OGH 8Ob15/11f

OGH8Ob15/11f22.2.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj E***** F*****, geboren am *****, vertreten durch Dr. Paul Fuchs, Rechtsanwalt in Thalheim bei Wels, gegen die beklagte Partei K*****, vertreten durch Prof. Haslinger & Partner, Rechtsanwälte in Linz, wegen 48.946,20 EUR sA (Revisionsinteresse 29.859,30 EUR sA), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 7. Jänner 2011, GZ 4 R 109/10t‑84, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Kosten der Angehörigenpflege ist unbestritten, dass der tatsächliche zeitliche Pflege- und Betreuungsbedarf des Geschädigten konkret zu ermitteln und sodann der objektive Wert der von dritter Seite erbrachten Sach‑ oder Arbeitsleistung als Grundlage der Vergütung heranzuziehen ist. Der objektive Wert der Pflege‑ und Betreuungsleistungen wird anhand der Kosten für den Einsatz einer professionellen Pflegekraft ermittelt, wobei von den Bruttolohnkosten auszugehen ist (für viele 5 Ob 50/99k; 2 Ob 176/05d; 10 Ob 88/07z).

2.1 Die Beklagte tritt der Ansicht, dass der Ermittlung des Mehraufwands für die Pflege‑ und Betreuungsleistungen der Bruttolohn einer professionellen Pflegeperson zu Grunde zu legen ist, nicht mehr entgegen. Sie bestreitet aber die Ersatzfähigkeit der vom Arbeitgeber zu entrichtenden Beiträge zur Sozialversicherung (sogenannte Dienstgeberbeiträge).

Die Rechtsprechung hat im gegebenen Zusammenhang einen Vorteilsausgleich zu Gunsten des Schädigers stets verneint. Werden die erforderlichen Pflege- und Betreuungsleistungen von Angehörigen des Geschädigten erbracht, so geschieht dies nicht, um den Schädiger unbillig zu entlasten (RIS‑Justiz RS0022789; Reischauer in Rummel³ § 1312 ABGB Rz 4 und 9). Vielmehr soll der Geschädigte abstrakt jederzeit in die Lage versetzt werden, sich die durch die vermehrten Bedürfnisse notwendigen Leistungen entgeltlich auf dem freien Markt zu beschaffen. Aus diesem Grund geht die Rechtsprechung bei der Ermittlung des Ersatzbetrags vom objektiven Wert der Pflege‑ und Betreuungsleistungen aus. Maßgeblich sind daher die Kosten, die für die Erbringung der konkret notwendigen Pflegeleistungen durch professionelle Kräfte aufgewendet werden müssten. Dem Geschädigten ist jener Betrag zu leisten, den er wegen der Vermehrung der Bedürfnisse bei Entgeltlichkeit zu zahlen hätte (RIS‑Justiz RS0030213; 2 Ob 152/99p; 10 Ob 88/07z).

2.2 Die in der Judikatur gelegentlich getroffene Aussage, dass es sich bei der Bemessung des Ersatzanspruchs nach den dargestellten Grundsätzen nicht um einen Fall der objektiv‑abstrakten Schadensberechnung handle (vgl 2 Ob 176/05d), ist dahin zu relativieren, dass die Berechnung nicht rein objektiv‑abstrakt erfolgt, weil am konkreten Zeitaufwand angeknüpft wird. Im Kern erfolgt aber immer noch eine objektiv‑abstrakte Schadensberechnung, zumal vom (fiktiven) Bruttolohn einer Pflegekraft ausgegangen wird (Reischauer in Rummel³ § 1325 ABGB Rz 12a). Bei der objektiv‑abstrakten Schadensberechnung ist aber von den Aufwendungen auszugehen, die erforderlich sind, um die notwendigen Pflege‑ und Betreuungsleistungen zu erwerben. Es kommt auf die Schaffung einer Ersatzlage aus Sicht des Geschädigten und nicht darauf an, was der Pflegeperson verbleibt (5 Ob 50/99k).

Schon nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung sind im Fall der Angehörigenpflege somit die Bruttokosten einer Pflegekraft, und zwar einschließlich der Sozialversicherungsbeiträge zu ersetzen (vgl Reischauer aaO § 1325 ABGB Rz 12a).

2.3 Mit der von der Beklagten neuerlich aufgeworfenen Fragestellung der Ersatzfähigkeit von Dienstgeberbeiträgen bzw Lohnnebenkosten hat sich der Oberste Gerichtshof jüngst in der ‑ sich ebenfalls auf den Anlassfall beziehenden ‑ Entscheidung 7 Ob 63/10f ausdrücklich auseinandergesetzt. In dieser Entscheidung wurde bekräftigt, dass der Schädiger den objektiven Wert der Pflegeleistungen zu ersetzen hat. Dieser Aufwand sei fiktiv der Bruttobetrag der Kosten der erbrachten Arbeitsstunden. Da zu den Kosten der Arbeitsstunden alles zähle, was der Arbeitgeber dafür aufwenden müsse, seien auch die Lohnnebenkosten umfasst, und zwar unabhängig davon, ob diese bloß für den Arbeitnehmer abzuführen oder vom Arbeitgeber selbst zu leisten seien. Der Einwand, es stehe fest, dass die Klägerin keine Zahlungen an die Pensions-, Kranken- und Unfallversicherung sowie die Arbeitslosenversicherung zu erbringen habe, gehe schon deshalb fehl, weil bei Familienpflege überhaupt keine Pflegekosten anfielen.

2.4 Die kritischen Stimmen in der Literatur sind keineswegs einheitlich. Reischauer (aaO § 1327 ABGB Rz 30) geht davon aus, dass der Schädiger dem Geschädigten das zu vergüten habe, was er für die entsprechende Arbeit bei Entgeltlichkeit an angemessenem Entgelt (im Sinn einer Nettolohnbemessung) zu zahlen hätte. Tätige der Geschädigte die Leistung selbst, so sei in derselben Weise zu verfahren. Der Wert solcher Arbeitsleistungen könne nur objektiv‑abstrakt berechnet werden. Entgegen der Ansicht von Harrer könne dagegen nicht ins Treffen geführt werden, dass Angehörige derartige Leistungen am Markt nicht anbieten würden.

Harrer (in Schwimann³ § 1325 ABGB Rz 15) postuliert den Ersatz innerhalb einer Bandbreite zwischen den Kosten, die für die Leistungen ungelernter Hilfskräfte anzusetzen wären, einerseits und dem Bruttoaufwand für professionelle Pflegepersonen andererseits, und zwar unter Heranziehung des § 273 ZPO.

Schmaranzer (Zak 2010/427, 248) spricht von dem dem Schadenersatzrecht innewohnenden Prinzip der konkreten Schadensberechnung und will dem pflegenden Angehörigen das „echte Entgelt“ (Nettolohn plus Dienstnehmerbeiträge) offenbar einer professionellen Pflegekraft zuerkennen. Die Wendung „fiktive Schadensberechnung“ könne nicht dazu führen, dass der Geschädigte Aufwendungen ersetzt erhalte, die er unter keinen Umständen zu tragen habe.

2.5 Die dargestellten Überlegungen in der Literatur verfolgen unterschiedliche Ansätze und bieten keinen Anlass, von der bisherigen ständigen und jüngst bestätigten Rechtsprechung abzugehen. Harrer nimmt zu der hier aufgeworfenen Fragestellung nicht Stellung. Schmaranzer ist zu entgegnen, dass der Geschädigte auch das „echte Entgelt“ tatsächlich nicht zu tragen hat. „Fiktiv“ ist im gegebenen Zusammenhang nur die Berechnungsmethode, weil die Pflege tatsächlich erbracht wird, dafür aber keine Zahlung an den Angehörigen erfolgt, weshalb von fiktiven Bruttolöhnen ausgegangen wird (5 Ob 50/99k; 5 Ob 38/04f; 8 Ob 27/09t). Die an einen Dritten zu zahlenden Kosten werden - ausgehend vom konkreten zeitlichen Pflegebedarf - also objektiv‑abstrakt berechnet (Reischauer aaO § 1325 ABGB Rz 12a).

Zum neuerlichen Hinweis der Beklagten auf die Rechtsprechung zu den fiktiven Reparaturkosten wurde bereits in der Entscheidung 7 Ob 63/10f ausgeführt, dass die Pflegeleistungen der Angehörigen nicht als fiktiver Schaden oder fiktive Aufwendungen zur Schadensbeseitigung zu qualifizieren sind, weil die Pflege tatsächlich durchgeführt wird (vgl auch Reischauer aaO § 1325 ABGB Rz 12a).

3. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Vorinstanzen von der ständigen und vom erkennenden Senat gebilligten Rechtsprechung zur Ermittlung des Ersatzbetrags bei Angehörigenpflege nicht abgewichen sind. Mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

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