OGH 8Ob129/13y

OGH8Ob129/13y27.2.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn sowie die Hofrätin Dr. Dehn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** H*****, vertreten durch Dr. Herwig Fuchs, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1) K***** GmbH, *****, und 2) Prim. Dr. S***** N*****, beide vertreten durch Dr. Albert Feichtner und Dr. Anneliese Lindorfer, Rechtsanwälte in Kitzbühel, wegen Leistung und Feststellung (Gesamtstreitwert 504.650 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 4. Juli 2013, GZ 1 R 74/13m‑75, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0080OB00129.13Y.0227.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

1. Die Klägerin begehrte die Zahlung von 377.650 EUR an Schmerzengeld, weiters die Zuerkennung einer monatlichen Verdienstentgangsrente und einer monatlichen Haushaltsentschädigung sowie die Feststellung der Haftung der beiden Beklagten für alle kausalen und zukünftigen Schäden und Folgen, die ihr aus der ärztlichen Behandlung durch den Zweitbeklagten vom 3. 10. 2005 entstehen werden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und hielt in seiner rechtlichen Beurteilung fest, dass mit der von den Beklagten geleisteten Zahlung von 150.000 EUR ungeachtet der Frage, ob der Klägerin ein Anspruch auf Schadenersatz zustehe oder nicht, sämtliche Schäden aus der in Allgemeinnarkose durchgeführten Kreuzbandoperation vom 3. 10. 2005 abgegolten seien. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und führte aus, dass kein Behandlungsfehler vorliege und die schicksalhaft erfolgte Schädigung nicht vom Zweitbeklagten zu verantworten sei, sowie dass der Zweck der medizinischen Aufklärung hinreichend erfüllt worden und die Einwilligung der Klägerin als rechtswirksam anzusehen sei.

Rechtliche Beurteilung

2. Das Berufungsgericht hat das Vorliegen der bereits in der Berufung geltend gemachten Verfahrensmängel, die sich auf die Einholung eines unfallchirurgischen Sachverständigengutachtens und auf die Einvernahme sachverständiger Zeugen bezogen haben, inhaltlich behandelt und ausdrücklich verneint. Solche behaupteten Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens können in der Revision nicht neuerlich geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0042963).

Auch die von der Klägerin geltend gemachten sekundären Feststellungsmängel liegen nicht vor. Zur Frage, wann das Beruhigungsmittel Dormicum verabreicht wurde (nach dem Aufklärungsgespräch), liegt eine ausdrückliche Feststellung des Erstgerichts vor. Ob zum Zweitbeklagten ein gesonderter Behandlungsvertrag bestand, bleibt im Anlassfall ohne Bedeutung.

Angelegenheiten der Beweiswürdigung sind ausschließlich von den Tatsacheninstanzen zu behandeln und können nicht an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (RIS‑Justiz RS0043371). Dazu zählen die in der außerordentlichen Revision angesprochenen Fragen, ob zum Beweis einer strittigen Tatsache ein weiteres Sachverständigengutachten erforderlich ist oder andere Kontrollbeweise aufzunehmen sind (RIS‑Justiz RS0043163; RS0043320), ob der gerichtliche Sachverständige die notwendigen Kenntnisse besitzt oder die vorzunehmende Begutachtung in das Sachgebiet eines anderen Sachverständigen fällt (RIS‑Justiz RS0043588), ebenso wie die Beurteilung der Vollständigkeit und Schlüssigkeit eines Sachverständigengutachtens und die Bemängelung des vom Erstgericht aufgenommenen Sachverständigenbeweises (RIS‑Justiz RS0113643). Auch die Frage, ob weitere Zeugen hätten einvernommen werden müssen, betrifft eine im Revisionsverfahren unzulässige Beweisrüge (vgl RIS‑Justiz RS0040570).

Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass Privatgutachten allenfalls der Rang von Privaturkunden zukommt, entspricht der Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0040636). Mit ihrem Vorwurf, dass die Widersprüche zwischen den Privatgutachten und den Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen nicht genügend aufgeklärt worden seien, zeigt die Klägerin keine erhebliche Rechtsfrage auf. Das Berufungsgericht hat im gegebenen Zusammenhang festgehalten, dass sich die gerichtlichen Sachverständigen mit den Fachmeinungen der Privatgutachter hinreichend auseinandergesetzt haben, sodass sich das Erstgericht an die schlüssigen Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen halten konnte.

Soweit die Klägerin auch in der außerordentlichen Revision an ihren Behauptungen festhält, der Zweitbeklagte habe keinen Nervenstimulator verwendet, das Beruhigungsmittel Dormicum sei vor dem Aufklärungsgespräch verabreicht worden und das regionale Schmerzsyndrom habe sich aus der Nervenverletzung entwickelt, weicht sie in unzulässiger Weise von der Tatsachengrundlage ab.

3.1 Ein Verstoß gegen die Regeln medizinischer Kunst liegt vor, wenn die vom Arzt gewählte Maßnahme hinter dem in Fachkreisen anerkannten Standard zurückbleibt. Ein Arzt handelt fehlerhaft, wenn er das in Kreisen gewissenhafter und aufmerksamer Ärzte oder Fachärzte vorausgesetzte Verhalten unterlässt (RIS‑Justiz RS0026368 [T2]). Ob ein ärztlicher Kunstfehler vorliegt, ist eine ‑ nicht revisible ‑ Tatfrage (RIS‑Justiz RS0026418; 1 Ob 20/05f), ebenso die Beurteilung, welche Maßnahmen im konkreten Einzelfall erforderlich bzw zweckmäßig gewesen wären.

Das Erstgericht hat unter Zugrundelegung des gerichtlichen Sachverständigengutachtens ausdrücklich festgestellt, dass die anästhesistische Behandlung durch den Zweitbeklagten nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt und das regionale Schmerzsyndrom nicht auf einen Behandlungsfehler zurückzuführen ist.

Zur Beweislast entspricht es der Rechtsprechung, dass der Geschädigte den Schaden, das Vorliegen eines Kunstfehlers und die Ursächlichkeit oder die Mitursächlichkeit zu beweisen hat (7 Ob 113/08f). Ist der ursächliche Zusammenhang nicht zu erweisen, geht dies zu Lasten des Geschädigten (RIS‑Justiz RS0026209). Wegen der besonderen Schwierigkeiten eines exakten Beweises sind im Zusammenhang mit ärztlichen Behandlungsfehlern an den Kausalitätsbeweis geringere Anforderungen zu stellen, zumal ein festgestellter schuldhafter Behandlungsfehler in der Regel auf einen nachteiligen Kausalverlauf hinweist (RIS‑Justiz RS0038222). Für den Kausalitätsbeweis reicht in einem solchen Fall daher der Anscheinsbeweis durch den Patienten aus (RIS‑Justiz RS0106890; vgl auch RS0022782).

Im Anlassfall ist aber zu beachten, dass dem Zweitbeklagten kein schuldhafter Behandlungsfehler angelastet werden kann, weshalb die Voraussetzungen für den Anscheinsbeweis nicht gegeben sind. Dementsprechend sind die Feststellungen des Erstgerichts maßgebend, dass es sich beim komplexen regionalen Schmerzsyndrom um ein schicksalhaftes Ereignis handelt, wobei nicht feststellbar ist, ob dieses überhaupt auf den operativen Eingriff zurückzuführen ist.

Auch die Frage der alternativen Kausalität (vgl 3 Ob 228/12v) stellt sich mangels eines rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens nicht. Außerdem steht eine konkrete Gefährlichkeit des Verhaltens des Zweitbeklagten für das komplexe regionale Schmerzsyndrom nicht fest.

3.2 Zur Verletzung der Aufklärungspflicht hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass die Klägerin diesen Vorwurf in der Berufung nicht mehr aufrecht erhalten hat (vgl RIS‑Justiz RS0043573; 8 ObA 52/12y).

Allgemein ist darauf hinzuweisen, dass die Dauer der dem Patienten nach entsprechender Aufklärung durch den Arzt einzuräumenden Überlegungsfrist von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere von der Dringlichkeit der ärztlichen Behandlung, abhängt (RIS‑Justiz RS0118651). Soweit die Klägerin moniert, die Aufklärung durch den Zweitbeklagten sei zu spät erfolgt, ist ihr zu erwidern, dass der Operationstermin ohne Zutun des Zweitbeklagten schon festgesetzt war, die Klägerin zum vereinbarten Aufklärungsgespräch mit dem Zweitbeklagten nicht erschienen ist und sie die umfassende anästhesistische Aufklärung verstanden hat. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Zweck der Aufklärungspflicht (vgl 8 Ob 113/09i) erfüllt worden sei, erweist sich daher ebenfalls als nicht korrekturbedürftig.

4. Insgesamt hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die zutreffenden Rechtsgrundsätze zugrunde gelegt. Ausgehend von den Feststellungen stellt die Schlussfolgerung, dass weder ein (kausaler) Behandlungsfehler noch eine Verletzung der Aufklärungspflicht vorliege, keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.

Da es der Klägerin nicht gelungen ist, mit ihren Ausführungen eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen, war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

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