European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:E112171
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 336,82 EUR (darin 56,14 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war bei der Beklagten vom 1. 10. 2013 bis 15. 7. 2014 als Außendienstmitarbeiter beschäftigt. Das Dienstverhältnis unterlag dem Kollektivvertrag für Handelsangestellte. Der Kläger war in der Beschäftigungsgruppe 3 im zwölften Berufsjahr eingestuft. Das kollektivvertragliche Mindestentgelt für diese Einstufung betrug monatlich 1.983 EUR brutto.
Dem Kläger wurde ein Firmenfahrzeug zur Ausübung der Reisetätigkeit zur Verfügung gestellt, für das im Dienstvertrag vereinbart wurde:
„9. Anrechnung auf das kollektivvertragliche Entgelt
Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbaren ausdrücklich, dass der Betrag, der der Kostenbeteiligung unter Punkt 7. entspricht (geldwerter Vorteil bzw Sachbezug) auf das kollektivvertragliche Entgelt anzurechnen ist.“
In (richtig:) Punkt 8. des Vertrags ist vorgesehen:
„8.1.1. 1,5%‑Methode (angekreuzt)
Aufgrund der möglichen Privatnutzung des durch den Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Kraftfahrzeugs ist bei den monatlichen Bezügen des Mitarbeiters aus steuerrechtlichen Gründen ein Hinzurechnungsbetrag als 'geldwerter Vorteil' zu berücksichtigen.
8.1.2. Fahrtenbuch-Methode (nicht angekreuzt) …“
Der Kläger nutzte den von der Beklagten zur Verfügung gestellten PKW auch privat und fuhr damit bis 30. 6. 2014 zumindest 5.675 Kilometer zu privaten Zwecken.
Ab April 2014 erhielt der Kläger statt der kollektivvertraglich vorgesehenen 1.983 EUR brutto nur 1.750 EUR brutto abgerechnet. Die Differenz entsprach nach Ansicht der Beklagten dem Sachbezug für den PKW.
Der Kläger begehrt den seit April 2014 entstandenen Differenzbetrag in Höhe von insgesamt 1.736,22 EUR brutto mit dem Vorbringen, dass die Aufrechnung des Sachbezugswerts auf den kollektivvertraglich festgelegten Mindestbarbezug unzulässig sei. Der Kollektivvertrag sehe eine Durchbrechung des Anrechnungsverbots auch nicht vor.
Die Beklagte bestritt und beantragte unter Berufung auf die getroffene Vereinbarung die Abweisung der Klage.
Das Erstgericht gab der Klage statt. Der anzuwendende Kollektivvertrag sehe ein Mindestentgelt in Geld vor. Dies bezwecke die Existenzsicherung des Arbeitnehmers, sodass eine Vereinbarung der Anrechnung von Naturalbezügen gegen das insofern zwingende Barzahlungsgebot verstoße.
Das Berufungsgericht teilte diese Rechtsansicht und gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Auch aufgrund des in § 78 Abs 1 GewO 1859 normierten Barzahlungsgebots könnten Sachleistungen nur als zusätzliche Leistungen zum (zumindest) angemessenen Geldlohn vereinbart werden, zu dessen Bestimmung aber die kollektivvertraglichen Mindestentgelte heranzuziehen seien. Die Revision sei mangels Rechtsprechung zur Frage, ob die Parteien eines Arbeitsvertrags die Anrechnung von Sachbezügen auf das kollektivvertragliche Mindestentgelt wirksam vereinbaren könnten, zulässig.
In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.
1. Nach der Rechtsprechung ist das einseitige Abgehen von einer kollektivvertraglichen Vereinbarung über eine Geldleistung durch Leistung von Naturalien dem Dienstgeber auch dann verwehrt, wenn es sich bei der Geldleistung um Aufwandsersatz handelt und wenn die Naturalleistung einem Günstigkeitsvergleich standhält. Ein solches einseitiges Abgehen ist mit der Rechtsnatur des Kollektivvertrags und dessen einseitig zu Gunsten des Arbeitnehmers zwingenden Wirkung nicht vereinbar. Wohl aber können kollektivvertragliche Ansprüche der Arbeitnehmer durch Einzelvereinbarung verbessert werden, weil § 3 Abs 1 ArbVG „Sondervereinbarungen“ ‑ soweit sie der Kollektivvertrag nicht ausschließt ‑ zulässt, sofern sie für den Arbeitnehmer günstiger sind (RIS‑Justiz RS0117393; jüngst 9 ObA 54/15d unter Verweis auf 9 ObA 112/03s).
2. Zur Frage, ob die Anrechnung eines Sachbezugs auf das kollektivvertragliche Mindestentgelt Gegenstand einer wirksamen Vereinbarung sein kann, werden in der Literatur unterschiedliche Ansichten vertreten:
2.1. Spielbüchler (in Floretta/Spielbüchler/ Strasser, Arbeitsrecht I4 [1998] 267, Korn (Kollektivvertraglicher Mindestlohn und Sachbezug in der Sozialversicherung, ASoK 2002, 184 ff), Montmorency (Anrechnung von Sachbezügen auf das kollektivvertragliche Mindestentgelt: Erlaubt oder verboten?, ZAS 2003/11), Körber (Die Privatnutzung von Dienstfahrzeugen, ZAS 2005/13), Rauch (Der Dienst‑PKW, ASoK 2006, 93 ff), Marhold/Friedrich (Österreichisches Arbeitsrecht2 [2012] 130) und Jabornegg/Resch (Arbeitsrecht5 [2014] Rz 333), gehen davon aus, dass Kollektivverträge die Vereinbarung von Naturalentgelt nicht verbieten würden. Die Anrechnung müsse daher zulässig sein, wenn die Gewährung des Sachbezugs für den Arbeitnehmer günstiger als eine Barzahlung sei.
2.2. Demgegenüber erachtet Müller (Judikaturdivergenzen zwischen VwGH und OGH? ‑ Eine Entwarnung, ZAS 2003/22; ders, Nochmals: Kollektivvertraglicher Mindestlohn und Sachbezug in der Sozialversicherung, ASoK 2002, 220), die kollektivvertraglichen Entlohnungsbestimmungen im Ergebnis als zweiseitig zwingende Anordnung eines Barzahlungsgebots, sodass es auf einen Günstigkeitsvergleich nicht mehr ankomme. Diese Ansicht teilen auch Löschnigg (Entscheidungsanmerkung zu VwGH 95/08/0037, DRdA 2003, 340 f), Spitzl/Huber (in Kuras [Hrsg], Handbuch Arbeitsrecht [1997] Pkt. 3.2.3.), Preiss (in ZellKomm2 § 78 GewO Rz 7), Kozak (in Reissner, AngG2 § 42 Rz 34) und Karner (in Mazal/Risak, Arbeitsrecht, System und Praxiskommentar [2014] Kap. VI. Rz 53a; vgl auch Schindler, Entscheidungsbesprechung zu OGH 8 ObA 61/13y, DRdA 2014, 424).
3. Eine nähere Auseinandersetzung mit der Frage findet sich auch in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs. Er judiziert in ständiger Rechtsprechung, dass im Geltungsbereich eines Kollektivvertrags die Zulässigkeit vertraglicher Disposition zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Ansehung der dort geregelten Mindestentgelte nicht gegeben sei. Diese Mindestentgelte seien in der Regel in Geldbeträgen festgelegt und insoweit daher auch zwingend in Geld zu entrichten. Das im Bereich kollektivvertraglicher Mindestentgelte geltende Geldzahlungsgebot schließe ‑ ungeachtet aller Günstigkeitsüberlegungen ‑ in diesem Bereich abweichende Sondervereinbarungen (§ 3 Abs 1 zweiter Satz ArbVG) aus. Ob der Marktwert der vom Arbeitgeber tatsächlich gewährten Naturalbezüge im Ergebnis höher sei als der „vereinbarte Wert“, dh höher als jener Teil des Barentgelts, an dessen Stelle die Sachbezüge geleistet werden sollten, sei daher unentscheidend (VwGH vom 22. 3. 1994, 92/08/0150; 27. 7. 2001, 95/08/0037; 17. 11. 2004, 2002/08/0089).
4. Der Oberste Gerichtshof hat in anderem Zusammenhang ausgesprochen, dass der Zweck der Festsetzung kollektivvertraglicher Mindestlöhne darin besteht, dem Arbeitnehmer dessen Existenz zu sichern. Dieses Mindestentgelt muss ihm daher zur Gänze zu seiner freien Verfügung bleiben. Müsste der Arbeitnehmer von diesem Mindestentgelt Spesen (ganz oder zum Teil) bezahlen, die mit seiner Berufsausübung verbunden sind (etwa Reisekosten), dann würde das Mindestentgelt eine unzulässige Kürzung erfahren; abweichende Einzelverträge wären infolge Verstoßes gegen den zwingenden Charakter der Kollektivvertragsbestimmungen über Mindestlöhne rechtsunwirksam (RIS‑Justiz RS0021340).
5. In den Entscheidungen 9 ObA 301/89 und 9 ObA 161/01v war zu prüfen, ob für die Bemessung einer Überstundenabgeltung oder -pauschale Naturalleistungen Berücksichtigung finden könnten (9 ObA 301/89: Überstundenabgeltung durch Überlassung eines geleasten PC zur privaten Nutzung; 9 ObA 161/01v: Überstundenpauschale unter Einschluss des Sachbezugswerts eines privat genutzten Dienstwagens). Dies wurde bejaht, steht aber der Prüfung der vorliegenden Frage nicht entgegen, weil die Abgeltung von Überstunden nicht derselben Zwecksetzung wie das kollektivvertragliche Mindestentgelt, nämlich der Absicherung der Existenz, dient (s nur Löschnigg, DRdA 2003, 338, 344).
6. In der Entscheidung 8 ObA 61/13y unterzog der Oberste Gerichtshof die Frage der vereinbarten Anrechnung von Kost und Logis im Geltungsbereich des Kollektivvertrags für Arbeiter in der Hotellerie und Gastronomie daher einer eigenständigen Prüfung und schloss sich der Ansicht von Binder (Zur Wiederentdeckung des „Truckverbots“ oder Gedanken über das Verhältnis von Barzahlungsgebot zum Naturalentgelt in FS Bauer/Maier/Petrag, 111, 117, 120 f) an: Durch das Barzahlungsgebot (als Entgeltsicherungseffekt) werde gewährleistet, dass dem Arbeitgeber prinzipiell keine Abzugsrechte zustehen, die nicht durch Gesetz oder kollektive Gestaltungsmittel im Rahmen ihrer Kompetenz eröffnet werden. Die Art und Weise der Entgeltzahlung könne nur aus der spezifischen lohngestaltenden Vorschrift, der Branche und der übertragenen Arbeitsaufgabe abgeleitet werden. Der wahre Grund für die Ablehnung jeglicher Naturalsubstitution sei im Zweck der kollektivvertraglichen Mindestentgelte, der auf die Deckung des Arbeitnehmergrundbedarfs gerichtet sei, zu finden. Das kollektivvertragliche Mindestentgelt diene funktionell in der Regel der Abdeckung der Elementarbedürfnisse. Die Preisgünstigkeit angebotener Naturalbezüge könne nicht dazu führen, dass sich der Arbeitnehmer seiner Dispositionsmöglichkeiten bezüglich der Verwendung des Mindestentgelts begebe. Die Aufrechterhaltung der Konsumsouveränität des Arbeitnehmers sei somit als eigenständiger sozialpolitischer Wertmaßstab im Kriterienkatalog des Günstigkeitsprinzips zu beachten und gegenüber einem Kostenvorteil bei Sachbezügen prinzipiell höherrangig.
In jenem Fall wurde abgeleitet, dass eine Durchbrechung des Anrechnungsverbots für (individuell) vereinbarte Naturalleistungen auf den existenzsichernden Mindestlohn dann zulässig sein muss, wenn sie der Kollektivvertrag selbst vorsieht und wenn zudem die sozialpolitische Zweckbestimmung der Existenzsicherung eingehalten ist.
7. Anders als in dem der Entscheidung 8 ObA 61/13y zugrunde liegenden Sachverhalt enthält der Kollektivvertrag für Handelsangestellte keine Hinweise zum Verhältnis von Mindestentgelt und Naturalleistungen, insbesondere auch keine ausdrückliche Anordnung, dass Naturalentgelte auf die vorgesehenen Mindestentgelte anzurechnen sind. Die Gehaltsordnung des Kollektivvertrags für Handelsangestellte sieht in ihrem Allgemeinen Teil Pkt. 1.a. erster Satz vielmehr vor, dass Angestellten ein monatliches Mindestentgelt nach den in den Gehaltstafeln nach Beschäftigungsgruppen, Berufsjahren und Gehaltsgebieten gestaffelten Sätzen zu bezahlen ist. Dies wirft nun die Frage auf, ob die in den Gehaltstafeln enthaltene Festlegung des monatlichen Mindestentgelts in Euro‑Beträgen die Anordnung eines Geldzahlungsgebots bedeutet, weil der Entgeltbegriff grundsätzlich weit verstanden wird und jede Leistung umfasst, die der Arbeitnehmer für das Zur‑Verfügung‑Stellen seiner Arbeitskraft erhält (RIS‑Justiz RS0031505). Wie bereits Löschnigg (DRdA 2003, 338, 342 f) zutreffend aufgezeigt hat, kommt es daher auf die Auslegung des Kollektivvertrags an.
8. Bei der Auslegung von Kollektivverträgen ist in erster Linie der Wortsinn zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RIS‑Justiz RS0010089). Im Zweifel ist bei der Auslegung von kollektivvertraglichen Bestimmungen davon auszugehen, dass die Kollektivvertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen wollten, verbunden mit einem Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen (RIS‑Justiz RS0008828; RS0008897).
9. Die Festlegung des Mindestentgelts in Euro im anzuwendenden Kollektivvertrag spricht zunächst dafür, dass es in (Bar‑ oder Giral‑)Geld geschuldet ist. Anhaltspunkte für eine andere Absicht der Kollektivvertragsparteien bestehen nicht. Nach dem bereits in der Entscheidung 8 ObA 61/13y angesprochenen Zweck des kollektivvertraglichen Mindestentgelts, die Deckung des Arbeitnehmergrundbedarfs unter gleichzeitiger Aufrecht-erhaltung der Dispositionshoheit des Arbeitnehmers zu sichern, ist auch unter objektiv-teleologischen Aspekten nicht anzunehmen, dass mit den Euro‑Beträgen nur der bloße Wert des Mindestentgelts bei freier Vereinbarkeit des Leistungsgegenstands festgelegt werden sollte. Schließlich wies schon Löschnigg überzeugend darauf hin, dass eine praktisch durchführbare Regelung im Zusammenhang mit Naturalentgelten jedenfalls voraussetzen würde, dass auch die Bewertungskriterien bekannt sind. Es würde dem Wesen von Mindestentgelten diametral entgegenstehen, wenn für die Abweichungen von den fixen kollektivvertraglichen Sätzen keine Maßstäblichkeit festgelegt werde, weil die Bestimmtheit der Norm zweifelhaft wäre und die Gefahr der Übervorteilung des Arbeitnehmers bestünde. Dass im Zweifel auf steuer- und/oder sozialversicherungsrechtliche Kriterien zurückzugreifen sei, sei dem Kollektivvertrag schon aufgrund der unterschiedlichen Zielsetzungen ‑ Beitragsorientiertheit des Steuer‑ und Sozialversicherungsrechts vs. Individualarbeitnehmerschutz von Mindestentgelten ‑ nicht zu unterstellen. Der erkennende Senat teilt diese Bedenken. Nicht zuletzt wäre unklar, in welchem Ausmaß Natural‑ statt Geldlohn ausbezahlt werden dürfte. Diese Erwägungen führen aber zum Ergebnis, dass die kollektivvertragliche Festlegung von Mindestentgelten in Euro dann, wenn der Kollektivvertrag wie im vorliegenden Fall keine Durchbrechung vorsieht, als Geldzahlungsgebot zu verstehen ist.
10. Das kollektivvertragliche Geldzahlungsgebot steht natürlich der Vereinbarung eines höheren als des kollektivvertraglichen Mindestlohns im Arbeitsvertrag nicht im Wege (§ 3 Abs 1 ArbVG). Das Geldzahlungsgebot kann aber vor dem Hintergrund der ihm innewohnenden Dispositionsfreiheit des Arbeitnehmers über den Mindestlohn nicht durch in den Augen des Arbeitgebers (oder Arbeitnehmers) noch so günstige Sachbezüge umgangen werden. Der kollektivvetragliche Mindestlohn ist, dem Günstigkeitsvergleich mit Sachbezügen entzogen (Müller, ASok 2002, 320, der überzeugend darauf hinweist, dass man sich von einem Dienstwagen weder ernähren noch darin wohnen kann).
Auf die Reichweite des in § 78 GewO 1859 normierten Barzahlungsgebots (dazu etwa Spielbüchler, Entgeltsicherung, 28, 33 ff; Preiss in ZellKomm2 § 78 GewO Rz 1 ff) kommt es im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter an.
11. Da sich die Revision der Beklagten damit zusammenfassend als nicht berechtigt erweist, war ihr keine Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)