OGH 1Ob232/11s

OGH1Ob232/11s1.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** C*****, vertreten durch Dr. Karl Schelling, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen die beklagten Parteien 1. Gemeinde K*****, vertreten durch Längle Fussenegger Singer Rechtsanwälte Partnerschaft in Bregenz, 2. Land Vorarlberg, Bregenz, Landhaus, vertreten durch Dr. Rolf Philipp und Dr. Frank Philipp, Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen 51.933,60 EUR sA und Feststellung (Streitwert 14.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 11. Oktober 2011, GZ 4 R 184/11g-54, womit der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 25. Juli 2011, GZ 8 Cg 270/09x-44, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

1. Die Klägerin stützt ihre Ansprüche auf die behauptete Verletzung raumordnungsrechtlicher Bestimmungen und meint, es fehle an Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Bebauungsplänen (im Sinne des 3. Abschnitts des Vlbg RaumplanungsG [RPG]) und dem sich daraus ergebenden Schutz für Nachbarn. Das Berufungsgericht hätte den Rechtswidrigkeitszusammenhang im Hinblick auf § 28 Abs 2 und § 30 Abs 3 Vlbg RPG zu Unrecht verneint und dadurch die Vorgaben in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs missachtet.

Rechtliche Beurteilung

2. Der erkennende Senat hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass Raumordnungsgesetze regelmäßig nicht auf den Schutz vermögensrechtlicher Interessen von Anrainern abzielen, deren Liegenschaften sich im Nahbereich eines von einem Flächenwidmungs- oder Bebauungsplan betroffenen Grundstücks befinden (1 Ob 148/02z; 1 Ob 237/08x; vgl auch RIS-Justiz RS0038504 [T4]). Auch für den Bereich der Amtshaftung gilt nämlich der allgemeine Grundsatz, dass die übertretene Vorschrift gerade auch den Zweck haben muss, den Geschädigten vor den schließlich eingetretenen (Vermögens-)Nachteilen zu schützen (Schragel, AHG3 Rz 130; Ziehensack, Amtshaftungsgesetz § 1 Rz 1633; RIS-Justiz RS0050038). Es muss daher geprüft werden, ob Pflichten der Rechtsträger nur im Interesse der Allgemeinheit oder auch im Interesse einzelner Betroffener normiert sind. Bei der maßgebenden teleologischen Betrachtungsweise ist bei jeder einzelnen Norm der Normzweck zu erfragen, der sich aus der wertenden Beurteilung des Sinnes der Vorschrift ergibt. Wie weit der Normzweck (Rechtswidrigkeitszusammenhang) reicht, ist das Ergebnis der Auslegung im Einzelfall (1 Ob 200/04z; RIS-Justiz RS0082346; RS0027553 [T11]). Trifft aber das Gesetz selbst eine eindeutige Regelung oder lässt sich im Wege einfacher Auslegung ein eindeutiges Ergebnis erzielen, begründet der Umstand, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zu einer konkreten Fallgestaltung (hier nach dem Vlbg RPG) fehlt, für sich allein genommen auch nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage (vgl RIS-Justiz RS0042656 [T32]).

3. Ob im Rahmen der Amtshaftung eine Norm auch den Schutz des Geschädigten intendiert oder auch nur mitbezweckt, hängt maßgeblich davon ab, ob bereits eine rechtliche Sonderverbindung zwischen dem Geschädigten und dem Rechtsträger, dessen Organe eine Amtspflicht verletzt haben sollen, besteht, oder ob die Erfüllung öffentlicher Aufgaben eine so große und unbestimmte Zahl von Personen betrifft, dass diese der Allgemeinheit gleichzusetzen sind (RIS-Justiz RS0049993). Soweit sich der Schutzzweck nur auf Interessen der Allgemeinheit erstreckt, können Einflüsse des Verfahrensausgangs auf individuelle Interessenslagen nur als - die Amtshaftung des belangten Rechtsträgers nicht begründende - Reflexwirkung beurteilt werden (1 Ob 313/01p = SZ 2002/128; 1 Ob 148/02z; 1 Ob 200/04z).

4. Die von der Klägerin angeführten Bestimmungen des Vlbg RPG sind nicht isoliert zu betrachten, sondern müssen zur Bestimmung ihres Normzwecks im Gesamtkontext des Gesetzes gelesen werden. § 2 Vlbg RPG in der hier maßgeblichen Fassung LGBl 2006/23 hält unter der Überschrift „Raumplanungsziele“ in Abs 1 ausdrücklich fest, dass die Raumplanung eine dem allgemeinen Besten dienende Gesamtgestaltung des Landesgebiets anzustreben hat und fügt in Abs 2 und 3 die dabei zu beachtende Zielsetzungen an. Dazu schreibt § 3 (Interessenabwägungen) vor, dass die angeführten Ziele so gegeneinander abzuwägen sind, dass die Raumplanung dem Gesamtwohl der Bevölkerung am besten entspricht. § 28 Abs 2 lit a Vlbg RPG unterstellt den Bebauungsplan ausdrücklich den in § 2 dieses Gesetzes genannten Zielen und macht damit deutlich, dass sich die von den Gemeinden erlassenen Bebauungspläne dem Zweck unterzuordnen haben, den nur einmal vorhandenen Grund und Boden optimal für die verschiedenen Bedürfnisse und Zielsetzungen zu nutzen. In diesem Sinn macht der programmatisch formulierte Auftrag zur Vermeidung von Belästigungen durch Lärm, Geruch und andere störende Einflüsse (§ 28 Abs 2 lit e leg cit) bzw zur Sicherung eines ausreichenden Maßes an Licht, Luft und Bewegungsmöglichkeit für die Menschen (§ 28 Abs 2 lit f leg cit) deutlich, dass damit Interessen des kommunalen Gemeinwesens, nicht aber der Schutz von (vermögensrechtlichen) Anrainerinteressen angesprochen wird. Die verfahrensrechtliche Bestimmung des § 29 Vlbg RPG sieht die Planauflage vor der Beschlussfassung über einen Bebauungsplan vor. Für eine Änderung des Bebauungsplans aus wichtigem Grund gilt diese Vorgangsweise ebenfalls, sofern nicht die Eigentümer der Grundstücke, auf die sich die Änderung des Bebauungsplans bezieht, und der benachbarten Grundstücke vor der Beschlussfassung miteinbezogen worden sind. § 30 Abs 3 Vlbg RPG gibt dem Eigentümer eines Nachbargrundstücks damit keine andere verfahrensrechtliche Stellung, als sie § 29 Abs 2 leg cit für den Fall der Erlassung des Bebauungsplans jedem Gemeindebürger einräumt. Der Schutz von vermögensrechtlichen Interessen der Klägerin kann daraus nicht abgeleitet werden. Die Ansicht der Vorinstanzen, dass die von der Klägerin geltend gemachten vermögensrechtlichen Nachteile vom Schutzzweck der nach ihren Behauptungen verletzten raumordnungsrechtlichen Bestimmungen nicht umfasst sind, begründet somit keine vom Obersten Gerichtshof im Einzelfall wahrzunehmende Fehlbeurteilung, sodass auch der von der Klägerin in den Raum gestellte Vorwurf eines Amtsmissbrauchs zu ihrem Nachteil dahingestellt bleiben kann.

5. Auf eine (angeblich rechtswidrige) Untätigkeit der Beklagten in Bezug auf ein weiteres Bauvorhaben in ihrer Nachbarschaft kommt die Klägerin im Revisionsverfahren nicht mehr zurück.

Ihr außerordentliches Rechtsmittel ist damit zurückzuweisen, ohne dass es einer weiteren Begründung bedürfte (§ 510 Abs 3 ZPO).

Stichworte