OGH 2Ob228/08f

OGH2Ob228/08f13.11.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Annette L*****, vertreten durch Dr. Tassilo Neuwirth und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. A***** AG, *****, 2. Luigi L*****, vertreten durch Dr. Reinhold Kloiber und Dr. Ivo Burianek, Rechtsanwälte in Mödling, wegen 261.548,55 EUR sA, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 10. Juni 2008, GZ 13 R 49/08h-33, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 13. Dezember 2007, GZ 13 Cg 183/06m-29, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Antrag der beklagten Parteien, der Oberste Gerichtshof möge beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Aufhebung des § 29 Z 1 EStG stellen, wird zurückgewiesen.

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 2.824,30 EUR (darin enthalten 470,72 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Ehemann der Klägerin wurde am 24. 11. 1999 bei einem Verkehrsunfall, den der Zweitbeklagte als Lenker und Halter des bei der Erstbeklagten haftpflichtversicherten Pkws verschuldete, getötet. Im 2001 eingeleiteten und 2006 rechtskräftig abgeschlossenen (Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 2. 3. 2006, 2 Ob 202/05b) Vorprozess wurde der Klägerin entgangener Unterhalt nach § 1327 ABGB in der Höhe von 90.746,57 EUR (monatlich 3.629,86 EUR netto vom 1. 12. 1999 bis 31. 12. 2001) zugesprochen. Dem Feststellungsbegehren, das die Klägerin auf ihre zukünftige Verpflichtung, für den entgangenen Unterhalt Einkommensteuer zu bezahlen, gestützt hatte, wurde stattgegeben.

Mit Schreiben vom 27. 4. 2006 forderte die Klägerin von der Erstbeklagten 344.018,66 EUR: monatliche Unterhaltsrente für 54 Monate (1. 1. 2002 bis 30. 6. 2006) inklusive Einkommensteuer. Die Erstbeklagte bezahlte den im Vorprozess zugesprochenen entgangenen Unterhalt von 90.796 EUR und die geforderten 344.018,66

EUR.

In seinem Schreiben vom 25. 8. 2006 korrigierte der Klagevertreter die Berechnung zur Einkommensteuer, weil diese höher als angenommen sei. Die Erstbeklagte hätte 107.556,81 EUR geleistet. Dazu kämen vom 1. 1. 2002 bis 30. 6. 2006 196.012,44 EUR. Zum Gesamtbetrag von 303.569,25 EUR sei ein 50%iger Steuersatz hinzuzurechnen. Von der Gesamtforderung über 607.138,50 EUR verbleibe nach Abzug der geleisteten Zahlungen (107.556,81 EUR und 344.018,66 EUR) eine Nachforderung von 155.563,03 EUR. Die monatliche Bruttorente betrage 7.259,72 EUR.

Bei der Berechnung der Einmalzahlung der Unterhaltsleistungen von Dezember 1999 bis Juni 2006 von insgesamt 286.758,94 EUR ergibt sich eine Steuerbelastung von 258.640,43 EUR und damit eine Bruttounterhaltsleistung von 572.399,37 EUR. Die monatliche Unterhaltsrente errechnet sich für die Jahre 2006 und 2007 mit 7.073,30 EUR brutto, das sind 3.629,86 EUR netto zuzüglich Einkommensteuer von 3.443,44 EUR.

In der am 2. 11. 2006 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin den im Schreiben vom 25. 8. 2006 geforderten Kapitalbetrag von 155.563,03 EUR und eine monatliche Rente von 7.259,72 EUR brutto ab 1. 7. 2006. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens, das Grundlage für die im vorigen Absatz wiedergegebenen Feststellungen des Erstgerichts zur (voraussichtlichen) Steuerbelastung war, schränkte die Klägerin das Klagebegehren auf 137.548,71 EUR und Zahlung einer Rente von 7.073,30 EUR ein.

Die Beklagten stellten die Höhe der monatlichen Nettorente von 3.629,86 EUR außer Streit, sie bestritten aber - soweit noch relevant - grundsätzlich die Einkommensteuerpflicht und die Fälligkeit einer Steuerlast.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Derartige nach § 1327 ABGB gewährte Schadenersatzrenten würden als wiederkehrende Bezüge nach § 29 Z 1 erster Satz EStG der Einkommensteuerpflicht unterliegen.

Das Berufungsgericht teilte diese Auffassung. § 29 Z 1 EStG erfasse wiederkehrende Bezüge, soweit sie nicht zu den Einkünften im Sinn des § 2 Abs 3 Z 1 bis 6 EStG gehörten. Eine Rente für Verdienstentgang sei daher nicht kraft Rentenform nach § 29 Z 1 EStG zu versteuern, sondern aufgrund ihrer Funktion als Ersatz des Verdienstentgangs nach der korrespondierenden Ziffer des § 2 Abs 3 EStG (Stoll, Rentenbesteuerung4 Rz 1061 mwN). § 29 Z 1 EStG knüpfe bei der Steuerpflicht an die Rentenform an. Schmerzengeld oder Verunstaltungsentschädigungen seien als Einmalzahlung nicht steuerpflichtig. Der Verfassungsgerichtshof habe zu B 242/06 in Übereinstimmung mit Stoll aaO Rz 1066 ausgesprochen, dass eine Besteuerung von wiederkehrenden Bezügen allein aufgrund der Rentenform gleichheitswidrig sei, wenn sie nicht einen Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit erfasse. In dieser Entscheidung sei es um eine Mehrbedarfsrente gegangen. Der Steuerpflichtige verfüge bei einer derartigen Mehrbedarfsrente nicht über ein zusätzliches disponibles Einkommen. Der Oberste Gerichtshof (OGH) habe in der Entscheidung 8 Ob 77/86 die Steuerpflicht von Unterhaltsersatzrenten gemäß § 29 Z 1 EStG bereits bejaht. Ein Antrag an den Verfassungsgerichtshof auf Aufhebung des § 29 Z 1 EStG sei schon deshalb nicht zu stellen, weil die von den Berufungswerbern angestrebte Auslegung dieser Bestimmung auch ohne ihre Aufhebung erzielt werden könne, wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis B 242/06 bei der Mehrbedarfsrente aufgezeigt habe. Daher sei nicht § 29 Z 1 EStG verfassungswidrig, sondern - allenfalls - dessen Auslegung. Um eine Änderung der Spruchpraxis zu bewirken, sei aber die Bekämpfung eines Bescheids vor dem Verwaltungs- bzw Verfassungsgerichtshof notwendig. Die vom Anspruchsberechtigten zu entrichtenden Steuern würden einen erstattungspflichtigen Teil des zu leistenden Schadenersatzes darstellen. Die Fälligkeit dieser Steuern sei nach ständiger Judikatur des Obersten Gerichtshofs nicht Voraussetzung, um sie bei der Bemessung des Schadenersatzanspruchs zu berücksichtigen. Ob sich die auf die Unterhaltsersatzrente entfallende Steuerlast im Zuge künftiger Steuerreform verringern werde, sei gleichgültig. Unterhaltsersatzrenten würden ohnehin der Umstandsklausel unterliegen.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil sich der OGH mit der von den Berufungswerbern zitierten Lehrmeinung Beisers (ÖStZ 2001/1140) und dem Erkenntnis B 242/06 noch nicht auseinandergesetzt habe.

Die Beklagten beantragen in ihrer Revision die Abweisung des Klagebegehrens sowie die Anrufung des Verfassungsgerichtshofs zur Aufhebung des § 29 Z 1 EStG.

Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Eine Schadenersatzleistung ist so zu bemessen, dass sie unter Berücksichtigung der durch sie wieder entstandenen Abgänge an Steuern und sonstigen etwaigen gesetzlichen Abzugsposten dem Nettoschaden entspricht (RIS-Justiz RS0031017 [T2]). Die vom Anspruchsberechtigten zu zahlenden Steuern stellen einen erstattungspflichtigen Teil des zu leistenden Schadenersatzes dar; die Fälligkeit dieser Steuern ist nicht Voraussetzung ihrer Berücksichtigung bei der Bemessung des Schadenersatzanspruchs (RIS-Justiz RS0031017 [T7 und T8]; RS0031597 [T1]). Die Steuern und sonstigen Abgaben für die entgangenen Bruttoeinkünfte und die (Brutto-)Schadenersatzleistung sind in zeitlicher Hinsicht zum gleichen Stichtag zu rechnen. Die auf (allfällig zukünftig fällig werdende) Rentenbeträge entfallenden Abzugsposten sind nach der Sach- und Gesetzeslage im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz zu berechnen (2 Ob 68/95; 2 Ob 2/02m, 2 Ob 210/07g).

Die Auffassung des Berufungsgerichts, die im konkreten Fall aufgrund der 2006 geflossenen Einmalzahlungen geforderte voraussichtliche (zusätzliche) Steuerbelastung als Teil des Gesamtschadens zu sehen (2 Ob 68/95: keine Aufspaltung in Brutto- und Nettoschaden) und Steuerbescheide, welche die Einkommensteuerbelastung für das Jahr 2006 unter Berücksichtigung der in diesem Jahr geflossenen Zahlungen festsetzen, nicht für notwendig zu halten, hält sich im Rahmen der höchstgerichtlichen Judikatur.

Der Anspruch auf Ersatz jener Steuerbelastung, die nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz für den Kläger zu erwarten war, verjährt grundsätzlich drei Jahre nach Ablauf jenes Monats, in dem die anstehenden Renten fällig geworden sind (2 Ob 68/95; 2 Ob 2/02m; 2 Ob 210/07g). Verjährung wurde im vorliegenden Fall nicht geltend gemacht.

Der OGH hat in der Entscheidung 8 Ob 77/86 = SZ 60/67 = ZVR 1988/109 dargelegt, dass Schadenersatzrenten, die nach § 1327 ABGB für den Verlust von Unterhaltsansprüchen gewährt werden, als wiederkehrende Bezüge nach § 29 Z 1 erster Satz EStG 1972 (der wortgleichen Vorgängerbestimmung des § 29 Z 1 erster Satz EStG 1988) grundsätzlich der Einkommensteuerpflicht unterliegen. Diese Auffassung zur Einkommensteuerpflicht wird auch in der Lehre (Achatz in Rummel³ § 1323 ABGB Anh Rz 10; Stoll, Rentenbesteuerung4 [1997] Rz 1065; Büsser in Hofstätter/Reichel, Die Einkommensteuer, III C § 29 EStG Rz 2) und vom Verwaltungsgerichtshof vertreten (Nachweis bei Achatz aaO Rz 10). Der in der Revision enthaltene Hinweis auf die gegenteilige Auffassung Beisers, Unterhaltsersatzrenten in der Einkommensteuer, ÖStZ 2001/1140, und das eine Mehrbedarfsrente betreffende Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs B 242/06 begründet keine erhebliche Rechtsfrage:

Der OGH hat in Steuersachen grundsätzlich keine Leitfunktion (5 Ob 99/00w; 5 Ob 166/00y; 2 Ob 115/07m; RIS-Justiz RS0113455). Die hier - den Zulassungsausspruch tragende - Frage nach der Steuerbarkeit einer Rente haben grundsätzlich die Finanzbehörden und der Verwaltungsgerichtshof (bzw der Verfassungsgerichtshof) zu beurteilen (2 Ob 210/07g).

In diese Richtung geht die Argumentation der Revision, mit der sie den Antrag auf Anrufung des Verfassungsgerichtshofs begründet:

Befürchtet werden Judikaturdivergenzen von Höchstgerichten, weil der Verfassungsgerichtshof in einem steuerrechtlichen Anlassfall wie bei der Mehrbedarfsrente eine andere Auslegung vornehmen könnte. Setzen die zuständigen Finanzbehörden die Einkommensteuerbelastung der Klägerin geringer fest, als in diesem Verfahren vom Sachverständigen angenommen wurde, steht den Schädigern ein bereicherungsrechtlicher Rückforderungsanspruch zu (2 Ob 210/07g). Dann haben sie nämlich mehr geleistet, als ihrer Verpflichtung entspricht. Dasselbe gilt, wenn die Finanzbehörden (oder die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) in Zukunft generell die Einkommensteuerpflicht bei derartigen Unterhaltsersatzrenten verneinen sollten. In einem solchen Fall erhöht sich der Rückforderungsanspruch der Schädiger nur.

In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die Beklagten für die Einbringung von Rechtsmitteln bzw Beschwerden durch die Klägerin eine Rechtsschutzzusage abgegeben haben und dass die Klägerin erklärt hat, bei einer solchen Kostenübernahme die entsprechenden Rechtsmittel zu ergreifen. In Hinblick auf dieses offensichtliche Einvernehmen zwischen den Parteien erübrigt es sich, auf die Frage der Schadensminderungspflicht näher einzugehen.

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Einkommensteuerpflicht nach § 29 Z 1 erster Satz EStG bei Unterhaltsersatzrenten zu bejahen, lässt somit nach bisheriger Judikatur keine grobe Verkennung der Rechtslage erkennen. Nur im gegenteiligen Fall wäre eine Rechtslage von erheblicher Bedeutung anzunehmen (6 Ob 194/05f = RIS-Justiz RS0113455 [T2]).

Der erkennende Senat sieht keinen Anlass, einen Antrag beim Verfassungsgerichtshof zu stellen, § 29 Z 1 EStG 1988 als verfassungswidrig aufzuheben. Die Beklagten meinen inhaltlich nicht, dass die Bestimmung als solche verfassungswidrig ist. Sie sehen nur ihre Anwendung auf Unterhaltsersatzrenten im Sinn des § 1327 ABGB als gleichheits- und damit verfassungswidrig an. Die Auslegung dieser steuerrechtlichen Bestimmung steht - wie bereits erwähnt - grundsätzlich den Finanzbehörden zu.

Die Parteien sind nicht berechtigt, einen Antrag auf Einleitung eines Gesetzprüfungsverfahrens durch das Gericht zu stellen; der Antrag der Beklagten auf Einleitung eines derartigen Verfahrens war somit zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0058452).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagten haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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