OGH 9Ob43/13h

OGH9Ob43/13h29.10.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** K*****, vertreten durch Mag. Eric Breiteneder, Rechtsanwalt in Wien, und der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Mayer & Herrmann, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei M***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 66.720,55 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 44.839,83 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 27. März 2013, GZ 5 R 252/12h‑29, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 5. September 2012, GZ 40 Cg 180/09k‑25, teilweise Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung insgesamt zu lauten hat:

„Die zwischen den Streitteilen geschlossenen Kauf‑ und Kommissionsverträge über 1.182 M***** vom 17. 11. 2004, über 591 Stück vom 26. 1. 2005, über 443 Stück vom 24. 10. 2005, über 1.108 Stück vom 23. 2. 2006, über 453 Stück vom 2. 11. 2006 und über 755 Stück vom 2. 2. 2007, jeweils desselben Wertpapiers, werden ex tunc aufgehoben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 66.720,55 EUR samt 4 % Zinsen aus 15.287,52 EUR vom 17. 11. 2004 bis 25. 1. 2005, aus 23.124,18 EUR vom 26. 1. 2005 bis 23. 10. 2005, aus 29.766,52 EUR vom 24. 10. 2005 bis 22. 2. 2006, aus 47.114,48 EUR vom 23. 2. 2006 bis 1. 11. 2006, aus 55.022,95 EUR vom 2. 11. 2006 bis 1. 2. 2007, aus 70.119,55 EUR vom 2. 2. 2007 bis 16. 12. 2009, aus 67.853,55 EUR vom 17. 12. 2009 bis 29. 12. 2009, aus 67.717,59 EUR vom 30. 12. 2009 bis 30. 3. 2010, aus 67.581,63 EUR vom 31. 3. 2010 bis 29. 6. 2010, aus 67.445,67 EUR vom 30. 6. 2010 bis 29. 9. 2010, aus 67.309,71 EUR vom 30. 9. 2010 bis 30. 12. 2010, aus 67.173,75 EUR vom 31. 12. 2010 bis 30. 3. 2011, aus 67.037,79 EUR vom 30. 3. 2011 bis 29. 6. 2011, aus 66.879,17 EUR vom 30. 6. 2011 bis 29. 9. 2011 und aus 66.720,55 EUR seit 30. 9. 2011 Zug um Zug gegen Rückstellung von 4.532 Stück Aktien M*****, die sich am Depot der klagenden Partei bei der beklagten Partei zu Nr ***** befinden, binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 14.478,50 EUR (darin enthalten 2.203,42 EUR USt und 1.258 EUR Barauslagen) und der Nebenintervenientin die mit 8.190,02 EUR (darin enthalten 1.362,80 EUR USt und 13,20 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit 4.780,84 EUR (darin enthalten 472,64 EUR USt und 1.945 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 4.577,59 EUR (darin enthalten 330,76 EUR USt und 2.593 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger verfügt über ein Wertpapierdepot bei der Beklagten. Er hatte am 17. 11. 2004 1.182 Zertifikate der M***** um 15.287,52 EUR inklusive Spesen erworben. Die Beklagte fungierte dabei als Depotbank. Finanzberater des Klägers war der bei der Nebenintervenientin, einem selbständigen Finanzdienstleistungsunternehmen, beschäftigte Mitarbeiter F***** B*****. Die Nebenintervenientin war Vertriebspartner der M***** AG, einer 100%igen Tochtergesellschaft der Beklagten.

Im Zuge von Kapitalerhöhungen erwarb der Kläger jeweils ohne Beratungsgespräch, aber immer nach einem kurzen Telefonat mit F***** B*****, am 26. 1. 2005 591 Zertifikate um 7.836,66 EUR, am 24. 10. 2005 443 Stück um 6.642,34 EUR, am 23. 2. 2006 1.108 Stück um 17.347,96 EUR, am 2. 11. 2006 453 Stück um 7.908,47 EUR und am 2. 2. 2007 755 Stück um 15.096,60 EUR. In einem Informationsschreiben hatte die Beklagte den Kläger jeweils zuvor auf die Möglichkeit der Ausübung von Bezugsrechten hingewiesen.

Zum Zeitpunkt seiner ersten Veranlagungsentscheidung verfügte der Kläger ua über Einzelaktien und Sparbücher. Er hatte Kenntnisse über Veranlagungen in Aktienfonds, Aktien, Anleihen sowie Immobilien und Eigentumswohnungen. Sein damals auf Sparbüchern liegendes Geld wollte er mit mehr Rendite veranlagen.

Aus diesem Grund führte der Kläger am 27. 10. 2004 mit F***** B***** ein Gespräch. F***** B***** zeigte dem Kläger einen Prospekt (eine Werbe- bzw Informationsbroschüre) zu M*****, eines im Prospekt als „Die Immobilienaktie mit Zukunft“ bezeichneten Wertpapiers. Im Prospekt wird auch erklärt, dass die Investition von M***** in den aufstrebenden Ländern Zentral- und Osteuropas das Wertpapier zu einer substanzhaltigen Aktie mit hohen Renditechancen mache. Beworben wird das Wertpapier mit einem Kursplus im 1. Jahr von 8,65 %. Hinter M***** stünde die Unternehmensgruppe J***** M*****. Marketmaker sei die Beklagte. Im Prospekt ist auch davon die Rede, dass es sich bei der Veranlagung um eine „sichere, breit gestreute Immobilienveranlagung in Zeiten stark schwankender Aktienmärkte, hoher Steuern und niedriger Zinsen“ handle. Auf der letzten Seite des Prospekts zeichnen die M***** AG und die Beklagte, jeweils unter Angabe der Anschrift, Telefonnummer, Faxnummer sowie der Email‑Adresse.

F***** B***** und der Kläger gingen davon aus, dass es sich bei den M*****‑Wertpapieren um Aktien handle. F***** B***** erklärte dem Kläger, dass es sich um eine Immobilienaktie mit konstantem Verlauf handle. F***** B***** wusste, dass der Sitz der M*****‑Ltd auf Jersey war, nahm aber an, dass es dafür steuerliche Gründe gebe, zumal die Wertpapiere eine österreichische Wertpapierkennnummer hatten und ‑ so auch im Prospekt erwähnt ‑ an der Wiener Börse notierten. F***** B***** hatte keine der Kapitalmarktprospekte zu M*****, auf die im Prospekt hingewiesen wurde, gelesen. Gegenüber dem Kläger vertrat er die Ansicht, dass das Produkt nicht so drastische Aktienrisiken habe, wie Nichtimmobilienaktien. Er erklärte dem Kläger, dass die M*****‑Ltd in Ländern wie Ungarn, Tschechien und Slowakei investiere, wo Immobilien gekauft und Geschäftslokale und Einkaufszentren errichtet würden. Es würden langfristige Mietverträge abgeschlossen, sodass das Wertpapier, weil entsprechende Werte dahinter stünden, eigentlich sicher sei. Für den Kläger stimmte diese Beschreibung von F***** B***** mit den eigenen Wahrnehmungen und dem Inhalt des Prospekts, den er mit F***** B***** durchgegangen war und der ihm auch ausgehändigt wurde, überein. Dies alles vermittelte dem Kläger das Gefühl, dass das Wertpapier absolut sicher sei.

Am 7. 11. 2004 unterfertigte der Kläger ein von seinem Finanzberater F***** B***** erstelltes Anlegerprofil. Darin gab der Kläger an, Kenntnisse und Erfahrungen mit defensiven Girokonten, Sparbüchern, Geldmarktfonds, konservativen Anleihen von Banken, offenen Immobilienfonds, moderat wachstumsorientierten anderen Euro‑Anleihen, Rentenfonds sowie mit risikobewussten Veranlagungen in Aktien und Aktienfonds zu haben.

Am selben Tag unterfertigte der Kläger über Vermittlung der Nebenintervenientin einen Konto‑ und Depoteröffnungsantrag der Beklagten. Damit nahm er ua zur Kenntnis, dass die Beklagte im Zusammenhang mit der Vermittlung der Wertpapiere keine Finanzdienstleistungen gemäß § 1 Abs 1 Z 19 BWG erbringe, sondern sich auf die antragsgemäße Abwicklung des Auftrags und jene Leistungen beschränke, die mit der Depotführung im unmittelbaren Konnex stünden. Die Prüfung, ob der Antrag mit dem Anlegerprofil in Einklang stehe, obliege ausschließlich dem Vertriebspartner. Die Haftung der Beklagten und der M***** AG sei auf grobe Fahrlässigkeit bzw Vorsatz beschränkt. Der Kläger bestätige gemäß den umseitigen Risikohinweisen über die allgemeinen Risiken bei Wertpapiergeschäften sowie die besonderen Risiken hinsichtlich der antragsgegenständlichen Wertpapiere vom Vertriebspartner aufgeklärt worden zu sein. In den angeschlossenen Risikohinweisen wird auf Währungs‑, Transfer‑, Länder‑, Liquiditäts‑, Bonitäts‑, Zins‑, Kurs‑ und steuerliche Risiken sowie das Risiko des Totalverlusts hingewiesen.

Der Kläger beobachtete, wie im Lauf der Jahre der Kurs des Wertpapiers stieg. Er ging davon aus, dass mit jeder Kapitalerhöhung neue Objekte gekauft und daraus weitere Mieteinnahmen erzielt würden. Er war der Meinung, dass die Länder Osteuropas einen Nachholbedarf hätten und der Boom noch lange andauern werde. Im Mai 2007 bemerkte der Kläger, dass der Kurs erheblich gefallen war. Am 27. 7. 2007 riet F***** B***** dem Kläger zum Verkauf der Wertpapiere. Diesen Rat wiederholte F***** B***** am 29. 7. 2007 und teilte dem Kläger zudem mit, dass er selbst und sein Vater die von ihnen gehaltenen M*****‑Wertpapiere verkaufen würden. Am 30. 7. 2007 empfahl F***** B***** nochmals allen seinen Kunden, die Wertpapiere zu verkaufen. Am 30. 7. 2007 stürzte der Kurs der Wertpapiere erstmals dramatisch. Auch dem nochmaligen Rat seines Finanzberaters im Sommer 2007, die Wertpapiere zu verkaufen, folgte der Kläger nicht. Der Kläger hält die M*****‑Wertpapiere noch immer.

Gestützt auf Nichterfüllung, Irrtum einschließlich listige Irreführung und Schadenersatz begehrt der Kläger mit der am 21. 10. 2009 eingebrachten Klage die Aufhebung der mit der Beklagten abgeschlossenen Kommissionsverträge und Kaufverträge sowie die Rückzahlung des Kaufpreises von (nach letzter Klagseinschränkung vom 24. 10. 2011, ON 19) 66.720,55 EUR sA (geleisteter Kaufpreis inklusive Spesen abzüglich erhaltener Dividendenzahlungen) Zug um Zug gegen Rückstellung von 4.532 Stück Wertpapiere der M***** Ltd, nunmehr A*****. Eventualiter begehrt der Kläger die Feststellung, dass ihm die Beklagte für jenen Schaden hafte, der ihm aus den Kauf‑ und Kommissionsverträgen über die M*****‑Wertpapiere entstünden.

Sein Begehren begründete der Kläger ‑ soweit für die Revisionsentscheidung wesentlich und stark zusammengefasst ‑ damit, dass die Beklagte die Kommissionsaufträge durch Selbsteintritt ausgeführt und auch als Depotbank fungiert habe. Die Veranlagung sei ihm deshalb gewinnbringend und risikoniedrig erschienen, weil die Beklagte in ihrer Werbebroschüre die Veranlagung als eine de facto sichere Anlage mit hohem Ertrag präsentiert habe. Die Beklagte habe diese Werbebroschüren, die als Informationsquelle für potentielle Anleger und Anlageberater bestimmt gewesen sei, für die Vermarktung von M***** als Anlageform in Verkehr gebracht. Er fechte den Vertrag wegen listiger Irreführung und wegen eines von der Beklagten veranlassten Irrtums an. Außerdem stütze er seinen Anspruch auf Schadenersatz, weil die Beklagte die sie treffenden Aufklärungs‑ und Sorgfaltspflichten verletzt habe. Sowohl die M***** AG als auch die Nebenintervenientin seien der Beklagten zuzurechnen. Die ordentliche Revision sei zulässig.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und wandte ‑ ebenfalls soweit für die Revisionsentscheidung noch wesentlich ‑ ein, dass sie dem Kläger gegenüber keine Beratungsleistungen erbracht habe und dazu auch nicht verpflichtet gewesen sei, weil sich der Kläger einer professionellen Anlageberaterin, nämlich der Nebenintervenientin bedient habe. Dem Kläger habe es als erfahrenen Anleger auch klar sein müssen, dass eine hohe Rendite nur bei hoher Risikobereitschaft erzielbar sei. Die Werbebroschüre enthalte korrekte Informationen. Sie habe darin auch hingewiesen, dass Renditen der Vergangenheit keine Garantie für zukünftige Gewinne darstellen könnten. Die Beklagte habe kein schadenskausales Verhalten gesetzt. Jedenfalls treffe den Kläger ein Mitverschulden am allenfalls eingetretenen Schaden, weil er trotz entsprechender Ratschläge seines Finanzberaters im Mai und August 2007 die Wertpapiere nicht verkauft habe. Die Irrtumsanfechtung hinsichtlich der ersten vier Kaufverträge sei verjährt.

Die auf Seiten des Klägers beigetretene Nebenintervenientin brachte im Wesentlichen vor, dass sie keine Fehlberatung zu verantworten habe, sondern lediglich die Informationen weitergeleitet habe, die ihr von der Beklagten glaubhaft versichert worden seien. Die Beklagte habe ihr aufgetragen, diese Informationen an die Kunden weiter zu geben.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Irrtumsanfechtung des Klägers sei nicht berechtigt, weil er keinem Irrtum unterlegen sei. Der Beklagten sei auch kein Beratungsfehler anzulasten, weil es sich um ein beratungsfreies Geschäft gehandelt habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge, hob die zwischen den Streitteilen geschlossenen Kauf‑ und Kommissionsverträge über 453 Stück M*****‑Wertpapiere vom 2. 11. 2006 und über 755 Stück M*****‑Wertpapiere vom 2. 2. 2007 ex tunc auf und erkannte die Beklagte schuldig, dem Kläger 21.880,72 EUR sA Zug um Zug gegen Rückstellung von 1.208 Stück M*****‑Wertpapiere (nunmehr A*****) zu bezahlen. Die Irrtumsanfechtung des Klägers sei berechtigt, weil der Kläger aufgrund der Aussage im Verkaufsprospekt der Beklagten den unrichtigen Eindruck vermittelt erhalten habe, dass das von ihm erworbene Immobilienwertpapier „absolut sicher“ sei. Die Anfechtung der vier bis zum 23. 2. 2006 zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Verträge sei jedoch gemäß § 1487 ABGB verjährt. Ein arglistiges Verhalten der Beklagten liege nicht vor. Die Beklagte sei aber dem Kläger auch nicht zum Schadenersatz verpflichtet, weil sie selbst nicht verpflichtet gewesen sei, den Kläger (nochmals) zu beraten und ihr der Beratungsfehler der Nebenintervenientin ‑ entgegen 4 Ob 129/12t ‑ nicht zuzurechnen sei.

In seiner gegen den klagsabweisenden Teil der Entscheidung gerichteten Revision beantragt der Kläger die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer gänzlichen Klagsstattgabe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Das Revisionsinteresse beträgt unter Berücksichtigung der von den Vorinstanzen und vom Kläger nicht berücksichtigten Klagseinschränkung in der mündlichen Verhandlung vom 24. 10. 2011 (ON 19‑1 f) und des Zuspruchs durch das Berufungsgericht von 21.880,72 EUR sA richtig 44.839,83 EUR.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu, ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

1. Eine Prospekthaftung der Beklagten kommt zwar hier nicht nach § 11 KMG in Frage, weil sich der Kläger nicht auf mangelhafte Angaben im Kapitalmarktprospekt gestützt hat, sondern nur nach allgemein bürgerlich‑rechtlichen Grundsätzen (6 Ob 2100/96h; 10 Ob 69/11m). Nach der bisherigen Rechtsprechung werden durch die Verbreitung fehlerhafter Prospekte die dem Publikum gegenüber bestehenden Informationspflichten verletzt, die den vorvertraglichen Aufklärungspflichten entsprechen und auf denselben Grundwertungen beruhen (10 Ob 9/12i; 10 Ob 69/11m mwN). Bei der Prospekthaftung handelt sich um eine typisierte Vertrauenshaftung aus Verschulden bei Vertragsabschluss. Der Prospekt bildet im Regelfall die Grundlage für den wirtschaftlich bedeutsamen und mit Risiken verbundenem Beteiligungsbeschluss. Aus diesem Grund muss sich der potentielle Kapitalanleger grundsätzlich auf die sachliche Richtigkeit und Vollständigkeit der im Prospekt enthaltenen Angaben verlassen dürfen. Es haben alle jene Personen für eine sachlich richtige und vollständige Information einzustehen, die durch ihr nach außen in Erscheinung tretendes Mitwirken an der Prospektgestaltung einen besonderen ‑ zusätzlichen ‑ Vertrauenstatbestand schaffen (RIS‑Justiz RS0107352). Voraussetzung für eine Prospekthaftung ist schon angesichts ihres schadenersatzrechtlichen Charakters, dass der in Anspruch Genommene die Unrichtigkeit der Prospektangaben kennt oder kennen musste (RIS‑Justiz RS0108625). Die unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Angaben müssen darüber hinaus wesentlich, das heißt so beschaffen sein, dass sich unter Anlegung eines objektiven Maßstabs ein durchschnittlicher, verständiger Anleger von diesen Angaben bei einer Auswahlentscheidung unter mehreren Anlagemöglichkeiten beeinflussen lässt (RIS‑Justiz RS0108624).

Die für den geltend gemachten Schadenersatzanspruch erforderliche Kausalität zwischen den mangelhaften Prospektangaben und dem Anlageentschluss ist gegeben, wenn sich der Anleger im Vertrauen auf den ihm bekannten Prospekt zum Kauf entschlossen hat, wenn er also die unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospektangaben tatsächlich zur Grundlage seiner schadensauslösenden Disposition gemacht hat (RIS‑Justiz RS0108626).

Ein Prospekt muss nicht eine gewisse Form haben, um die Prospekthaftung auszulösen, der Prospektbegriff ist vielmehr im umfassenden Sinn zu verstehen. Maßgeblich ist, ob der Werbeprospekt des freien Kapitalmarkts dem Vertrieb einer Anlage dient und dabei generell geeignet ist, den Anlageentschluss eines potentiellen Anlegers in Ansehung einer konkreten Anlage zu beeinflussen, indem er den Anschein ausreichender und objektiver Anlageinformation erweckt (RIS‑Justiz RS0108623; zuletzt 10 Ob 32/13y).

Maßstab für die schadenersatzrechtliche Beurteilung eines Prospekts wegen inhaltlicher Mängel, im Besonderen Unvollständigkeit, sind nicht die Einzeltatsachen, sondern es kommt darauf an, welches Gesamtbild der Prospekt durch seine Aussagen über das beworbene Anlageobjekt in Ansehung von der Vermögenslage, Ertragslage und Liquiditätslage macht (RIS‑Justiz RS0108624).

2. Der Beklagten war, wie bereits in den Verfahren 8 Ob 151/10d und 10 Ob 10/11k dargelegt, die Platzierung der mit ihrem Namen versehenen Zertifikate übertragen. Dass sie auch für den Verkaufsprospekt (mit‑)verantwortlich zeichnete, hat sie im gesamten Verfahren nie bestritten. Vielmehr stützte sie sich bereits in erster Instanz ua darauf, dass sie in den Werbebroschüren darauf hingewiesen habe, dass Renditen der Vergangenheit keine Garantie für zukünftige Gewinne darstellen könnten. Und auch obwohl die Revisionsausführungen ausdrücklich die Beklagte als Prospektersteller bezeichnen, entgegnet die Revisionsbeantwortung diesem Argument nicht, sondern verweist lediglich darauf, dass ihr aus der Gestaltung der Werbebroschüre keine Schädigungsabsicht unterstellt werden könne und sie auch keinen Anlass gehabt habe, an der Richtigkeit der Prospektangaben zu zweifeln. Dadurch, dass die Beklagte ihren Namen samt ihren Kontaktdaten auf der rückwärtigen Außenseite des Werbeprospekts vermerkte, hat sie ihr Mitwirken an der Prospektgestaltung nach außen zum Ausdruck gebracht und einen Vertrauenstatbestand für den Kläger geschaffen. Der Kläger durfte daher darauf vertrauen, dass die Beklagte über die Eigenschaften ihres Produkts ausreichende Kenntnisse besitzt, dass die in den Verkaufsbroschüren enthaltenen Informationen zutreffen und das Produkt darin richtig und mit den wesentlichen Faktoren vollständig beschrieben wird. Bei dem hier gegenständlichen ‑ vom Erstgericht zum integrierenden Bestandteil seines Urteils erklärten ‑ Verkaufsprospekt handelt es sich um keine offensichtlich verkürzte, bloß die Aufmerksamkeit weckende Werbeaussage, sondern um die für den durchschnittlichen Privatanleger verständliche und (scheinbar) vollständige Information, die den Zweck verfolgt, dem Privatanleger eine vernünftige Anlageentscheidung zu ermöglichen (10 Ob 10/11k; 8 Ob 151/10d; 4 Ob 65/10b).

3. Abgesehen von der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung einer vergleichbaren Werbebroschüre der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 4 Ob 188/08p war, hat der Oberste Gerichtshof bereits in zahlreichen Entscheidungen einen durch vergleichbare Werbebroschüren der Beklagten verursachten Geschäftsirrtum des jeweiligen Anlegers bejaht (4 Ob 65/10b; 8 Ob 25/10z; zuletzt 2 Ob 19/13b mwN und 3 Ob 65/13z). Davon ist aufgrund des festgestellten Sachverhalts auch im vorliegenden Verfahren auszugehen. Bereits in zahlreichen Vorentscheidungen (5 Ob 18/11z; 5 Ob 222/10y; 8 Ob 25/10z; 4 Ob 65/10b ua) wurde festgehalten, dass weder die allgemeine und auch dem Kläger bekannte Tatsache, dass Aktien risikobehaftete Wertpapiere seien, die sich auch der Kläger entgegenhalten lassen müsse, noch der Verweis auf dem Kapitalmarktprospekt und die allgemein gehaltenen Hinweise auf das (Total‑)Verlustrisiko, etwa im Konto‑ und Depoteröffnungsantrag etwas daran änderten, dass die von der Beklagten (mit‑)aufgelegte, dem Kläger im Sinn der von der Beklagten/ihrer 100%igen Vertriebstochter initiierten Verkaufsstrategie übergebene (vgl 4 Ob 190/10k) und vom Kläger zur Grundlage seiner Kaufentscheidung gemachte Verkaufsbroschüre das mit den angepriesenen Wertpapieren verbundene Risiko ‑ im Gegensatz zu sonstigen Aktien ‑ als im Hinblick auf die Investition in Immobilien und deren langfristige lukrative Verwertung als deutlich geringer hinstelle (4 Ob 190/10k). Das dem Kläger vermittelte Gefühl, dass die „Aktie“ absolut sicher sei, auch wenn es geringe Kursschwankungen geben könne, entspricht somit der Beschreibung in der Verkaufsbroschüre, in der unter dem Stichwort „Sicherheit“ die „Aktien“ als „sichere, breit gestreute Immobilienveranlagung in Zeiten stark schwankender Aktienmärkte, hoher Steuern und niedrige Zinsen“ beschrieben werden. Dass der Finanzberater dem Kläger die Wertpapiere anders beschrieb als im Prospekt der Beklagten ersichtlich oder gar deren irreführenden Erklärungen berichtigte oder vervollständigte, lässt sich dem festgestellten Sachverhalt nicht entnehmen. Letztlich fungierte der Finanzberater daher nur als „Mittelsperson“ (vgl 3 Ob 65/13z).

4. Es ist ständige Rechtsprechung, dass ein durch irreführende Werbebroschüren verursachter Irrtum über die Risikogeneigtheit und Wertstabilität eines Wertpapiers als Haftungsgrund für einen Schadenersatzanspruch in Betracht kommt (8 Ob 17/12a; 4 Ob 207/11m; 2 Ob 24/13p). Dass der Kläger seine Wertpapiere trotz erheblicher Kursstürze Ende Juli 2007 und mehrfacher Verkaufsempfehlungen seines Finanzberaters behielt, steht daher ‑ entgegen der Rechtsansicht der Beklagten ‑ weder einer kausalen Schadensverursachung durch die Beklagte entgegen noch begründet es ein Mitverschulden des Klägers an dem ‑ bereits durch den Erwerb der Wertpapiere eingetretenen (RIS‑Justiz RS0120784 [T7]) ‑ Schaden.

Sollte die Beklagte mit ihrem Mitverschuldenseinwand auf eine Verletzung der Schadensminderungspflicht abzielen, lässt sie die durch die Prospektangaben verursachte unklare Situation des Klägers (vgl 2 Ob 74/12i) und dessen Risiko, sich dem nachträglichen Vorwurf eines unnötigen und voreiligen Panikverkaufs auszusetzen, unberücksichtigt. Dazu kommt, dass die Verkaufsempfehlung des Finanzberaters F***** B***** nach dem festgestellten Sachverhalt nicht mit Sachargumenten begründet war. Die Beklagte hätte schließlich auch selbst aufgrund des rasanten Kursverfalls den Kläger zum Verkauf der Wertpapiere auffordern können. Sie steht aber noch heute auf dem Standpunkt, ihre Prospektangaben seien richtig gewesen.

5. Wie bereits oben erwähnt, ist es Voraussetzung für die Prospekthaftung, dass der in Anspruch Genommene die Unrichtigkeit der Prospektangaben kannte oder kennen musste. Die Beweislast für die Schuldlosigkeit trifft dabei den Schädiger (RIS‑Justiz RS0108625 [T1]). Dieser Beweis ist der Beklagten im vorliegenden Verfahren aber nicht gelungen. Die Ansicht der Beklagten, die Aussagen im Werbeprospekt seien zum Zeitpunkt des Erwerbs der Aktien durch den Kläger richtig gewesen, findet zudem keine Deckung im festgestellten Sachverhalt.

6. Da dem Kläger durch den irreführenden Werbeprospekt der Beklagten als Depotbank, für den sie (mit‑)verantwortlich gezeichnet hat, ein Schaden entstanden ist, hat er einen Anspruch auf Naturalrestitution, das heißt auf Rückzahlung des angelegten Betrags abzüglich inzwischen erzielter Erträge (zB Dividenden) Zug um Zug gegen Herausgabe des Finanzprodukts (2 Ob 24/13p; vgl RIS‑Justiz RS0120784 [T3]; RS0108267 [T5]).

7. Der Revision des Klägers war danach Folge zu geben und dem gesamten Klagebegehren unter amtswegiger Berichtigung offenbarer Schreibfehler im Zinsenbegehren stattzugeben. Da die Beklagte dem Kläger schon aus dem Titel der Prospekthaftung zum Schadenersatz nach §§ 1293 ff ABGB verpflichtet ist, bedarf es keiner Überprüfung der weiteren vom Kläger geltend gemachten Anspruchsgrundlagen.

8. Die Entscheidung über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens beruht auf § 41 ZPO, jene über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zusätzlich auf § 50 ZPO. Entgegen den Einwendungen der Beklagten war auch der Schriftsatz des Klägers vom 19. 5. 2011 (ON 15; Urkundenvorlage, ergänzendes Vorbringen und Klagseinschränkung) zu honorieren (§ 257 Abs 3 ZPO). Der vom Kläger verzeichnete Streitgenossenzuschlag gebührt jedoch nicht, weil die auf seiner Seite dem Rechtsstreit beigetretene Nebenintervenientin von einem anderen Rechtsanwalt vertreten wird und dem Klagevertreter nicht auch mehrere Personen gegenüberstanden (RIS‑Justiz RS0036033). Auch waren die verzeichneten Kosten des Klägers und der Nebenintervenientin auf Basis des richtigen Streitwerts bzw des richtigen Revisionsinteresses zu berechnen.

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