European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0070OB00089.14K.0604.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die erstklagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei 1.124,50 EUR, die zweitklagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei 1.037,90 EUR der insgesamt mit 2.162,34 EUR (darin enthalten 360,39 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Ehemann der Erstklägerin und Vater der Zweitklägerin ist am 21. 2. 2008 nach dem Konsum eines alkoholischen Getränks, das ihm der Beklagte am Abend des 15. 2. 2008 zubereitet hatte, gestorben.
Im Verfahren 6 Cg 125/09h des Landesgerichts Feldkirch begehrten die Witwe (Erstklägerin) und die drei Töchter des Verstorbenen (unter anderem auch die Zweitklägerin) vom Beklagten die Zahlung von Trauerschmerzengeld. Die Erstklägerin begehrte darüber hinaus auch die Feststellung der Haftung des Beklagten für den ihr durch den Tod ihres Ehemanns entgehenden Unterhalt. Sie begründete das nur von ihr erhobene Feststellungsbegehren damit, dass sie nicht berufstätig sei und eine Witwenpension in Höhe von (damals) 893,85 EUR monatlich beziehe. Ihr Mann habe monatlich 2.300 EUR netto verdient. Wäre er nicht gestorben, hätte die Erstklägerin gemeinsam mit ihm ab der Selbsterhaltungsfähigkeit der Töchter daher zumindest 2.300 EUR pro Monat und nach Lohnerhöhungen einen deutlich höheren Betrag zur Verfügung gehabt. Der Beklagte habe für den Unterhaltsentgang der Erstklägerin einzustehen. Der Zeitpunkt, ab dem ein Unterhaltsentgang vorliegen werde, sei derzeit nicht abschätzbar, sodass die Erstklägerin ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Haftung des Beklagten habe.
Der Einwand einer Legalzession zu Gunsten des Sozialversicherungsträgers und dessen Quotenvorrecht wurde vom Beklagten nicht erhoben.
Im genannten Verfahren wurde letztlich rechtskräftig festgestellt, dass der Beklagte der Erstklägerin zu 50 % für jenen Unterhalt hafte, der ihr durch den Tod ihres Ehemanns entgeht.
Mit Schreiben vom 25. 7. 2011 anerkannte die Haftpflichtversicherung des Beklagten namens ihres Versicherten unter anderem gegenüber der Zweitklägerin, im Ausmaß von 50 % für den durch den Tod des Vaters entgehenden Unterhalt bis zur bestehenden Versicherungssumme aus einem Versicherungsvertragsverhältnis zu haften.
Die Klägerinnen begehren die Zahlung von entgangenem Unterhalt (Erstklägerin 9.413,86 EUR sA; Zweitklägerin 9.707,05 EUR sA) und beginnend mit 1. 1. 2013 die Zahlung einer Rente an entgehendem Unterhalt (Erstklägerin 284,27 EUR; Zweitklägerin 238,40 EUR). Bei der Ermittlung des Schadenersatzanspruchs sei zunächst vom Gesamtschaden ein allfälliger Vorteil abzuziehen und erst danach die Teilung aufgrund der Mitverschuldensquote von 50 % vorzunehmen. Selbst wenn man hinsichtlich der der Legalzession unterworfenen Schadenersatzansprüche der Lehre vom Deckungsfonds folge und deshalb zuerst eine dem Mitverschuldensverhältnis entsprechende Teilung des Gesamtschadens vornehme und vom daraus ermittelten Betrag die gesamten Sozialversicherungsleistungen abziehe, wäre diese Berechnungsmethode mangels Einwendung des Beklagten im Vorprozess und wegen der fehlenden Aufnahme einer entsprechenden Beschränkung in den Spruch des rechtskräftigen Urteils des Oberlandesgerichts Innsbruck und des gegenüber der Zweitklägerin abgegebenen Haftungsanerkenntnisses mit Wirkung eines Feststellungsurteils nicht anzuwenden. Der Beklagte hafte daher ohne Berücksichtigung des Quotenvorrechts im Ausmaß von 50 % für den den Klägerinnen entgangenen und entgehenden Unterhalt.
Der Beklagte wandte ein, dass es sich bei den wegen Unterhaltsentgangs geltend gemachten Schadenersatzansprüchen und den von den Klägerinnen vom Sozialversicherungsträger bezogenen monatlichen Pensionszahlungen um kongruente Leistungen handle. Soweit daher die Schadenersatzansprüche der Klägerinnen durch Leistungen des Sozialversicherungsträgers gedeckt seien, fehle ihnen die Aktivlegitimation. Eine Erhebung des Einwands der Legalzession und des Quotenvorrechts im Vorprozess habe sich erübrigt, weil die infolge der Legalzession bereits mit dem schädigenden Ereignis auf den Sozialversicherungsträger übergegangenen Ansprüche im Vorprozess mangels Aktivlegitimation weder verfahrensgegenständlich gewesen seien noch verfahrensrelevant werden hätten können. Schließlich beziehe sich das Feststellungsurteil des Vorprozesses lediglich auf die Erstklägerin. Vom Vorprozess könnten daher auch keine Rechtswirkungen hinsichtlich der Zweitklägerin abgeleitet werden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Einwand des Quotenvorrechts müsse erst im nunmehrigen Verfahren erhoben werden, weil erst bei der Berechnung der Schadenshöhe das Quotenvorrecht zu berücksichtigen sei. Unter Anwendung des Quotenvorrechts stünden den Klägerinnen keine restlichen Direktansprüche gegenüber dem Beklagten zu.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Da die Zweitklägerin nunmehr erstmals der Höhe nach vom Beklagten entgangenen und entgehenden Unterhalt fordere, könne sie sich schon deshalb nicht darauf berufen, dass der Beklagte diesen Einwand nicht erheben könne.
Hinsichtlich der Erstklägerin sei im Vorprozess mit dem schadenersatzrechtlichen Feststellungsbegehren lediglich die Haftung dem Grunde nach abgeklärt worden. Die Anspruchshöhe sei nicht Prozessthema gewesen. Die bloße Möglichkeit künftiger Schäden aus dem Ableben des Ehemanns hätten die Erstklägerin zur Erhebung einer Feststellungsklage berechtigt. Diese habe nicht nur dem Ausschluss der Gefahr der Verjährung, sondern insbesondere auch der Vermeidung späterer Beweisschwierigkeiten und in erster Linie der Klarstellung der Haftungsfrage dem Grunde nach gedient. Das Quotenvorrecht spiele nur dann hinsichtlich eigener weitergehender Ansprüche des Geschädigten (oder dessen Hinterbliebenen) eine Rolle, wenn der Sozialversicherungsträger den Schaden nicht zur Gänze decke und auch das Haftpflichtrecht die volle Schadensdeckung versage. Im Vorprozess sei die Frage der Haftung dem Grunde nach strittig und zunächst ungeklärt gewesen, ob den Geschädigten ein Mitverschulden treffe. Die Frage nach dem Fortbestand eines vom eingewendeten Quotenvorrecht betroffenen restlichen Direktanspruchs der Klägerinnen könne erst im nun eingeleiteten Verfahren über die Anspruchshöhe erfolgen. Dass der Beklagte diesen Einwand im ‑ lediglich den Anspruchsgrund der Erstklägerin betreffenden ‑ Vorprozess nicht erhoben habe, schade nicht. Das Quotenvorrecht sei daher zu berücksichtigen.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu einer vergleichbaren Konstellation, bei der das Quotenvorrecht des Sozialversicherungsträgers noch nicht in einem Vorprozess mit einem schadenersatzrechtlichen Feststellungsbegehren, wohl aber im auf dem Feststellungsurteil beruhenden nachfolgenden Leistungsprozess eingewandt worden sei, fehle.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Klägerinnen mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Beklagte begehrt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.
Die Parteien stimmen darin überein, dass die geltend gemachten Direktansprüche der Klägerinnen auf entgangenen und entgehenden Unterhalt dann nicht berechtigt sind, wenn sich der Beklagte wirksam auf das Quotenvorrecht des Sozialversicherungsträgers berufen kann.
1.1 Als materieller Eintritt des Versicherungsfalls wird grundsätzlich das schädigende Ereignis angesehen, in dem auch der Schadenersatzanspruch in der Person des Geschädigten entsteht (2 Ob 119/00i; 7 Ob 268/06k; Neumayr in Schwimann ABGB3 VII § 332 ASVG Rz 26). Schon mit dem Eintritt des schädigenden Ereignisses (in der „juristischen Sekunde“) erfolgt auch die Legalzession gemäß § 332 ASVG (RIS‑Justiz RS0045190), selbst wenn in diesem Zeitpunkt regelmäßig noch ungewiss ist, in welcher Höhe der Schädiger zur Leistung von Schadenersatz verpflichtet ist und die Voraussetzungen für die Zahlungspflicht des Sozialversicherungsträgers im Einzelnen noch nicht feststehen. Der Rechtsübergang konkretisiert sich während des gesamten künftigen Schadensverlaufs dann der Höhe nach im Umfang des jeweiligen Ersatzanspruchs und des jeweiligen Sozialversicherungsanspruchs (2 Ob 119/00i; Neumayr aaO § 332 ASVG Rz 26).
1.2 Das Quotenvorrecht besteht darin, dass dann, wenn der Schadenersatzanspruch zufolge § 332 ASVG auf den Sozialversicherungsträger übergeht, der Ersatzpflichtige gegenüber dem Legalzessionar das Mitverschulden des Geschädigten geltend machen kann; der Regress beschränkt sich daher auf denjenigen Schadensteil, der dem Geschädigten vom Schädiger ohne Legalzession zu vergüten wäre. Dabei kann der Versicherungsträger vom Schädiger vollen Ersatz für seine Leistungen verlangen, soweit diese in dem durch den Mitverschuldensanteil verkürzten Schadenersatzanspruch Deckung finden. Dem Geschädigten verbleibt nur ein allfälliger durch die Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers nicht gedeckter Rest seines (um die Mitverschuldensquote gekürzten) Ersatzanspruchs. Bei der Ermittlung des Betrags, auf den der Geschädigte dem Schädiger gegenüber Anspruch hat, ist demnach der Schaden zunächst ohne Bedachtnahme auf die Leistungen des Legalzessionars zu ermitteln und um die Mitverschuldensquote zu kürzen, von dem so errechneten Betrag sind die Leistungen des Legalzessionars in voller Höhe abzuziehen (RIS‑Justiz RS0027370, RS0026975; Neumayr aaO § 332 ASVG Rz 80).
2.1 In der Lehre wird wohl vertreten, dass auch die Einwendung der Legalzession der Schadenersatzansprüche des Geschädigten auf den Sozialversicherungsträger im Verfahren über den Grund des Anspruchs zu klären ist, weil sie die Frage der Aktivlegitimation betrifft (Deixler/Hübner in Fasching/Konecny III2 § 393 Rz 6; Fasching, Zivilprozessrecht2 Rz 1430). Die Entscheidungen, auf denen diese Meinung gründet, ergingen aber auf Grundlage der bis zur WGN 1989 geltenden Rechtslage. Danach war es für die Zulässigkeit der Erlassung eines Zwischenurteils erforderlich, dass der Anspruch selbst, wenn auch mit einem noch so kleinen Teilbetrag, als zu Recht bestehend feststehen musste. Seit der Novellierung des § 393 Abs 1 ZPO durch die WGN 1989 kann ein Zwischenurteil über den Anspruchsgrund hingegen auch dann erlassen werden, wenn nur die anspruchsbegründenden Tatbestandsvoraussetzungen zu bejahen sind, aber noch nicht einmal feststeht, ob der Klagsanspruch überhaupt mit irgendeinem Betrag zu Recht besteht (6 Ob 54/04s, 2 Ob 268/06k je mwN).
2.2 Nach der jüngeren, bereits ständigen Judikatur ist, wenn es sich ‑ wie hier ‑ um eine auf jeden Fall der Vorteilsausgleichung unterliegende Leistung des Sozialversicherungsträgers handelt, die Vorteilsausgleichung eine reine Rechenaufgabe, die nur im Verfahren über die Höhe des Anspruchs gelöst werden kann (RIS‑Justiz RS0022788). Die Frage nach dem Fortbestand eines restlichen Direktanspruchs des Geschädigten kann daher regelmäßig erst im Verfahren über die Anspruchshöhe erfolgen und bleibt diesem vorbehalten (zuletzt 6 Ob 54/04s, 7 Ob 176/06t zur Vorteilsausgleichung; 2 Ob 268/06k, 2 Ob 157/09s zum Quotenvorrecht des Sozialversicherungsträgers).
3. Diese zum Zwischenurteil ergangene Rechtsprechung kann auch auf das einem Feststellungsbegehren des Geschädigten stattgebende Feststellungsurteil übertragen werden.
3.1 Die Zulässigkeit eines Feststellungsbegehrens nach der gesetzlichen Regelung in § 228 ZPO ist zwar auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines „gegenwärtigen“ Rechtsverhältnisses oder Rechts beschränkt, dennoch lässt die herrschende Judikatur unter bestimmten Voraussetzungen auch die Feststellung einer (allfälligen) Ersatzpflicht für künftige Schäden aus einem bestimmten (zumindest potentiell schädigenden) Ereignis zu, wenn noch kein feststellbarer Schaden eingetreten ist (1 Ob 4/09h, 4 Ob 23/14g).
So wird das vom Gesetz geforderte rechtliche Interesse an einer alsbaldigen gerichtlichen Feststellung nicht nur dann bejaht, wenn ohne gerichtliche Geltendmachung die Verjährung zukünftiger Schadenersatzansprüche droht, sondern ausnahmsweise auch dann, wenn ‑ ohne Verjährungsrisiko ‑ eine zeitnahe Klärung bestimmter Umstände, die für denkbare zukünftige Schadenersatzansprüche von Bedeutung sein können, objektiv zweckmäßig erscheint (8 Ob 73/07d; RIS‑Justiz RS0038976 [T32]). Die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden kann sich in diesen Fällen ‑ mangels eines bereits eingetretenen Schadens ‑ nur auf die Feststellung des schadensverursachenden Ereignisses, des rechtswidrigen Verhaltens und eines allenfalls erforderlichen Verschuldens beschränken (Fasching in Fasching/Konecny II2 § 228 ZPO Rz 58, 4 Ob 23/14g).
3.2 Das einem Feststellungsbegehren des Geschädigten stattgebende Feststellungsurteil erstreckt sich ‑ auch für die Zukunft - nur auf den dem Geschädigten verbleibenden Teil des Anspruchs und hat keine Wirkung auf den vorher auf den Legalzessionar übergegangenen Anspruch (RIS‑Justiz RS0034360). Eine ausdrückliche Beschränkung des Feststellungsanspruchs im Direktprozess auf nicht auf den Sozialversicherungsträger übergegangene Schadenersatzan-sprüche ist demnach auch überflüssig (RIS‑Justiz RS0038824; insb 2 Ob 232/72; Neumayr aaO § 332 ASVG Rz 129). Dem steht auch nicht die Entscheidung 2 Ob 262/76 entgegen, da dieser der nicht vergleichbare Fall einer Feststellungsklage des regressberechtigten Sozialversicherungsträgers zugrunde lag.
4. Zusammengefasst bedeutet dies: Nach der nunmehr ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist die Vorteilsausgleichung, so auch die Berücksichtigung des Quotenvorrechts des Sozialversicherungsträgers eine Methode der Schadensberechung. Der Einwand des Vorteilsausgleichs (des Quotenvorrechts des Sozialversicherungsträgers) ist nicht im Verfahren über den Grund des Anspruchs und damit auch nicht im Verfahren über die Feststellung einer Ersatzpflicht für künftige Schäden zu behandeln, sondern im Verfahren über die Anspruchshöhe.
Die Berücksichtigung des Quotenvorrechts des Sozialversicherungsträgers ist daher auch nicht im Spruch des Feststellungsurteils zum Ausdruck zu bringen.
5. Aus Anlass der Regulierung des Erstschadens sind auch außergerichtliche Erledigungen des gesamten Schadensfalls möglich, die auch den künftigen Schaden und seine Verjährung umfassen und eine diesbezügliche Feststellungsklage unnötig machen (RIS-Justiz RS0112429). Das Vorgesagte gilt auch für ein solches Anerkenntnis mit Wirkung eines Feststellungsurteils.
6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)