OGH 2Ob145/14h

OGH2Ob145/14h18.2.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Veith, Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Sole und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***** W*****, geboren am ***** 2006, vertreten durch den gesetzlichen Vertreter W***** S***** H*****, beide *****, vertreten durch Dr. Christian Kleinszig & Dr. Christian Puswald, Rechtsanwälte in St. Veit an der Glan, gegen die beklagten Parteien 1. W***** M*****, 2. H***** M*****, 3. DI H***** M*****, 4. E***** Versicherung AG, *****, alle vertreten durch Heinke Skribe + Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 138.757,62 EUR sA sowie Rente und Feststellung, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 15. Mai 2014, GZ 2 R 28/14a‑79, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 17. Dezember 2013, GZ 10 Cg 38/14w‑70, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0020OB00145.14H.0218.000

 

Spruch:

Die Revision der beklagten Parteien wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 2.741,47 EUR (darin enthalten 456,91 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Am 2. 11. 2008 stürzte ein zweimotoriges Flugzeug in der Nähe von Graz ab. Der Pilot und die beiden Insassen, darunter die Mutter des Klägers, kamen dabei ums Leben. Das Bezirksgericht Graz‑Ost übertrug mit Beschluss vom 11. 12. 2008 die Obsorge für den Kläger an seinen Vater.

Die Erst‑ bis Drittbeklagten sind die Erben des Piloten, die viertbeklagte Partei der Haftpflichtversicherer des Flugzeugs.

Im Revisionsverfahren ist im Wesentlichen nur noch die Frage der Ansprüche des Klägers auf Schmerzengeld, entgangenen Unterhalt sowie Betreuungsleistung strittig.

I. Zu Unterhalt und Betreuungsleistung:

I.1. In der Klage berechnete der Kläger den durch den Tod der Mutter entgangenen Unterhalt so, dass er vom Gesamteinkommen seiner Eltern 16 % als ihm zustehenden Unterhalt ansetzte, dies sind 775,60 EUR. 86 % des Gesamteinkommens der Eltern habe die Mutter erzielt. 86 % von 775,60 EUR seien 667,07 EUR.

Bei der entgangenen Betreuungsleistung ging der Kläger von 120 Stunden pro Monat, à 10 EUR Stundensatz (somit von 1.200 EUR) aus und gelangte daher zusammen mit dem entgangenen Unterhaltsbetrag auf monatlich 1.867,07 EUR. Diesem Betrag schlug der Kläger die Einkommenssteuer zu und zog die Waisenpension ab und gelangte so zu einem monatlichen Begehren von 2.338,65 EUR.

I.2. Mit Schriftsatz vom 4. 6. 2013 , ON 54, vorgetragen in der mündlichen Streitverhandlung vom 28. 11. 2013, dehnte er ‑ pflegschaftsgerichtlich nachträglich genehmigt (ON 76) ‑ sein Unterhaltsbegehren unter Hinweis darauf, dass er bislang nur den gesetzlichen Unterhalt begehrt habe, ihm aber gemäß § 1327 ABGB der tatsächlich entgangene Unterhalt zustehe, dahingehend aus, dass er ‑ ausgehend von einem Dreipersonenhaushalt ‑ ein Drittel der monatlichen Haushaltsfixkosten in Höhe von 376,63 EUR für sich ansetzte und 200 EUR monatlich für Bekleidung, 300 EUR für Lebenshaltung und 34 EUR für Krankenversicherung dazuschlug, zusammen 910,63 EUR. Er setzte davon ausgehend für sämtliche Zeiträume seit dem Tod der Mutter einen monatlichen Unterhaltsentgang von 920 EUR an.

In Bezug auf die Betreuungsleistung begehrte er monatlich 20 Stunden mehr, somit 140 Stunden und diese nunmehr á 12,62 EUR an Bruttolohnkosten, somit 1.766,80 EUR pro Monat. Davon brachte der Kläger die im jeweiligen Zeitraum erhaltene Waisenpension in Abzug und schlug die Einkommenssteuer mit jeweils 1.198 EUR monatlich hinzu und gelangte so, je nach Höhe der Waisenpension zu monatlichen Begehren für die Vergangenheit und unter Berücksichtigung einer Waisenpension in Höhe von (zuletzt, zeitlich gestaffelt) 522,56 EUR zu einer monatlichen zukünftigen Rente von 3.362,71 EUR ab 1. 7. 2013. Für die Zeit davor kapitalisierte der Kläger die Rentenbeträge mit insgesamt 148.757,62 EUR. Davon zog er eine von der Viertbeklagten geleistete Akontozahlung von 40.000 EUR ab und schlug das Schmerzengeld mit 30.000 EUR hinzu und kam so zum begehrten Kapitalsbetrag von insgesamt 138.757,62 EUR.

II. Schmerzengeld:

Zum Schmerzengeld brachte der Kläger in der Klage vor, dass ihm Trauerschmerzengeld von 20.000 EUR zustehe, was er allerdings im Urteilsbegehren nicht berücksichtigte. Dies wurde in der Tagssatzung vom 22. 5. 2012 richtig gestellt (ON 19).

Im Schriftsatz vom 4. 6. 2013 dehnte der Kläger dieses Begehren im Hinblick auf das Sachverständigengutachten auf 30.000 EUR aus (ON 54).

Das Erstgericht gab dem ausgedehnten Klagebegehren zur Gänze statt.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahingehend ab, dass es einen Betrag von 8.435,08 EUR (ausgedehnte „Hinterbliebenenrente“ für November 2008 bis Ende Juni 2010: Seite 26 des Berufungsurteils = AS 362 in Band II) als verjährt abwies (rechtskräftig).

Zum Schmerzengeldbegehren hielt das Berufungsgericht fest, dass der Kläger durch den Verlust der Mutter eine posttraumatische Belastungsstörung mit Krankheitswert erlitten habe. Der Kläger habe im Rubrum die Schmerzengeldforderung von 20.000 EUR erwähnt und sie in der Klagserzählung auch begründet. Sie sei auch von der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung umfasst gewesen und lediglich im Urteilsbegehren vergessen worden. Auch habe der Kläger das Leistungsbegehren später entsprechend richtig gestellt. Das Begehren auf Zahlung von 20.000 EUR Schmerzengeld sei daher nicht verjährt.

Mit Schriftsatz vom 4. 6. 2013 habe der Kläger das Begehren um 10.000 EUR auf 30.000 EUR ausgedehnt. Diese Ausdehnung aufgrund des für den Kläger unverhofft günstigen Sachverständigengutachtens sei aber von der Unterbrechungswirkung des Feststellungsbegehrens umfasst (2 Ob 167/11i), sodass auch dieser Teil der Schmerzengeldforderung nicht verjährt sei.

Hinsichtlich der genauen Zusammensetzung der durch das Berufungsgericht zuerkannten Zuspruchsbeträge ist auf dessen detaillierte Aufschlüsselung in den Seiten 24 ff des Berufungsurteils (AS 360 ff) zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Letztlich ließ das Berufungsgericht die ordentliche Revision zur Frage zu, „inwieweit das Feststellungsbegehren in der Klage die Verjährungsfrist für die Geltendmachung eines Unterhaltsentgangs nach § 1327 ABGB unterbricht, wenn die Leistungsklage später als 3 Jahre nach dem Tod des Unterhaltspflichtigen unter Zugrundelegung von Tatsachenbehauptungen ausgedehnt wird, die dem Kläger schon im Zeitpunkt des Todes des Unterhaltspflichtigen bekannt waren.“

Gegen diese Entscheidung richtet sich die (als außerordentliche und ordentliche bezeichnete) Revision der beklagten Parteien mit dem Antrag, das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen; in eventu, ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ab; gemäß § 510 Abs 3 ZPO kann sich der Oberste Gerichtshof hiebei auf die Ausführung der wesentlichen Zurückweisungsgründe beschränken:

1. Zu der vom Berufungsgericht aufgeworfenen Rechtsfrage meinen die Revisionswerber, dass bereits im Zeitpunkt des Todes der Mutter sämtliche Parameter für die Berechnung des entgangenen Unterhalts und der Pflegeleistungen ermittelbar gewesen seien. Würde man den nach § 1327 ABGB Anspruchsberechtigten ein unbegrenztes Ergänzen der von Anfang an bekannten Berechnungsparameter der bisherigen, aber auch der künftigen Unterhaltsansprüche zugestehen, wäre für den Schädiger nie Rechtssicherheit zu erreichen.

1.1. Nach der Judikatur sind Hinterbliebene gemäß § 1327 ABGB so zu stellen, wie sie stünden, wenn der zum Unterhalt Verpflichtete nicht getötet worden wäre. Künftige Entwicklungen sind im Rahmen einer Prognose so weit möglich zu berücksichtigen (2 Ob 150/08k = ZVR 2010/58 [ Ch. Huber ] mwN).

Zwar tritt nach der Entscheidung 7 Ob 226/04t die Unterbrechungswirkung des Feststellungsbegehrens nur dann ein, wenn das später geltend gemachte Leistungsbegehren mit dem dem Feststellungsbegehren zugrunde liegenden Anspruch ident ist. Dem lag aber der Fall eines betraglich begrenzten Feststellungsbegehrens aus einem Deckungsanspruch aus einer Feuerversicherung zugrunde, dem später die ‑ betraglich höhere ‑ Geltendmachung eines Leistungsanspruchs auf Schadenersatz wegen Falschberatung durch den Versicherungsagenten beim Vertragsabschluss folgte.

Dagegen ist hier das Feststellungsbegehren auf Ersatz aller künftigen Schäden ‑ ohne betragliche Begrenzung ‑ aus demselben Anlassfall wie das Leistungsbegehren gerichtet und wurden lediglich die Methode der Berechnung des Schadens, die grundsätzlich eine Rechtsfrage darstellt (vgl allgemein dazu RIS‑Justiz RS0022818; RS0030138), und die damit zusammenhängenden Tatsachenbehauptungen geändert. Dazu hat der erkennende Senat aber ausführlich bereits zu 2 Ob 33/09f (ZVR 2010/200 [ Ch. Huber ]) dargelegt, dass der Anspruch auf Ersatz der Kosten einer Pflegeperson der dreijährigen Verjährungsfrist des § 1480 ABGB unterliegt, aber innerhalb der Verjährungsfrist die betragliche Ausdehnung einzelner, während des Feststellungsprozesses bereits geltend gemachter Rentenbeträge, auch beruhend auf unterschiedlichen Berechnungsvarianten, noch möglich ist.

2. Weiters wird als erhebliche Rechtsfrage geltend gemacht, ob das Gericht mit der Entscheidung bis zum Vorliegen des „öffentlich‑rechtlichen“ (amtlichen) Flugunfalluntersuchungsberichts zu den dem Piloten angelasteten Flugfehlern zuwarten hätte müssen.

Dieser behauptete Mangel des Verfahrens erster Instanz wurde aber bereits vom Berufungsgericht verneint (Seite 33 des Berufungsurteils = AS 349) und kann daher nicht mehr mit Erfolg erneut geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0042963).

3. Auch die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Schmerzengeldbetrag von 20.000 EUR im ursprünglichen Klagebegehren bei der Addition der Gesamtklagesumme nur „irrtümlich vergessen“ wurde (vgl Protokoll ON 19 Seite 2 = AS 234) und daher eine Korrektur ohne Verstoß gegen § 405 ZPO zulässig war, entspricht der Judikatur, wonach das Klagebegehren so zu verstehen ist, wie es im Zusammenhang mit der Klagserzählung vom Kläger gemeint ist, und das Gericht insofern ein versehentlich unrichtig formuliertes Klagebegehren richtig fassen kann (RIS‑Justiz RS0037440 [T12]).

Die Frage, ob die Auslegung des Klagebegehrens durch das Berufungsgericht nach der Aktenlage zwingend ist, hat im Übrigen nicht die Bedeutung einer über den Einzelfall hinausgehenden erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0037440 [T6]).

4. Soweit sich die Revision darauf bezieht, dass eine Prognose über die zukünftige Entwicklung des Kindes und die zukünftig notwendigen Pflegeleistungen möglich sei, und daher im Zuspruch ‑ durch Staffelung je nach Altersstufe ‑ hätte berücksichtigt werden müssen, wird ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage zur Darstellung gebracht.

Allein, dass das Erstgericht Feststellungen über die Entwicklung von Kindern im Allgemeinen traf, macht die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass dies konkret in Bezug auf den im Unfallzeitpunkt des Todes seiner Mutter nicht einmal zwei Jahre alten und nunmehr im 9. Lebensjahr stehenden Kläger keine Herabsetzung der Rente zu einem bestimmten zukünftigen Zeitpunkt erlaubt, nicht unvertretbar. Es ist daher auch nicht der ‑ im Übrigen auch nur ganz allgemein behauptete ‑ Verstoß gegen die in RIS‑Justiz RS0031767 aufgenommenen Entscheidungen erkennbar.

Gleiches gilt für die Behauptung der Revision, die fiktiven Pflegeaufwendungen hätten mit dem 18. Lebensjahr des Klägers begrenzt werden müssen (siehe hiezu vielmehr die besonderen, typisch einzelfallbezogenen und vom Berufungsgericht in Seite 20 = AS 356 seiner Entscheidung in den Vordergrund gerückten Unsicherheiten einer verlässlichen Zukunftsprognose).

5. Auch im Zusammenhang mit der nach Ansicht der Revisionswerber bereits jetzt zu berücksichtigenden, in einigen Jahren endenden Tilgung der Kredite, die die Mutter bediente und deren teilweiser Ersatz im Rahmen des Unterhaltsentgangsersatzes begehrt wird, gilt das oben Gesagte. Auch hier wird nicht dargelegt, von welcher Rechtsprechung das Berufungsgericht abgegangen wäre. Im Übrigen ist eine Prognose über künftige Entwicklungen immer eine Frage des Einzelfalls (vgl nochmals RIS‑Justiz RS0031767 zur Witwenrente).

6. Soweit die Revisionswerber ausführen, dass dem Geschädigten nicht Bruttobeträge der Pflegekraft zuzusprechen seien, die den Unterhaltsentgang unter Berücksichtigung der daraus zu leistenden Einkommenssteuer voll abgelten, ist entgegenzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung der Anspruch auf Ersatz der elterlichen Pflegeleistungen in der Regel unter Bedachtnahme auf die Bruttokosten einer Ersatzkraft nach § 273 ZPO zu bemessen ist (RIS‑Justiz RS0031691; 2 Ob 176/05d = ZVR 2007/124 [ Ch. Huber ], 2 Ob 228/08f, 8 Ob 15/11f, aber auch VwGH 2009/15/0148; idS auch Reischauer in Rummel , ABGB 3 § 1327 Rz 27).

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1, § 46, § 50 Abs 1 ZPO. Da der Kläger in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, diente der Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung (RIS‑Justiz RS0035979; RS0035962).

Der in zweiter Instanz ausgesprochene Kostenvorbehalt nach § 52 Abs 1 und 2 ZPO erfasst nur die vom Prozesserfolg in der Hauptsache abhängigen Kosten und steht der Kostenentscheidung im Zwischenstreit über die Zulässigkeit der Revision nicht entgegen (2 Ob 215/14b, 1 Ob 44/14y, 2 Ob 100/14s).

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