European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0040OB00109.14D.0717.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen, die hinsichtlich einer Unterhaltsleistung von 100 EUR monatlich als unangefochten unberührt bleiben, werden im Übrigen, also hinsichtlich eines Unterhaltsbetrags von weiteren 360 EUR monatlich, aufgehoben. Die Sache wird in diesem Umfang zur neuerlichen Entscheidung an das Rekursgericht zurückverwiesen.
Begründung:
Der Vater verpflichtete sich in einem Scheidungsfolgenvergleich aus dem August 2012, für den damals noch kein eigenes Einkommen beziehenden Minderjährigen monatlich 550 EUR Unterhalt zu zahlen. Seit 2. 9. 2013 verdient der bei der Mutter wohnende Minderjährige als Lehrling netto 678 EUR monatlich. Die Mutter gesteht zu, für ihn Familienbehilfe zu beziehen.
Der Vater verdient netto 4.439 EUR monatlich und ist außer dem Minderjährigen für eine volljährige Tochter sorgepflichtig. Nicht festgestellt wurde sein jährliches Bruttoeinkommen ohne Sonderzahlungen. Der Minderjährige verdient unter Anrechnung der Sonderzahlungen 678 EUR monatlich.
Der Vater begehrte, den Unterhaltsbetrag auf 90 EUR im Monat herabzusetzen. Die Ausgleichszulage betrage aktuell 857,73 EUR; mit diesem (vom Minderjährigen erreichten) Einkommen sei die Selbsterhaltungsfähigkeit eingetreten. Das vom Minderjährigen erzielte Einkommen liege über der „Playboy‑Grenze“. Auch sei die Unterhaltsverpflichtung deshalb herabzusetzen, da die Mutter die Familienbeihilfe beziehe (ON 3 und Rekurs).
Die Mutter ist mit einer Herabsetzung des Unterhalts auf 460 EUR im Monat einverstanden.
Das Erstgericht setzte den Unterhalt des Minderjährigen auf 460 EUR im Monat herab und wies den darüber hinausgehenden Antrag des Vaters ab. Es lägen überdurchschnittliche Einkommensverhältnisse vor, da der nach der Prozentwertmethode ermittelte Unterhaltsbetrag nicht nur geringfügig über dem Regelbedarf (2013: 431 EUR) liege. Der Minderjährige sei erst voll selbsterhaltungsfähig, wenn sein Einkommen einen Betrag erreiche, der dem nach der Prozentwertmethode errechneten Geldunterhaltsanspruch (hier: 20 % des Nettoeinkommens, also rund 888 EUR) zuzüglich der Differenz zwischen Ausgleichzulagenrichtsatz und Regelbedarfssatz entspreche, weil auch ein adäquater Betreuungsaufwand zu berücksichtigen sei. Eine steuerliche Entlastung des Vaters im Hinblick auf die von der Mutter bezogene Familienbeihilfe berücksichtigte das Erstgericht nicht.
Das Rekursgericht bestätigte diese ‑ nur in einem 100 EUR übersteigenden Betrag angefochtene ‑ Entscheidung; es sprach - auf Antrag des Vaters gemäß § 63 Abs 1 AußStrG - aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei, weil es bei seiner Unterhaltsberechnung keine Kürzung im Hinblick auf die von der Mutter bezogene Familienbeihilfe vorgenommen habe. Die vom Erstgericht gewählte Berechnungsmethode beruhe auf Grundsätzen höchstgerichtlicher Rechtsprechung. Das Kind solle auch während seiner beruflichen Ausbildung am höheren Lebensstandard seiner Eltern angemessen teilhaben. Ein Unterhaltsstopp zur Vermeidung einer pädagogisch schädlichen Überalimentierung sei erst bei Überschreiten des zweieinhalbfachen Regelbedarfs zuzüglich des Betreuungsaufwands angebracht, was Eigeneinkünfte von mehr als 1.600 EUR voraussetze, die der Minderjährige nicht erreiche.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt im Sinne seines Aufhebungsantrags.
1.1. Zutreffend zeigt der Vater auf, dass das Rekursgericht ‑ trotz entsprechenden Vorbringens in erster und zweiter Instanz ‑ die verfassungsrechtlich gebotene Anrechung der Familienbeihilfe außer Acht gelassen hat.
1.2. Der Oberste Gerichtshof sprach nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 19. 6. 2002, G 7/02 ua, mit dem die Wortfolge „und mindert nicht dessen Unterhaltsanspruch“ in § 12a FLAG aufgehoben wurde, schon in zahlreichen Entscheidungen aus, dass der nach der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen und den Bedürfnissen des Unterhaltsberechtigten ‑ wie bisher ‑ zu bemessende Geldunterhalt im Interesse der gebotenen steuerlichen Entlastung von Unterhaltsschuldnern ‑ bei getrennter Haushaltsführung ‑ in verfassungskonformer Auslegung des § 140 ABGB um jenen Teil des Kinderabsetzbetrags und der Familienbeihilfe zu kürzen ist, der die steuerliche Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen bezweckt (RIS‑Justiz RS0117023 zu § 140 ABGB idF vor KindNamRÄG 2013).
1.3. Das Rekursgericht ermittelte den Geldunterhalt des Minderjährigen unter Außerachtlassung dieser Rechtsprechung. Damit blieb ein wesentlicher Faktor bei der Unterhaltsbemessung unberücksichtigt, der geeignet ist, sich unterhaltssenkend auszuwirken. Dies führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen im Umfang ihrer Anfechtung.
1.4. Zur Ermittlung des Geldunterhalts für den Minderjährigen sind ‑ auf Grundlage der voranstehenden Erwägungen - eingehende (neue) Berechnungen erforderlich. Zur Durchführung dieser Berechnungen ist der angefochtene Beschluss im spruchgemäßen Umfang aufzuheben und die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Entscheidung an das Rekursgericht zurückzuverweisen (vgl § 70 Abs 3 AußStrG; RIS‑Justiz RS0114942).
2.1. Unbegründet ist das Rechtsmittel allerdings, soweit darin die von den Vorinstanzen angewandte Berechnungsmethode für den Unterhalt ‑ abgesehen von der fehlenden Berücksichtigung der Familienbeihilfe ‑ deshalb als unrichtig angegriffen wird, weil sie zu einer Überalimentierung im Fall überdurchschnittlicher Einkommensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen führe und nicht berücksichtige, dass auch in solchen Fällen der Ausgleichszulagenrichtsatz die Grenze für die Selbsterhaltungsfähigkeit sei.
2.2. Selbsterhaltungsfähigkeit bedeutet die Fähigkeit zur eigenen angemessenen Bedarfsdeckung auch außerhalb des elterlichen Haushalts. Solange das Kind noch die elterliche Wohnungsgewährung oder Betreuung benötigt, ist es noch nicht selbsterhaltungsfähig (RIS‑Justiz RS0047554). Wenn ein Kind nur so viel selbst verdient, dass es neben der Betreuung durch einen Elternteil nichts mehr benötigt, dann kommt es nicht zur vollen Befreiung des anderen Elternteils, muss doch hier ein Teil des Eigenverdienstes auch dem betreuenden Elternteil zugute kommen. Ob dieser Elternteil von seinem Kind tatsächlich einen finanziellen Beitrag für die Betreuung fordert, ist nicht entscheidend (RIS‑Justiz RS0047500). Maßgeblich ist der standesgemäße Unterhalt, also die Fähigkeit des Berechtigten, die seinen Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse selbst zu befriedigen (RIS‑Justiz RS0047567, RS0126096, RS0111992, RS0047602).
2.3. Das Kind soll auch während der Ausbildung am Lebensstandard seiner Eltern teilhaben (RIS‑Justiz RS0047578, RS0047665), sind doch bei der Unterhaltsbemessung die Verhältnisse in einer intakten Familie maßgeblich (vgl RIS‑Justiz RS0047558). Der Ausgleichszulagenrichtsatz kann hier nur bei einfachen Verhältnissen als Maßstab dienen (RIS‑Justiz RS0047514, RS0047645 [T3], RS0047555). Ob einfache Verhältnisse vorliegen ist danach zu beurteilen, ob der nach der Prozentmethode zu ermittelnde Betrag den Regelbedarf übersteigt (RIS‑Justiz RS0047565 [T2]).
2.4. Da der Regelbedarf eines Siebzehnjährigen 431 EUR im Monat beträgt (was weit unter 20 % des Einkommens des Vaters von 4.439 EUR liegt), sind die Vorinstanzen zutreffend von überdurchschnittlichen Einkommensverhältnissen und mangelnder Selbsterhaltungsfähigkeit des Minderjährigen ausgegangen, da er nicht jenen Verdienst erreicht, der ihm nach der Prozentmethode ohne eigenes Einkommen zustünde. Die von der Mutter erbrachten Natural- und Betreuungsleistungen sind bei der Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit nicht zu Gunsten des Unterhaltspflichtigen zu berücksichtigen, da die Lehrlingsentschädigung als Eigeneinkommen zwar den Unterhaltsanspruch des Kindes mindert; es dürfen jedoch weder die weiterlaufenden Unterhaltsleistungen des einen Elternteils in Gestalt der häuslichen Betreuung noch darf sonst eine Teilung der fixen Haushaltskosten vorausgesetzt werden, um sodann zugunsten des Geldunterhaltspflichtigen Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes anzunehmen (RIS‑Justiz RS0047748 [T1]).
2.5. Die vom Vater vertretene Auffassung, wonach Gehälter von Berufsanfängern als Maßstab für die Selbsterhaltungsfähigkeit heranzuziehen seien, wird vom Obersten Gerichtshof abgelehnt (4 Ob 540/94 = RIS‑Justiz RS0047559).
2.6. Eigenes Einkommen des Kindes verringert seinen konkreten Bedarf (RIS‑Justiz RS0047440 [T3]); es ist im Verhältnis von Betreuungsaufwand und Geldunterhaltsanspruch (Prozentmethode) auf betreuenden und geldalimentationspflichtigen Elternteil aufzuteilen. Der konkrete Geldunterhalt ist nach der Entscheidung 2 Ob 77/97f wie folgt zu berechnen: Kindeseinkommen x Geldunterhalt: (Geldunterhalt [Prozentmethode] + Differenz zwischen Mindestpension und Regelbedarf). Die Vorinstanzen sind hievon nicht abgewichen.
3.1. Soll einem Kind weniger oder mehr zugesprochen werden, als sich nach der Prozentsatzmethode ergibt (Luxusgrenze), bedarf es einer besonderen Rechtfertigung der Abweichung. Sie wird bei besonders großem Leistungsvermögen des Unterhaltsschuldners darin gesehen, dass es durch den Zweck der Unterhaltsleistung nicht geboten und aus pädagogischen Gründen sogar abzulehnen ist, Luxusbedürfnisse des Kindes zu befriedigen. Die Prozentkomponente ist daher nicht voll auszuschöpfen, wenn es nach diesen Kriterien zu einer verschwenderischen, vom vernünftigen Bedarf eines Kindes völlig losgelösten, Überalimentierung käme. Wo demgemäß die Grenzen einer den Bedürfnissen des Kindes und dem Leistungsvermögen des Unterhaltsschuldners angemessenen Alimentierung zu ziehen sind, lässt sich nur im Einzelfall beurteilen.
Als Regel für den Durchschnittsfall kann gelten, dass wegen des pädagogischen wichtigen Leistungsanreizes vermieden werden soll, die Unterhaltsleistung an das die Selbsterhaltungsfähigkeit herstellende Einkommen eines voll Erwerbstätigen heranzuführen; es wird aber auch die Praxis gebilligt, den Unterhalt eines Kindes mit dem Zweieinhalbfachen des Regelbedarfs zu limitieren, wobei es sich nicht um eine starre Grenze handelt (RIS‑Justiz RS0047424, RS0047458).
3.2. Im vorliegenden Fall haben die Vorinstanzen zutreffend davon abgesehen, den Unterhalt im Sinne der Luxusgrenze zu beschränken. Bei einem Regelbedarf von 431 EUR läge diese Grenze bei 1.077,50 EUR im Monat, dies ohne Berücksichtigung der Betreuungsleistung für das Kind. Hier liegt der Geldunterhaltsanspruch des Minderjährigen (vor Berücksichtigung seines Eigeneinkommens und der steuerlichen Entlastung durch die Familienbeihilfe) rechnerisch bei 887,80 EUR und damit wesentlich unter dem 2,5‑fachen Regelbedarf.
3.3. Auch die Berücksichtigung des Eigeneinkommens des Minderjährigen führt hier noch nicht zu einer unangemessenen Überalimentierung. Sinn der Rechtsprechung zur Luxusgrenze ist es, dem Kind nicht die Motivation zur eigenen Arbeit zu nehmen. Dies wäre jedoch zu befürchten, könnte es durch eigenen Zuverdienst nicht in Summe auch nur geringfügig mehr als den 2,5‑fachen Regelbedarf zur Verfügung haben, falls ‑ folgt man der vom Rechtsmittelwerber vertretenen Auffassung ‑ sein Geldunterhaltsanspruch bei Übersteigen dieser Grenze entsprechend gekürzt würde.
3.4. Ein positiver pädagogischer Effekt liegt somit schon darin, dass der Minderjährige im Fall des Verlustes seiner Lehrstelle einen deutlichen Einschnitt in seinem Einkommen hinnehmen müsste. Unter diesen Umständen kann der Vater nicht plausibel machen, weshalb ein Gesamteinkommen des Kindes, das den 2,5‑fachen Regelbedarf nur geringfügig übersteigt, schädlich oder geradezu verschwenderisch sein soll.
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