich sei. Diese Regelung bildet offenbar nur eine Abwandlung der beiden unmittelbar zuvor angesprochenen Fälle der Beeinträchtigung der Sehkraft eines Auges (ohne oder mit Vorschädigung des anderen Auges), aber keine Variante des ersten Falls des Totalverlusts der Sehkraft beider Augen, weil diese Konstellation keiner Abwandlung zugänglich ist (vgl BGH IVa ZR 95/86 = NJW‑RR 1987, 1308). Für die Berechnung des Invaliditätsgrades bei einem teilweisen Verlust der Sehkraft beider Augen enthalten die U700 somit keine konkrete Anordnung, insbesondere lässt auch Art 7.2.3. U700 offen, welche Berechnungsbasis in einem solchen Fall zu wählen ist.

7.  Der BGH hat sich bereits mit der Berechnung des Invaliditätsgrades bei paarigen Sinnesorganen befasst und in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, dass bei systemgerechter Auslegung auch dieser Fall nicht als Total-, sondern insgesamt nur als Teilverlust (hier: der Sehkraft) gewertet werden kann (BGH 8. 7. 1987, IVa ZR 95/86 = NJW‑RR 1987, 1308; vgl auch IV ZR 258/94 = r + s 1996, 157). Aus der Regelung über den völligen Verlust der Sehkraft eines Auges bei Vorschädigung des anderen Auges vor Eintritt des Versicherungsfalls ergibt sich, dass in solchen Konstellationen unfallbedingter „bloßer“ Teilschädigungen beider Augen für das zweite geschädigte Auge nie der Invaliditätsgrad von 65 % überschritten werden kann (vgl BGH 24. 4. 1974, IV ZR 54/73 = VersR 1974, 664; 8. 7. 1987, IVa ZR 95/86 = NJW‑RR 1987, 1308; Grimm , Unfallversicherung 5 Art 2 AUB 2010 Rn 28 f). Daraus folgt wiederum, dass die vom Kläger insgesamt und vom Berufungsgericht für die bei beiden Augen vorliegende 5%‑ige Funktionsminderung herangezogene Gesamtinvalidität (100 %) als Berechnungsbasis für den Invaliditätsgrad auf keinem systemgerechten Auslegungsergebnis beruht.

8. Bei einem bloßen Teilverlust der Sehkraft beider Augen ist eine Berechnungsbasis zu wählen, die am ehesten jener Zielsetzung entspricht, die den in Art 7.2.2. U700 vereinbarten Invaliditätsgraden zugrundeliegt. Diese tragen erkennbar dem Umstand Rechnung, dass die Betroffenheit des Versicherungsnehmers entscheidend davon abhängt, ob das zweite der paarigen Sinnesorgane eine Ausgleichsfunktion ungeschmälert wahrnehmen kann oder ob es ebenfalls geschädigt oder gar schon ausgefallen ist (BGH 8. 7. 1987, IVa ZR 95/86 = NJW‑RR 1987, 1308). Dieser Anforderung entspricht die vom BGH in vergleichbaren Fällen entwickelte Berechnung (BGH 24. 4. 1974, IV ZR 54/73 = VersR 1974, 664; 8. 7. 1987, IVa ZR 95/86 = NJW‑RR 1987, 1308), bei der für ein Auge der Normalsatz und für das zweite betroffene Auge der erhöhte Satz für den Fall einer bestehenden Vorschädigung (hier: 65 %) anteilig herangezogen wird. Dieser Berechnung schließt sich auch der Senat an und geht demnach von folgenden Grundsätzen aus:

9. Führt ein Unfall zu einer (bloßen) Teilschädigung beider Augen sind diese grundsätzlich getrennt zu bewerten, wobei die Mitschädigung des jeweils anderen Auges nur bei einem Auge zu berücksichtigen ist (vgl Knappmann in Prölls/Martin, VVG29 AUB 61 § 8 Rn 3). Für die Berechnung des Invaliditätsgrades ist dann als Basis nicht bei jeweils beiden Augen vom halben Satz für den gänzlichen Verlust beider Augen (Gesamtinvalidität 100 % = Berechnung laut Kläger insgesamt und laut Berufungsgericht für die beidseits 5%‑ige Funktionsminderung), aber auch nicht für beide Augen jeweils vom einfachen Satz für den Totalverlust des Sehvermögens für nur ein Auge (35 %) auszugehen. Vielmehr werden der anteilige Normalsatz (35 %) nur für das geringer geschädigte Auge und der anteilig (unter Berücksichtigung der Vorschädigung dieses Auges) erhöhte Satz für das andere Auge (65 %) zugrundegelegt und die daraus resultierenden Prozentwerte addiert. Daraus ergibt sich – entsprechend der Berechnung des Erstgerichts und der Beklagten – folgender Invaliditätsgrad:

10 % von [35 % + 0,05 x (65 % - 35 %)] = 3,65 %

5 % von 35 % = 1,75 %

5,40 %

Die vom Erstgericht vorgenommene Berechnung des Invaliditätsgrades für die teilweise Funktionsunfähigkeit beider Augen erweist sich damit als zutreffend. Die darauf aufbauende Abweisung des Teilbegehrens zu Punkt 2. des Ersturteils ist daher in Stattgebung der Revision der Beklagten wiederherzustellen.

II. Dauernde Invalidität aus neurologischer Sicht:

1. Nach Art 7.1. U700 ist Voraussetzung für die Versicherungsleistung, dass die versicherte Person durch den Unfall auf Dauer in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist und diese Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten ist.

2. „Dauernde Invalidität“ ist der gänzliche oder teilweise Verlust von Körperteilen oder Organen und/oder die Einschränkung der körperlichen organischen oder geistigen Funktionsfähigkeit (7 Ob 301/03w = VR 2005, 106). Eine dauernde Invalidität liegt vor, wenn sie objektiv vorhanden („eingetreten“) ist. Nicht entscheidend ist nach den Versicherungsbedingungen, dass sie der Versicherungsnehmer auch innerhalb der Frist eines Jahres erkannt haben muss. Eine dauernde Invalidität kann auch schon eingetreten sein, ohne dass sie der Betroffene als solche erkennt (RIS‑Justiz RS0109450).

3. Dauerinvalidität in der Unfallversicherung erfordert, dass die Invalidität auf Lebensdauer feststeht oder nach dem ärztlichen Wissensstand zur Zeit der Beurteilung und der Erfahrung des Arztes die Prognose besteht, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Invalidität lebenslang andauern wird (RIS‑Justiz RS0122988). Nur wenn sich innerhalb eines Jahres nach dem Unfall diese Prognose ergibt, ist die erste Voraussetzung für eine allfällige Leistungspflicht der Beklagten erfüllt. Ändert sich die Prognose erst zu einem späteren Zeitpunkt in Richtung Dauerinvalidität, dann besteht kein Anspruch (7 Ob 185/07t). Die Bestimmung, der Versicherer habe die vereinbarte Leistung zu erbringen, falls sich innerhalb eines Jahres vom Unfallstag an ergibt, dass eine dauernde Invalidität zurückbleibt, ist ein Risikoausschluss in dem Sinn, dass der Versicherer leistungsfrei ist, wenn sich die dauernde Invalidität erst nach Ablauf dieses einen Jahres ergibt (RIS‑Justiz RS0080040 [T4]).

4.  Das Berufungsgericht war der Ansicht, dass es hinreiche, wenn unfallbedingt eine dauernde Beeinträchtigung des Versicherungsnehmers aus einem medizinischen Fachgebiet binnen Jahresfrist feststehe, um eine Berücksichtigung von Beeinträchtigungen aus einem anderen medizinischen Fachgebiet (hier: Neurologie) innerhalb des Neubemessungszeitraums zu ermöglichen, auch wenn hinsichtlich dieses Fachgebiets nur im Neubemessungszeitraum, nicht aber binnen Jahresfrist eine dauernde Beeinträchtigung feststehe. Diese Rechtsansicht ist nicht zutreffend:

5.  Bereits aus der – einzelne Körperteile bzw Sinnesorgane betreffenden – Regelung der Gliedertaxen und jener über die Zusammenrechnung der zunächst – gesondert – zu ermittelnden Invaliditätsgrade sowie deren Begrenzung mit insgesamt 100 % (Art 7.2.2. und 7.4. U700) folgt zwingend, dass die Beurteilung des Vorliegens und des Grades einer dauernden Invalidität gerade bezogen auf einzelne Körperteile bzw Sinnesorgane oder eine (nach medizinischen Gesichtspunkten) spezifische Funktionsbeeinträchtigung zu erfolgen hat. Es reicht daher die unstrittig lebenslang dauernde teilweise Funktionsunfähigkeit beider Augen nicht aus, um eine (damit nicht im Zusammenhang stehende) gegebenenfalls erst nach Ablauf eines Jahres eingetretene neurologische Funktionsstörung im Rahmen einer Neubemessung berücksichtigen zu können.

6.  Zu klären ist hier vielmehr die Tatfrage (vgl RIS‑Justiz RS0118909), ob beim Kläger nach medizinischen Gesichtspunkten binnen Jahresfrist die Prognose einer neurologischen Funktionsbeeinträchtigung bestand, die mit hoher Wahrscheinlichkeit lebenslang andauern wird. Die Möglichkeiten und Wirkungen einer medikamentösen Behandlung sind in diesem Zusammenhang für die Beurteilung beachtlich, ob nämlich ein gegebenenfalls erwiesener Dauerzustand durch solche medizinische Maßnahmen nicht nur zeitweise, sondern auf Dauer behoben oder gebessert werden kann, was das Vorliegen einer dauernden Invalidität ausschließen oder deren Ausmaß reduzieren könnte (vgl 7 Ob 301/03w = RIS‑Justiz RS0118910). Dabei hat der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall, der Versicherer jedoch das Vorhandensein eines sekundären Risikoausschlusses zu beweisen (7 Ob 301/03w mwN; RIS‑Justiz RS0107031).

7.  Das Berufungsgericht hat zu der bei richtiger rechtlicher Beurteilung entscheidungswesentlichen Tatfrage, ob beim Kläger binnen Jahresfrist eine dauernde neurologische Funktionsbeeinträchtigung vorlag, das Beweisverfahren für ergänzungsbedürftig erachtet. Dieser Beurteilung kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht entgegentreten (RIS‑Justiz RS0043414 [insb T7]). Es hat daher bei der Aufhebung des Ersturteils in seinen Punkten 1. und 3. zu bleiben. Im fortgesetzten Verfahren werden zu der zu II.6. bezeichneten Tatfrage aussagekräftige Feststellungen zu treffen sein. Eine gegebenenfalls dauernde neurologische Funktions-beeinträchtigung wird nur dann anspruchsbegründend sein, wenn diese beim Kläger binnen Jahresfrist eingetreten ist.

III. Im Ergebnis folgt:

1.  Führt ein Unfall zu einer (bloßen) Teilschädigung beider Augen, ist der daraus resultierende Invaliditätsgrad für jedes Auge getrennt zu ermitteln. Für die Berechnung des Invaliditätsgrades ist dabei für das geringer geschädigte Auge als Basis der anteilige Normalsatz für den Sehverlust eines Auges und für das andere Auge der anteilige erhöhte Satz für den Sehverlust eines Auges im Fall der Vorschädigung des anderen heranzuziehen. Die daraus resultierenden Prozentwerte sind dann zu addieren.

2.  In der Unfallversicherung hat die Beurteilung des Vorliegens und des Grades einer dauernden Invalidität bezogen auf einzelne Körperteile bzw Sinnesorgane oder eine (nach medizinischen Gesichtspunkten) spezifische Funktionsbeeinträchtigung zu erfolgen. Es reicht daher die unstrittig lebenslang dauernde teilweise Funktionsunfähigkeit eines Organs (hier: beider Augen) nicht aus, um eine, damit nicht im Zusammenhang stehende, gegebenenfalls erst nach Ablauf eines Jahres eingetretene Funktionsstörung aus einem anderen medizinischen Fachgebiet im Rahmen einer Neubemessung berücksichtigen zu können.

3. Weitere vom Berufungsgericht behandelte – selbstständige – Rechtsfragen haben die Parteien in ihren Rechtsmitteln nicht mehr aufgegriffen; auf diese ist daher nicht einzugehen (RIS‑Justiz RS0041570 [T8 und T12]).

4.  Die Kostenentscheidung betreffend die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 Abs 1 und 4 ZPO. Der Kostenvorbehalt für das Rekursverfahren gründet auf § 52 ZPO.

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