OGH 9ObA153/12h

OGH9ObA153/12h29.1.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und AR Angelika Neuhauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei G***** D*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Hirsch, Dr. Ursula Leissing, Rechtsanwälte in Bregenz, gegen die beklagte Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Kristina Silberbauer, Rechtsanwältin in Wien, wegen 59.082,24 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 4. Oktober 2012, GZ 15 Ra 82/12i‑44, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 12. April 2012, GZ 34 Cga 46/11w‑40, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Berufungsurteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 2.809,26 EUR (darin 468,21 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 4.616,02 EUR (darin 337,17 EUR USt, 2.593 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war vom 1. 12. 2009 bis 31. 8. 2010 in der Filiale der Beklagten in D***** als Verkaufsmitarbeiterin beschäftigt. In ihrem Dienstvertrag war vereinbart, dass sie zusätzlich zum laufenden Bezug ab 1. 3. 2010 am variablen Vergütungssystem für Verkaufsmitarbeiter gemäß der jeweils gültigen Betriebsvereinbarung „Vergütung“ teilnimmt. Bis zum Inkrafttreten dieser Betriebsvereinbarung sollten die im Vertragsanhang beschriebenen Konditionen, ua für eine nach oben hin offene Bonifikation, gelten, die mit Inkrafttreten der neuen Betriebsvereinbarung gegenstandslos und durch diese ersetzt würden.

Zwischen der Beklagten, vertreten durch die Geschäftsführung, und ihrem Betriebsrat wurde im Dezember 2009 eine „Betriebsvereinbarung über ein Vergütungssystem“ abgeschlossen, die vorsieht:

2.6.1.5 Bonifikation für Verkaufsmitarbeiter

Zusätzlich zum monatlichen Verdienst hat der Verkaufsmitarbeiter die Möglichkeit, eine jährliche Bonifikation zu bekommen. Diese Bonifikation beginnt mit einer jährlichen Zielerreichung ab 101 % (kaufmännisch gerundet) und ist nach oben hin offen. Die Parameter, welche zur Zielerreichung herangezogen werden, sind im Anhang definiert. ...

Der Anhang der Betriebsvereinbarung enthält die nähere Bonifikationsregelung für die Verkaufsmitarbeiter. Darin ist auf den Seiten 24 und 25 festgehalten, dass zur Zielerreichung für die Bonifikation drei ‑ im Einzelnen näher erläuterte ‑ Parameter heranzuziehen sind. Als Zielerreichungsgruppen für die Bonifikation der Verkaufsmitarbeiter wurden vorgegeben:

101 % bis 110 % 5.000 EUR brutto

111 % bis 120 % 10.000 EUR brutto

121 % bis 130 % 20.000 EUR brutto

über 131 % 150 EUR brutto extra pro Prozentpunkt.

Die Betriebsvereinbarung wurde am 22. 12. 2009 von Vertretern der Geschäftsführung der Beklagten, am 23. 12. 2009 von der Personalverantwortlichen der Beklagten und am 28. 12. 2009 von der Betriebsratsvorsitzenden unterzeichnet. Darüber hinaus trägt jede einzelne Seite der Betriebsvereinbarung sowie jede einzelne Seite der Anhänge jeweils eine Paraphe der Personalverantwortlichen sowie der Betriebsratsvorsitzenden. Am 29. 12. 2009 wurde den Mitarbeitern der Beklagten unter dem Betreff „Betriebsvereinbarung Vergütung 2010“ ein E‑Mail geschickt, in dem der Abschluss der Betriebsvereinbarung mit Gültigkeit ab 1. 1. 2010 sowie ein Link, der zur neuen Betriebsvereinbarung führte, bekannt gegeben wurde. Auch die Klägerin erhielt dieses E‑Mail. Die Betriebsvereinbarung wurde in das Organisationshandbuch (OHB) in das Intranet der Beklagten gestellt.

Die Beklagte hatte mit dem in der Betriebsvereinbarung eingeführten Vergütungssystem keine Erfahrung. Nach dem ersten Quartal 2010 ergaben sich in Bezug auf einen der drei Parameter Überzielerreichungen bis zu 450 %. Für die Geschäftsführung war erkennbar, dass bei Beibehaltung des Modells im Bereich der Vergütung äußerst hohe Jahressummen zum Jahresende an die Verkaufsmitarbeiter auszuzahlen wären. Die Personalverantwortliche teilte der Betriebsratsvorsitzenden mit, dass die Betriebsvereinbarung im Punkt der Vergütungsregelung aufgeschnürt werden müsse, da die Vergütungszahlungen sonst zum Untergang des Unternehmens führen würden. Der Vorschlag einer 150%‑Deckelung stand im Raum.

Am 25. 3. 2010 wurde den Vertriebsmitarbeitern in einem E‑Mail angekündigt, dass es zwei Adaptierungen geben würde. Ua wurde festgehalten, es entspreche ein „90+ Wert von 0 % gleich 150 % Zielerreichung, welche somit auch den Maximalwert der möglichen Zielerreichung darstellt. Die damit verbundenen Änderungen in der BV‑Vergütung sowie eine neue Version der Betriebsvereinbarung finden Sie ebenfalls morgen auf dem OHB“. Dieses E‑Mail hat die Klägerin erhalten.

Am 8. 4. 2010 richtete der Direktor für das Privatkundengeschäft der Beklagten ein E‑Mail mit dem Betreff „Jahresbonifikation“ an die Vertriebsmitarbeiter, in dem der Beschluss der Geschäftsführung bekanntgegeben wurde, aufgrund betriebswirtschaftlicher und ethischer Aspekte die Jahresbonifikation für alle Mitarbeiter im Filialbetrieb je Sparte mit maximal 150 % Zielerreichung zu reglementieren. Selbstverständlich sei diese notwendige Anpassung unter Einbindung des Betriebsrats vorgenommen worden. Auch dieses E‑Mail hat die Klägerin erhalten. In der Folge setzte sich der Regionalleiter telefonisch mit sämtlichen Mitarbeitern der Beklagten in der Filiale in D*****, somit auch mit der Klägerin, in Verbindung und teilte die Neuerung betreffend die Bonifikation mit.

Formal erfolgte die Änderung der Betriebsvereinbarung dergestalt, dass die Personalverantwortliche im Auftrag der Geschäftsführung und die Betriebsratsvorsitzende im Anhang der Betriebsvereinbarung die ursprünglichen Seiten 24 und 25 gegen neue Seiten 24 und 25 austauschten, auf denen zu den Parametern 90+ Wert und CBP‑Zielerreichung in den Fußnoten 6 und 7 festgehalten war, dass die Zielerreichung jeweils bei 150 % gedeckelt ist. Die Gegenüberstellung der ursprünglichen mit der abgeänderten Betriebsvereinbarung (Beilage ./2 und ./4) zeigt überdies, dass im Haupttext unter Punkt 2.6.1.5 der Passus „und ist nach oben hin offen“ gestrichen wurde. Die Austauschblätter sind wiederum von der Personalverantwortlichen und der Betriebsratsvorsitzenden paraphiert. Sie weisen das ursprüngliche Datum 22. 12. 2009 auf.

Die veränderte Betriebsvereinbarung wurde im Original im Büro der Personalchefin und in Kopie bei der Betriebsratsvorsitzenden aufgelegt und am 8. 4. 2010 als nicht unterschriebene Textdatei in das Organisationshandbuch in das Intranet der Beklagten gestellt.

Die Klägerin war zu Beginn ihres Dienstverhältnisses darauf hingewiesen worden, dass Betriebsvereinbarungen im Organisationshandbuch im Intranet der Beklagten veröffentlicht werden. Ihr war der Speicherort von Betriebsvereinbarungen im OHB im Intranet der Beklagten bekannt. Sie hatte die Möglichkeit, auf diesen Speicherort zuzugreifen und damit auch die geänderte Version der Betriebsvereinbarung einzusehen. Bei der Beklagten ist es üblich, dass die Betriebsvereinbarungen im OHB veröffentlicht werden. Als die Klägerin im April 2010 das E‑Mail erhielt, hatte sie sich mit ihrer Jahresbonifikation noch nicht mehr beschäftigt. Das Thema wurde für sie erst aktuell, als sie sich entschloss, die Beklagte zu verlassen.

Die Klägerin bringt vor, die Deckelung der Provision sei unwirksam. Ausgehend von den ‑ unstrittigen ‑ Parametern habe sie für sechs Monate (1. 3. bis 31. 8. 2010) einen Gesamtbonifikationsanspruch von 71.860 EUR. Abzüglich der geleisteten Zahlung von 12.777,76 EUR ergebe dies den Klagsbetrag von 59.082,24 EUR. Es liege keine schriftliche Vereinbarung zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat über die Deckelung der Zielerreichung bei 150 % vor. Offensichtlich seien lediglich die Seiten 24 und 25 nachträglich ausgetauscht worden. Eine schriftliche Vereinbarung sei auch im Organisationshandbuch nie veröffentlicht worden. Überdies sei der für eine Erneuerung/Änderung der Betriebsvereinbarung in dieser festgelegte Prozess nicht eingehalten worden, nach dem erstmals Anfang des vierten Quartals die neuen Ziele definiert und mit dem Betriebsrat zu besprechen seien. Die Betriebsvereinbarung hätte daher keinesfalls im April 2010 rückwirkend zum 1. 1. 2010 abgeändert werden dürfen. Das E‑Mail vom 8. 4. 2010 habe keinen Hinweis auf eine Veröffentlichung der geänderten Betriebsvereinbarung enthalten. Sie sei nicht verpflichtet gewesen, laufend das OHB auf Änderungen hin zu überprüfen. Sie habe auch nicht gewusst, wo dieses abgespeichert sei. Der Betriebsrat sei auch nicht berechtigt gewesen, im Rahmen einer Betriebsvereinbarung zu Lasten der Klägerin eine Einschränkung ihres individuellen Vergütungsanspruchs zu vereinbaren. Selbst wenn der ursprüngliche Anspruch auf einer Betriebsvereinbarung basierte, wäre ein derart schwerwiegender Eingriff in die Vergütungsvereinbarung unzulässig, zumal der Vergütungsanspruch der Klägerin unverhältnismäßig um mehr als 80 % reduziert würde. Dies stelle einen erheblichen Eingriff in ihre Vertrauensposition der Klägerin dar, sei sachlich nicht begründet und damit unwirksam.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte die rechtswirksame Deckelung des Bonifikationsanspruchs ein. Sie habe alle Mitarbeiter mit E‑Mail vom 8. 4. 2010 davon verständigt, es seien Mitarbeitergespräche gefolgt. Der Speicherort, in dem die neue Version einsehbar gewesen sei, sei den Mitarbeitern bekannt gewesen. Die geänderte Betriebsvereinbarung sei, wie bei der Beklagten üblich, im Intranet im Organisationshandbuch veröffentlicht und darauf per E‑Mail hingewiesen worden. Die Änderung der Betriebsvereinbarung durch Austausch der unterschriebenen Seiten 24 und 25 sei ausreichend und genüge der Schriftform. Das Gehalt der Klägerin sei auch im Branchenvergleich überdurchschnittlich hoch gewesen. Selbst wenn man die ganze Bonifikation wegließe, habe sie monatlich bis zu 11.700 EUR brutto ohne Sonderzahlungen verdient. Die Geschäftsführung sei aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen veranlasst gewesen, den Deckel einzuziehen. Selbst wenn er erst ab 8. 4. 2010 gegolten hätte, bestünde der Klagsanspruch nur mit 12.448,55 EUR zu Recht.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG idF vor Inkrafttreten des BGBl I 2010/101 liege ein zulässiger Regelungsinhalt für eine Betriebsvereinbarung vor. Die Änderung der Betriebsvereinbarung sei ‑ zusammengefasst ‑ in einer Art und Weise, die einer Auflage im modernen Sinn entspreche und die bei der Beklagten üblich sei, sohin ordnungsgemäß veröffentlicht worden. Die Klägerin habe keinen weiteren Anspruch auf eine Jahresbonifikation.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge. Soweit revisionsgegenständlich, führte es aus, die Vereinbarung habe nicht dem Schriftlichkeitsgebot des § 29 ArbVG entsprochen, weil nicht sämtliche Teile der Vereinbarung durch die Beklagte firmenmäßig gefertigt worden seien. Weder der ursprünglichen noch der abgeänderten Fassung des Anhangs komme daher die Qualität einer Betriebsvereinbarung zu. Ob der Vereinbarung auch als „Nicht‑Betriebsvereinbarung“ Rechtswirkung zukomme, richte sich nach allgemein bürgerlich‑rechtlichen Grundsätzen. Dem Schweigen der Klägerin könne jedoch kein zustimmender Erklärungswert beigemessen werden, weil die Entgeltvereinbarung für sie nicht vorteilhaft gewesen sei. Die im Dienstvertrag vereinbarte Bedingung, die zur Änderung der bisherigen Bonifikationsregelung führe, nämlich das „Inkrafttreten einer Betriebsvereinbarung“, sei nie eingetreten. Die Klägerin habe daher Anspruch auf eine „ungedeckelte“ Bonifikationszahlung. Die Revision sei mangels Rechtsprechung zur Frage, ob auch „Anhänge zur Betriebsvereinbarung“ durch den Betriebsinhaber firmenmäßig gefertigt sein müssen, zulässig.

In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Die Beklagte macht im Wesentlichen geltend, dass das Berufungsgericht mit seiner Rechtsansicht die Formerfordernisse für Betriebsvereinbarungen überspanne. Dazu ist Folgendes zu erwägen:

1. Gemäß § 29 ArbVG sind Betriebsvereinbarungen schriftliche Vereinbarungen, die vom Betriebsinhaber einerseits und dem Betriebsrat andererseits in Angelegenheiten abgeschlossen werden, deren Regelung durch Gesetz oder Kollektivertrag der Betriebsvereinbarung vorbehalten ist.

Das Schriftformerfordernis gilt auch für die Abänderung von Betriebsvereinbarungen (Kietaibl in Tomandl, ArbVG, § 29 Rz 11 mwN).

Gemäß § 30 Abs 1 ArbVG sind Betriebsvereinbarungen vom Betriebsinhaber oder vom Betriebsrat im Betrieb aufzulegen oder an sichtbarer für alle Arbeitnehmer zugänglicher Stelle anzuschlagen.

Es ist daher zwischen dem Abschluss der Betriebsvereinbarung und ihrer Kundmachung zu unterscheiden.

2. Im erstinstanzlichen Verfahren hat die Klägerin zu ihrem Vorbringen, keine schriftliche Betriebsvereinbarung mit einer 150%‑Deckelung erhalten zu haben, explizit erklärt, sich damit gegen die ihrer Ansicht nach unzureichende Kundmachung der Betriebsvereinbarung zu richten.

Zu diesem Punkt legte das Erstgericht mit ausführlicher Begründung dar, dass die Bekanntmachung der Änderungen im Betrieb der Beklagten den tatbestandlichen Voraussetzungen einer Kundmachung entsprach. Der erkennende Senat teilt diese Beurteilung sowohl hinsichtlich der methodischen Ableitung als auch im Ergebnis, sodass darauf verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO).

Hervorzuheben ist, dass im Hinblick auf die Kundmachung einer Betriebsvereinbarung bereits zu 8 ObA 170/00h ausgesprochen wurde, dass „die Formerfordernisse, insbesondere aber die Anforderungen an den späteren Nachweis ihrer Einhaltung auch nicht überspannt werden“ dürfen. „Die konkret erforderliche Form ergibt sich jeweils aus den Bedürfnissen des jeweiligen Betriebes. … Steht fest, dass grundsätzlich eine nach dem Inhalt, der generellen Eignung der Vertragspartner und deren Willen als Betriebsvereinbarung wirksame schriftliche Vereinbarung vorliegt und auch weiters, dass diese 'aufgelegt wurde', so ist auch von einer normativ wirksamen Betriebsvereinbarung auszugehen. Dies gilt, solange nicht behauptet und bewiesen wird, dass die Form der Kundmachung ‑ etwa wegen mangelnder Hinweise im Betrieb ‑ nicht ausreichend war“ (siehe auch RIS‑Justiz RS0114617). In der Entscheidung 8 ObA 3/12t wurde überdies ausgesprochen, dass auch die Veröffentlichung in einem internen Computernetz mit einem entsprechenden Link zum maßgebenden Text jedenfalls dann eine ausreichende Kundmachung darstellen kann, wenn der Text der Betriebsvereinbarung auch in gesicherter Form beim Betriebsrat oder beim Betriebsinhaber eingesehen werden kann. Auch für den von der Rechtsprechung geforderten Hinweis auf eine zur Einsicht aufliegende Betriebsvereinbarung ist die Veröffentlichung im internen Computernetz regelmäßig als ausreichend anzusehen.

Im vorliegenden Fall war die geänderte Fassung im Operationshandbuch im Intranet der Beklagten ab 8. 4. 2010 abrufbar. Die Klägerin war davor per E‑Mail auf die Änderung hingewiesen worden und wusste auch, dass Betriebsvereinbarungen im OHB abrufbar waren. Unschädlich muss dabei sein, dass die im Intranet veröffentlichte Textdatei selbst keine Unterschriften der Betriebsvereinbarungsparteien enthielt, weil es sich insofern nur um eine Art Ausfertigung der geänderten Betriebsvereinbarung handelte. Ausfertigungen tragen jedoch häufig keine Unterschriften von Vertragspartnern oder anderen Urkundenausstellern, ohne dass deshalb Anlass bestünde, an ihrer Übereinstimmung mit dem Original zu zweifeln. Die Klägerin bringt auch nicht vor, dass die im Intranet veröffentlichte Fassung der geänderten Betriebsvereinbarung nicht der von den Betriebsvereinbarungsparteien beschlossenen Änderung entsprochen hätte. Im konkreten Fall kann daher von einer ausreichenden Kundmachung ausgegangen werden.

3. In der Revision meint die Klägerin, die Wirksamkeit der geänderten Betriebsvereinbarung scheitere am Schriftlichkeitsgebot.

Das Gebot der Schriftlichkeit bedeutet im Allgemeinen „Unterschriftlichkeit“, es sei denn, das Gesetz sieht ausdrücklich eine Ausnahme vor. Das Erfordernis der Schriftform soll gewährleisten, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können (RIS‑Justiz RS0017221). Die Schriftform erfordert grundsätzlich die eigenhändige Unterschrift unter dem Text (RIS‑Justiz RS0078934).

Das Berufungsgericht führt für seine Ansicht, dass die Abänderung der Betriebsvereinbarung aus Gründen der Rechtssicherheit der firmenmäßigen Zeichnung durch die Beklagte bedurft hätte, die Entscheidungen 9 ObA 178/95 und 9 ObA 80/06i ins Treffen. Beiden Entscheidungen liegt jedoch ein Sachverhalt zugrunde, bei dem zwischen den Parteien der Betriebsvereinbarung strittig war, ob eine von der Personalleitung bzw einem Fachdienstleiter mit dem Betriebsrat unterzeichnete Vereinbarung überhaupt als Betriebsvereinbarung anzusehen war. Im ersten Fall hatte der Personalleiter dabei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich um keine Betriebsvereinbarung handle. Im zweiten Fall war der Fachdienstleiter zum Abschluss von Betriebsvereinbarungen nicht bevollmächtigt. Demgegenüber ist im vorliegenden Fall zwischen dem Betriebsrat und der Beklagten in keiner Weise strittig, dass sie die ursprüngliche Betriebsvereinbarung nach ihrem Willen und dem beschlossenen Inhalt abgeändert haben. Auch die entsprechende Befugnis der Personalverantwortlichen als konkret im Auftrag der Geschäftsleitung handelnder Prokuristin steht nicht in Frage. Ein Recht der Klägerin, sich auf die Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung zu berufen, kann daher nur im Hinblick auf den Zweck des Formgebots des § 29 ArbVG erfolgen.

Dieser wird zwar in den Erläuterungen (RV 840 BlgNR, AB 992 BlgNR, XIII. GP) nicht näher spezifiziert. Aus objektiv-teleologischen Erwägungen ist dem Schriftformgebot aber in erster Linie der Zweck beizumessen, den Betriebsvereinbarungsparteien den Inhalt der beabsichtigten Betriebsvereinbarung vor Augen zu führen. Die Schriftform verfolgt darüber hinaus Beweis‑ und Dokumentationszwecke, muss doch selbst späteren Nachfolgern der bei Abschluss der Betriebsvereinbarung handelnden Personen erkennbar und nachweisbar sein, dass eine Betriebsvereinbarung wirksam zustande gekommen ist und welcher Inhalt vereinbart wurde. Die Publizitätswirkung für den einzelnen Arbeitnehmer kann dagegen nicht im Vordergrund stehen, weil diesem Zweck primär die Kundmachung dient.

Dass ein übertriebener Formalismus zwischen den Parteien zu vermeiden ist, geht mit Bedachtnahme auf den jeweiligen Formzweck auch aus verschiedenen Entscheidungen hervor: So wurde zu 2 Ob 280/05y ausgesprochen, dass das Schriftformerfordernis für eine Gerichtsstandsvereinbarung (Art 23 Abs 1 EuGVVO) gewährleisten solle, dass ihr die Parteien tatsächlich zugestimmt haben. Andererseits sei jeder mit der kaufmännischen Praxis unvereinbare überspitzte Formalismus zu vermeiden. Die Paraphierung der dort maßgeblichen Händlervereinbarung war unschädlich. Nach der Entscheidung 10 Ob 120/07f genügte für die Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung, dass die Unterzeichnung, nicht jedoch der der Urkunde angeschlossene Anhang unterzeichnet war (vgl auch 2 Ob 235/05f). Zu 5 Ob 208/10i wurde festgehalten, Zweck der in § 29 MRG normierten Formvorschrift sei der Übereilungsschutz des Mieters, aber auch die Beweiserleichterung für die Befristung. Allerdings dürfe die Formvorschrift nicht zum Selbstzweck (zur „Schikane“) degradiert werden. Die Unterschrift des Vermieters bloß auf der ersten Seite der Verlängerungsvereinbarung wurde als ausreichend erachtet.

Im vorliegenden Fall kannten und wollten die Betriebsvereinbarungsparteien die Änderungen, hielten sie auf den Austauschblättern schriftlich fest und paraphierten sie. Die Paraphen auf den Austauschblättern entsprechen erkennbar jenen der ursprünglichen Fassung und können auch für Dritte über die Unterschriftsseite leicht den handelnden Personen zugeordnet werden. Es besteht daher auch kein Zweifel, dass die Änderungen von den ursprünglichen Urkundserrichtern stammen. Da damit jedenfalls nach den Umständen des konkreten Falls die Beweis‑ und Dokumentationsfunktion erfüllt ist, würde es hier tatsächlich eine Überspannung des Formerfordernisses des § 29 ArbVG bedeuten, im Interesse Dritter zur Erfüllung des Schriftlichkeitsgebots die vollständige Unterschrift der handelnden Personen zu verlangen. Die Änderung der Betriebsvereinbarung ist damit formwirksam zustande gekommen.

4. Damit ist das Vorbringen der Klägerin zu prüfen, dass der Betriebsrat nicht berechtigt gewesen sei, rückwirkend in die ihr schon entstandenen Rechte in derart erheblicher Weise einzugreifen.

In der von ihr ins Treffen geführten Entscheidung 8 ObA 120/01g wurde diese Aussage in Bezug auf ausgeschiedene Arbeitnehmer getroffen, für die ein Betriebsrat kein Verhandlungsmandat mehr hat (vgl RIS‑Justiz RS0050955). Dagegen ist es nach ständiger Rechtsprechung zulässig, Betriebsvereinbarungen hinsichtlich noch nicht ausgeschiedener Arbeitnehmer auch rückwirkend zu schließen (RIS‑Justiz RS0028611, zuletzt 9 ObA 62/10y). Die Partner der Betriebsvereinbarung haben dabei aber verschiedene Grenzen der Verhältnismäßigkeit und der Begründbarkeit zu beachten, wobei grundsätzlich bei Einschränkungen der mit Anwartschaften verbundenen Rechte auf die durch die unterschiedliche Dauer der Berufsausübung bedingte unterschiedliche Betroffenheit in der Vertrauensposition Bedacht zu nehmen ist (8 ObA 52/03k mit ausführlicher Begründung).

Im vorliegenden Fall ist die angestrebte Deckelung der Bonifikationszahlungen angesichts der sonst gegebenen Unternehmensgefährdung sachlich begründet. Sie entspricht im Hinblick auf diesen Zweck und auf die Lohnsituation der Klägerin auch dem Verhältnismäßigkeitsgebot. Der Dauer der Berufsausübung kommt hier dagegen keine maßgebliche Rolle zu, weil die Bonuszahlungen ‑ anders als langjährig erworbene Pensionsanwartschaften ‑ von der jeweiligen Jahresleistung der Verkaufsmitarbeiter abhängen. Auch wird bei einer lediglich drei Monate rückwirkenden Abänderung der Vereinbarung in keine solche Vertrauensposition von Arbeitnehmern eingegriffen, die der Änderung einer langjährigen Betriebspensionsanwartschaft vergleichbar wäre. Umso weniger könnte dies für die Klägerin gelten, weil sie erst ab 1. 3. 2010 ungedeckelt bonusberechtigt sein sollte, die Deckelung aber schon am 8. 4. 2010 beschlossen wurde.

Damit ist die Klägerin insgesamt zu Unrecht der Ansicht, dass die Abänderung der Betriebsvereinbarung mit Wirkung für ab 1. 1. 2010 erwirtschaftete Bonifikationsansprüche keine Gültigkeit für sie hätte.

5. Auf die Erwägungen der Beklagten in der Revision zur Änderung von Seite 10 der Betriebsvereinbarung muss nicht mehr eingegangen werden.

Soweit die Klägerin auch in der Revisionsbeantwortung meint, dass die Beklagte den Prozess zur Erneuerung der Betriebsvereinbarung nicht eingehalten habe, so ist dieser auf den „Normalfall“ (Pkt 4.1. der Betriebsvereinbarung) bezogen. Entgegen ihrer Ansicht enthält dieser Regelungspunkt auch keinen einseitigen Änderungsvorbehalt zugunsten der Beklagten.

Der Revision ist daher Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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