OGH 10ObS48/13a

OGH10ObS48/13a16.4.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Susanne Jonak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei N*****, vertreten durch Dr. Felix Haid, Rechtsanwalt in Eben im Pongau, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65, 1200 Wien, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 14. Jänner 2013, GZ 12 Rs 139/12s‑9, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall iSd § 175 Abs 1 ASVG würde voraussetzen, dass er sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit einer die Versicherung des Klägers begründenden Beschäftigung ereignet hätte. Die Beurteilung, ein solcher Unfall liege deshalb nicht vor, weil die „ kollegiale Auseinandersetzung “ des Klägers (nach den Umständen des Einzelfalls) nicht unter Unfallversicherungsschutz stand, liegt im Rahmen ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in vergleichbaren Fällen:

2. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass bei tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Beschäftigten auf der Betriebsstätte der für den Unfallversicherungsschutz erforderliche innere Zusammenhang zwischen dem zum Unfall führenden Ereignis und der versicherten Tätigkeit nur dann vorliegt, wenn der Streit (unmittelbar) aus der Betriebsarbeit erwachsen ist (RIS-Justiz RS0112579 [T2]).

3. Die Feststellungen der Tatsacheninstanzen sind hier jedoch dadurch gekennzeichnet, dass die Verletzung des Klägers auf einer „Alberei“ zwischen Kollegen beruhte, die auf deren freundschaftliches Verhältnis zurückzuführen war und sich ebenso in ganz anderem Umfeld („im Zuge der üblichen Spaßereien genauso auf einem freien Gelände, einem Parkplatz oder auch einem anderem Raum“) hätte ereignen können:

3.1. Es gab „aus rein betrieblichen Gründen“ nämlich weder für den Arbeitskollegen einen Grund, den Kläger mit einem (verbalen) Scherz zu provozieren, noch für den Kläger einen Anlass, seinem Kollegen mit einem Kartonstück einen „Klaps“ auf den Kopf zu geben und ihn so zur Gegenreaktion (versuchter Fußtritt mit Metallkappenschuh ins Gesäß des Klägers) zu provozieren, die zusammen mit der Abwehrreaktion des Klägers dessen Verletzung (Bruch des Mittelhandknochens des rechten Kleinfingers) verursachte.

4. Der vorliegende Fall ist mit dem Sachverhalt der Entscheidung 10 ObS 165/88 (SSV-NF 2/76), die von der außerordentlichen Revision mehrfach ins Treffen geführt wird, nicht vergleichbar. Darin hat der Senat ausgesprochen, dass eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit, die nur eine geringfügige Unterbrechung der versicherten Tätigkeit bedingt, nicht zum Entfall des Versicherungsschutzes führt. Dort beruhte die Körperverletzung aber darauf, dass der Versicherte wegen einer Verwechslung aus einer auf der Werkbank stehenden Flasche trank, in der sich giftiges Öl befand. Davon ausgehend wurde das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ausdrücklich angesichts der ‑ hier nicht vorliegenden ‑ weiteren Umstände bejaht, dass der Verletzte seine betriebliche Tätigkeit nur für Sekunden unterbrechen musste, als er versuchte, während der Arbeit einen Schluck Bier zu trinken, wobei zu berücksichtigen war, dass die mit der Tätigkeit des damaligen Klägers verbundene körperliche Anstrengung auch außerhalb der üblichen Arbeitspausen „weitere Flüssigkeitsaufnahmen nahelegte und sich der Unfall im Juli ereignete, also im heißesten Monat des Jahres“.

4.1. Der Standpunkt des Rechtsmittelwerbers wird auch durch den nach dieser Entscheidung formulierten Rechtssatz nicht gestützt, wonach der Versicherungsschutz dann nicht entfällt, wenn eine private (eigenwirtschaftliche) Tätigkeit, die nach ihrer Art und Dauer bei natürlicher Betrachtungsweise nur zu einer zeitlich und räumlich geringfügigen Unterbrechung der versicherten Tätigkeit führt und noch ein innerer Zusammenhang zwischen dem Unfallgeschehen und der betrieblichen Tätigkeit besteht (10 ObS 16/11t mwN [Fensteröffnen „ zur Verbesserung der Temperaturbedingungen für die Weiterarbeit “ hebt als bloß geringfügige Unterbrechung den Versicherungsschutz für den Fenstersturz nicht auf]; RIS-Justiz RS0084686).

5. Zu Unrecht beruft sich das außerordentliche Rechtsmittel darauf, der Fußtritt sei (ohnehin) „erst nach“ Beendigung der „Alberei“, im Rahmen der Erledigung des Arbeitsauftrags durch den Kläger erfolgt. Diese Ausführungen entfernen sich von der ‑ im Revisionsverfahren nicht mehr angreifbaren ‑ Tatsachengrundlage, wonach er versuchte, den Fuß[‑tritt] seines Arbeitskollegen abzufangen, wobei er gerade durch diese Abwehrreaktion, „und nicht etwa durch einen unbeabsichtigten Ausrutscher oder Sturz auf dem Betriebsboden“, an der Hand verletzt wurde. Nach den bindenden Feststelllungen ist also davon auszugehen, dass die auch in der außerordentlichen Revision des Klägers zugestandene „kurze Unterbrechung des Versicherungsschutzes“ noch nicht beendet war, als er von seinem Kollegen (im Zuge der „Alberei“) verletzt wurde.

5.2. Die Beurteilung, ob im konkreten Fall ein Verhalten in so hohem Maß vernunftwidrig war und zu einer solchen besonderen Gefährdung geführt hat, dass die versicherte Tätigkeit nicht mehr als wesentliche Bedingung für den Unfall anzusehen ist, hat ebenfalls stets nach den Umständen des Einzelfalls zu erfolgen (10 ObS 37/04w, SSV‑NF 18/26). Auch wenn das Verhalten des Klägers im vorliegenden Fall als in so hohem Maß gefahrenerhöhend beurteilt worden wäre, dass die versicherte Tätigkeit nicht mehr als wesentliche Bedingung für den Unfall angesehen werden könnte, wäre ‑ entgegen der im außerordentlichen Rechtsmittel vertretenen Ansicht ‑ der dabei eingeräumte Ermessensspielraum nicht überschritten worden.

5.3. Demgemäß ist auch die Beurteilung des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden, die das gleiche Ergebnis aus der ständigen Rechtsprechung ableitet, wonach „Streitigkeiten oder Raufereien“ dann nicht mehr im inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit stehen, wenn sie nicht aus (rein) betrieblichen Gründen motiviert und begründet sind (RIS-Justiz RS0084133 [T9]), und ein aus persönlichen Gründen entfachter Streit einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und einer im Verlauf der Auseinandersetzung erlittenen Verletzung ausschließt (RIS-Justiz RS0084198).

Auch in Deutschland wird bei vergleichbarer Rechtslage in Lehre und Rechtsprechung übereinstimmend die Auffassung vertreten, dass es im Allgemeinen an dem inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit fehlt, wenn ein Erwachsener bei einer Neckerei mit anderen Betriebsangehörigen verletzt wird (vgl Krasney in Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky , Gesetzliche Unfallversicherung [SGB VII] Komm, 9. Lfg‑Oktober 2011, § 8 Rn 171 ‑ 90/35 mwN [zu den Schlagworten „Scherz“ bzw „Spielerei“]).

5.4. Wie der Rechtsmittelwerber selbst festhält, geht es bei der Feststellung einer inneren (oder: sachlichen) Verknüpfung zwischen einem zum Unfall führenden Verhalten und der versicherten Tätigkeit um die Ermittlung der Grenze, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Die Feststellung eines inneren Zusammenhangs ist eine Wertentscheidung, die erfordert, sämtliche Gesichtspunkte und Überlegungen miteinzubeziehen und sie sowohl einzeln als auch in ihrer Gesamtheit zu werten; erst daraus folgt entweder das Vorhandensein eines versicherten Verhaltens oder das Vorliegen privatwirtschaftlicher Verrichtungen. Entscheidend ist, ob die Gesamtumstände dafür oder dagegen sprechen, das unfallbringende Verhalten dem geschützten Bereich oder der Privatsphäre des Versicherten zuzurechnen (10 ObS 16/11t mwN).

5.5. Da die zu lösende Rechtsfrage somit keine über diesen Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat, wurde vom Berufungsgericht zu Recht ausgesprochen, dass die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig ist.

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