OGH 2Ob143/13p

OGH2Ob143/13p13.2.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Steiermärkische Gebietskrankenkasse, 8010 Graz, Josef‑Pongratz‑Platz 1, vertreten durch Dr. Helmut Destaller und Dr. Gerald Mader, Rechtsanwälte in Graz, gegen den Beklagten mj C***** W*****, *****, vertreten durch Stolz & Schartner Rechtsanwälte GmbH in Radstadt, wegen 6.843,97 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 10. April 2013, GZ 22 R 80/13p‑25, womit das Urteil des Bezirksgerichts Tamsweg vom 14. Dezember 2012, GZ 2 C 278/12x‑20, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 559,15 EUR (darin enthalten 93,19 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) ‑ nachträglichen Ausspruch des Berufungsgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ab:

Dem Verfahren liegt ein Vorfall in einer Schule während einer Pause zu Grunde. Der damals rund 15jährige Beklagte versetzte einem Mitschüler zwei Kniestöße („Schenkerl“) gegen den Oberschenkel, sodass dieser schwere Prellungen und Hämatome erlitt und sich in der Folge zwei Operationen (nach dem Akteninhalt Fasziotomien wegen eines drohenden Kompartmentsyndroms) unterziehen musste.

Die Klägerin erbrachte als Pflichtversicherer Leistungen und begehrt nunmehr Regress vom Beklagten.

Das Berufungsgericht verneinte das Vorliegen von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit iSd § 332 Abs 5 und 6 ASVG beim Beklagten und wies das Klagebegehren ab. Es ließ die Revision der klagenden Partei nachträglich mit der Begründung zu, dass zur Frage, ob „in Bezug auf die subjektive Tatseite zwischen der auf die Tathandlung bezogenen Willensrichtung (Misshandlung) und den lediglich leicht fahrlässigen in Kauf genommenen Folgen (Körperverletzung) differenziert werden müsse und erstere als Haftungstatbestand für die Legalzession nach § 332 ASVG ausreiche“, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung existiere.

Die Revisionswerberin führt dazu aus, dass das Verhalten des Beklagten eine Vorsatztat iSd § 83 Abs 2 StGB darstelle, wobei die Begehungsart in der vorsätzlichen Misshandlung am Körper bestehe, und für den Erfolg (Art und Umfang der Körperverletzung) nicht Vorsatz verlangt werde, sondern Fahrlässigkeit genüge. Es liege eine Tat mit Vorsatz iSd § 1294 ABGB vor, für den der Beklagte der Klägerin gemäß § 332 ASVG zu haften habe. Vorsatz in Bezug auf einen ‑ schweren ‑ Erfolg der Misshandlung sei nicht Tatbestandsmerkmal des § 83 Abs 2 StGB. Wenn die Tat nach dem Strafrecht zu ahnden gewesen wäre und für die zivilrechtliche Beurteilung Bindungswirkung entfaltet hätte, könne sie auch zivilrechtlich nicht anders denn als im Rahmen des § 1294 ABGB haftungsbegründende Vorsatztat gewertet werden.

Rechtliche Beurteilung

1. Nach der umfangreichen Judikatur des Obersten Gerichtshofs ist grobe Fahrlässigkeit nach dem ASVG aber mit der auffallenden Sorglosigkeit nach bürgerlichem Recht gleichzusetzen (RIS‑Justiz RS0030510).

Auch zum Vorsatz iSd § 333 ASVG besteht bereits Judikatur dahingehend, dass sich dieser nicht mit gröblichster Fahrlässigkeit gleichsetzen lässt, sondern böse Absicht bedeutet (RIS‑Justiz RS0085680). Diese ist nur gegeben, wenn der Schaden widerrechtlich mit Wissen und Willen verursacht worden ist. Der Vorsatz muss Eintritt und Umfang des Schadens umfassen (RIS‑Justiz RS0085680 [T3]).

2. Weshalb es trotz dieser Judikatur auf die in der Revision dargestellten Voraussetzungen für die strafrechtliche Tatbestandsmäßigkeit der schweren Körperverletzung ankommen soll, ist nicht nachvollziehbar. Die Frage der allfälligen Bindung an ein Straferkenntnis ist schon deshalb nicht relevant, weil ein solches nicht vorliegt.

3. Bei der Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit ist auf den Einzelfall abzustellen (RIS‑Justiz RS0030331; RS0030309).

Sowohl zur Definition der groben Fahrlässigkeit als auch zu ihrer Unterscheidung von der leichten Fahrlässigkeit und vom vorsätzlichen Handeln liegt umfangreiche Judikatur vor (RIS‑Justiz RS0038120; RS0030303; RS0031127; RS0030644; RS0030272; RS0026555 ua). Für die Beurteilung der Schwere des Sorgfaltsverstoßes kommt es insbesondere auch auf die Gefährlichkeit der Situation an (RIS‑Justiz RS0022698). Der Schadenseintritt muss dabei als wahrscheinlich voraussehbar gewesen sein (RIS‑Justiz RS0030359; RS0030477).

4. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall durch das Berufungsgericht liegt im Rahmen des von der genannten Judikatur gezogenen Ermessensspielraums.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO. Da der Beklagte in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, diente sein Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte