OGH 13Os115/13f

OGH13Os115/13f30.1.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. Jänner 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Nagl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Manuel S***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 1, Abs 4 Z 3 SMG und § 12 zweiter Fall StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 7. Oktober 2013, GZ 27 Hv 23/13d‑76a, sowie über die Beschwerde des Angeklagten gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Verlängerung einer Probezeit nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0130OS00115.13F.0130.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Manuel S***** der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster Fall, Abs 4 Z 3 SMG (A/I), nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 1, Abs 4 Z 3 SMG und § 12 zweiter Fall StGB (A/II) sowie nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1, Abs 4 Z 3 SMG (A/III), mehrerer Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (B) und des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB (C) schuldig erkannt.

Nach dem Referat im Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) hat er in L***** und an anderen Orten

(A) gewerbsmäßig vorschriftswidrig Suchtgift in einer jeweils das 25‑fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge

I) erzeugt, indem er im Herbst 2009 ca 22,4 kg Cannabiskraut mit einem THC‑Gehalt von zumindest 8 % (US 8) aufzog und erntete,

II) aus‑ und eingeführt, indem er

1) vor dem Jahr 2009 den abgesondert verfolgten Martin P***** bestimmte (§ 12 zweiter Fall StGB), Kokain und Cannabiskraut mittels sogenanntem Bodypacking von Amsterdam nach Österreich zu transportieren,

2) im Sommer 2010 in zwei Angriffen etwa 1 kg Cannabiskraut mit einem THC‑Gehalt von zumindest 8 % (US 10) von Tschechien nach Österreich schmuggelte,

3) vom Jahr 2002 bis zum Sommer 2012 (mit Ausnahme des Zeitraums vom 8. März 2004 bis zum 7. Mai 2004) in zahlreichen Angriffen eine insgesamt jedenfalls das 25‑fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigende Menge an Cannabiskraut mit einem THC‑Gehalt von zumindest 8 % (US 10), Speed mit einem Amphetamin‑Gehalt von 20 % (US 10), Kokain mit einem Reinheitsgrad von 20 % (US 10), Methamphetamin mit einem Reinheitsgrad von 70 % (US 10) und (MDMA‑ bzw MDE‑hältige) Ecstasytabletten von Polen oder Tschechien nach Österreich brachte, wobei die Schmuggelfahrten über einen Zeitraum von fünf Jahren zweimal pro Woche stattfanden und dabei jeweils mindestens 100 Gramm Speed (Wirkstoff Amphetamin) und zumindest 5.000 Ecstasytabletten importiert wurden, und

4) vom Mai 2011 bis zum 14. September 2012 (über die unter A/II/3 beschriebenen Taten hinausgehend) wöchentlich 100 bis 200 Gramm, in der Zeit vom Mai 2012 bis zum Juli 2012 jedenfalls 1 kg, Metamphetamin mit einem Reinheitsgrad von 70 % (US 10) von Tschechien nach Österreich sowie eine weitere Menge dieses Suchtgifts von Österreich nach Bosnien transportierte, weiters

III) vom Jahr 2002 bis zum Juli 2012 (mit Ausnahme des Zeitraums vom 8. März 2004 bis zum 7. Mai 2004) in zahlreichen, im Urteil detailliert angeführten Angriffen anderen überwiegend durch gewinnbringenden Verkauf überlassen, nämlich die zu A/I und A/II bezeichneten Suchtgift‑Mengen und darüber hinaus (MDMA‑ bzw MDE‑hältige) Ecstasytabletten,

wobei er schon einmal wegen Straftaten im Sinn des § 28a Abs 1 SMG verurteilt worden ist,

(B) vom Dezember 2010 bis zum Sommer 2012 vorschriftswidrig Metamphetamin und Cannabiskraut zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen sowie

(C) im Juli 2012 ein iPad im Wert von 560 Euro dem Zlatan R***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.

Die Verfahrensrüge (Z 4) bezieht sich nicht auf einen Antrag des Beschwerdeführers oder einen gegen seinen Antrag oder Widerspruch gefassten Beschluss und orientiert sich solcherart nicht an den Kriterien des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes (vgl zB Fabrizy , StPO 11 § 281 Rz 36).

Der Vollständigkeit halber sei ergänzt, dass sich die (nominell aus Z 4 erhobene) Behauptung, der Beschwerdeführer sei zu der dem Schuldspruch C zu Grunde liegenden Tat nicht gehört worden, vom Inhalt des ungerügten Protokolls über die Hauptverhandlung entfernt (ON 54a S 2 iVm ON 45 S 2 und 7).

Indem die Mängelrüge (Z 5) mit Blick auf den Schuldspruch A/I anhand urteilsfremder Spekulationen über die Größe der Anbaufläche, den Durchmesser der einzelnen Anbautöpfe und die Tragfähigkeit einer Cannabispflanze die erzeugte Suchtgiftmenge geringer darzustellen trachtet als vom Erstgericht angenommen, wendet sie sich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

Die Kritik, die Begründung der angefochtenen Entscheidung lasse hinsichtlich des Suchtgift‑Reinheitsgehalts den gebotenen Sachverhaltsbezug vermissen (Z 5 vierter Fall), nimmt nicht Maß an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe und verfehlt solcherart den gesetzlichen Bezugspunkt (12 Os 36/04, RZ‑EÜ 2005/23; RIS‑Justiz RS0116504 [T2] und RS0119370, jüngst 12 Os 74/13v).

Das Erstgericht argumentiert insoweit nämlich nicht (wie behauptet) bloß anhand abstrakter Erwägungen aus Gerichtsnotorietät, sondern schließt aus den Aussagen mehrerer Zeugen, der Verantwortung des Beschwerdeführers und (teilweise) dem Herkunftsort des Suchtgifts unter Einbeziehung von Erfahrungswerten auf den Reinheitsgrad (US 9, 22), was unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden ist.

Hinzu kommt, dass selbst die ausschließliche Ableitung von Feststellungen aus der Gerichtsnotorietät dann (mit Blick auf Art 6 MRK) unbedenklich ist, wenn der Angeklagte nicht von einer solchen ihm unbekannten Notorietät im Tatsachenbereich überrascht wird (12 Os 49/04, SSt 2004/40; Lendl , WK‑StPO § 258 Rz 44; Schwaighofer in WK² SMG § 28b Rz 13). Auch ein derartiges Überraschungsmoment liegt hier nicht vor, weil der Beschwerdeführer mit den in Rede stehenden Werten anlässlich des Vortrags der Anklageschrift (siehe insbesonders ON 20 S 21) im Rahmen der Hauptverhandlung konfrontiert wurde (ON 54a S 2 iVm ON 45 S 2 [dazu Lendl , WK‑StPO § 258 Rz 44]).

Mit den ‑ teils allgemein, teils personenbezogen ‑ angestellten Überlegungen zur Glaubwürdigkeit von Zeugen verfehlt die Beschwerde erneut ihren Anfechtungsrahmen. Das Erstgericht erörtert die seinen Feststellungen widersprechenden Verfahrensergebnisse (Z 5 zweiter Fall) und legt in eingehender, den Gesetzen logischen Denkens sowie grundlegenden Erfahrungssätzen entsprechender (Z 5 vierter Fall) Beweiswürdigung dar, aus welchen Gründen es zu seinen Sachverhaltsannahmen gelangt (US 15 bis 22). Die aus dem solcherart mängelfrei betrachteten Beweismaterial gezogenen Schlüsse sind als kritisch‑psychologischer Vorgang der Beweiswürdigung der Bekämpfung mit Nichtigkeitsbeschwerde entzogen (SSt 39/41, RIS‑Justiz RS0098390; Lendl , WK‑StPO § 258 Rz 25).

Entgegen der Beschwerde bleiben die Feststellungen zum Schuldspruch A/II/2 keineswegs unbegründet (Z 5 vierter Fall). Das Erstgericht stützt sich insoweit auf die als glaubwürdig erachteten Angaben der Zeugin Nina G***** im Ermittlungsverfahren (US 9) und setzt sich in ausführlicher Beweiswürdigung mit deren wechselndem Aussageverhalten auseinander (US 18 f).

Mit den Berechnungen zur Suchtgiftmenge, Spekulationen über die Fahrtroute und mögliche „Kontrollen“ sowie Beweiswerterwägungen zur Glaubwürdigkeit mehrerer Zeugen wendet sich die Beschwerde einmal mehr in unzulässiger, nicht an § 281 Abs 1 Z 5 StPO orientierter Weise gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichts.

Mit der im Rahmen der Hauptverhandlung abgelegten Aussage des Zeugen Sebastian B***** setzen sich die Tatrichter ‑ der Beschwerde (Z 5 zweiter und vierter Fall) zuwider ‑ sehr wohl, und zwar logisch wie empirisch einwandfrei, auseinander (US 21).

Die vermisste Begründung (Z 5 vierter Fall) für die Schuldsprüche A/III/10, A/III/12 und A/III/13 findet sich auf US 13 iVm US 15.

Mit der Behauptung einiger Zeugen, Zlatan R***** habe den Beschwerdeführer fälschlich belastet, setzen sich die Tatrichter eingehend auseinander (US 17, 21 f [Z 5 zweiter Fall]).

Die Feststellungen zur Gewerbsmäßigkeit gründet das Erstgericht keineswegs bloß auf die finanzielle Situation des Beschwerdeführers, sondern überdies auf die monatelange, organisierte Tatbegehung und die Aussage der Zeugin Nina G*****, wonach der Beschwerdeführer seinen Lebensunterhalt aus dem gewinnbringenden Verkauf von Suchtgift bestritt (US 22), was unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) nicht zu beanstanden ist.

Das in der Hauptverhandlung gegenüber dem Ermittlungsverfahren zu Gunsten des Beschwerdeführers geänderte Aussageverhalten des Zeugen Ernest T***** erörtern (Z 5 zweiter Fall) die Tatrichter sehr wohl (US 21).

Die Tatsachenrüge (Z 5a) dient dazu, aus in der Hauptverhandlung vorgekommenen Verfahrensergebnissen (§ 258 Abs 1 StPO) erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zu Grunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu wecken. Darüber hinaus ermöglicht sie dem Beschwerdeführer als Aufklärungsrüge, die Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung (§ 3 Abs 1 StPO) zu relevieren.

Die deutliche und bestimmte Bezeichnung dieses Nichtigkeitsgrundes (§ 285 Abs 1 StPO) erfordert somit zunächst das Anführen jener Feststellungen, gegen die sich die Beschwerde wendet. Darüber hinaus sind jene Verfahrensergebnisse anzuführen, aus denen (aus Sicht des Rechtsmittelwerbers) die (erheblichen) Bedenken ‑ gegen (wie dargelegt) konkret zu nennende Urteilskonstatierungen ‑ abzuleiten seien (RIS‑Justiz RS0124172). Dabei ist im Fall der Aufklärungsrüge zu beachten, dass sie (zwar nicht auf in der Hauptverhandlung Vorgekommenes Bezug nehmen muss, aber) nur auf solche Beweismittel gestützt werden kann, die zufolge rechtzeitigen Einlangens in der Hauptverhandlung hätten vorkommen können und dürfen, allenfalls auch Anlass zur Durchführung von weiteren Beweisaufnahmen gegeben hätten. In letzteren beiden Fällen muss die Rüge überdies darlegen, aus welchen Gründen der Beschwerdeführer gehindert gewesen sei, die Aufnahme der angesprochenen Beweise in der Hauptverhandlung zu beantragen (zum Ganzen RIS‑Justiz RS0117516, RS0117749 und RS0119310).

Diesen Kriterien wird die Beschwerde mit der bloßen Erklärung, die „unter 2. geltend gemachten Gründe werden hilfsweise auch unter diesem Nichtigkeitsgrund gelten gemacht“, nicht gerecht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass der Angeklagte nach dem Referat im Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) alle vom Schuldspruch A umfassten strafbaren Handlungen gewerbsmäßig (§ 70 StGB) beging (US 1), die diesbezügliche Willensausrichtung jedoch in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) nur hinsichtlich der Teile II (US 11) und III (US 14), nicht hingegen bezüglich des Teiles I (siehe insbesonders US 8) dieses Schuldspruchs festgestellt wird. Da das Erstgericht folgerichtig die Qualifikation nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG zum Schuldspruch A/I nicht annahm (US 5), liegt aber insoweit kein Rechtsfehler vor (13 Os 14/04, SSt 2004/25; RIS‑Justiz RS0118775; jüngst 15 Os 105/13z).

Sollten Konstatierungen zur Gewerbsmäßigkeit in Bezug auf den Schuldspruch A/I nur deswegen unterblieben sein, weil der Angeklagte zwar schon nach § 28a Abs 1 zweiter, dritter und fünfter Fall SMG, nicht jedoch nach § 28a Abs 1 erster Fall SMG verurteilt worden ist (US 7), wäre dies allerdings verfehlt, weil § 28a Abs 2 Z 1 SMG nicht zwischen den Deliktsvarianten des § 28a Abs 1 SMG (zum Aufbau dieses ‑ teils alternativen, teils kumulativen ‑ Mischtatbetands siehe RIS‑Justiz RS0111410, RS0114037, RS0115527 und RS0125736) differenziert.

Die Entscheidung über die Berufung und die gemäß § 498 Abs 3 dritter Satz StPO als erhoben zu betrachtende Beschwerde kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 285i, 498 Abs 3 letzter Satz StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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