OGH 6Ob54/04s

OGH6Ob54/04s27.5.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Claudia P*****, vertreten durch Dr. Helmut Denck, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien

1. Prim. Univ. Prof. Dr. Eva Maria M*****, und 2. Stadt Wien, Rathaus, 1010 Wien, beide vertreten durch Dr. Karlheinz Kux, Rechtsanwalt in Wien, wegen 25.435,42 EUR und Feststellung, über die außerordentliche Revision der zweitbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 22. Dezember 2003, GZ 15 R 187/03k-119, womit über die Berufung der zweitbeklagten Partei das Teilurteil und Teilzwischenurteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 18. Juli 2003, GZ 5 Cg 88/00y-114, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Klägerin war im Jahr 1987 an multipler Sklerose (MS) erkrankt. Sie wurde von der erstbeklagten Fachärztin im Krankenhaus des zweitbeklagten Rechtsträgers mit einem aus der Krebsbehandlung bekannten, für die Behandlung der MS aber noch nicht zugelassenen Zytostatikum ("Novantron") behandelt, dessen Wirkstoff nachteilige Nebenwirkungen auf die Herzfunktion hat. Auf diese Wirkungen wurde schon in den Jahren 1982 bis 1991 in der erschienenen Fachliteratur hingewiesen. Die Klägerin erhielt vom 4. 8. 1989 bis 8. 3. 1991 Infusionen mit dem Medikament. Dabei wurde die vom Hersteller angegebene kumulative Gesamtdosis überschritten. 1991 wurde bei der Klägerin eine Cardiomyopathie (Herzmuskelschwäche) diagnostiziert. Die Klägerin stellte die Behandlung mit dem Medikament ein. Am 6. 12. 1993 erlitt sie als Folge der Herzveränderungen einen Kleinhirninsult. 1996 musste ihr ein Herzschrittmacher eingesetzt werden. Sie muss wegen der Herzerkrankung ständig Medikamente nehmen. Es besteht ein Embolierisiko. Andererseits sind bei ihr keine weiteren Krankheitsschübe der MS aufgetreten.

Die Klägerin begehrt (nach Einschränkung der gegen die Erstbeklagte gerichteten Klagebegehren auf Kostenersatz) Schmerzengeld und die Feststellung der Haftung der Zweitbeklagten wegen ärztlicher Kunstfehler und mangelnder Aufklärung über die Risken des Medikaments.

Das Berufungsgericht bestätigte das Teil- und Teilzwischenurteil des Erstgerichtes, womit der Anspruch der Klägerin auf Schmerzengeld dem Grunde nach als zu Recht bestehend erkannt und die Haftung der Zweitbeklagten für alle zukünftigen Schäden aus der im Zeitraum August 1989 bis Dezember 1991 erfolgten Behandlung durch die Erstbeklagte mit dem Medikament festgestellt wurde. Die außerordentliche Revision der Zweitbeklagten ist mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO unzulässig:

Rechtliche Beurteilung

Im Revisionsverfahren sind der von den Vorinstanzen festgestellte ärztliche Kunstfehler der Erstbeklagten und dessen Kausalität für die eingetretene Herzschädigung unstrittig. Die Revisionswerberin releviert ausschließlich die Themen des rechtmäßigen Alternativverhaltens und der Vorteilsausgleichung. Sie steht zusammengefasst auf dem Standpunkt, dass durch die Verwendung des Medikaments "Novantron" die MS, die ohne Behandlung in 5 bis 10 Jahren zu schweren Behinderungen (Rollstuhl) und zur Arbeitsunfähigkeit geführt hätte, stabil geblieben sei, sodass die Klägerin ihren Beruf als Ärztin mit einem Einkommen und einer Pensionserwartung weiter ausüben habe können. Dieser Vorteil sei anzurechnen und wesentlich größer als die Nachteile aus der Herzerkrankung.

Dieses Revisionsvorbringen richtet sich aus den nachstehenden Gründen nicht gegen den Grund der Ansprüche der Klägerin, sondern nur gegen deren Höhe:

Ein Schädiger kann sich dadurch entlasten, dass er nachweist, dass derselbe oder ein gleichwertiger Schaden auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten eingetreten wäre (SZ 68/191; RIS-Justiz RS0027364). Es kommt auf den im Vermögen des Geschädigten eingetretenen rechnerischen Schaden an (2 Ob 20/99a mwN). Die Berechnung eines Vermögensschadens erfolgt durch Vergleichung des Geldwertsunterschieds zweier Zustände, nämlich des tatsächlichen Zustands vor und nach der Beschädigung. Ein Vorteil des Geschädigten, der ohne die erfolgte Beschädigung nicht entstanden wäre, ist grundsätzlich zugunsten des Schädigers zu buchen (RS0022834). Der Einwand der Vorteilsausgleichung ist, wie schon das Erstgericht zutreffend erkannte (Seite 19 des Ersturteils), allerdings erst im Verfahren über die Höhe des Anspruchs zu behandeln, selbst wenn strittig ist, ob der vom Beklagten geltend gemachte Vorteil sich überhaupt zur Ausgleichung eignet. Wohl hat die ältere Rechtsprechung einen solchen Fall dem Verfahren über den Grund des Anspruchs zugeordnet (RIS-Justiz RS0022788, zuletzt 6 Ob 725/76 = SZ 50/50), die Entscheidungen ergingen aber auf dem Boden der bis zur WGN 1989 geltenden Rechtslage. Danach war es für die Zulässigkeit der Erlassung eines Zwischenurteils aber noch erforderlich, dass der Anspruch selbst, wenn auch mit einem noch so kleinen Teilbetrag, als zu Recht bestehend feststehen musste (Fasching, Kommentar III 589 f mwN), sodass auch Gegenforderungen oder der Einwand eines Vorteils (jeweils zumindest in der Höhe der Klageforderung) zwingend im Verfahren über den Grund des Anspruchs geklärt werden mussten (Fasching aaO 592; RS0040728). § 393 Abs 1 ZPO idgF erlaubt nun aber die Fällung eines Zwischenurteils, auch wenn noch strittig ist, ob der Anspruch überhaupt mit irgendeinem Betrag zu Recht besteht. Ein Zwischenurteil kann daher auch ergehen, wenn strittig ist, ob der Schaden durch Teilzahlung oder Aufrechnung mit einer Gegenforderung getilgt worden ist (Rechberger in Rechberger ZPO2 Rz 7 zu § 393; RS0102003; SZ 69/78; vgl RS0040935). Nichts anderes gilt auch für den Einwand der Vorteilsausgleichung, mit dem die Beklagte hier im Ergebnis eine Aufrechnung von Leidenszuständen vornimmt, indem sie "ersparte Schmerzen" infolge der erfolgreichen Behandlung der multiplen Sklerose den tatsächlich eingetretenen Schmerzen aufgrund der Herzerkrankung gegenüberstellt. Auch wenn die Frage, ob beim Schmerzengeld eine Vorteilsausgleichung überhaupt in Betracht kommt, strittig und in der oberstgerichtlichen Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt ist (vgl 10 Ob 209/02m = ZVR 2002/94, 381 mwN; Danzl u.a., Das Schmerzengeld8, 197), gehört sie aus den dargelegten Gründen in das Verfahren über die Höhe des Anspruchs. Die Vorteilsausgleichung kann daher nicht gegen die Bejahung des Grundes der Ansprüche der Klägerin ins Treffen geführt werden. Für das fortzusetzende Verfahren ist hier nur noch der Meinung des Berufungsgerichtes entgegenzutreten, die Beklagte hätte ihren Einwand der Vorteilsausgleichung nicht ausreichend dargelegt. Ihr Vorbringen im Verfahren erster Instanz ging hinreichend klar dahin, dass nur die über der Herstellerempfehlung liegende Überschreitung der Gesamtdosis des Medikaments den günstigen Krankheitsverlauf der mutiplen Sklerose bewirkt habe.

Da im Revisionsverfahren ausschließlich über den Grund des Anspruchs zu entscheiden ist und hier keine erheblichen Rechtsfragen zu klären sind, ist die Revision als unzulässig zurückzuweisen.

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