OGH 3Ob41/13w

OGH3Ob41/13w13.3.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden, den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj 1. A*****, und 2. L*****, beide Norwegen, *****, wegen einstweiliger Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter H*****, Norwegen, *****, vertreten durch Mag. Martin Machold, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 28. Dezember 2012, GZ 45 R 445/12t, 45 R 446/12i‑108, womit den Rekursen des Vaters A*****, gegen die Beschlüsse des Bezirksgerichts Hietzing vom 24. Juni 2011, GZ 11 PS 27/11k‑25 und vom 13. Juli 2012, GZ 2 PS 184/11g‑95, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0030OB00041.13W.0313.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Begründung

Die 2002 und 2006 geborenen Kinder wuchsen in Österreich auf und hatten ebenso wie ihre Eltern ‑ deren Ehe am 1. April 2011 rechtskräftig geschieden worden war ‑ zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich.

Das Erstgericht hob mit Beschluss vom 24. Juni 2011 die gemeinsame Obsorge der Eltern auf, übertrug der Mutter die einstweilige Obsorge, wobei es die sofortige Vollstreckbarkeit der Entscheidung gemäß § 44 AußStrG anordnete und wies den Antrag des Vaters vom 14. April 2011 (ON 7), ihm die einstweilige Obsorge zu übertragen, ab.

Anfang des Jahres 2012 übersiedelte die Mutter mit den Kindern nach Norwegen.

Mit Beschluss vom 13. Juli 2012 wies das Erstgericht den vom Vater am 21. Februar 2012 (ON 61) gestellten Antrag, der Mutter die einstweilige Obsorge zu entziehen und ihn mit der einstweiligen Obsorge zu betrauen, ab.

Das Rekursgericht gab dem vom Vater gegen diese Beschlüsse erhobenen Rekursen nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Gegen diese Rekursentscheidung, die der Vater unbekämpft ließ, wendet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen und das seit Februar 2012 durchgeführte Verfahren als nichtig zu beheben und „das Verfahren einzustellen“. Die Mutter bezieht sich darauf, dass die Entscheidung für alle Obsorgefragen gemäß dem ‑ nach Auffassung der Mutter anwendbaren ‑ KSÜ, das keine perpetuatio fori kenne, auf norwegische Gerichtsbehörden übergegangen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist unzulässig.

1. Die Mutter macht in ihrem Revisionsrekurs inhaltlich die fehlende internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte, somit den in § 56 Abs 1 AußStrG iVm § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG geregelten Revisionsrekursgrund geltend, wobei die dort angeführten Verfahrensverstöße bestimmten Nichtigkeitsgründen der ZPO entsprechen ( Klicka in Rechberger , AußStrG² [2013] § 66 Rz 2).

2. Der Umstand, dass das Rekursgericht im Anlassfall ausdrücklich die internationale Zuständigkeit mit der Begründung bejaht hat, dass Norwegen nicht Vertragsstaat des mit 1. April 2011 in Österreich in Kraft getretenen (BGBl III 2011/49) Übereinkommens über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19. Oktober 1996 ist (KSÜ ‑ vgl zur Aufenthaltsverlegung in einen Drittstaat Pesendorfer in Fasching/Konecny ² V/2 Art 8 EuEheKindVO Rz 20; Nademleinsky/Neumayr , IFR Rz 08.31; Nademleinsky , Haager Kinderschutzübereinkommen in Kraft, EF‑Z 2011/56), hindert nicht die Möglichkeit, den Mangel der internationalen Zuständigkeit im Revisionsrekurs geltend zu machen: Die in § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG genannten Mängel können auch dann in einem Revisionsrekurs releviert werden, wenn sie vom Rekursgericht verneint worden sind. Wegen der ausdrücklichen Anordnung in § 66 Abs 1 AußStrG und des Fehlens einer § 519 ZPO vergleichbaren Bestimmung gibt es keine Grundlage für die Annahme einer diesbezüglichen Rechtsmittelbeschränkung (RIS‑Justiz RS0121265).

3. Sowohl im Streit- als auch im Außerstreitverfahren gilt der Grundsatz, dass ein Nichtigkeitsgrund nur dann berücksichtigt werden kann, wenn ein zulässiges Rechtsmittel vorliegt (RIS‑Justiz RS0007095).

4. Auch im Außerstreitverfahren muss ein Rechtsschutzinteresse an der inhaltlichen Behandlung des Rechtsmittels bestehen. Fehlt dieses, ist ein dennoch erhobenes Rechtsmittel als unzulässig (RIS‑Justiz RS0006598) zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0006880).

5. Nach herrschender Auffassung bedarf es grundsätzlich einer formellen Beschwer des Rechtsmittelwerbers: Formelle Beschwer liegt dann vor, wenn die Entscheidung von dem ihr zugrunde liegenden Sachantrag des Rechtsmittelwerbers zu dessen Nachteil abweicht (RIS‑Justiz RS0041868 [T5]; Kodek in Rechberger ³ Vor § 461 ZPO Rz 10; Zechner in Fasching/Konecny ² IV/1 Vor §§ 514 ff ZPO Rz 58 mwN).

6. Die Mutter hat nun nach ihrer Übersiedlung mit den Kindern nach Norwegen in erster Instanz (ON 71) den „Antrag auf Feststellung, dass die gegenständliche Obsorgerechtssache der österreichischen Gerichtsbarkeit entzogen ist und Einstellung des Verfahrens“ gestellt und damit erkennbar den Einwand der fehlenden internationalen Zuständigkeit erhoben.

7. Nun ist anerkannt, dass die Beschwer auch in einem prozessualen Nachteil gelegen sein kann, etwa dann, wenn eine Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs oder wegen entschiedener Streitsache zurück‑ statt als unbegründet abgewiesen wurde (RIS‑Justiz RS0041758; 1 Ob 68/04p). Das gilt jedenfalls dann, wenn eine Klage‑ oder (Antrags‑)Zurückweisung nicht ausschließt, dass der Beklagte oder Antragsgegner nochmals meritorisch in Anspruch genommen werden kann (1 Ob 68/04p; Zechner in Fasching/Konecny ² IV/1 Vor §§ 514 ff ZPO Rz 73 mwN).

8. Im Anlassfall liegt die umgekehrte Konstellation vor: Das Rekursgericht hat die Frage der einstweiligen Obsorge inhaltlich zu Gunsten der Mutter und nunmehrigen Revisionsrekurswerberin entschieden. Der Vater bekämpfte die Entscheidung des Rekursgerichts nicht. Der Fall, dass die Mutter befürchten müsste, die Sachentscheidung könnte in höherer Instanz noch zu ihren Ungunsten abgeändert werden, weshalb ihr ein Interesse an der Nichtigerklärung der ergangenen Entscheidungen zugebilligt werden könnte, liegt daher hier nicht vor.

9. Unter diesen Umständen ist aber nicht erkennbar, inwiefern die Entscheidung des Rekursgerichts in die Rechtsstellung der Mutter eingreifen könnte: Die von ihr im Revisionsrekurs thematisierte „Einstellung des Verfahrens“ war nicht Gegenstand der Rekursentscheidung und ist somit auch vom Obersten Gerichtshof nicht zu überprüfen. Gegenstand der Rekursentscheidung war vielmehr ausschließlich die Aufhebung der gemeinsamen Obsorge, die Übertragung der einstweiligen Obsorge an die Mutter und die Abweisung des Antrags des Vaters auf Übertragung der einstweiligen Obsorge an ihn. Im Umfang dieses somit allein maßgeblichen Verfahrensgegenstands ist die Mutter, die in erster Instanz selbst die Zuweisung der Alleinobsorge beantragte (ON 44) und auch im Revisionsrekurs nicht aufzeigt, worin ihr Rechtsschutzinteresse liegen könnte, nicht beeinträchtigt.

10. Davon zu unterscheiden ist, dass im fortgesetzten Verfahren vor dem Erstgericht vor Behandlung der noch unerledigt gebliebenen Anträge der Eltern, die jeweils die Übertragung der Alleinobsorge begehren, auf die von der Mutter aufgeworfene (vgl den im Revisionsrekurs gestellten Antrag auf „Verfahrenseinstellung“) und im Übrigen auch amtswegig zu beachtende Frage der internationalen Zuständigkeit einzugehen sein wird.

11. Zusammengefasst folgt daraus, dass der Revisionsrekurs der Mutter wegen Fehlens eines Rechtsschutzinteresses unzulässig ist.

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