OGH 10ObS165/88

OGH10ObS165/885.7.1988

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Eberhard Piso (Arbeitgeber) und Walter Hartl (Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Josef L***, Schlosser, 4222 St. Georgen/Gusen, Pürach 30, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei A*** U***, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65,

vertreten durch Dr. Adolf Fiebich, Dr. Vera Kremslehner, Dr. Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7. März 1988, GZ 13 Rs 2/88-13, womit das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 23. September 1987, GZ 13 Cgs 1117/87-9, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der Kläger ist seit 1970 bei der Firma P*** & T***

Gesellschaft mbH als Schlosser beschäftigt. Bereits vor dem Jahr 1976 und auch heute noch ist es seitens der Firmenleitung erlaubt, daß Werksangehörige während der Arbeit, natürlich nur im entsprechenden Ausmaß, etwas Bier oder andere Getränke zu sich nehmen können. Die Getränkeflaschen wurden dabei von den Arbeitern immer auf den Werkbänken abgestellt. Insgesamt gab es im Jahr 1976 in der vom Kläger benützten Halle etwa 15 Werkbänke. Bereits vor 1976 war es bei den Arbeitern in der großen Werkshalle üblich, daß leere Bier- oder Getränkeflaschen verwendet wurden, um darin geringe Mengen Bremsflüssigkeit, Hydrauliköl oder ähnliches abzufüllen. Der Grund dafür war, daß in der Werkshalle zu diesem Zweck nur wenige Metallkannen vorhanden waren. Außerdem hatte das Verwenden von Bierflaschen den Vorteil, daß es den Arbeitern mit diesen Flaschen leichter möglich war, das Öl in kleinere Öffnungen hineinzugießen. Überdies konnte sich so der einzelne Arbeiter den weiten Weg zum Ölfaß ersparen. Die Flaschen mit dem Öl oder den anderen Substanzen blieben ebenso wie die angebrauchten Getränkeflaschen auf den Werkbänken stehen und wurden nur zum Teil in Regale zurückgestellt. In unregelmäßigen Abständen hat auch der Zusammenräumer die nicht mehr verwendbaren Ölreste in den Bierflaschen weggebracht.

Für die Arbeiter hätte ohne weiteres die Möglichkeit bestanden, im Magazin zusätzliche Ölkannen anzufordern, was jedoch aus Bequemlichkeit gar nicht versucht wurde.

In der hydraulischen Abteilung war der Ölbedarf größer, sodaß dort manchmal auch zwei oder drei Getränkeflaschen mit Öl auf einer Werkbank standen. Die Werkbänke der Hydraulik und jene der Schlosser standen ziemlich nahe beisammen, sodaß manchmal auch eine mit Öl gefüllte Getränkeflasche auf eine Schlosserwerkbank gestellt wurde. Am 23. Juli 1976 hatte der Kläger auf seiner Werkbank eine bereits zur Hälfte geleerte Bierflasche stehen. Da er mit seinem Werkstück an einer anderen Maschine weiterarbeiten mußte, hatte er sich für etwa 45 Minuten von seinem Arbeitsplatz entfernt. Nach der Rückkehr zu seiner Werkbank wollte er einen Schluck Bier aus seiner angebrauchten Flasche trinken, stellte jedoch sofort fest, daß der Inhalt mit Mineralöl vermengt war. Wie das Öl in die Bierflasche des Klägers gekommen ist, konnte nicht festgestellt werden. Der Kläger trug damals Arbeitshandschuhe, sodaß er erst nachträglich bemerkte, daß die Bierflasche auch außen etwas ölig war. Es kann auch nicht mehr festgestellt werden, ob mehrere Flaschen nebeneinander auf der Werkbank des Klägers standen und ob er dadurch möglicherweise seine Bierflasche mit einer anderen Flasche verwechselt hat. Das Erstgericht wies das Begehren, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, dem Kläger ab 16. April 1987 (aus Anlaß des Arbeitsunfalles vom 23. Juli 1976) eine Versehrtenrente von 20 % der Vollrente zu gewähren, ab.

Erst durch die 34. ASVG-Novelle BGBl. Nr. 530/1979 sei der Unfallversicherungsschutz auch auf die Befriedigung lebensnotwendiger Bedürfnisse als solche, wie die Einnahme einer Mahlzeit, erweitert worden. Nach den Übergangsbestimmungen sei dieser erweiterte Versicherungsschutz nur im Falle einer durch den Unfall verursachten völligen Erwerbsunfähigkeit des Versicherten auch auf Versicherungsfälle nach dem 31. Dezember 1955 anzuwenden. Der Kläger habe aber nur eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 % geltend gemacht. Auch nach der neueren Rechtslage bestünde der Anspruch des Klägers nicht zu Recht, weil der Konsum alkoholischer Getränke neben der Arbeit nicht als lebensnotwendiges Bedürfnis angesehen werden könne. Es lägen auch keine zusätzlichen betriebsbedingten Umstände vor, die an der Herbeiführung der Unfallfolgen wesentlich mitgewirkt hätten.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers Folge, hob das Ersturteil auf, verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück und sprach aus, daß das Verfahren erster Instanz erst nach eingetretener Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses fortzusetzen sei.

Essen und Trinken und ähnliche der Befriedigung eines persönlichen Bedürfnisses dienende Tätigkeiten seien in der Regel als eigenwirtschaftliche Tätigkeiten nicht durch die Unfallversicherung geschützt. Gehe diese Befriedigung persönlicher Bedürfnisse nur nebenher, erfahre die betriebliche Tätigkeit dadurch keine Unterbrechung und sei der Versicherte durch die besonderen Umstände, unter denen sich die Bedürfnisbefriedigung vollziehe, gewissen aus dem Betrieb entspringenden Gefahren weiterhin ausgesetzt, müsse der Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit bejaht werden. Die Einnahme von Getränken sei nicht nur von der Firmenleitung geduldet, sondern seit Jahren, ebenso wie das Verwenden der Getränkeflaschen für Werksstoffe, üblich gewesen. Die besondere körperliche Anstrengung lege eine erforderliche Flüssigkeitsaufnahme auch außerhalb der üblichen Arbeitspausen nahe. Die Kürze der Zeit, die mit dem Trinken verbunden gewesen sei und die besondere Situation am Arbeitsplatz habe keine Lösung des Zusammenhanges mit der versicherten Tätigkeit zur Folge gehabt. Der Unfall sei daher als Arbeitsunfall zu qualifizieren, es seien daher noch Feststellungen zu den Unfallfolgen und insbesondere zum Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit erforderlich.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Rekurs der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, ihn dahin abzuändern, daß der Berufung des Klägers keine Folge gegeben werde (richtig: das Ersturteil wiederherzustellen).

Rechtliche Beurteilung

Dem Rekurs kommt keine Berechtigung zu.

Der Oberste Gerichtshof billigt die ausführliche rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes.

Wenn auch § 175 Abs. 2 Z 7 ASVG mit Rücksicht auf den bereits im Jahre 1976 erfolgten Unfall, der eine völlige Erwerbsunfähigkeit unbestritten nicht zur Folge hatte, hier noch nicht anwendbar ist, muß doch das Vorliegen eines Arbeitsunfalles bejaht werden, da er sich entsprechend § 175 Abs. 1 ASVG im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignet hat. Essen und Trinken stellen zwar grundsätzlich nicht unter Versicherungsschutz stehende eigenwirtschaftliche Tätigkeiten dar, kommen aber besondere wesentlich durch die betriebliche Tätigkeit bedingte Umstände hinzu, wird der Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit noch nicht unterbrochen, denn die gesetzliche Unfallversicherung erstreckt sich auf alle jene Gefahren, denen der Versicherte infolge seiner Betriebstätigkeit ausgesetzt ist. Wird das schädigende Ereignis wesentlich durch die Zugehörigkeit zum Betrieb mitbedingt, haben also betriebliche Einrichtungen bei der Entstehung des Unfalles wesentlich mitgewirkt und wurde der Unfall daher wesentlich durch die Umstände an der Arbeitsstätte oder die Arbeitstätigkeit selbst verursacht - etwa weil sie unter erhöhtem Gefahrenrisiko durchgeführt wurde und dieses erhöhte Risiko auch tatsächlich zum Unfall geführt hat - liegt ein Arbeitsunfall vor (vgl. Wagner, Der Arbeitsunfall 114/5 f, Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechtes, 307).

Im vorliegenden Fall mußte der Kläger, als er zulässigerweise versuchte, während der Arbeit einen Schluck Bier zu trinken - richtig hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, daß die mit der Tätigkeit des Klägers verbundene körperliche Anstrengung auch außerhalb der üblichen Arbeitspausen weitere Flüssigkeitsaufnahmen nahelegt (vgl. dazu Lauterbach, Unfallversicherung3 I 223/3 f) und überdies ereignete sich der Unfall im Juli, also im heißesten Monat des Jahres - seine betriebliche Tätigkeit nur für Sekunden unterbrechen. Ist eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit nach ihrer Art und Dauer bei natürlicher Betrachtungsweise so, daß sie nur zu einer geringfügigen Unterbrechung der versicherten Tätigkeit führt und noch ein innerer Zusammenhang zwischen dem Unfallgeschehen und der betrieblichen Tätigkeit besteht, entfällt der Versicherungsschutz noch nicht (vgl. RZ 1985/12). Eine Verneinung des Versicherungsschutzes selbst bei geringfügigen Unterbrechungen würde in konsequenter Durchführung bedeuten, daß der arbeitende Mensch, um seinen Versicherungsschutz zu erhalten, einer Maschine vergleichbar, während der gesamten Arbeitszeit sich ausschließlich auf die Arbeit auszurichten und alle persönlichen Gedanken, Bedürfnisse und Empfindungen schlechthin zu unterdrücken hätte (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung II 480 s). Die vom Betriebsinhaber langjährig geduldete Verwendung der am Arbeitsplatz zurückbleibenden leeren Getränkeflaschen für betriebliche Zwecke, das Einfüllen giftiger Öle, ohne für eine ordnungsgemäße Beschriftung und Verwahrung zu sorgen, stellte überdies eine betriebsbedingte Gefahrenquelle dar. Die besondere Beschaffenheit der Unfallsstelle war daher auch wesentliche Bedingung für die Herbeiführung der Verletzung (vgl. auch Brackmann aaO 480 o I).

Der Unfall des Klägers ist daher als Arbeitsunfall zu qualifizieren.

Das Erstgericht wird daher, selbst für den Fall, als sich eine zu einer Unfallrente führende Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht ergeben sollte, in seine Entscheidung jedenfalls eine Feststellung gemäß §§ 65 Abs. 2, 96 Z 7 ASGG aufzunehmen haben.

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