OGH 8ObA120/01g

OGH8ObA120/01g28.3.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Rohrer und durch die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Walter Zeiler und Claus Bauer als weitere Richter in den zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Parteien 1. Adolf G*****, 2. Gunthilde S*****, vertreten durch Dr. Georg Grießer ua, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Ö***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Helmut Engelbrecht und Mag. Werner Piplits, Rechtsanwälte in Wien, wegen zu 1. EUR 15.091,18 brutto sA und Feststellung (Streitwert EUR 14.534,57), Gesamtstreitwert EUR 29.625,75, und zu 2. EUR 13.523,48 brutto sA und Feststellung (Streitwert EUR 7.339,96), Gesamtstreitwert EUR 20.863,43 (Revisionsinteresse zu 2. EUR 13.523,48 brutto sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. November 2000, GZ 9 Ra 246/00p-17, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Wr. Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 3. Mai 2000, GZ 3 Cga 15/00p (5 Cga 165/97d)-12 bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der beklagten Partei wird in der Hauptsache nicht Folge gegeben; hingegen wird ihr bezüglich des Zinsenzuspruches Folge gegeben und der Zinsenzuspruch dahingehend abgeändert, dass die beklagte Partei schuldig ist, den Klägern aus den zu den Punkten I)

1. und II) 6. des Ersturteils zuerkannten Beträgen durchwegs 4 % Zinsen zu zahlen.

Das Zinsenmehrbegehren wird abgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.808,95 (darin EUR 301,49 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Da die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes zutreffend ist, genügt es auf diese zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Den Revisionsausführungen ist zu entgegnen:

Soweit sich die Revisionsausführungen mit der angeblich unkritischen Übernahme der im Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 2 ASGG (Entscheidung vom 3. 11. 1999, 9 ObA 170/99m = DRdA 2000/42 [mit Besprechung von Runggaldier]) vorgenommenen Auslegung der Betriebsvereinbarung vom 16. 3. 1994 befassen, ist der beklagten Partei entgegen zu halten, dass nicht einmal sie selbst behauptet, dass der im Feststellungsverfahren zu Grunde gelegte Wortlaut der Betriebsvereinbarung von dem in diesem Verfahren feststellten Wortlaut abgewichen wäre. Sie bringt nur vor, dass in der angefochtenen Entscheidung dem Aspekt des von ihr vorgebrachten Willensmangels bei Abschluss der Betriebsvereinbarung (gemeinsamer Irrtum der Parteien der Betriebsvereinbarung bei der Formulierung) nicht hinreichend Rechnung getragen worden sei (dazu später).

1. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung der Betriebsvereinbarung 1994, die der Auslegung des 9. Senats im oben genannten Feststellungsverfahren folgt, versucht die beklagte Partei mit ihren weitwendigen Ausführungen (S 5 bis 12 der Revision) betreffend die Auslegungsmethoden nach den §§ 6 und 7 ABGB zu bekämpfen; insbesondere bringt sie - Tomandl/Schrammel (Arbeitsrecht I4 199) folgend - vor, dass die Auslegung einer Betriebsvereinbarung auch mit Hilfe von Zeugenvernehmungen und Einsicht in Protokolle vorgenommen hätte werden können und dass Betriebsvereinbarungen - entgegen der herrschenden Rechtsprechung - überhaupt eher wie Verträge auszulegen seien. Diesbezüglich genügt es auf die Ausführungen in der Berufungsentscheidung und insbesondere in der Feststellungsentscheidung des 9. Senates zu verweisen, die der herrschenden Rechtsprechung und Lehre folgen, dass der normative Teil von Kollektivverträgen und Betriebsvereinbarungen gemäß den §§ 6 und 7 ABGB nach seinem objektiven Inhalt auszulegen und maßgeblich ist, welchen Willen des Normengebers der Leser dem Text entnehmen kann (Arb 9.997 ua, Strasser/Jabornegg, Arbeitsrecht II4 468; Kuderna, Die Auslegung kollektivvertraglicher Normen und Dienstordnungen sowie deren Ermittlung im Prozess, DRdA 1975, 161 [171]; Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht9 125). Hievon abzugehen sieht sich der erkennende Senat weder durch die Revisionsausführungen noch durch die Besprechung der genannten Entscheidung durch Runggaldier (DRdA 2000, 338) veranlasst, der meint, Zeugenvernehmungen bei Betriebsvereinbarungen könnten das bewirken, was bei der Gesetzesinterpretation die historische Interpretation leiste.

Der Senat 8 übernimmt die vom Senat 9 getroffene Auslegung: Entgegen der früheren Vereinbarung enthält Punkt 2a der Betriebsvereinbarung 1994 nicht mehr die Wendung, dass ein "Rechtsanspruch auf die Leistung von laufenden Zuwendungen nicht besteht", vielmehr heißt es nunmehr, dass "ein Rechtsanspruch auf den Erwerb künftiger Anwartschaften nicht mehr besteht". Schon der Wortsinn "Anwartschaften" lässt eine Subsumtion auch von "Leistungen" unter diese Bestimmung nicht zu. Vielmehr gewinnt Punkt 2a der neuen Betriebsvereinbarung im Zusammenhang mit Z 14 Abs 1 dieser Betriebsvereinbarung Sinn, wonach "mit Wirksamkeit vom 1. 1. 1994 keine weiteren Prozentpunkte der Berechnungsgrundlage mehr erworben werden sollen und die bis 31. 12. 1993 angesammelten Prozente als sogenannte "Sollrente" festgestellt werden." Auch aus dem Bedeutungszusammenhang wird somit einem objektiven Leser der Betriebsvereinbarung 1994 klar, dass die Betriebsparteien das Fehlen eines Rechtsanspruchs auf Zuschüsse oder die jederzeitige Widerruflichkeit der Leistung weder aufrecht erhalten noch neu begründen wollten. Die Betriebsvereinbarung 1994, mit welcher die Gewährung von Pensionszuschüssen durch den Arbeitgeber neu geregelt wurde, enthält somit nur einen Widerrufs- oder Rechtsanspruchsvorbehalt für Anwartschaften, nicht jedoch für Leistungen.

2. Zur angeblichen Relevanz des behaupteten gemeinsamen Irrtums der Parteien der Betriebsvereinbarung (beklagte Partei und deren Betriebsrat) ist vorerst anzumerken, dass die diesbezüglichen Ausführungen im bisherigen Verfahren dürftig waren. Aber auch die nunmehr umfangreichen Ausführungen in der Revision (S 13 bis 15) vermögen nicht zu überzeugen. Die beklagte Partei behauptet, das Berufungsgericht habe in rechtlich unzulässiger Weise die gesetzlichen Vorgaben der Interpretation einer Norm mit den Voraussetzungen für das gültige Zustandekommen dieser Norm vermischt. Der behauptete Willensmangel sei beachtlich; deshalb wären hiezu Beweise aufzunehmen und Feststellungen zu treffen gewesen. Im Falle des gemeinsamen Erklärungsirrtums sei dieser Irrtum nicht durch Anfechtung, sondern durch entsprechende Korrektur bei der Auslegung des Vertragsrechtes zu bereinigen.

Nach dem Vorbringen der beklagten Partei wäre vorliegendenfalls wohl nur an einem Erklärungsirrtum beider Teile, also an eine falsa demonstratio, zu denken. Abgesehen davon, dass Lehre und Rechtsprechung zum gemeinsamen Irrtum durchaus divergierend ist (vgl die Nachweise bei Rummel in Rummel ABGB I3 § 871 Rz 18), ist den Ausführungen der beklagten Partei entgegenzuhalten, dass es auch nach der von ihr vertretenen Ansicht zwar den Parteien der Betriebsvereinbarung freigestanden wäre, ihren - aus dem Text der Betriebsvereinbarung in keiner Weise zum Ausdruck kommenden - angeblichen Willensmangel zu korrigieren. Eine solche Korrektur hätte aber jedenfalls nur mit Wirkung ex nunc erfolgen können, weil in die schon entstandenen Rechte Dritter (der betroffenen Arbeitnehmer) nicht rückwirkend eingegriffen werden kann. Eine solche Korrektur haben aber die Parteien der Betriebsvereinbarung jedenfalls nicht vor der Pensionierung der Kläger vorgenommen. Die Betriebsvereinbarung 1994 selbst wurde gar nicht korrigiert. Eine Änderung erfolgte vielmehr erst nach der Pensionierung der Kläger durch die neue Betriebsvereinbarung vom 23. 6. 1996.

3. Das Berufungsgericht ist, der ständigen oberstgerichtlichen

Rechtsprechung (seit der Entscheidung 9 ObA 512/88 = Arb 10.763 = SZ

61/275 = ZAS 1989/15 [Tomandl, 98] = JBl 1989, 193 [hiezu Grillberger

WBl 1989, 33] = RdW 1989, 137 [Andexlinger, 134] = DRdA 1990/8

[Grillberger] ua; zuletzt etwa 9 ObA 16/99i (= Arb 11.849 = DRdA

2000/19 [dazu Eypeltauer 116]) folgend, davon ausgegangen, dass den Betriebsvereinbarungsparteien - anders als den Kollektivvertragsparteien (§ 3 Abs 2 Z 3 ArbVG) - für die Betriebspensionisten aus guten Gründen keine Kompetenz zu kommt, in die ausgeschiedenen Arbeitnehmern kraft einer früheren Betriebsvereinbarung zustehenden Ruhegeldansprüche eingreifen zu können. In dem Augenblick, in dem der zukünftige Pensionist aus den Betrieb ausscheidet, wandelt sich die bisher als Inhaltsnorm wirkende Pensionszusage in der Betriebsvereinbarung in einen vertraglichen Anspruch des Pensionisten gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber. Das wird damit begründet, dass dem Betriebsrat die demokratische Legitimation der betrieblichen Arbeitnehmervertretung seitens der Pensionisten fehlt; es besteht überdies die Gefahr einer Benachteiligung der Pensionisten.

Daran ist trotz teils gegenteiliger Stimmen der Lehre (zB Marhold, ZAS 1991, 95 [103]; Tomandl/Schrammel Arbeitsrecht I4 190 f [u an anderen Stellen]; Eypeltauer, Betriebsrat und Pensionisten, DRdA 2000, 116 sowie Runggaldier, DRdA 2000, 385 [388]) festzuhalten. Das Argument, dass Sozialpläne auch für ausgeschiedene Arbeitnehmer wirkten (Tomandl, ZAS 1989, 102 ff) ist auf die besondere Situation zurückzuführen, dass die Arbeitsverhältnisse häufig bereits vor Abschluss des Sozialplanes enden, weshalb diesbezüglich eine Sonderregelung vorgesehen ist. Eine Analogie zu Pensionsansprüchen, die mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits feststehen, ist fehl am Platz.

Gerade die Vorgangsweise im vorliegenden Fall zeigt, wie richtig es ist, den Betriebsvereinbarungsparteien für Betriebspensionisten keine Kompetenz einzuräumen. Die Betriebsvereinbarung vom 23. 6. 1996 sah nämlich vor, die Betriebsvereinbarung 1994 aufzuheben und die Arbeitnehmer mit einer eher geringen Summe abzufinden. Die noch aktiven Arbeitnehmer erhielten in der Folge die Möglichkeit, durch den Abschluss einer Pensionskassenvereinbarung eine neue Pensionsvorsorge aufzubauen, was für die bereits pensionierten ehemaligen Arbeitnehmer unmöglich ist.

4. Mit der erwähnten Entscheidung 9 ObA 170/99m = DRdA 2000/42 [Runggaldier] im Feststellungsverfahren, ist davon auszugehen, dass mangels Widerrufs- oder Rechtsanspruchsvorbehalts für Leistungen in der Betriebsvereinbarung 1994 der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 3 Z 3 BPG nicht erfüllt ist. Daraus ist zu folgern, dass das Betriebspensionsgesetz (siehe Art V "Übergangs- und Schlussbestimmung" sowie Art VI "Inkrafttreten und Vollziehung") grundsätzlich Anwendung zu finden hat. Das BPG hat die Zulässigkeit von Widerrufsvorbehalten erheblich eingeschränkt. Das Gesetz differenziert zwischen Einschränkungen der Anwartschaften (§ 8) und Einschränkungen der bereits angefallenen Leistungen (§ 9). Gemeinsam haben die genannten Bestimmungen, dass ein gänzliches Entfallen von Anwartschaften nur ausnahmsweise (vor Ablauf der Wartezeit) und ein gänzliches Entfallen von Ruhegeldleistungen (- dies wäre die Folge der einseitigen "Einstellung" durch den Arbeitgeber, woran auch die eher geringfügige Abfindung nichts ändern kann -) überhaupt nicht mehr zulässig ist (Schrammel BPG 125 ff). § 9 BPG gestattet nur dann und solange das "Aussetzen" oder die "Einschränkung" von Leistungen, als die Voraussetzungen des § 8 Abs 6 Z 1 und 2 BPG vorliegen. Vorliegendenfalls wurden die Leistungen auf Dauer eingestellt, ohne dass ein auf die bereits pensionierten Kläger anzuwendendes Gestaltungsrecht (Z 1) vorhanden war, sodass das Vorliegen allfälliger zwingender wirtschaftlicher Gründe (Z 2) nicht zu prüfen war (vgl Farny/Wöss, BPG, BKG 145).

Ein Teilerfolg war der Revision lediglich im Zinsenbereich zu bescheiden. Da die beklagte Partei selbst nicht Partei des vorgelagerten Feststellungsverfahrens war und demnach dort ihre, zumindest von einem Teil der Lehre getragenen Argumente zur Interpretation und Abänderbarkeit der verfahrensgegenständlichen Betriebsvereinbarung nicht vortragen und überprüfen lassen konnte, kann ihre Rechtsansicht noch als vertretbar (§ 49 2. S ASGG) beurteilt werden. Somit besteht kein erhöhter Zinsenanspruch iSd § 49a 1. S ASGG.

Der Kostenzuspruch beruht auf § 43 Abs 2 (und § 50 Abs 1) ZPO. Durch die Geltendmachung der erhöhten Zinsen wurden keine besonderen Kosten veranlasst.

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