OGH 4Ob147/12i

OGH4Ob147/12i18.9.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** L*****, vertreten durch Dr. Stefan Krall und Dr. Oliver Kühnl, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Univ.-Prof. Dr. W***** L*****, vertreten durch Dr. Hans-Peter Ullmann, Dr. Stefan Geiler & Partner, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Erbteilung, Rechnungslegung und Herausgabe (Gesamtstreitwert 145.000 EUR), im Verfahren über den Rekurs des Beklagten gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 15. Mai 2012, GZ 1 R 162/11x-75, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 26. Juni 2012, GZ 1 R 162/11x-81, mit welchem (a) der Antrag der beklagten Partei auf Abänderung des Bewertungsauspruchs im Teilurteil des Landesgerichts Innsbruck vom 10. Jänner 2012, GZ 1 R 162/11x-72, mit welchem das Urteil des Bezirksgerichts Kufstein vom 21. März 2011, GZ 4 C 27/05z-63, abgeändert wurde, abgewiesen wurde und (b) der Antrag der beklagten Partei auf Abänderung des Zulassungsausspruchs dieses Urteils hinsichtlich eines Teilbegehrens samt der dazu ausgeführten Revision zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Klägerin ist Alleinerbin des am 3. Februar 2009 verstorbenen K*****-H***** L*****. Dieser und der Beklagte W***** L***** waren die einzigen Kinder der ebenfalls verstorbenen Ehegatten K***** und I***** L*****. Der Nachlass nach K***** L***** war K*****-H***** L***** und dem Beklagten je zur Hälfte eingeantwortet worden. Zum Nachlass hatten insbesondere Aktien und Einrichtungsgegenstände gehört. In Bezug auf die Aktien hatten die Brüder vereinbart, dass der Beklagte über die Aktiendepots im „Außenverhältnis“ verfügungsberechtigt sein sollte; im „Innenverhältnis“ sollte er die „Abrechnung und Auszahlung“ vornehmen. Die Einrichtungsgegenstände sollten im Haus bleiben und von der Witwe bis zu ihrem Tod benutzt werden. Nach dem Tod der Witwe verbrachte der Beklagte die Einrichtungsgegenstände nach Deutschland. Einen Teil der Aktien verkaufte er.

Die Klägerin begehrt, soweit im gegenwärtigen Verfahrensstadium relevant,

a. die Herausgabe der Hälfte der noch vorhandenen Aktien;

b. Rechnungslegung und Eidesleistung über den Verkauf der anderen Aktien;

c. Rechnungslegung und Eidesleistung über die aus dem Haus verbrachten Einrichtungsgegenstände und sonstige zum Nachlass des Vaters gehörenden Sachen.

Das Berufungsgericht gab diesen Begehren in Abänderung des klageabweisenden Ersturteils statt. Es sprach aus, dass der Wert seines Entscheidungsgegenstands bei den Manifestationsbegehren jeweils 30.000 EUR und beim Herausgabebegehren 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige. Die ordentliche Revision ließ es nicht zu.

Gegen diese Entscheidung richtet sich eine Revision des Beklagten. Mit dieser Revision verband der Beklagte den Antrag an das Berufungsgericht, es möge aussprechen, dass die Entscheidungsgegenstände zusammenzurechnen seien, sodass über die Zulässigkeit der Revision auch beim Herausgabebegehren der Oberste Gerichtshof entscheide. Hilfsweise beantragte der Beklagte insofern die Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht (§ 508 ZPO).

Mit dem nun angefochtenen Beschluss wies das Berufungsgericht den Hauptantrag des Beklagten ab (Punkt 1). Den hilfsweise gestellten Antrag, die Revision zum Herausgabebegehren nach § 508 ZPO für zulässig zu erklären, und die dazu ausgeführte Revision wies es zurück (Punkt 2). In Bezug auf den Bewertungsausspruch sei zwar nicht der Oberste Gerichtshof, wohl aber das Berufungsgericht an seine Entscheidung gebunden. Die Ansprüche seien nicht zusammenzurechnen, weil jeder von ihnen unabhängig von den anderen bestehen könne, also ein eigenes rechtliches Schicksal habe. Die zum Herausgabebegehren als erheblich bezeichneten Rechtsfragen lägen nicht vor.

Formal nur gegen Punkt 1 dieses Beschlusses, inhaltlich aber auch gegen die Zurückweisung der Revision, richtet sich der Rekurs des Beklagten. Er strebt (erkennbar) an, der Oberste Gerichtshof möge dem Antrag auf Änderung des Bewertungsausspruchs stattgeben und die (teilweise) Zurückweisung der Revision beheben, um in weiterer Folge auch als Revisionsgericht über das Herausgabebegehren entscheiden zu können.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist unzulässig.

1. Durch Punkt 1 des angefochtenen Beschlusses ist der Kläger nicht beschwert.

1.1. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels ist nicht nur die formelle, sondern auch die materielle Beschwer (4 Ob 576/94 = SZ 67/230; RIS-Justiz RS0041868, RS0006497; Zechner in Fasching/Konecny 2 Vor § 514 ZPO Rz 66 mwN). Sie liegt vor, wenn der Rechtsmittelwerber in seinem Rechtsschutzbegehren durch die angefochtene Entscheidung beeinträchtigt wird, er also ein Bedürfnis auf Rechtsschutz gegenüber der angefochtenen Entscheidung hat (RIS-Justiz RS0041746, RS0043815). Ist das nicht der Fall, so ist das Rechtsmittel auch dann zurückzuweisen, wenn die Entscheidung formal vom Antrag abweicht (4 Ob 576/94; RIS-Justiz RS0041868 [insb T14, T15]).

1.2. Im konkreten Fall ist der Beklagte durch Punkt 1 des angefochtenen Beschlusses nicht beschwert, weil der Oberste Gerichtshof an einen gesetzwidrigen Bewertungsausspruch nicht gebunden ist (RIS-Justiz RS0042251, RS0042450, RS0042437). Das gilt auch für die Frage, ob mehrere vom Berufungsgericht erledigte Ansprüche zusammenzurechnen sind oder nicht (§ 500 Abs 3 ZPO iVm § 55 Abs 1 Z 1 JN). Hat das Berufungsgericht einheitlich bewertet, obwohl die Ansprüche nicht zusammenzurechnen sind, trägt der Oberste Gerichtshof erforderlichenfalls die Ergänzung des Bewertungsausspruchs auf (vgl zuletzt etwa 4 Ob 110/11x, 1 Ob 47/12m); umgekehrt ist die gesonderte Bewertung eines von mehren Ansprüchen für die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision unerheblich, wenn dieser Anspruch mit einem anderen zusammenzurechnen ist, den das Berufungsgericht mit über 30.000 EUR bewertet hatte.

1.3. Damit hatte schon der ursprüngliche Bewertungsausspruch des Berufungsgerichts keinen Einfluss auf die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision (auch) gegen die Entscheidung über das Herausgabebegehren. Hätte der Oberste Gerichtshof die Auffassung des Beklagten geteilt, dass dieser Anspruch mit (zumindest) einem der - jeweils über 30.000 EUR bewerteten - Rechnungslegungsansprüche zusammenzurechnen sei, so hätte er die Revision auch in diesem Punkt behandelt. Daran ändert sich nichts, wenn der Beklagte einen - weder erforderlichen noch zulässigen - Antrag auf Abänderung des Bewertungsausspruchs stellt und das Berufungsgericht diesen Antrag (nicht zurück- sondern) in der Sache abweist. Denn auch das kann nicht zur Bindung des Obersten Gerichtshofs an einen gesetzwidrigen Bewertungsausspruch führen. Damit hat die Abweisung dieses Antrags keinen Einfluss auf die Rechtsstellung des Beklagten. Sein Rekurs ist insofern mangels materieller Beschwer zurückzuweisen.

2. Die Zurückweisung der Revision (Punkt 2 des angefochtenen Beschlusses) ist nach § 508 Abs 4 ZPO unanfechtbar.

2.1. Beim Vorliegen eines richtigerweise als außerordentliche Revision zu deutenden Rechtsmittels beschränkt sich die Befugnis des Berufungsgerichts zwar auf die Zurückweisung eines in diesem Fall gar nicht erforderlichen Abänderungsantrags; eine dennoch erfolgte Zurückweisung auch der Revision kann der Rechtsmittelwerber mit Rekurs an den Obersten Gerichtshof bekämpfen, weil der Rechtsmittelausschluss des § 508 Abs 4 letzter Satz ZPO für die Zurückweisung einer (in Wahrheit) außerordentlichen Revision nicht gilt (RIS-Justiz RS0122264). Ein solcher Fall läge hier vor, wenn der Herausgabeanspruch tatsächlich mit einem der - jeweils mit über 30.000 EUR bewerteten - Rechnungslegungsansprüche zusammenzurechnen gewesen wäre.

2.2. Eine solche Zusammenrechnung hatte aber nicht zu erfolgen.

(a) Werden in einer Klage mehrere Forderungen geltend gemacht, dann bilden sie nur dann einen einheitlichen Streitgegenstand, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN vorliegen; andernfalls sind sie getrennt zu behandeln. Diese Regelung ist gemäß § 55 Abs 4 JN auch für die Zulässigkeit von Rechtsmitteln maßgebend. Demnach sind mehrere in einer Klage von einer Partei erhobene Ansprüche nur dann zusammenzurechnen, wenn sie in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen (RIS-Justiz RS0037838, RS0042741). Mehrere Ansprüche stehen in einem tatsächlichen Zusammenhang, wenn sie allesamt aus demselben Klagesachverhalt abgeleitet werden können, wenn also das für einen Anspruch erforderliche Sachvorbringen ausreicht, um auch über den anderen geltend gemachten Anspruch entscheiden zu können, ohne dass noch ein ergänzendes Sachvorbringen erforderlich wäre (RIS-Justiz RS0042766). Ein rechtlicher Zusammenhang liegt dagegen vor, wenn die Ansprüche aus demselben Vertrag oder aus derselben Rechtsnorm abgeleitet werden und miteinander in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (RIS-Justiz RS0037648). Ein solcher Zusammenhang besteht jedoch dann nicht, wenn jeder der mehreren Ansprüche ein ganz verschiedenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben kann; in einem solchen Fall ist jeder Anspruch gesondert zu beurteilen, ohne dass eine Zusammenrechnung stattfindet (RIS-Justiz RS0037899).

(b) Im vorliegenden Fall stützt sich die Klägerin zwar für alle Ansprüche im Kern auf das durch Erbgang begründete Miteigentum der Streitteile und eine zwischen den Miterben getroffene Vereinbarung. Jedoch ist für jeden der Ansprüche ergänzendes (eigenes) Sachvorbringen erforderlich, und die Ansprüche können ohne weiteres ein eigenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben. Insbesondere ist die Berechtigung des Herausgabebegehrens völlig unabhängig davon, ob der Beklagte zur Rechnungslegung und Eidesleistung in Bezug auf andere Nachlassgegenstände verpflichtet ist. Die Ansprüche sind daher nicht zusammenzurechnen.

(c) Daraus folgt dass das Berufungsgericht für das Herausgabebegehren zutreffend einen Fall des § 508 ZPO angenommen hat. Seine Entscheidung über die Zulässigkeit der Revision ist damit nach § 508 Abs 4 ZPO unanfechtbar. Daher ist der Rekurs des Beklagten auch insofern zurückzuweisen, als er sich (erkennbar) gegen die teilweise Zurückweisung der Revision richtet.

(d) Nur zur Klarstellung ist festzuhalten, dass der Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts im Ergebnis auch inhaltlich nicht zu beanstanden ist. Nimmt man - wie im zwischen denselben Parteien geführten Außerstreitverfahren (4 Ob 75/12a) - an, dass trotz des Erbteilungsübereinkommens weiterhin Miteigentum an den Aktien bestand, wäre das Herausgabebegehren als Begehren auf Realteilung zu deuten gewesen, das auf Grundlage der Feststellungen des Erstgerichts ebenfalls berechtigt war.

3. Aus diesen Gründen ist der Rekurs des Beklagten zurückzuweisen. Die Entscheidung über das Herausgabebegehren ist damit rechtskräftig. In Bezug auf die beiden Rechnungslegungsbegehren wird das Erstgericht die außerordentliche Revision dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vorzulegen haben.

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