OGH 10Ob37/05x

OGH10Ob37/05x3.10.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Michael K*****, vertreten durch Dr. Andreas Brandtner, Rechtsanwalt in Feldkirch, gegen die beklagte Partei Stadt Feldkirch, 6800 Feldkirch, Schmiedgasse 1, vertreten durch Mag. Klaus Tusch und andere Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen Unterlassung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgericht vom 2. Dezember 2004, GZ 3 R 358/04a-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 31. August 2004, GZ 4 C 246/03w-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit 399,74 EUR (davon 66,62 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Beklagte ist Pächterin eines Grundstücks, auf dem sie einen Spiel- und Fußballplatz errichtete, den sie der Allgemeinheit kostenlos zur Verfügung stellt. Der Fußballplatz wird von Fußballvereinen zu Trainingszwecken genützt. Seine laufende Erhaltung obliegt im Auftrag der beklagten Partei einer Gesellschaft mbH, deren einzige Gesellschafterin die beklagte Partei ist.

Der Kläger ist Alleineigentümer einer Liegenschaft mit Haus, die von ihm und seiner Familie genutzt wird. Er erwarb die Liegenschaft mit Kaufvertrag vom 19. 7. 1999. Sie grenzt südlich an einen ca 4 m breiten Weideweg, der von Osten nach Westen verläuft. Südlich an den Weideweg schließt ein 5 bis 6 m breites, geschottertes Areal an, das den Benützern des wiederum südlich davon gelegenen Spiel- und Fußballplatzes als Parkplatz dient. Der Spiel- und Fußballplatz wird im Süden und im Norden - dort gegen den Parkplatz hin - durch Ballfanggitter begrenzt, die in ihrem mittleren Bereich jeweils 6 m hoch sind. Auf den letzten 4 bis 5 m gegen die östliche und westliche Platzbegrenzung hin sind sie etwa 2 m hoch.

In der Zeit zwischen dem Einzug des Klägers und seiner Familie in das Haus und der Klagseinbringung im Jänner 2003 wurden insbesondere in den Frühlings-, Sommer- und Herbstmonaten - vor allem bei schöner Witterung - immer wieder, im Durchschnitt mehrmals pro Woche, gelegentlich auch mehrmals täglich Fußbälle vom Fußballplatz auf die Liegenschaft des Klägers geschossen, der südlich seines Hauses einen Garten mit großem Schwimmteich angelegt hatte. Zunächst holten Fußballspieler oder von ihnen darum gebetene Zaungäste die Bälle vom Grundstück des Klägers zurück. Ende des Jahres 2001 war sein Anwesen vollständig umzäunt, sodass auf diese Weise nur noch nach Überklettern des Zauns, was durchaus auch vorkam, Fußbälle zurückgeholten werden konnten. Die Ballspieler waren daher genötigt, im Garten Anwesende um Rückgabe der Bälle zu ersuchen oder am Eingangstor zu läuten, um auf diese Weise zu versuchen, zum Ball zu kommen. Da der Kläger dies im Laufe der Zeit mehr und mehr als Belästigung empfand, verweigerte er gelegentlich die Rückgabe von Bällen. Die Notwendigkeit, verschossene Bälle persönlich am Eingangstor abzuholen, und die gelegentliche Verweigerung der Ballherausgabe führten zu einem gewissen Rückgang der „Ballfrequenz", jedoch nicht dazu, dass überhaupt kein Ball mehr auf das Grundstück des Klägers gelangte. Von einer Mehrzahl zwischen Anfang Juli und Ende Oktober 2002 verschossener Bälle gab der Kläger sechs Stück nicht selbst zurück, sondern deponierte sie bei seinem Rechtsanwalt. Dieser ersuchte im Auftrag des Klägers mit Schreiben vom 17. 7. 2002 die beklagte Partei um Abhilfe. Diese äußerte grundsätzliches Verständnis für die Wünsche des Klägers. Als Sofortmaßnahme wurde eine Tafel angebracht, auf der die Benützer des Platzes aufgefordert wurden, vorzugsweise in Richtung des südlichen Fußballtores zu spielen. Sie kündigte auch an, die Möglichkeit der Erhöhung des nördlichen Ballfanggitters zu prüfen. Hiefür wurde ein Betrag von 3.000 EUR in das Budget des Jahres 2003 aufgenommen, der allerdings nicht widmungsgemäß verwendet wurde. Im März 2003 wurde das nördliche, der Liegenschaft des Klägers zugewandte Tor abgebaut. Ob dieses wieder aufgestellt wird, ist offen.

Während des vorliegenden Verfahrens gelangte zumindest noch ein Fußball auf das Grundstück des Klägers. Dass sich darüber hinaus noch weitere Fußbälle während der Dauer des Verfahrens auf die Liegenschaft des Klägers verirrt hätten, ist zwar möglich, kann aber nicht festgestellt werden. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass Bälle nur aus dem Zwischenraum zwischen dem nördlichen Ballfanggitter und der Grenze des Grundstücks des Klägers auf dieses gelangten.

Von diesem Sachverhalt ausgehend gab das Erstgericht dem Klagebegehren, die Beklagte habe es zu unterlassen, die Liegenschaft des Klägers durch Immissionen fester Körper zu beeinträchtigen, insbesondere dadurch, das vom Sportplatz Fußbälle auf diese geschossen werden, gestützt auf § 362 Abs 2 Satz 2 ABGB statt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstandes 4.000 EUR, nicht aber 20.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Den Zulässigkeitsausspruch begründet es damit, dass sich der Oberste Gerichtshof noch nicht dazu geäußert habe, was bei Immissionen verschossener Fußbälle im Hinblick auf das Schikaneverbot dann zu gelten habe, wenn bislang noch kein beträchtlicher Schaden eingetreten sei.

Die Revision der beklagten Partei ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichtes, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508a Abs 1 ZPO), mangels Vorliegens einer iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Abgesehen davon, dass bei der Fassung des Unterlassungsgebotes immer auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen ist (4 Ob 123/98m; RIS-Justiz RS0037734) entspricht das von der Rechtsmittelwerberin als zu weit gefasst beanstandete Unterlassungsgebot jenem in der Entscheidung SZ 68/208 zu beurteilenden (s auch ImmZ 1995, 152). In dieser nahm der Oberste Gerichtshof zwar nicht ausdrücklich zur Fassung des Begehrens Stellung, beanstandete es aber auch nicht, obwohl er dies im Zug der allseitigen Prüfung der rechtlichen Beurteilung (s Nw d Rsp bei Klauser/Kodek, ZPO16 § 503 ZPO E 172), tun hätte können, ist doch die Frage, ob ein Unterlassungsbegehren zu weit geht, nach materiellem Recht zu beurteilen (6 Ob 98/01g; RIS-Justiz RS0037518).

Nach § 364 Abs 2 ABGB kann der Eigentümer eines Grundstückes dem Nachbarn die von dessen Grund ausgehenden Einwirkungen durch Abwässer, Rauch, Gase, Wärme, Geruch, Geräusch, Erschütterung und ähnliche insoweit untersagen, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benützung des Grundstückes wesentlich beeinträchtigen. Unmittelbare Zuleitung ist ohne besonderen Rechtstitel unter allen Umständen unzulässig. Daraus wird nach einhelliger Ansicht (s bloß Spielbüchler in Rummel³, ABGB § 364 Rz 7 mwN; Eccher in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB § 364 Rz 4 f) abgeleitet, dass nur mittelbares Eindringen unwägbarer Stoffe im Rahmen des Ortsüblichen zu dulden ist. Nach der Lehre kann daher das Eindringen grobkörperlicher Stoffe unbeschränkt abgewehrt werden (Spielbüchler aaO § 364 Rz 7; Oberhammer in Schwimann³, ABGB § 364 Rz 4). Für die Rechtsprechung ist die Größe der eindringenden Stoffe maßgebend. Ist ihr Umfang äußerst gering (s aber SZ 51/114: „verhältnismäßig gering" [Hobelspäne]), dann fallen sie unter § 364 Abs 2 Satz 1 ABGB (SZ 68/208): Das Eindringen solcher Stoffe ist hinzunehmen, solange das ortsübliche Maß nicht überschritten wird. Alle anderen Stoffe, wie zum Beispiel Steinsplitter, Kugeln, Fußbälle (SZ 14/224; SZ 68/208) können ohne Einschränkung abgewehrt werden (SZ 68/208 mwN). Die Revisionswerberin meint, aus der Entscheidung SZ 65/145 sei abzuleiten, für die Beurteilung der Frage, ob „unmittelbare Zuleitung" vorliege, sei nicht entscheidend, ob es sich um einen „festen Körper" handle, der auf das Nachbargrundstück gelange. Entscheidend sei allein, ob der Verursacher Zuleitungsmaßnahmen getroffen habe. Lägen solche nicht vor, müssten solche Beeinträchtigungen im zumutbaren Ausmaß bzw im Rahmen der Ortsüblichkeit hingenommen werden. Diese Ausführungen geben keinen Anlass von der ständigen Rechtsprechung abzugehen und zeigen keine erhebliche Rechtsfrage auf. Die Entscheidung SZ 65/145 weicht von der herrschenden Auslegung des § 364 Abs 2 ABGB nicht ab. In ihr wird lediglich die Ansicht vertreten, ein „absolutes" Verbot (Tennisbälle vom Tennisplatz auf das Grundstück des Nachbarn fliegen zu lassen) sei Schikane; es müsse jedoch verlangt werden, dass das Eindringen von Tennisbällen auf ein zumutbares Maß reduziert werde; das durch übliche Fehlschläge hervorgerufene Eindringen müsse jedenfalls verhindert werden. Daraus lässt sich nicht ableiten, dass die Ortsüblichkeit auch bei Eindringen grobkörperlicher Stoffe von wesentlicher Bedeutung ist, zumal der Oberste Gerichtshof in diesem Aufhebungsbeschluss nicht den Auftrag gab, die Tatsachengrundlage in dieser Richtung zu ergänzen.

Die Verneinung der Rechtsmissbräuchlichkeit des Klagebegehrens durch das Berufungsgericht begründet nicht die Zulässigkeit der Revision, wirft doch die Anwendung der für die Sittenwidrigkeitskontrolle bereits geprägten höchstgerichtlichen Leitlinien auf die singulären Umstände des jeweiligen Falls keine erhebliche Rechtsfrage auf, wenn dem Berufungsgericht eine gravierende Fehlbeurteilung nicht unterlief (3 Ob 32/03g; Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 § 502 Rz 77 mwN). Nach der zuvor referierten herrschenden Ansicht kann das Eindringen fester Körper größeren Umfangs (insbesondere Fußbälle) vom betroffenen Grundeigentümer jedenfalls abgewehrt werden, auch wenn weder ein bestimmtes Maß noch eine Beeinträchtigung der Nutzung vorliegt (SZ 68/208; SZ 14/224; MietSlg 33.024 mwN). Der Eigentümer des Grundstücks kann vom Nachbarn jedenfalls zumutbare Vorkehrungen gegen die Einwirkung fester Körper vom Nachbargrund her verlangen, ohne dass ein besonderes Maß der Schädigung vorausgesetzt würde (MietSlg 33.024 mwN). Eine Grenze findet dieser Abwehrspruch im allgemeinen Schikaneverbot des § 1295 Abs 2 ABGB (SZ 68/208 mwN; MietSlg 33.024). Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn das unlautere Motiv der Rechtsausübung das (die) lautere(n) Motiv(e) eindeutig überwiegt (ua SZ 68/208; SZ60/281; Reischauer in Rummel², ABGB § 1295 Rz 59; Karner in Koziol/Bydlinski, Bollenberger, ABGB § 1295 Rz 22 mwN). Die Auffassung des Berufungsgerichtes, dass die Rechtsverfolgung nicht schikanös ist, weil von einem verschossenen Fußball, der in einen bewohnten Garten fällt, ein nicht unbeträchtliches Gefahrenpotenzial ausgehe, ist jedenfalls keine korrekturbedürftige Beurteilung, zumal angesichts der festgestellten Häufigkeit des Eindringens von Fußbällen die Sorge des Klägers um die Sicherheit von Personen und Sachen im kritischen Bereich berechtigt ist. Entgegen den Ausführungen der Revision reichen die Feststellungen zur Beurteilung der Frage des Vorliegens von Rechtsmissbrauch der Rechtsverfolgung aus. Dass die Fußbälle nur durch „unübliche Fehlschläge" auf das Grundstück des Klägers gelangten, wurde in erster Instanz nicht behauptet. Aus einer geringen Frequenz des Eindringens von Fußbällen kann nicht darauf geschlossen werden, dass es sich um „Ausreißersituation" im Sinn „unüblicher Fehlschläge" handelte.

Dass die beklagte Partei landesgesetzlich verpflichtet ist, Sport- und Spielflächen zur Verfügung zu stellen, kann den Abwehranspruch nicht beseitigen. Welche Immissionen im öffentlichen Interesse zu dulden sind, regelt § 364a ABGB. Diese Bestimmung erfasst aber weder unmittelbare Zuleitungen noch grob körperliche Einwirkungen (SZ 68/208 mwN). Auch öffentliches Interesse kann daher - ohne besondere gesetzliche Grundlage - die Immission grob körperlicher Stoffe unabhängig davon nicht rechtfertigen, ob die Beeinträchtigung durch Schutzmaßnahmen verhindert werden kann (SZ 68/208).

Soweit die Revision Wegfall der Wiederholungsgefahr geltend macht, wird mit den Ausführungen keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt. Ob nach den im Einzelfall gegebenen Umständen Wiederholungsgefahr besteht, ist grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage (6 Ob 71/05t; RIS-Justiz RS0042818; RS0031891). Die Annahme der Vorinstanzen, dass aufgrund der konkreten Umstände des vorliegenden Falls Wiederholungsgefahr vorliegt, hält sich im Rahmen der ständigen Rechtsprechung, dass bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr nicht engherzig vorgegangen werden darf. Diese liegt schon im Fortbestehen eines Zustands, der keine Sicherungen gegen weitere Rechtsverletzungen bietet. Wiederholungsgefahr ist daher auch anzunehmen, wenn der mit der Unterlassungsklage Belangte sein Unrecht nicht einsieht (SZ 50/99; SZ 55/30; SZ 61/133; RIS-Justiz RS0010497). Infolge der zwangsläufigen Einzelfallbezogenheit kann die Frage, ob die von der Revisionswerberin zur Vermeidung des Eindringens von Fußbällen auf dem Grundstück des Klägers gesetzten Maßnahmen zum Wegfall der Wiederholungsgefahr führten, grundsätzlich nicht an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden. Die Ansicht des Berufungsgerichtes, die Wiederholungsgefahr bestehe fort, weil trotz der gesetzten Maßnahme zumindest noch einmal ein Ball auf die Liegenschaft des Klägers gelangt sei, die beklagte Partei die angekündigte Erhöhung des Ballfanggitters nicht ausgeführt habe und es durchaus möglich sei, dass das abgebaute Tor wieder aufgestellt werde, ist jedenfalls keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Einzelfalles. Weitere Feststellungen der Tatsacheninstanzen zur Erwirkung der von der beklagten Partei gesetzten Schutzmaßnahmen waren nicht erforderlich.

Da weder die vom Berufungsgericht bezeichnete Rechtsfrage noch die in der Revision geltend gemachten Rechtsfragen erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO sind, war die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Der Kläger wies in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hin.

Stichworte