OGH 1Ob200/04z

OGH1Ob200/04z23.11.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Juliane D*****, Private, *****, vertreten durch Dr. Gerhard O. Mory, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Gemeinde Koppl bei Salzburg, Koppl, Habach 58, vertreten durch Dr. Rudolf Zitta, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 70.298,02 EUR infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz vom 3. Juni 2004, GZ 4 R 83/04k-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 13. Februar 2004, GZ 12 Cg 170/02a-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Klägerin ist zur Hälfte Eigentümerin einer Liegenschaft im Gemeindegebiet der beklagten Partei. Auf der Nachbarliegenschaft wurde ein Wohnhaus errichtet, das in seiner Ausdehnung und in seinen Dimensionen die bereits bestehenden Wohnhäuser in der Nachbarschaft erheblich übertrifft.

Die Klägerin begehrte den Betrag von EUR 70.298,02 als Schadenersatz aus dem Titel der Amtshaftung wegen der dadurch verursachten Wertminderung ihres Liegenschaftsanteils und bracht im Wesentlichen vor, die beklagte Partei hätte die Erweiterung der Bauplatzfläche sowie die Errichtung des Bauwerks rechtswidrig und schuldhaft unter Missachtung raumordnungsrechtlicher Handlungspflichten zugelassen. Die so errichtete Villa sei von außergewöhnlicher, umgebungs- und strukturwidriger Größe und überschreite die bisherige "Bebauungsgrenze" erheblich, wodurch Aussicht, Lichteinfall und Besonnungsqualität auf dem Grundstück der Klägerin unwiederbringlich verloren gegangen seien. Da für die Nachbarliegenschaft kein Bebauungsplan der Grundstufe aufgestellt gewesen sei, hätte die Bauplatzerklärung zwingend versagt werden müssen; zumindest hätte der Bürgermeister der beklagten Partei die materiellen Vorschriften des Salzburger Raumordnungsgesetzes zu beachten gehabt und den von der bisherigen Baustruktur erheblich abweichenden Neubau nicht bewilligen dürfen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Klägerin sei keine Parteistellung im Verwaltungsverfahren zugekommen, sodass sie auch nicht zur Bauverhandlung geladen worden sei. Der Schutzzweck der Salzburger Raumordnungs- und Bauordnungsgesetze umfasse grundsätzlich nur die subjektiv-öffentlichen Rechte der Liegenschaftseigentümer. Auf Anrainer erstrecke sich der Schutzzweck dieser Gesetze, soweit es um reine Vermögensschäden gehe, nur insoweit, als ihnen vom Gesetz subjektiv-öffentliche Rechte eingeräumt wurden. § 14 Abs 1 des Salzburger Bebauungsgrundlagengesetzes begründe keine subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte, sondern untersage die Erteilung einer Bauplatzerklärung nur aus öffentlichen Interessen. Das Klagebegehren sei daher schon wegen des fehlenden Rechtswidrigkeitszusammenhangs abzuweisen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für unzulässig. Auch im Amtshaftungsrecht gelte der Grundsatz, dass die übertretene Vorschrift den Zweck haben muss, den Geschädigten vor eingetretenen Vermögensnachteilen zu schützen. Die Norm müsse nicht nur den Schutz des Geschädigten bezwecken, es müsse auch die spezielle Art des Schadens und die Entstehungsart vom Schutzzweck der Norm erfasst sein. Für die Einbeziehung in den personellen Schutzbereich einer öffentlich-rechtlichen Norm stelle der Schutz durch ein subjektives öffentliches Recht ein wichtiges Indiz dar. Zur Auslegung des speziellen schadenersatzrechtlichen Schutzzwecks einer verwaltungsrechtlichen Regelung sei die vom Landesgesetzgeber ausgesprochene oder verweigerte Berechtigung zur Verfahrensbeteiligung wichtigster Anhaltspunkt. Das Baubewilligungsverfahren diene vor allem dem Zweck, die Allgemeinheit vor Gefahren zu bewahren, die mit der Aufführung von Bauten, die mit der bestehenden Bauordnung nicht im Einklang stehen, verbunden sind. Das Salzburger Baurecht schütze nur die subjektiv-öffentlichen Rechte des Eigentümers und seiner Rechtsnachfolger, räume jedoch der Klägerin als Nachbarin keine Parteistellung ein. Da die Klägerin Schadenersatzansprüche aus dem Titel der Amtshaftung wegen Verletzung von Bauvorschriften nur aus ihrer Rechtsstellung als Nachbarin ableiten könne, fehle es am erforderlichen Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen übertretener Norm und eingetretenem Schaden.

Die außerordentliche Revision der Klägerin ist nicht zulässig, weil die unrichtige Lösung einer iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage nicht aufgezeicht wird.

Rechtliche Beurteilung

Auch für den Bereich der Amtshaftung gilt der allgemeine Grundsatz, dass die übertretene Vorschrift gerade auch den Zweck haben muss, den Geschädigten vor den schließlich eingetretenen (Vermögens-)Nachteilen zu schützen (JBl 1993, 788; SZ 62/73, SZ 61/189 uva; Schragel, AHG3 Rz 130; Kerschner in JBl 1984, 358 f). Die Nichtberücksichtigung der eingrenzenden Wirkung des Rechtswidrigkeitszusammenhangs hätte gerade auf dem Gebiet des Amtshaftungsrechts eine uferlose Haftpflicht der Rechtsträger zur Folge (JBl 1993, 788, 399; Kerschner aaO 359). Es muss daher geprüft werden, ob Pflichten der Rechtsträger nur im Interesse der Allgemeinheit oder auch im Interesse einzelner Betroffener normiert sind. Es wird nur für solche Schäden gehaftet, die sich als Verwirklichung derjenigen Gefahr darstellen, derentwegen der Gesetzgeber ein bestimmtes Verhalten gefordert oder untersagt hat. Es genügt für die Annahme des erforderlichen Rechtswidrigkeitszusammenhangs angesichts der in der Regel primär öffentliche Interessen wahrenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften zwar, dass die Verhinderung eines Schadens bei einem Dritten bloß mitbezweckt ist; die Norm muss aber die Verhinderung eines Schadens wie des später eingetretenen angestrebt haben (JBl 1993, 788, 399; SZ 61/189). Daraus allein, dass eine Amtshandlung, die dem öffentlichen Interesse dient, mittelbar auch die Interessen eines Dritten berührt, ihm zugute kommt und ihm damit als Reflexwirkung pflichtgemäßen Handelns einen Vorteil verschafft, lässt sich noch nicht auf das Vorliegen einer Amtshaftungspflicht gerade diesem gegenüber schließen (JBl 1993, 788, 399; SZ 61/189). Bei der maßgebenden teleologischen Betrachtungsweise ist bei jeder einzelnen Norm der Normzweck zu erfragen, der sich aus der wertenden Beurteilung des Sinnes der Vorschrift ergibt. Wie weit der Normzweck (Rechtswidrigkeitszusammenhang) reicht, ist Ergebnis der Auslegung im Einzelfall (JBl 1999, 192 uva). Besteht kein Zusammenhang zwischen Normzweck und eingetretenem Schaden, liegt nur ein mittelbarer, grundsätzlich nicht ersatzfähiger Schaden vor (SZ 52/44; SZ 55/190; JBl 1989, 43).

Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht zwar ausgegangen, auch wenn es dem Schutzzweck der einzelnen in Betracht kommenden Normen des Salzburger Raumordnungs- und Baurechts nicht im Einzelnen nachgegangen ist, sondern sich darauf beschränkt hat, einen sich auch auf die Anrainer erstreckenden Schutz allein wegen deren fehlender Parteistellung im Bauverfahren abzulehnen. Auch der Oberste Gerichtshof hat zwar im Zusammenhang mit der (behaupteten) Verletzung landesgesetzlicher Bauvorschriften darauf hingewiesen, dass der Schutz bestimmter Personen durch die Einräumung eines subjektiven öffentlichen Rechts ein wichtiges Indiz für die Einbeziehung in den personellen Schutzbereich einer öffentlich- rechtlichen Norm darstellt und die vom Landesgesetzgeber ausgesprochene oder verweigerte Berechtigung zur Verfahrensbeteiligung wichtiger Anhaltspunkt für die Auslegung des speziellen schadenersatzrechtlichen Schutzzwecks einer verwaltungsrechtlichen Regelung sein kann (1 Ob 313/01p). Daraus lässt sich aber nicht der Schluss ziehen, die Verweigerung subjektiver öffentlicher Rechte, insbesondere die fehlende Parteistellung in einem verwaltungsrechtlichen Verfahren, etwa einem Bauverfahren, bedeutete stets, dass der Schutz diese Personen von den in Betracht kommenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht einmal mitbezweckt sei. Ergibt sich aus konkreten baurechtlichen Bestimmungen erkennbar die Absicht des Gesetzgebers, die Interessen bestimmter Dritter, insbesondere der Anrainer, zu beachten, so kann dieser Schutzzweck nicht etwa dadurch beeinträchtigt werden, dass ihnen die Parteistellung im Bauverfahren insofern verwehrt wird, als der Gesetzgeber anstelle des früheren Baubewilligungsverfahrens nunmehr ein bloßes Anzeigeverfahren vorsieht. Darauf, dass der Schutzbereich in vielen Fällen - auch angesichts der neuerdings angestrebten Zurückdrängung der Anrainerrechte im verwaltungsbehördlichen Bewilligungsverfahren - über den Personenkreis der Verfahrensbeteiligten hinausgeht, hat der erkennende Senat bereits ausdrücklich hingewiesen (1 Ob 313/01p). Entscheidend für die Frage eines allfälligen Amtshaftungsanspruchs wegen vermögensrechtlicher Nachteile aufgrund behördlicher Tätigkeit ist somit stets die Ermittlung des Schutzbereichs der konkret in Betracht kommenden verwaltungsrechtlichen Norm. Soweit sich der Schutzzweck nur auf Interessen der Allgemeinheit erstreckt, können Einflüsse des Verfahrensausgangs auf individuelle Interessenlagen nur als - die Amtshaftung des belangten Rechtsträgers nicht begründende - Reflexwirkung beurteilt werden (1 Ob 313/01p, 1 Ob 148/02z ua).

Soweit sich die Revisionswerberin auf die Verletzung raumordnungsrechtlicher Vorschriften beruft, ist ihr entgegen zuhalten, dass keine der von ihr angeführten Bestimmungen des Sbg ROG 1998 den Schluss auf einen damit angestrebten Schutz der Liegenschaftseigentümer oder deren Nachbarn und deren Vermögensinteressen zulässt. Vielmehr spricht § 1 Abs 1 Sbg ROG ausdrücklich von einer bestmöglichen Nutzung und Sicherung des Lebensraumes "im Interesse des Gemeinwohls", wird programmatisch dem Schutz und der Erhaltung der "Umwelt" der Vorrang eingeräumt und soll durch die örtliche Raumplanung die nachhaltige und bestmögliche Nutzung und Sicherung des Lebensraums "im Interesse des Gemeinwesens" gesichert werden; ausdrücklich wird den öffentlichen Interessen der Vorrang vor Einzelinteressen zugebilligt (§ 2 Abs 2 Z 10 Sbg ROG). Zweck und Bedeutung der raumordnungsrechtlichen Vorschriften ist es, den eben nur einmal vorhandenen Grund und Boden optimal für die verschiedenen Bedürfnisse und Zielsetzungen zu nutzen und den durch die Auswirkungen der Technik und die Unvernunft der Menschen bedrohten Lebensraum von Pflanzen, Tieren und Menschen zu schützen (W. Hauer, Salzburger Baurecht 19). Der vermögensrechtliche Schutz einer bestimmten Person, deren Grundstück an eine Liegenschaft angrenzt, auf der ein Gebäude errichtet wird, ist von den Vorschriften des zitierten Gesetzes nicht bezweckt. Erstreckt sich der Schutzzweck des Sbg ROG, insbesondere der Bestimmungen über den Bebauungsplan, aber nur auf Interessen der Allgemeinheit, dann können Einflüsse des Verfahrensausgangs auf individuelle Interessenlagen nur als - die Amtshaftung des belangten Rechtsträgers nicht begründende - Reflexwirkungen beurteilt werden (1 Ob 313/01p ua). Dass Raumordnungsvorschriften grundsätzlich nicht den Schutz von (vermögensrechtlichen) Anrainerinteressen bezwecken, wurde vom erkennenden Senat wiederholt ausgesprochen (JBl 1994, 695, 1 Ob 148/02z). Davon abweichende Zielsetzungen in Sbg ROG zeigt die Revisionswerberin nicht auf. Soweit sie sich darüber hinaus auf Festlegungen im räumlichen Entwicklungskonzept beruft, unterlässt sie jede nachvollziehbare Auseinandersetzung mit dessen Inhalt und rechtlichem Charakter.

Auch wenn die (schuldhafte) Verletzung baurechtlicher Vorschriften grundsätzlich Amtshaftungsansprüche auslösen kann, sofern diese den Schutz von Anrainerinteressen zumindest mitbezwecken, geht die Berufung der Revisionswerberin auf § 14 Abs 1 lit a Sbg Bebauungsgrundlagengesetz (LGBl 69/1968) ins Leere, weil diese Bestimmung explizit bloß die Versagung der Bauplatzerklärung in Fällen vorsieht, in denen eine Grundfläche vom Standpunkt des "öffentlichen Interesses" für die Bebauung ungeeignet erscheint. Allfällige Reflexwirkungen dieser Bestimmung sind nicht geeignet, Amtshaftungsansprüche der Klägerin auszulösen. Dies gilt insbesondere für das Fehlen einer - der Raumordnung zuzuordnenden Bebauungsplanung.

Soweit die Revisionswerberin ganz Allgemein zur Dartuung der ihrer Ansicht nach verletzten Rechtsvorschriften auf ihr "detailliertes erstinstanzliches Vorbringen" in einem vorbereitenden Schriftsatz verweist, kann darauf im Revisionsverfahren nicht eingegangen werden, weil ein solcher Verweis keine gesetzmäßige Ausführung der Revision darstellt. Der von ihr - neben den raumordungsrechtlichen Vorschriften - ausdrücklich angesprochene § 25 Abs 1 Sbg BebauungsgrundlagenG bringt keineswegs zum Ausdruck, ein Anrainer werde in seinem Interesse, dass auf einem Nachbargrundstück nur der bisherigen Bebauungsstruktur entsprechende Gebäude errichtet werden, geschützt. Vielmehr kommt dieser Bestimmung in erster Linie programmatischer Charakter zu, was sich auch aus der verwendeten Formulierung ("sollen") ergibt. In diesem Sinne judiziert auch der VwGH (2091/76, 575/79), dem Nachbarn stehe ein Rechtsanspruch auf einen bestimmten Lichteinfall nicht zu, weil eine ausreichende Belichtung ohnehin durch jene Rechtsnormen, die die Einhaltung eines bestimmten Abstands oder einer bestimmten Gebäudehöhe zum Gegenstand haben, gesichert werde. Derartige Bestimmungen enthält § 25 Abs 3 Sbg BebauungsgrundlagenG. Einen Verstoß gegen diese Bestimmung behauptet die Revisionswerberin allerdings nicht. Ob die Organe der beklagten Partei rechtliche Möglichkeiten gehabt hätten, im Rahmen einer Bauplatzerklärung oder eines Bebauungsplans engere Grenzen für das Projekt auf dem Nachbargrundstück der Klägerin festzulegen, ist unerheblich, soweit die beklagte Partei dazu nicht im Interesse der Anrainer verpflichtet gewesen wäre, wofür hier jedoch keine Grundlage besteht.

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