OGH 7Ob159/08w

OGH7Ob159/08w22.10.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef F*****, vertreten durch Dr. Peter Bründl und Dr. Gerlinde Rachbauer, Rechtsanwälte in Schärding, und der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei O***** Versicherung AG, *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Dartmann und andere Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei G***** Versicherung AG, *****, vertreten durch Dr. Stefan Herdey und Dr. Roland Gsellmann, Rechtsanwälte in Graz, wegen 28.860 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 28. April 2008, GZ 2 R 214/07i-14, womit das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis vom 24. August 2007, GZ 40 Cg 14/07d-9, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 5.056,03 EUR (darin enthalten 628,54 EUR an USt und 1.284,80 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Zwischen dem Kläger und der Beklagten besteht ein Haushaltsversicherungsvertrag. Diesem liegen die Allgemeinen Bedingungen der G***** Versicherung AG für die Haushaltsversicherung (AHB 1995) zugrunde. Nach Art 11 AHB 1995 ist Maria F***** als Ehefrau des Klägers mitversichert.

Art 15 AHB 1995 lautet:

„Für welche Schadenersatzverpflichtungen wird keine Leistung erbracht?

...

4. Schadenersatzverpflichtungen aus Schäden, die der Versicherungsnehmer oder die für ihn handelnden Personen verursachen, durch Haltung oder Verwendung von

...

4.3. Kraftfahrzeugen oder Anhängern, die ein behördliches Kennzeichen tragen müssen oder tatsächlich tragen."

Am 9. 3. 2006 fuhr der Sohn des Klägers mit einem Schulbus, der bei der Nebenintervenientin haftpflichtversichert war. Die Frau des Klägers holte den Sohn von der Bushaltestelle ab. Als sie die Beifahrertür des Schulbusses schloss, wurde die im Bus mitfahrende Elisabeth G***** an der Hand verletzt. Elisabeth G***** brachte gegen die Frau des Klägers eine Klage auf Bezahlung von Schadenersatz und auf Feststellung ein. Dieses Verfahren, bei dem der Haftpflichtversicherer als Nebenintervenient auf Seiten der Frau des Klägers eingeschritten ist, wurde bis zur rechtskräftigen Erledigung des hier vorliegenden Rechtsstreits unterbrochen.

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die Beklagte ihm aufgrund des Haushaltsversicherungsvertrags für den Schadensfall vom 9. 3. 2006 hafte und für das oben genannte Verfahren Deckungsschutz zu gewähren habe. Die Frau des Klägers sei weder Halterin noch Verwenderin des Schulbusses gewesen und sei auch in keiner Weise beim Betrieb im Interesse des Busunternehmens tätig gewesen. Es habe sich nicht die von einem Fahrzeug ausgehende typische Gefahr verwirklicht. Der Vorfall sei nicht anders zu beurteilen, als wenn die Frau des Klägers eine Haustür geschlossen und dabei eine andere Person verletzt hätte. Der Schaden sei daher vom Haushaltsversicherer und nicht vom Haftpflichtversicherer des Schulbusses zu decken.

Die Nebenintervenientin schließt sich im Wesentlichen dem Vorbringen der Klägerin an.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Die Frau des Klägers sei nicht im „privaten" Wirkungsbereich tätig gewesen, sondern im Interesse des Schulbusunternehmers. Das Ein- und Aussteigen aus einem Kraftfahrzeug stehe mit seinem Betrieb im Zusammenhang. Die Frau des Klägers habe die Beifahrertür des Schulbusses geöffnet, um ihren Sohn aussteigen zu lassen, und diese sodann wieder geschlossen, wobei es aus dem Alleinverschulden der Schulbusbegleiterin Elisabeth G***** dazu gekommen sei, dass sie an der rechten Hand eingeklemmt und verletzt worden sei. Es liege daher der Ausschlussgrund des Art 15.4.3. AHB 1995 vor. Die Frau des Klägers sei als Mutter eines transportierten Kindes tätig geworden. Es habe sich eine vom Kraftfahrzeug ausgehende typische Gefahr verwirklicht.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Rechtsansicht, dass der Deckungsausschluss nach Art 15.4.3. AHB 1995 zur Anwendung komme. Das Schließen der Beifahrertür des Schulbusses stelle eine typische Fahrerhandlung dar. Der Schadensfall stehe in einem adäquat ursächlichen Zusammenhang mit der Gebrauchshandlung. Das Öffnen und Schließen der Tür sei eine ständige Gefahrenquelle des Kraftfahrzeugs für Personen und Sachen. Es habe sich das spezifische Risiko des Kraftfahrzeugs realisiert. Die Ausschlussklausel des Art 15.4.3. AHB 1995 bewirke, dass die Deckungspflicht der Beklagten entfalle.

Das Berufungsgericht änderte das angefochtene Urteil dahingehend ab, dass es dem Feststellungsbegehren stattgab. Es vertrat die Rechtsansicht, dass zwar das Öffnen und Schließen der Fahrzeugtüren zum Zweck des Einsteigens und Aussteigens aus Anlass einer Beförderung ein mit dem Betrieb dieses Fahrzeugs zusammenhängender Vorgang sei, der Fahrzeughalter aber nur für das Verschulden seiner Fahrgäste hafte. Die Frau des Klägers sei nicht Fahrgast im Schulbus gewesen, sodass ihre Handlung keinen mit dem Betrieb des Schulbusses zusammenhängenden Vorgang darstelle. Der von der Gattin des Klägers ausgelöste Schadensfall stehe mit dem Haftpflichtgefahrenbereich, für den der Fahrzeughaftpflichtversicherer deckungspflichtig sei, in keinem inneren Zusammenhang, weshalb der beklagte Haushaltsversicherer zu haften habe.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Der zu lösenden Rechtsfrage komme über den Einzelfall hinaus Bedeutung zu.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag.

Der Kläger und die Nebenintervenientin beantragen, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist auch berechtigt.

Nach § 2 Abs 1 und 2 KHVG umfasst die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung die Befriedigung begründeter und die Abwehr unbegründeter Ersatzansprüche, die aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen gegen den Versicherungsnehmer oder mitversicherte Personen erhoben werden, wenn durch die Verwendung des versicherten Fahrzeugs Personen verletzt oder getötet wurden, Sachen beschädigt oder zerstört worden oder abhanden gekommen sind oder ein Vermögensschaden verursacht worden ist, der weder Personen- noch Sachschaden ist (bloßer Vermögensschaden). Mitversichert sind jedenfalls der Eigentümer, der Halter und Personen, die mit Willen des Halters bei der Verwendung des Fahrzeugs tätig sind oder mit dem Fahrzeug befördert werden oder die den Lenker einweisen.

Nach Art 15.5.3. AHB 1995 sind von der Haushaltsversicherung Schadenersatzverpflichtungen aus der Haltung oder Verwendung der nach dem österreichischem KFG kennzeichenpflichtigen Kraftfahrzeuge bzw jener Fahrzeuge, die ein Kennzeichen tragen, schlechthin ausgeschlossen.

Hier ist die Abgrenzung zwischen den beiden Versicherungen zu beurteilen.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach Vertragsauslegungsgrundsätzen auszulegen. Die Auslegung hat sich daher am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers zu orientieren (RIS-Justiz RS0050063, RS0008901). Bei objektiver Betrachtung ergibt sich für einen verständigen Versicherungsnehmer aus Art 15.5.3. AHB 1995, dass die erhöhte Gefahr, die mit der Haltung oder Verwendung von Kraftfahrzeugen verbunden ist, allein von der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung gedeckt und daher von der Haushaltsversicherung ausgeschlossen sein soll (7 Ob 177/04m, 7 Ob 51/03f mwN; RIS-Justiz RS0110470).

Die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung deckt das Haftpflichtrisiko, das sich aus der Verwendung des Kraftfahrzeugs ergibt. Der Begriff „beim Betrieb" nach § 1 EKHG ist dahin zu bestimmen, dass entweder ein innerer Zusammenhang mit einer dem Kraftfahrzeugbetrieb eigentümlichen Gefahr oder, wenn dies nicht der Fall ist, ein adäquat ursächlicher Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs bestehen muss (RIS-Justiz RS0022592). Es muss somit ein unmittelbar ursächlicher örtlicher und zeitlicher Zusammenhang des Schadens mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Fahrzeugs gegeben sein (7 Ob 177/04m). Von der Rechtsprechung wird unter Betrieb „die bestimmungsgemäße Verwendung des Kraftfahrzeugs als Fahrmittel, also zur Ortsveränderung unter Benützung seiner Maschinenkraft" verstanden. Danach muss der Motor als Kraftquelle dienen und beim Schadensereignis in Gang befindlich sein (7 Ob 148/03w mwN). Der Begriff „Verwendung eines Fahrzeugs" in § 2 Abs 1 KHVG 1994 ist im noch weiteren Sinn zu verstehen als der Begriff des „Betriebs" im Sinn des § 1 EKHG (RIS-Justiz RS0116494, RS0088978). Versicherungsschutz zufolge „Verwendung" des Fahrzeugs im Sinn des § 2 KHVG (nach deutscher Terminologie im Sinn des § 10 dAKB) besteht demnach bei Gebrauch (Verwendung) des Fahrzeugs als solches schlechthin (7 Ob 177/04m; RIS-Justiz RS0088976, RS0088978). Dies führt zu Abgrenzungsproblemen. Steht der Schaden in keinem Zusammenhang mit der für das Kraftfahrzeug typischen Gefahr, so ist eine Haftung aus der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung ausgeschlossen. So wurde zu 9 ObA 36/03i ausgesprochen, dass die Benützung einer im Nachhinein eingebauten, mit der Motorleistung des Kraftfahrzeug in keinem Zusammenhang stehenden Gasheizung eines im Fahrgastraum befindlichen Schlafplatzes keine (typischerweise gefahrengeneigte) Verwendung eines Kraftfahrzeugs im Sinn des § 2 KHVG darstelle. Von einer defekten Gasheizung ausgehende Risken bestünden gleichermaßen bei einem Einsatz an anderen (ortsgebundenen) Schlafplätzen. Ebenso wurde der 7 Ob 177/04m zugrunde liegende Rechtsfall beurteilt. Der Schaden entstand durch ein Haushaltsgerät (Heizlüfter), mit dem ein Abtauen der Scheiben des Fahrzeugs bewirkt werden sollte. Auch hier wurde ausgesprochen, dass der Defekt überall und ohne Bezug auf ein Kraftfahrzeug eingetreten wäre, sodass sich zwar die Gefahr des Heizlüfters, nicht aber die Gefahr des Kraftfahrzeugs realisiert habe. Weiters kommt es auch darauf an, ob sich die konkrete schadenverursachende Handlung als typische Fahrerhandlung darstellt, mithin keine Handlung vorliegt, die von den Aufgaben des Kraftfahrers unabhängig ist und von anderen Personen in gleicher Weise und mit gleichem Risiko vorgenommen zu werden pflegt. Es muss sich also ein spezifisches Risiko des Kraftfahrzeugs realisiert haben (7 Ob 46/05y).

Auch nach der Rechtsprechung des BGH schließt der Begriff des „Gebrauches" im Sinn des § 10 Abs 1 dAKB zwar den „Betrieb" eines Kraftfahrzeugs ein, geht aber über diesen hinaus (VersR 1979, 956, 958; VersR 1998, 1187). Es genügt, dass typische Funktionen in Tätigkeit gesetzt werden (Knappmann in Prölls/Martin VVG 27, § 10 dAKB, RN 6 ff). Nicht dem Gebrauch zuzurechnen sind dagegen solche Vorbereitungshandlungen vor Beginn des Beladens, bei denen das Fahrzeug noch nicht beteiligt ist (Stiftel/Hofmann17, § 10 dAKB, RN 65).

Der Oberste Gerichtshof hat auch schon mehrfach ausgesprochen, dass das Ein- und Aussteigen ein mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs im Zusammenhang stehender Vorgang ist (2 Ob 64/91, 2 Ob 49/92, 2 Ob 9/06x; RIS-Justiz RS0058145). Nicht nur das Ein- und Aussteigen aus einem Kraftfahrzeug gehört aber zum Betrieb eines Fahrzeugs, sondern auch das damit verbundene Öffnen und Schließen der Fahrzeugtüren zum Zwecke des Ein- und Aussteigens aus Anlass der Beförderung (8 Ob 337/71, 8 Ob 167/81 = RIS-Justiz RS0058346). Beim Betrieb tätig ist jeder, der eine mit dem Betrieb zusammenhängende Aufgabe mit Willen des Halters wahrnimmt. Überlässt der Halter/Lenker das Öffnen und Schließen der Türen dem aussteigenden Fahrgast, so hat er sich bei diesem Betriebsvorgang einer Hilfsperson bedient, für deren Verschulden er einzustehen hat (8 Ob 337/71).

Nicht anders ist der vorliegende Rechtsfall zu beurteilen. Zu dem vom Halter übernommenen Transport gehört auch das Ein- und Aussteigen der beförderten Fahrgäste. Dafür hat der Busunternehmer/Lenker zu sorgen. Zum Aussteigen gehört das Öffnen und Schließen der Fahrzeugtüren. Werden die Kinder von Erwachsenen abgeholt, die die Fahrzeugtüren selbst öffnen und schließen, so sind sie im Betrieb mit Duldung des Halters tätig, übernehmen sie doch einen, wenn auch sehr geringen, Teil des Transportauftrags, weil das Schließen der Türen den Aussteigevorgang beendet. Durch die zugelassene Hilfe (Gegenteiliges wurde nicht behauptet) der Frau des Klägers beim Aussteigevorgang hat sich auch das typische Kraftfahrzeugrisiko verwirklicht. Die Verletzung trat nicht beim Schließen irgendeiner Tür ein, sondern beim Schließen der Bustür. Damit hat sich das spezifische Kraftfahrzeugrisiko realisiert.

Der Schadensfall ist von der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung umfasst, zumal sie nicht nur Schäden beim Betrieb, sondern im weiteren Sinn schon bei der Verwendung des Fahrzeugs schlechthin zu decken hat. Damit ist der Risikoausschluss nach Art 15.4.3. AHB 1995 verwirklicht. Das Klagebegehren ist abzuweisen.

Die Kostenentscheidung betreffend das Berufungs- und das Revisionsverfahren gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

Stichworte