OGH 4Ob190/13i

OGH4Ob190/13i17.12.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Perner, Rechtsanwalt in Saalbach, gegen die beklagten Parteien 1. E***** KG, 2. E***** GmbH, beide *****, beide vertreten durch Mag. Bernd Moser, Rechtsanwalt in Saalfelden, wegen Feststellung und Unterlassung (Streitwert 7.000 EUR), über die Rekurse der klagenden und der erstbeklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 31. Juli 2013, GZ 53 R 134/13g‑15, mit welchem das Urteil des Bezirksgerichts Saalfelden vom 11. März 2013, GZ 2 C 92/13v‑8, infolge Berufung der erstbeklagten Partei gegenüber dieser Partei aufgehoben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.

Hingegen wird dem Rekurs der erstbeklagten Partei Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Zurückverweisung an die erste Instanz nicht zur Ergänzung des Verfahrens, sondern nur zur neuerlichen Entscheidung erfolgt.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin ist Eigentümerin der Liegenschaft EZ 253 GB *****, bestehend aus den Grundstücken .197 und 428/18. Im Gutsbestandsblatt dieser Liegenschaft ist mit der Tagebuchzahl 324/1933 die Dienstbarkeit des Geh- und Fahrtrechts an Grundstück 390/4 der EZ 170 GB ***** ersichtlich gemacht. Die letztgenannte Liegenschaft gehört der erstbeklagten Kommanditgesellschaft, deren Komplementärin die Zweitbeklagte ist. Im Lastenblatt der EZ 170 ist mit der Tagebuchzahl der Ersichtlichmachung die Dienstbarkeit des Geh- und Fahrtrechts auf Grundstück 390/4 „für Grundstück 390/7“ einverleibt, dies unter Hinweis auf Punkt 7.2. eines Kaufvertrags vom 21. März 1933.

Mit diesem Kaufvertrag hatte der damalige Eigentümer des Grundstücks 390/4 dem Erwerber des davon abgeschriebenen Grundstücks 390/7 das Recht eingeräumt, über das Grundstück 390/4 zum Grundstück 390/7 zu gehen und mit landesüblichen Fahrzeugen zu fahren. Ein Grundstück mit der Nummer 390/7 gibt es heute nicht mehr; in „weitgehend denselben Grenzen“ besteht statt dessen das der Klägerin gehörende Grundstück .197. Auf dem herrschenden Grundstück befand sich von Anfang an ein Haus; um das Jahr 2006 errichtete die Klägerin dort ein Sportgeschäft. Auf dem dienenden Grundstück befindet sich eine Fleischhauerei der Beklagten.

Die Klägerin begehrt gegenüber beiden Beklagten die Feststellung des Bestehens der Dienstbarkeit gemäß dem Vertrag aus dem Jahr 1933. Weiters beantragt sie, den Beklagten zu untersagen, die Ausübung dieser Dienstbarkeit zu behindern oder einzuschränken. Die Fläche des ehemals herrschenden Grundstücks 390/7 sei durch Ab- und Zuschreibungen nun Teil der ihr gehörenden Liegenschaft EZ 253. Die Beklagten hinderten die Klägerin an der Ausübung der Dienstbarkeit. Der Geschäftsführer der Erstbeklagten habe mehrfach betont, dass er die Dienstbarkeit des Geh- und Fahrtrechts nicht respektiere.

Die Beklagten wenden ein, es fehle ein Nachweis, dass das seinerzeit herrschende Grundstück 390/7 nun Teil der EZ 253 sei. Die Dienstbarkeit sei zumindest seit 1968 nicht mehr ausgeübt worden; zudem habe ein früherer Eigentümer ausdrücklich darauf verzichtet. Der Geschäftsführer der Klägerin habe das Nichtbestehen einer Dienstbarkeit im Zuge eines Bauverfahrens ausdrücklich anerkannt. Die Zweitbeklagte sei nicht passiv legitimiert, weil sie nicht Eigentümerin der EZ 170 sei. Das Klagebegehren reiche zu weit, weil in das Grundstück 390/4 etwa 1970 ein Grundstücksteil im nördlichen Bereich einbezogen worden sei, auf den sich die Dienstbarkeit jedenfalls nicht beziehen könne.

Die Klägerin erwiderte, ihre Liegenschaft sei immer über die nun strittige Fläche aufgeschlossen worden. Diese Fläche sei daher durchgehend benutzt worden, sodass eine Verjährung der Dienstbarkeit ausgeschlossen sei. Auch ein Verzicht sei nicht erfolgt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren gegenüber der Erstbeklagten statt und wies es gegenüber der Zweitbeklagten ab. Es nahm als erwiesen an, dass die Rechtsvorgänger der Klägerin das dienende Grundstück bis 1968 als Zufahrt zu einer Garage auf ihrem Grund genutzt hätten. Dann habe jedoch der Eigentümer des dienenden Grundstücks einen Verzicht „auf die Garage samt Befahren des Beklagtengrundstücks“ gefordert, worin sich der Rechtsvorgänger des Klägers „gefügt“ habe. In weiterer Folge sei das Haus auf dem herrschenden Grundstück umgebaut worden, wobei die bis dahin bestehenden Eingänge auf der Nord- und Westseite entfernt worden seien. Aus „diesen Richtungen“ sei daher kein Zugang zum herrschenden Grundstück mehr möglich gewesen sei. Die Eigentümer des herrschenden Grundstücks seien zwar ‑ wie auch andere Personen ‑ auf dem dienenden Grundstück gefahren und gegangen, um in der Fleischhauerei einzukaufen. „Ob unabhängig davon nur im Hinblick auf die Nutzung des Klagsgrundstücks deren Eigentümer das Beklagtengrundstück betraten oder befuhren steht nicht fest.“ Der Geschäftsführer der Klägerin habe im Jahr 2002 bei der (gemeint: gesellschaftsrechtlichen) Einbringung des herrschenden Grundstücks das eingetragene Geh- und Fahrtrecht „gesehen“ und darauf vertraut. Im Jahr 2006 habe er dem Rechtsvorgänger der Erstbeklagten bestätigt, dass durch neu errichtete Notausgänge kein Gehrecht ersessen werden könne. Über das Bestehen eines Fahrtrechts habe man dabei nicht gesprochen. Rechtlich folgerte das Erstgericht, dass die Dienstbarkeit durch die Zu- und Abschreibungen beim herrschenden Gut nicht erloschen sei; allein die Änderung der Grundstücksnummer ändere daran nichts. Dienstbarkeiten könnten jedoch durch Verzicht oder durch mehr als 30 Jahre dauernde Nichtausübung erlöschen. Nach § 1499 ABGB könne der Verpflichtete dann die Löschung seiner in den öffentlichen Büchern eingetragenen Last verlangen. Tue er das nicht, so bestimme § 1500 ABGB, dass demjenigen, der im Vertrauen auf die öffentlichen Bücher ein Recht an der Liegenschaft erwerbe, der durch Verjährung eingetretene Verlust des eingetragenen Rechts nicht entgegen gehalten werden könne. Der Geschäftsführer der Klägerin habe bei der Einbringung des Klagsgrundstücks in die Klägerin im Jahr 2002 das eingetragene Geh- und Fahrtrecht gesehen und darauf vertraut. Eine allfällige Freiheitsersitzung durch die Erstbeklagte infolge jahrzehntelanger Nichtausübung wäre damit vereitelt, denn die Einbringung einer Sacheinlage in eine GmbH sei Einzelrechtsnachfolge, nicht Gesamtrechtsnachfolge. Die Zweitbeklagte sei als bloße Komplementärin der Erstbeklagten nicht passiv legitimiert.

Die Klägerin ließ die Abweisung des Begehrens gegen die Zweitbeklagte unbekämpft; die Erstbeklagte erhob Berufung gegen den stattgebenden Teil der Entscheidung.

Das Berufungsgericht hob die gegen die Erstbeklagte ergangene Entscheidung auf und verwies die Rechtssache insofern zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ es zu.

Die Änderung der Bezeichnung des herrschenden Grundstücks führe nicht zum Erlöschen der Dienstbarkeit. Durch den von der Erstbeklagten behaupteten Zuerwerb eines weiteren Grundstücks zum (gemeint:) dienenden Gut werde eine Dienstbarkeit zwar nicht auf den neuen Grundstücksteil erweitert; dies sei aber unerheblich, weil sich die Begehren der Klägerin ohnehin nur auf die Dienstbarkeit gemäß dem Kaufvertrag aus dem Jahr 1933 bezögen und daher den dazugekommenen Grundstücksteil nicht erfassten. Ein Verzicht auf die Dienstbarkeit könne aus den Feststellungen des Erstgerichts nicht abgeleitet werden; zudem führte er nach der neueren Rechtsprechung wegen der Geltung des Eintragungsprinzips anders als die Verjährung nicht zum außerbücherlichen Erlöschen der Dienstbarkeit. Für die Voraussetzungen der Freiheitsersitzung sei die Erstbeklagte beweispflichtig. Den Feststellungen des Erstgerichts lasse sich nicht mit ausreichender Sicherheit entnehmen, ob es angenommen habe, dass das dienende Grundstück seit 1968 nicht mehr begangen und befahren worden sei oder ob das offen bleiben sollte. Insofern seien die Feststellungen zu verbreitern, um eine verlässliche Tatsachengrundlage zu schaffen. § 1500 ABGB sei nicht von Amts wegen anzuwenden. Diese Bestimmung schütze nur den rechtsgeschäftlichen Erwerb gegen Entgelt. Schon insoweit wäre ein entsprechendes Vorbringen erforderlich gewesen, sodass die vom Erstgericht in diesem Zusammenhang getroffenen Feststellungen überschießend seien. Um die Klägerin nicht mit dieser Rechtsansicht zu überraschen und überdies der Pflicht zur Erörterung des Sach- und Rechtsvorbringens iSd § 182a ZPO ausreichend zu entsprechen, sei die Sache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Rekurs sei zuzulassen, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob es für die Anwendung von § 1500 ABGB genüge, wenn sich der Buchberechtigte zur Abwehr der Verjährung einer Dienstbarkeit lediglich auf sein Eigentumsrecht und die zugunsten seiner Liegenschaft verbücherte Dienstbarkeit berufe, und ob die in der Einlage des dienenden Guts nicht berücksichtigte Änderung der Bezeichnung des herrschenden Guts Auswirkungen auf den Bestand der Dienstbarkeit habe.

Gegen diese Entscheidungen richten sich Rekurse beider Parteien. Die Klägerin strebt die Wiederherstellung des stattgebenden Ersturteils an. Die Erstbeklagte habe die Voraussetzungen für den Eintritt der Verjährung nicht bewiesen; daher komme es auf § 1500 ABGB nicht an. Für die allenfalls erforderliche Anwendung dieser Bestimmung habe aber jedenfalls die Behauptung des Eigentums genügt. Die Erstbeklagte beantragt eine abweisende Sachentscheidung. Die Liegenschaft der Klägerin scheine im Lastenblatt der dienenden Liegenschaft nicht als herrschendes Gut auf; daher sei die Dienstbarkeit erloschen. Die Negativfeststellung zur Ausübung der Dienstbarkeit ab 1968 gehe zu Lasten der Klägerin, weil diese näher am Beweis sei und der Erstbeklagten der Beweis des Nichtvorliegens einer Nutzungshandlung nicht zugemutet werden könne. § 1500 ABGB sei nicht von Amts wegen anzuwenden. Eine Aufhebung zur Ermöglichung eines Vorbringens sei nicht zulässig; einen allfälligen Erörterungsmangel hätte die Klägerin in der Berufungsbeantwortung rügen müssen.

Nur die Klägerin erstattet eine Rekursbeantwortung. Sie beantragt, dem Rekurs der Erstbeklagten „keine Folge zu geben, diesen als unzulässig zurückzuweisen“.

Rechtliche Beurteilung

Die Rekurse sind wegen des inhaltlichen Zusammenhangs gemeinsam zu behandeln. Sie sind zur Klarstellung der Behauptungs- und Beweislast bei Dienstbarkeitsstreitigkeiten zulässig, nur jener der Erstbeklagten ist aber berechtigt.

1. Die Erstbeklagte vertritt weiterhin die Auffassung, dass die Änderung der Bezeichnung des herrschenden Guts, die in der Einlage des dienenden Guts nicht nachvollzogen wurde, zum Erlöschen der Dienstbarkeit führte. Es steht allerdings fest, dass das (neue) Grundstück ./197 „im Wesentlichen“ mit dem seinerzeit als herrschend bezeichneten Grundstück 390/7 übereinstimmt. Die offenbar aufgrund von Zu- oder Abschreibungen erfolgte Änderung der Bezeichnung dieses Grundstücks hätte analog § 9 AllgGAG von Amts wegen beim dienenden Gut ersichtlich gemacht werden müssen (vgl G. Kodek in G. Kodek, Grundbuchsrecht 1.01 § 9 AllgGAG Rz 4 mwN). Dass dies nicht erfolgt ist, kann nicht zum Erlöschen der Dienstbarkeit führen. Vielmehr gibt das Grundbuch hier nicht die wirkliche Rechtslage wieder, was nach § 136 GBG zu berichtigen wäre. Die Frage, ob bis zu einer solchen Berichtigung ein gutgläubiger Dritter das dienende Gut im Vertrauen auf die scheinbare Gegenstandslosigkeit der Eintragung lastenfrei erwerben könnte, stellt sich hier nicht, weil sich die Erstbeklagte nicht auf einen solchen Erwerb berufen hat.

2. Auf einen Verzicht auf die Dienstbarkeit kommt die Erstbeklagte in ihrem Rekurs ‑ wohl aufgrund des zutreffenden Hinweises des Berufungsgerichts auf die Entscheidung 5 Ob 1/07v (= SZ 2007/8), wonach ein solcher Verzicht erst mit der Einverleibung zum Erlöschen der Dienstbarkeit führte ‑ nicht zurück. Dieser selbständige Streitpunkt ist daher nicht weiter zu prüfen.

3. Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Erstbeklagte die Nichtausübung der Dienstbarkeit zu beweisen habe, trifft zu.

3.1. Dienstbarkeiten erlöschen nach § 524 ABGB „im Allgemeinen auf diejenigen Arten, wodurch nach dem dritten oder vierten Hauptstücke des dritten Teils Rechte und Verbindlichkeiten überhaupt aufgehoben werden“. Diese Bestimmung verweist einerseits auf § 1488 ABGB, wonach ein dreijähriger Nichtgebrauch genügt, wenn sich der Verpflichtete der Ausübung widersetzt. Anderseits erlöschen Dienstbarkeiten nach § 1479 ABGB durch dreißigjährige (in den besonderen Fällen des § 1485 ABGB durch vierzigjährige) Nichtausübung (Vollmaier in Klang 3 § 1479 Rz 10 mwN; RIS-Justiz RS0034271 und RS0108084). Dieses Erlöschen kann dem auf Feststellung der Dienstbarkeit und Unterlassen weiterer Beeinträchtigungen klagenden Grundeigentümer einredeweise entgegengehalten werden (1 Ob 96/75 = SZ 48/74 mwN; 1 Ob 622/95 = NZ 1997, 213). Nur darauf beruft sich die Erstbeklagte im Rekursverfahren.

3.2. In diesem Zusammenhang ist zunächst § 1482 ABGB zu beachten. Danach wird derjenige, „welcher ein Recht auf einem fremden Grunde in Ansehung des Ganzen oder auf verschiedene beliebige Arten ausüben konnte, bloß dadurch, dass er es durch noch so lange Zeit nur auf einem Teil des Grundes oder nur auf eine bestimmte Weise ausübte, in seinem Recht nicht eingeschränkt; die Beschränkung muss durch Erwerbung oder Ersitzung des Untersagungs- oder Hinderungsrechts bewirkt werden (§ 351)“. Daraus ist abzuleiten, dass schon die Teilausübung eines Rechts auf fremdem Grund die Verjährung nach § 1482 ABGB ausschließt; insoweit ist § 1482 ABGB gegenüber § 1479 ABGB die speziellere Norm (1 Ob 516/96 = SZ 69/135 mwN; RIS-Justiz RS0104359; zuletzt etwa 8 Ob 116/08d = bbl 2009, 76). Anderes gilt nur dann, wenn der Grund der Teilrechtsausübung die Untersagung oder Hinderung durch den Eigentümer des dienenden Grundes iSv § 1488 ABGB war (RIS-Justiz RS0104359; 8 Ob 116/08d mwN). Ein solches Vorbringen hat die Erstbeklagte aber nicht erstattet. Daher kann nur eine gänzliche Nichtausübung zum Erlöschen der Dienstbarkeit führen.

3.3. Die Beweislast für diese Nichtausübung trifft die Erstbeklagte. Denn grundsätzlich hat jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu behaupten und beweisen (RIS-Justiz RS0037797; RS0109832). Daher trifft auch die Behauptungs- und Beweislast für die Voraussetzungen einer Verjährung der Dienstbarkeit denjenigen, der sich darauf beruft (1 Ob 15/94; 1 Ob 622/95 = NZ 1997, 213; RIS-Justiz RS0034333 [T4]). Gründe für ein Abgehen von dieser Rechtsprechung sind nicht ersichtlich. Es mag zwar zutreffen, dass der Beweis eines dreißigjährigen Nichtgebrauchs unter Umständen schwierig ist. Das allein ist aber kein Grund für eine Verschiebung der Beweislast (RIS‑Justiz RS0040182 [T6, T12, T13]). Im gegebenen Zusammenhang würde der Wert des Grundbuchs untergraben, wenn der Eigentümer des herrschenden Guts im Streitfall nicht nur die bücherliche Berechtigung, sondern auch die Ausübung der Servitut beweisen müsste. Der Eigentümer des dienenden Guts wird dadurch nicht unverhältnismäßig belastet, ist das Regelbeweismaß der ZPO doch nur die hohe, nicht die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit (RIS‑Justiz RS0110701). Stehen daher (beispielsweise) starke Indizien für die Nichtausübung nur unglaubwürdigen Aussagen des Berechtigten gegenüber, ist eine Positivfeststellung der Nichtausübung durchaus denkbar. Ob sie getroffen werden kann, haben die Tatsacheninstanzen zu beurteilen.

3.4. Diese Rechtslage hat das Berufungsgericht richtig dargestellt. Es hat daraus auch zutreffend abgeleitet, dass die vom Erstgericht (scheinbar) getroffene Negativfeststellung zur Nichtausübung der Dienstbarkeit an sich zu Lasten der Erstbeklagten ginge. Allerdings hat es ebenso richtig erkannt, dass andere Teile der Entscheidungsgründe eher dahin deuten, dass das Erstgericht von einer dreißigjährigen Nichtausübung ausging, also insofern in Wahrheit eine Positivfeststellung treffen wollte. Wenn das Berufungsgericht auf dieser Grundlage eine Präzisierung der Feststellungen für erforderlich hält, kann der Oberste Gerichtshof dem nicht entgegentreten (RIS-Justiz RS0042179).

3.5. Damit ist der Aufhebungsbeschluss an sich schon aus diesem Grund zu bestätigen. Allerdings ist eine neuerliche Verhandlung bei einem Feststellungsmangel nur dann aufzutragen, wenn sie noch erforderlich ist; sonst ist nur zur Urteilsfällung zurückzuverweisen (RIS-Justiz RS0117140). Das trifft hier zu: Es ist derzeit nicht erkennbar, dass zur Klarstellung der Feststellungen eine Erörterung mit den Parteien oder eine weitere Beweisaufnahme erforderlich wäre. Daher ist hier kein Auftrag zur Verfahrensergänzung zu erteilen.

4. Sollte Verjährung eingetreten sein, hätte sich die Klägerin möglicherweise auf einen gutgläubigen Erwerb der Dienstbarkeit berufen können. Ein solches Vorbringen hat sie aber in erster Instanz nicht erstattet.

4.1. Da die Verjährung zum Erlöschen der Dienstbarkeit führt, wird das Grundbuch dadurch materiell unrichtig. Der Eintragungsgrundsatz, wonach das Recht erst durch Einverleibung der Löschung unterginge, gilt hier ‑ anders als bei einem Verzicht (5 Ob 1/07v = SZ 2007/8) ‑ nicht. Das ergibt sich insbesondere aus § 1499 ABGB iVm § 69 GBG: Klagt der Eigentümer des dienenden Guts auf Löschung der Dienstbarkeit, kann diese Klage angemerkt werden. Diese Anmerkung schützt den Eigentümer des dienenden Guts davor, dass ein Dritter das bereits verjährte und damit materiell erloschene Recht im Vertrauen auf den Grundbuchstand erwirbt (G. Kodek in G. Kodek, Grundbuchsrecht 1.01 § 69 GBG Rz 1, Vollmaier in Klang 3 § 1499 Rz 2). Der Erwerb eines gutgläubigen Dritten wäre daher kein derivativer Erwerb vom Vormann (dieser läge vor, wenn der Eintragungsgrundsatz gälte und die Dienstbarkeit daher mangels Einverleibung der Löschung noch aufrecht wäre), sondern ein originärer Erwerb des an sich nicht mehr bestehenden Rechts aufgrund des Vertrauens auf die Richtigkeit des Grundbuchs.

4.2. Grundlage für einen solchen gutgläubigen Erwerb ist § 1500 ABGB. Danach kann das „aus der Ersitzung oder Verjährung erworbene Recht demjenigen, welcher im Vertrauen auf die öffentlichen Bücher noch vor der Einverleibung desselben eine Sache oder ein Recht an sich gebracht hat, zu keinem Nachteile gereichen“. Soweit sich diese Bestimmung auf die Ersitzung bezieht, erfasst sie insbesondere ersessene und damit materiell bestehende, aber (noch) nicht verbücherte Dienstbarkeiten. Geschützt wird in diesem Fall das Vertrauen auf die Vollständigkeit des Grundbuchs; insofern ist § 1500 ABGB Ausfluss des negativen Publizitätsprinzips (M. Bydlinski in Rummel 3 § 1500 Rz 1; Dehn in KBB3 § 1500 Rz 1, Gusenleitner-Helm in Klang 3 § 1500 Rz 2). Bei der Verjährung ist das der Natur der Sache nach umgekehrt: Das außerbücherlich „erworbene“ Recht ist hier die Freiheit von der ‑ im Grundbuch noch eingetragenen ‑ Belastung. Geschützt wird daher das Vertrauen des Erwerbers auf die Richtigkeit des Grundbuchs. Dass § 1500 ABGB auch diesen Fall erfasst, ist, soweit das Problem gesehen wird, völlig unstrittig (Gusenleitner-Helm in Klang 3 § 1500 Rz 31; Klang in Klang 2 VI 668; Mader/Janisch in Schwimann 3 § 1500 Rz 14; vgl auch M. Bydlinski in Rummel 3 § 1499 Rz 1, und Vollmaier in Klang 3 § 1499 Rz 2, die bei der Erörterung der Löschungsklage wegen Verjährung auf § 1500 ABGB verweisen).

4.3. Auf den gutgläubigen Erwerb nach § 1500 ABGB ist nicht von Amts wegen Bedacht zu nehmen, er muss vielmehr vom Erwerber eingewendet werden (6 Ob 278/06k = wobl 2008, 233 mwN; Gusenleitner-Helm in Klang 3 § 1500 Rz 34). Dies wurde zwar bisher nur für den Fall der Ersitzung eines nicht verbücherten Rechts ausgesprochen, es ist aber nicht erkennbar, warum die Verjährung eines verbücherten Rechts anders zu beurteilen wäre. Die Klägerin hat ein solches Vorbringen in erster Instanz nicht erstattet. Die zu dieser Frage vom Erstgericht getroffenen, „überschießenden“ Feststellungen wären nur zu beachten, wenn sie sich im Rahmen des geltend gemachten Klagegrundes oder der erhobenen Einwendungen hielten (1 Ob 586/93; RIS-Justiz RS0040318, RS0037972 [T1]; zuletzt etwa 9 ObA 15/12i und 1 Ob 168/12f = bbl 2013, 110). Das trifft hier aber nicht zu, weil sich die Klägerin in erster Instanz ‑ obwohl dies nach dem Verjährungseinwand der Beklagten nahegelegen wäre ‑ gerade nicht auf einen gutgläubigen Erwerb berufen hat. Die vom Erstgericht zum Erwerb der Klägerin getroffenen Feststellungen hatten daher im Berufungsverfahren außer Betracht zu bleiben.

5. Der Rekurs der Erstbeklagten zeigt zutreffend auf, dass das Ersturteil nicht zur Erörterung eines allfälligen gutgläubigen Erwerbs aufzuheben war.

5.1. Ein Urteil darf nicht allein deshalb aufgehoben werden, um Erörterungen über Umstände und Tatsachen zu veranlassen, die im bisherigen Verfahren nicht behauptet wurden, oder um der klagenden Partei das Nachholen bisher versäumten Vorbringens und das Anbot neuer Beweise zu ermöglichen (7 Ob 558/76 = JBl 1976, 591; RIS-Justiz RS0042444; zuletzt etwa 8 Ob 84/09z = EvBl‑LS 2010/93 und 8 Ob 45/11t; Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 § 519 Rz 113). Vielmehr ist ohne Bedachtnahme auf dieses nicht (oder erstmals im Rechtsmittel) erstattete Vorbringen zu entscheiden. Eine „Überraschungsentscheidung“ kann darin schon deswegen nicht liegen, weil eine Partei nicht davon überrascht sein kann, wenn ein von ihr nicht erstattetes Vorbringen nicht berücksichtigt wird.

5.2. Auf eine allfällige Verletzung der Erörterungspflicht konnte das Berufungsgericht die Aufhebung in diesem Punkt ebenfalls nicht stützen. Denn die Erstbeklagte hat einen solchen Verfahrensmangel in der Berufungsbeantwortung nicht gerügt, obwohl sich die Erstbeklagte in der Berufung ausdrücklich auf die überschießenden Feststellungen bezogen und deren Verwertung ‑ zutreffend (RIS-Justiz RS0112213 [T1]; RS0040318 [T2]; RS0037972 [T11]) ‑ als unrichtige rechtliche Beurteilung bezeichnet hatte. Damit wäre die Klägerin nach § 468 Abs 2 ZPO zur Rüge verpflichtet gewesen (LG St. Pölten, 21 R 230/07t = RIS-Justiz RSP0000069). Abgesehen davon verpflichtet § 182a ZPO das Gericht ohnehin nicht dazu, die Partei auf Rechtsgründe hinzuweisen, die sich nicht einmal andeutungsweise aus den vorgetragenen (und allenfalls zu ergänzenden oder zu präzisierenden) Tatsachen ergeben, sondern ein anderes Tatsachenvorbringen ‑ hier zum entgeltlichen Erwerb ‑ erfordern (RIS-Justiz RS0120057).

6. Aufgrund dieser Erwägungen hat es zwar im Ergebnis bei der vom Berufungsgericht verfügten Aufhebung des Ersturteils zu bleiben. Grund dafür ist aber ausschließlich der Feststellungsmangel zum dreißigjährigen Nichtgebrauch, nicht auch die vom Berufungsgericht für erforderlich gehaltene Ergänzung des Verfahrens in Bezug auf einen allfälligen gutgläubigen Erwerb. Daher hat der Rekurs des Erstbeklagten teilweise Erfolg: Der Aufhebungsbeschluss ist dahin abzuändern, dass dem Erstgericht nur die neuerliche Entscheidung, nicht aber auch die Ergänzung des Verfahrens aufgetragen wird. Die Sache tritt damit (abgesehen vom rechtskräftig erledigten Begehren gegen die Zweitbeklagte) in den Stand nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz zurück. Das Erstgericht wird in der neuerlichen Entscheidung klarzustellen haben, ob es zur dreißigjährigen Nichtausübung des Geh- und Fahrtrechts (oben Punkt 3.2.) tatsächlich eine Negativ- oder doch eine Positivfeststellung treffen wollte; allein davon hängt dann die Entscheidung über das Klagebegehren ab. Sollte das Erstgericht in diesem Zusammenhang eine Ergänzung des Verfahrens für notwendig halten, steht es ihm selbstverständlich frei, die Verhandlung nach § 194 ZPO wieder zu eröffnen.

7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

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