OGH 10ObS37/04w

OGH10ObS37/04w30.3.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Lukas Stärker und Dr. Peter Ladislaw (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ferdinand W*****, Kaufmann, *****, vertreten durch Dr. Michael Kinberger ua Rechtsanwälte in Zell am See, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65, wegen Feststellung eines Arbeitsunfalles und Leistungen aus der Unfallversicherung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Dezember 2003, GZ 11 Rs 112/03x-14, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Nach § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechtes oder des Verfahrensrechtes abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist.

Der Kläger räumt in seinen Ausführungen zur Zulässigkeit seines außerordentlichen Rechtsmittels zwar selbst ein, dass zur Frage der selbstgeschaffenen Gefahr iSd § 175 Abs 6 ASVG eine ständige und einheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliege, er meint jedoch, dass das Berufungsgericht von dieser Rechtsprechung abgewichen sei, weil es den Unfallversicherungsschutz im vorliegenden Fall verneint habe. Insbesondere der in SSV-NF 3/81 veröffentlichten Entscheidung, in welcher der Unfallversicherungsschutz im Falle eines Klägers, der beim Überqueren von Eisenbahngeleisen zu Fuß auf dem Heimweg von der Arbeit bei geschlossenen Bahnschranken vom Zug erfasst und getötet worden sei, liege ein sehr ähnlicher Sachverhalt zugrunde und es weiche daher die Entscheidung des Berufungsgerichtes von dieser Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ab.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.

Rechtliche Beurteilung

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes kann derjenige, der sich ohne jeden inneren Zusammenhang mit seiner geschützten Tätigkeit einer leicht erkennbaren Gefahr aussetzt und von dieser Gefahr ereilt wird, nicht mit Leistungen der Versicherungsgemeinschaft rechnen (SSV-NF 13/68; 4/49; 4/52; 3/65; 3/81; 2/102 ua; RIS-Justiz RS0103154). Im Sinne der im Bereich der Unfallversicherung herrschenden Theorie der wesentlichen Bedingung besteht nämlich bei wesentlich privaten Zwecken dienenden Tätigkeiten kein Versicherungsschutz. Besteht hingegen ein Kausalzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall, so schließt gemäß § 175 Abs 6 ASVG selbst ein verbotswidriges Handeln des Versicherten die Annahme eines Arbeitsunfalles nicht aus. Auch eine grobe Fahrlässigkeit des Verunglückten spricht nicht von vornherein gegen das Vorliegen eines Arbeitsunfalles (SSV-NF 13/68; 4/49; 3/81 ua; RIS-Justiz RS0085111). Es ist daher im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung davon auszugehen, dass weder verbotswidriges noch grundsätzlich auch unvernünftiges oder unsinniges Verhalten den Versicherungsschutz ausschließt und einen bestehenden ursächlichen Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit beseitigt (SSV-NF 6/108 mwN; Tomandl, Grundriss des österreichischen Sozialrechts5 142 ua). Bei der Verfolgung betriebsbezogener Zwecke ist demnach der Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall selbst dann vorhanden, wenn der Unfall in hohem Maße selbst verschuldet ist (Schwerdtfeger in Lauterbach, Unfallversicherung4 § 8 SGB VII Rz 243 mwN ua).

Der erforderliche innere Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall kann nach ständiger Rechtsprechung aber wegen einer aus betriebsfremden Motiven selbstgeschaffenen Gefahr ausnahmsweise nicht mehr gegeben sein. Ein Unfall bei einer selbstgeschaffenen Gefahr liegt nur vor, wenn der Unfall auf einem völlig unvernünftigen und unsinnigen Verhalten des Versicherten beruht, sodass demgegenüber die betriebsbedingten Verhältnisse zu unwesentlichen Nebenbedingungen und Begleitumständen des Unfalles herabsinken und die Beziehung zum Betrieb bei der Bewertung der Unfallursachen als unerheblich auszuscheiden ist. Entscheidend ist, ob trotz der - aus betriebsfremden Motiven - "selbstgeschaffenen Gefahr" die versicherte Tätigkeit eine wesentliche Bedingung des Unfalls geblieben ist oder die "selbstgeschaffene Gefahr" in so hohem Maß vernunftwidrig war und zu einer solchen besonderen Gefährdung geführt hat, dass die versicherte Tätigkeit nicht mehr als wesentliche Bedingung für den Unfall anzusehen ist (SSV-NF 13/68; 10/18; 6/108; 4/49; 4/52; 3/65; 3/81; 2/102 ua; RIS-Justiz RS0084133).

Nach den maßgebenden Feststellungen der Vorinstanzen ging der Kläger zur Unfallszeit telefonierend zum geschlossenen Bahnschranken und in der Folge auch auf die abgeschränkte Eisenbahnkreuzung, wobei er aber so in dieses Telefongespräch vertieft wer, dass er gar nicht bemerkte, dass er die Eisenbahnkreuzung betrat. Er spazierte sodann an dieser Kreuzung entlang und verließ auch beim ersten akustischen Warnsignal des herankommenden Zuges noch immer nicht die Eisenbahnkreuzung, sodass er in der Folge vom Zug erfasst und schwer verletzt wurde.

Das Berufungsgericht führte dazu in rechtlicher Hinsicht aus, dass dieses objektiv völlig unvernünftige und unsinnige Verhalten - wenn überhaupt - nur dadurch erklärt werden könne, dass sich der Kläger aufgrund der Probleme mit seiner wegen eines Suchtgiftdeliktes in Untersuchungshaft befindlichen Tochter, die der Kläger an diesem Tag besucht hatte, in einem psychischen Ausnahmezustand befunden habe. Auch wenn es bei diesem Telefongespräch, das durch den Unfall des Klägers unterbrochen worden sei, in erster Linie darum gegangen sein sollte, wie der Kläger am besten seine Tochter in seinen Betrieb eingliedern und dadurch in seine Obhut nehmen könnte, bleibe als entscheidender betriebsfremder Beweggrund für die vom Kläger selbstgeschaffene Gefahrensituation, die schließlich zum Unfall geführt habe, der außergewöhnliche psychische Zustand des Klägers, in dem er sich wegen der Probleme mit seiner Tochter befunden habe. Die vom Kläger selbstgeschaffene Gefahr sei in einem so hohem Maß vernunftwidrig gewesen, dass die versicherte Tätigkeit nicht mehr als wesentliche Bedingung für den Unfall angesehen werden könne. Es sei daher der Unfallversicherungsschutz selbst dann zu verneinen, wenn man im Sinne des Rechtsstandpunktes des Klägers davon ausgehe, dass sich der Kläger damals auf einem von der Unfallversicherung geschützten Weg zu seinem Wohnort befunden habe.

Die Beurteilung, ob im konkreten Fall ein Verhalten in so hohem Maß vernunftwidrig war und zu einer solchen besonderen Gefährdung geführt hat, dass die versicherte Tätigkeit nicht mehr als wesentliche Bedingung für den Unfall anzusehen ist, hat stets nach den Umständen des Einzelfalles zu erfolgen. Das Berufungsgericht ist bei seiner Entscheidung von den von der ständigen Judikatur entwickelten Grundsätzen ausgegangen und ist dabei, entgegen der Ansicht des Revisionswerbers, nicht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes in vergleichbaren Fällen abgewichen. So ist insbesondere der in der Entscheidung SSV-NF 3/81 beurteilte Sachverhalt, wonach der damalige Kläger beim Versuch der Überquerung der Geleise bei geschlossenen Bahnschranken das Passieren eines Lastzuges abwartete und dabei einen zur gleichen Zeit aus der Gegenrichtung kommenden Schnellzug übersah, nicht unmittelbar mit dem vorliegenden Sachverhalt vergleichbar, in welchem der Kläger bei geschlossenem Bahnschranken ohne jede Beachtung des Zugverkehrs telefonierend auf der Eisenbahnkreuzung entlang spazierte. Wenn die Vorinstanzen dieses Verhalten des Klägers als in so hohem Maß vernunftwidrig und gefahrenerhöhend beurteilt haben, dass die versicherte Tätigkeit nicht mehr als wesentliche Bedingung für den Unfall angesehen werden könne, haben sie den bei dieser Entscheidung eingeräumten Ermessensspielraum jedenfalls nicht überschritten. Da die im vorliegenden Verfahren zu lösende Rechtsfrage somit keine über diesen Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat, hat das Berufungsgericht mit Recht ausgesprochen, dass die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig ist.

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