OGH 4Ob220/13a

OGH4Ob220/13a17.2.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** H*****, vertreten durch Dr. Helmut Kientzl Rechtsanwalt GmbH in Wiener Neustadt, wider die beklagten Parteien 1. I***** S*****, 2. C***** S*****, 3. Mag. M***** S*****, 4. B***** S*****, alle vertreten durch Mag. Stefan Traxler, Rechtsanwalt in Mödling, wegen Unterlassung (Streitwert 5.000 EUR) und Beseitigung (Streitwert 5.000 EUR), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 16. August 2013, GZ 18 R 55/13m‑81, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Mödling vom 30. Jänner 2013, GZ 3 C 290/10h‑76, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 670,55 EUR (darin 111,76 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Die Parteien sind Grundnachbarn. Der gemeinsame Grenzverlauf erstreckt sich über etwa ein Drittel der Liegenschaft der Beklagten. Das Grundstück der Beklagten ist mit Ausnahme einer Gartenhütte unbebaut, auf jenem der Klägerin steht ein Wohnhaus, das von ihr seit etwa 2000 bewohnt wird. Das Siedlungsgebiet ist charakterisiert durch einzeln stehende Einfamilienhäuser mit Gärten, die teilweise Schwimmbecken, Sandkisten und andere Spiel- und Sportgeräte aufweisen. 2009 errichteten die Beklagten auf ihrem Grundstück einen Beachvolleyballplatz. Der Platz wurde so angelegt, dass die dem Grundstück der Klägerin nächstgelegene seitliche Markierung der ca 8 x 16 m großen Spielfläche ca 3,4 m von der Grenzmauer entfernt ist und die geringste Distanz zwischen der Vorderkante des Wohnobjektes der Klägerin und dem Rand der insgesamt ca 11,1 x 20,8 m großen Sandfläche ca 9,2 m beträgt. Die in der ÖN B 2605 für die Planung von Sportanlagen im Freien für den Schul‑, Breiten‑ und Leistungssport festgelegten Sicherheitsabstände betragen seitlich 3 m und hinter den Grundlinien 4 m. Die Grenzmauer ist von Seiten des Beklagtengrundstückes im Bereich der Wohnräume der Klägerin ca 4 m, danach ca 3 m hoch. Aufgrund des ansteigenden Niveaus des Beklagtengrundstückes beträgt die Höhe der Mauer letztlich etwa 2,8 m.

Der Platz wird nur hobbymäßig von der Familie der Beklagten und Freunden genutzt und das Spiel längstens mit Beginn der Dämmerung beendet; es gibt keine Beleuchtungseinrichtungen für den Platz. 2010 spielten die Beklagten zwischen April und Oktober an 38 Tagen, 2011 zwischen Mai und Anfang Juni an etwa 12 Tagen. Die durchschnittliche Spieldauer in der Zeit bis 19:00 Uhr betrug zwei Stunden, in der Zeit ab 19:00 Uhr 0,8 Stunden, dies bei durchschnittlich fünf spielenden Personen bis 19:00 Uhr bzw etwa vier spielenden Personen ab 19:00 Uhr.

Die Klägerin begehrte folgendes Urteil:

1. Die Beklagten sind schuldig, folgende Einwirkungen von ihrem Grundstück auf das der Klägerin gehörende Grundstück zu unterlassen, und zwar die Ausübung des Volleyballsports und Volleyballspiels auf der errichteten Sportanlage sowie die Nutzung dieser Anlage in einer anderen lärmerzeugenden Weise; in eventu durch Beachvolleyballspielen verursachte Sportlärmemmissionen soweit sie am Grundstück der Klägerin in der Zeit von 6:00 bis 19:00 Uhr einen Spitzenschalldruckpegel von 46,1 dBA und von 19:00 bis 22:00 Uhr einen solchen von 43,5 dBA überschreiten;

2. die Beklagten sind schuldig, den am Beachvolleyballplatz verwendeten Sand zu beseitigen; in eventu es zu unterlassen, dass Emmissionen durch Sandstaub, ausgehend vom Volleyballplatz des Grundstücks der Beklagten, bei Wind auf das Grundstück der Klägerin gelangen;

3. die Beklagten sind schuldig zu unterlassen, Spielbälle auf das klägerische Grundstück zu schießen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf ua folgende Feststellungen:

Auf dem Platz ist quarzitischer Sand in einer Qualität eingebracht, wie er den Anforderungen für diese Art von Sportstätten entspricht. Quarzitischer Sand wird auch bei Sandkisten und gärtnerischen Arbeiten im Rasenbereich verwendet. Einzelne Sandpartikel mit geringer Korngröße, wie auch andere Partikel, welche aus der Umgebung verfrachtet werden, können bei entsprechenden Windverhältnissen über die Mauer den Außenbereich des Wohnobjektes der Klägerin erreichen und in geringerem Maß auch in das Innere gelangen. Durch den Spielbetrieb wie er nunmehr auf dem Platz der Beklagten gepflogen wird, nämlich von April bis Oktober durchschnittlich 10 Stunden pro Monat, wobei das Spiel spätestens um 19:00 Uhr beendet wird, wird die an sich vorherrschende örtliche akustische Situation nicht verändert. Bei einem Spielbetrieb nach 19:00 Uhr wird die ortsübliche Schallemission auf der Liegenschaft der Klägerin durch die spezifische Schallemission um 1,8 Dezibel erhöht, was zumutbar ist. Durch den Spielbetrieb wird weder bei Tages‑ noch bei Nachtzeit der Planungsrichtwert von 50 Dezibel/A bzw 45 Dezibel/A für die hier vorliegende Baulandkategorie (Bauland ‑ Wohngebiet in Vororten, Wochenendhausgebiet, ländliches Wohngebiet) überschritten. Es ist in Wohngebieten, insbesondere in solchen mit Grünbereichen bei den Wohnobjekten, üblich, dass im Nahbereich der Wohnobjekte im Freien gemeinsame Freizeitaktivitäten mehrerer Personen auch unter Verwendung von Bällen stattfinden. Es ist dabei nicht ungewöhnlich, dass im Spiel Bälle auf ein Nachbargrundstück geraten, was auch den Beklagten passierte, so am 15. 8. 2010, 1. 7. 2012 und zweimal am 2. 7. 2012, als Volleybälle ohne absichtliches Zutun der Spieler auf das Grundstück der Klägerin gerieten.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass die vom Spiel auf dem Platz ausgehenden Schallemmissionen keine auf das Grundstück der Klägerin ausgehenden Geräusche in unzumutbarer Lautstärke verursachten. Selbst ein ‑ nicht gegebener ‑ Spielbetrieb nach 19:00 Uhr verändere die örtliche akustische Umgebungssituation nur derart geringfügig, dass auch daraus keine Unzumutbarkeit für die Klägerin ableitbar sei, dies auch im Hinblick darauf, dass eine derartige akustische Umgebungssituation noch immer unter den Planungsrichtlinien für ein Wohngebiet der hier gegenständlichen Art liege. Partikel des Sportplatzsandes könnten zwar auf das Grundstück der Klägerin gelangen, was aber auch für sonstige Partikel aus der Umgebung gelte, sodass sich daraus ‑ zumal es sich nur um einzelne Partikel handle ‑ keine Belastung für die Klägerin und sohin auch keine Unzumutbarkeit ergebe. Bei jedem Ballspiel könnten im Spielgeschehen Bälle auf Nachbargrundstücke gelangen, sodass der Umstand, dass in drei Jahren viermal Bälle vom Grundstück der Beklagten auf das Grundstück der Klägerin gelangten, keine Grundlage für einen Unterlassungsanspruch sei.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil; es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands zwar jeweils 5.000 EUR, insgesamt aber nicht 30.000 EUR übersteige und ‑ auf Antrag der Klägerin gemäß § 508 Abs 1 ZPO ‑ dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil die Klägerin dem Berufungsgericht vorwerfe, überraschend und ohne entsprechendes Vorbringen schikanöse Rechtsverfolgung angenommen zu haben.

Die Klägerin könne den Beklagten nur die Einwirkung (den Eingriff) untersagen, nicht aber, wie hier von der Klägerin in erster Linie angestrebt, den diese Einwirkung verursachenden Betrieb als solchen; die pauschal auf Unterlassen der Ausübung des Volleyballsports und Volleyballspiels und Beseitigung des Sandes gerichteten Hauptbegehren seien daher unbegründet. Zwar habe das Erstgericht über die Eventualbegehren trotz Abweisung des Hauptbegehrens nicht entschieden. Die Klägerin habe diese nicht gänzliche Erledigung ihres Klagebegehrens in der Berufung jedoch nicht gerügt, sodass die Eventualbegehren aus dem Verfahren ausgeschieden seien.

Das Begehren auf Unterlassung, Bälle auf das Grundstück der Klägerin zu schießen, sei unberechtigt. Jede direkte, nur auf die Eigentumssphäre des Nachbarn gerichtete Einwirkung ohne besonderen Rechtstitel sei unter allen Umständen unzulässig; nur mittelbares Eindringen unwägbarer Stoffe sei vom Nachbarn im Rahmen des Ortsüblichen zu dulden. Allerdings entfalle ein nur schikanös geltend gemachter Abwehranspruch. Schikane verlange nicht, dass die Schädigungsabsicht einziger Grund der Rechtsausübung sei, sondern liege bereits dann vor, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein ganz krasses Missverhältnis bestehe. Schikane und Rechtsmissbrauch seien nur über entsprechenden Einwand aufzugreifen, doch könne sich dieser Einwand auch schlüssig aus dem Tatsachenvorbringen der Partei ergeben. Hier hätten die Beklagten dem Begehren der Klägerin, es zu unterlassen, Bälle auf ihr Grundstück zu schießen, entgegengehalten, dass in drei Jahren nur insgesamt vier Bälle auf das Grundstück der Klägerin gelangt seien. Mit diesem Vorbringen hätten sie ausreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie das Klagebegehren insoweit für rechtsmissbräuchlich erachteten. Die Einrede sei auch berechtigt: Wenn in drei Jahren nur insgesamt vier Bälle auf das Grundstück der Klägerin gelangt seien, könne aus der geringen Frequenz des Eindringens der Bälle geschlossen werden, dass es sich dabei um unübliche Fehlschläge handle; solche könnten aber nie völlig ausgeschlossen werden. Das Herüberfliegen von Bällen in solchen „Ausreißersituationen“ absolut zu verbieten, sei rechtsmissbräuchlich.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig. Entgegen dem ‑ den OGH nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ab.

1. Eine gegen die guten Sitten verstoßende missbräuchliche Rechtsausübung (Schikane) ist nicht nur dann anzunehmen, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen oder überwiegenden Grund der Rechtsausübung bildet, sondern auch dann, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein krasses Missverhältnis besteht, wenn also das unlautere Motiv der Rechtsausübung das lautere Motiv eindeutig überwiegt (4 Ob 114/07d mwN; RIS‑Justiz RS0026265).

2. Schikane ist zwar nur über entsprechenden Einwand aufzugreifen, kann aber auch schlüssig durch ein entsprechendes Tatsachenvorbringen geltend gemacht werden (vgl RIS‑Justiz RS0016447 [T2, T4], RS0016519).

3.1. Das Berufungsgericht ist bei seiner Entscheidung von dieser Rechtsprechung nicht abgewichen, wenn es nach den im Anlassfall gegebenen Umständen in vertretbarer Weise davon ausgegangen ist, dass a) die Beklagten den Einwand missbräuchlicher Rechtsausübung konkludent durch den Hinweis darauf erhoben hätten, dass in drei Jahren nur vier Mal Bälle auf das Grundstück der Klägerin gelangt seien (Protokoll Streitverhandlung vom 4. 7. 2012, S 4), und dass b) dieser Einwand auch berechtigt sei.

3.2. Der Frage, ob im Hinblick auf den Inhalt der Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, kommt ‑ abgesehen von einer hier nicht gegebenen groben Fehlbeurteilung ‑ ebenso wenig eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu wie der Frage, wie ein bestimmtes Vorbringen zu verstehen ist (vgl RIS‑Justiz RS0042828 [T3 iVm T15]; RS0113563) oder ob das Überraschungsverbot verletzt wurde (RIS‑Justiz RS0037300 [T31]).

3.3. Ob Rechtsmissbräuchlichkeit des Klagebegehrens vorliegt, wirft bei Anwendung der für die Sittenwidrigkeitskontrolle bereits geprägten höchstgerichtlichen Leitlinien auf die singulären Umstände des jeweiligen Falls keine erhebliche Rechtsfrage auf, wenn dem Berufungsgericht ‑ wie hier ‑ eine gravierende Fehlbeurteilung nicht unterlief (3 Ob 32/03g; 10 Ob 37/05x; Zechner in Fasching/Konecny ² IV/1 § 502 Rz 77 mwN).

4.1. Die im Rechtsmittel angeführte Entscheidung 10 Ob 37/05x = RIS‑Justiz RS0010613 [T6] ist nicht einschlägig, weil dort mehrmals pro Woche, gelegentlich auch mehrmals täglich, Fußbälle vom Fußballplatz auf die Liegenschaft des Klägers geschossen wurden.

4.2. Die unterbliebene Vernehmung von Zeugen zum Thema Lärm‑ und Staubimmissionen kann schon deshalb kein relevanter Verfahrensmangel sein, da Gegenstand des Berufungsverfahrens ‑ nach der unbekämpft gebliebenen Auffassung des Berufungsgerichts ‑ nur mehr das Begehren war, es zu unterlassen, Bälle auf das Grundstück der Klägerin zu schießen. Gleiches gilt sinngemäß auch für das Vorbringen im Rechtsmittel, dem Sachverständigen sei im Gutachten zum Ausmaß der Lärmimmission ein Rechenfehler unterlaufen.

4.3. Das Berufungsgericht hat aus der geringen Frequenz des Eindringens der Bälle auf dem Nachbargrundstück den Schluss gezogen, dass es sich dabei um unübliche Fehlschläge gehandelt habe. Insofern liegt keine Feststellung, sondern eine Schlussfolgerung auf Grund einer Wertung vor, die keine Aktenwidrigkeit im Sinne des Gesetzes sein kann (vgl RIS‑Justiz RS0043277 [T1], RS0043256).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO. Da die Beklagten in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen haben, diente ihr Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.

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