OGH 2Ob64/91

OGH2Ob64/915.2.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber, Dr.Kropfitsch, Dr.Zehetner und Dr.Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Monika K*****, vertreten durch Dr.Herwig Fuchs, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei ***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr.Albert Heiss, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 150.000 und Feststellung, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 11. September 1991, GZ 3 R 211/91-19, womit das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 18.Mai 1991, GZ 6 Cg 323/90-15, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind gleich weiteren Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung

Walter S***** lud die im selben Haus wie er wohnende Klägerin am Morgen des 30.10.1987 ein, in seinem Fahrzeug mitzufahren, die Klägerin nahm diese Einladung an. Die beiden gingen in die Garage, in der sich das am Vorabend abgestellte Fahrzeug befand. Es handelte sich um einen VW-Transporter, bei dem im Gegensatz zum Vorgängermodell der Haltegriff für den Beifahrer nicht über dem Handschuhfach, sondern an der A-Säule angebracht war. Die Beleuchtungsverhältnisse in der Garage waren schlecht, die Leuchtröhre in der Nähe des Fahrzeuges war nicht in Betrieb, das Garagentor war geschlossen. Walter S***** sperrte die Beifahrertür auf und ging zur Fahrertür, um diese ebenfalls aufzusperren. Erst bei Öffnen dieser Tür hätte sich die Innenbeleuchtung des Fahrzeuges automatisch eingeschaltet. Die Klägerin, die schon oft mit ihrem Bruder im Vorgängermodell des Fahrzeuges des Walter S***** mitgefahren war, versuchte, noch bevor die Fahrertür geöffnet war, einzusteigen. Da sie über dem Handschuhfach keinen Haltegriff fand und vom Haltegriff über der A-Säule nichts wußte, griff sie mit der rechten Hand in das offene Handschuhfach und hielt sich an dessen Oberkante fest, um sich in das Wageninnere zu ziehen. Dabei fügte sie sich an der messerscharfen Blechkante Schnittverletzungen (Durchtrennung der Sehnen zweier Finger) zu. Walter S***** hatte von der messerscharfen Kante im Handschuhfach keine Kenntnis, er hatte daran keine Veränderung vorgenommen, das Fahrzeug befand sich im Originalzustand. Die Beifahrer, die Walter S***** vor diesem Vorfall mitgenommen hatte, konnten ohne Probleme in das Fahrzeug einsteigen. Der Sachverständige besichtigte zwei andere Fahrzeuge desselben Typs und stellte fest, daß bei diesen dieses Blech zwar kantig, aber nich so scharf war wie beim Fahrzeug des Walter S*****.

Gestützt auf Verschulden des Walter S***** und die Vorschriften des EKHG begehrt die Klägerin einen Schadenersatzbetrag von S 150.000 samt Zinsen, außerdem stellte sie ein Feststellungsbegehren.

Die Beklagte wendete ein, Walter S***** treffe kein Verschulden, der Unfall habe sich nicht beim Betrieb des Fahrzeuges ereignet, außerdem habe es sich um ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 9 EKHG gehandelt. Walter S***** habe nicht damit rechnen müssen, daß Mängel an der Innenausstattung des neu zugelassenen Fahrzeuges vorhanden seien und daß sich die Klägerin im Handschuhfach anhalten werde. Die Verletzung sei auf das Verhalten der Klägerin zurückzuführen, die bei schlechten Sichtverhältnissen eingestiegen sei und sich in einem Bereich angehalten habe, der hiefür nicht vorgesehen gewesen sei.

Das Erstgericht wies das Leistungs- und das Feststellungsbegehren ab. Es verneinte ein Verschulden des Walter S*****, weil dieser von der gefährlichen Beschaffenheit des Handschuhfaches nichts gewußt habe. Das auf einer nichtöffentlichen Verkehrsfläche stehende Fahrzeug habe auch keine Betriebsgefahr dargestellt, die Ausstattung des Handschuhfaches sei nicht einer Betriebseinrichtung zuzurechnen, von welcher eine für den Kraftfahrzeugbetrieb eigentümliche Gefahr ausgehe. Eine Haftung der Beklagten nach den Bestimmungen des EKHG scheide daher ebenfalls aus. Außerdem habe der Halter des Fahrzeuges den Eintritt des schädigenden Ereignisses trotz Beachtung aller nach den Umständen des Falles gebotenen Sorgfalt nicht verhindern können. Es liege daher ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 9 Abs 1 EKHG vor, weshalb die Voraussetzungen für die Haftungsbefreiung nach dieser Gesetzesstelle gegeben seien. Der Unfall sei allein durch das Verhalten der Klägerin herbeigeführt worden, welche sich trotz der Sichtbarkeit des Haltegriffes an der A-Säule am Handschuhfach, welches zweifelsfrei nicht zum Festhalten gedacht und ausgestattet gewesen sei, festgehalten habe. Der Beklagten komme daher auch die Haftungsbefreiung nach § 9 Abs 2 EKHG zugute.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge, hob das Urteil des Erstgerichtes auf und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde für zulässig erklärt. Das Gericht zweiter Instanz teilte die Ansicht des Erstgerichtes, Walter S***** treffe kein Verschulden. Zur Frage der Haftung nach den Vorschriften des EKHG führte das Berufungsgericht aus, nach nunmehr herrschender Rechtsprechung sei der Begriff des Betriebes im Sinne des § 1 EKHG nicht nur rein maschinentechnisch zu verstehen, sondern auch aus verkehrstechnischen Gesichtspunkten heraus zu beurteilen. Es liege daher ein Betriebsunfall im Sinne des § 1 EKHG auch dann vor, wenn der Unfall nicht im engeren Zusammenhang mit den typischen Betriebsgefahren eines Kraftfahrzeuges stehe, aber doch wenigstens ein adäquater ursächlicher Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung bestehe. Unerheblich sei, ob sich der Unfall beim Betrieb des Kraftfahrzeuges auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr oder auf einer Privatstraße oder einem Privatgrundstück ereignete. Die Verletzung der Klägerin sei dadurch hervorgerufen worden, daß sie sich beim Einsteigen an einem Blech im Bereich des Handschuhfaches, also an einem Teil der Inneneinrichtung, festgehalten habe. Die Blechverkleidung oder die sonstige Inneneinrichtung eines Kraftfahrzeuges gehöre jedoch zu dessen Betriebseinrichtung, wenn sie für die Verkehrssicherheit Bedeutung habe. Die Verkehrssicherheit umfasse nicht nur die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer, sondern auch die Sicherheit der Insassen des Kraftfahrzeuges. Denn in § 4 Abs 1 KFG sei festgelegt, daß Kraftfahrzeuge verkehrs- und betriebssicher gebaut und ausgerüstet sein müssen, was in Abs 2 dieser Bestimmung dahingehend näher erläutert werde, daß die Bauweise der Ausrüstung eines Kraftfahrzeuges so beschaffen sein muß, daß bei einem sachgemäßen Betrieb weder Gefahren für den Lenker noch für die beförderten Personen oder anderer Straßenbenützer entstehen können. Scharfkantige Blechteile wie im vorliegenden Fall das Blech im Bereich des Handschuhfaches könnten, wie der gegenständliche Unfall zeige, die Sicherheit der Insassen des Kraftfahrzeuges gefährden. Derartige Teile gehörten daher zu den die Vekehrssicherheit betreffenden Bau- bzw Ausrüstungsteilen eines Kraftfahrzeuges. Der Mangel (messerscharfe Kante am Blech im Bereich des Handschuhfaches) sei auch adäquat ursächlich für die Verletzungen der Klägerin gewesen. Denn es sei keineswegs ungewöhnlich, daß sich einsteigende Beifahrer an anderen Fahrzeugteilen als den dafür eigentlich vorgesehenen Haltegriffen festhalten. Wenn ein solcher Teil entgegen der Bestimmung des § 4 KFG mit einer messerscharfen Kante versehen sei, so sei es geradezu typisch, daß dadurch Verletzungen entstehen könnten. Der Unfall habe sich daher beim Betrieb im Sinne des § 1 EKHG ereignet. Der Blechteil im Bereich des Handschuhfaches habe nicht den im § 4 KFG gestellten Anforderungen entsprochen, es sei daher ein Fehler in der Beschaffenheit im Sinne des § 9 Abs 1 EKHG vorgelegen, weshalb sich die Beklagte auch nicht mit Erfolg auf eine Haftungsbefreiung nach dem zweiten Absatz dieser Bestimmung berufen könne. Eine Haftung nach den Bestimmungen des EKHG sei daher gegeben. Ein Mitverschulden der Klägerin sei auszuschließen, da die Gefährlichkeit des Blechteiles im Bereich des Handschuhfaches für sie nicht erkennbar gewesen sei. Das Erstgericht habe sich aufgrund seiner Rechtsansicht mit der Höhe des Begehrens nicht auseinandergesetzt und habe hiezu auch keine Beweise aufgenommen. Aus diesem Grund sei die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte bekämpft den Beschluß des Berufungsgerichtes mit Rekurs, in welchem die Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichtes beantragt wird.

Die Klägerin beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Rekurswerberin führt im wesentlichen aus, ein für längere Zeit abgestelltes Fahrzeug befinde sich nicht in Betrieb, das Handschuhfach sei keine Betriebseinrichtung, die Verantwortung hiefür liege ausschließlich beim Hersteller. Der Mangel sei nicht adäquat ursächlich für die Verletzungen der Klägerin gewesen, das Festhalten im Inneren des Handschuhfaches sei auch im weitesten Sinne nicht dem Fahrbetrieb zuordenbar. Es sei auch kein Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeuges vorgelegen, weil dieses den Beschaffenheitsvorschriften entsprochen habe und seit dem Kauf keine Veränderungen vorgenommen worden seien. Schließlich treffe die Klägerin ein Verschulden, weil sie nicht den sichtbaren Haltegriff benützt habe, sondern das Handschuhfach, das hiefür nicht vorgesehen gewesen sei.

Diesen Ausführungen ist zu erwidern:

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist ein Betriebsunfall im Sinne des § 1 EKHG auch dann gegeben, wenn der Unfall zwar nicht im inneren Zusammenhang mit den eigentümlichen Betriebsgefahren (große Geschwindigkeit und ihre Folgen) steht, wenn er aber wenigstens in einem adäquat ursächlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges steht. Der Begriff "bei dem Betrieb" ist also dahin zu bestimmen, daß entweder ein innerer Zusammenhang mit einer dem Kraftfahrzeugbetrieb eigentümlichen Gefahr oder, wenn dies nicht der Fall ist, ein adäquat ursächlicher Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges bestehen muß (JBl 1979, 149; ZVR 1984/326, ZVR 1989/129; 8 Ob 167/81 ua). Der Betrieb einer Maschine ist in dem ihrem Zweck entsprechenden Funktionieren zu erblicken. Dieser Zweck ist bei einem Kraftfahrzeug die Fortbewegung in Verbindung mit dem Transport von Personen oder Lasten (ZVR 1976/232; 8 Ob 167/81). Zur Erreichung dieses Zweckes ist es bei einem PKW aber erforderlich, daß Fahrer und Fahrgäste in das Fahrzeug einsteigen oder dieses verlassen. Das Ein- und Aussteigen aus einem Kraftfahrzeug ist daher ein mit dem Betrieb dieses Fahrzeuges zusammenhängender Vorgang (8 Ob 167/81; vgl auch ZVR 1973/41). Da die Klägerin in das Kaftfahrzeug einstieg, unmittelbar bevor dieses in Bewegung gesetzt werden sollte, war das Einsteigen, unabhängig davon, wie lange das Fahrzeug vorher gestanden war, dem Betrieb zuzurechnen und somit auch das Festhalten im Handschuhfach. Die messerscharfe Kante im Inneren des Handschuhfaches war auch adäquat ursächlich für die Verletzung der Klägerin, zumal es keineswegs unüblich ist, daß sich ein Beifahrer beim Einsteigen in einen Transporter mit der Hand im Wageninneren anhält, es muß auch damit gerechnet werden, daß dies im Bereich des Armaturenbrettes geschieht und - falls dort kein Haltegriff vorhanden ist - in das offene Handschuhfach gegriffen wird. Den Rekursausführungen, das Handschuhfach sei keine Betriebseinrichtung, ist entgegenzuhalten, daß es - wie bereits ausgeführt - genügt, wenn der Unfall in einem adäquat ursächlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang (hier dem Einsteigen) steht. Überdies hat bereits das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, daß die Verkehrssicherheit auch die Sicherheit der Fahrzeuginsassen umfaßt, es ist also auch die Inneneinrichtung des Fahrzeuges von Bedeutung (vgl ZVR 1957/5).

Beizupflichten ist dem Berufungsgericht auch insoweit, als die Verletzung der Klägerin auf einen Mangel der Beschaffenheit des Fahrzeuges zurückzuführen war. Der Umstand, daß Walter S***** das Fahrzeug fabriksneu erworben hatte, keine Veränderungen vornahm und auch keine Kenntnis von der messerscharfen Kante hatte, schließt lediglich dessen Verschulden aus (ZVR 1958/162). Die Zulassung des Fahrzeuges in diesem Zustand schließt einen Mangel in der Beschaffenheit schon deshalb nicht aus, weil bei der Zulassung das Fahrzeug nicht vorgeführt wird und der Behörde daher nicht bekannt wurde, daß die Kante im Handschuhfach bei diesem Fahrzeug noch schärfer ist als bei sonstigen Fahrzeugen gleicher Type.

Schließlich ist auch der Einwand der Beklagten, die Klägerin treffe ein Verschulden, nicht berechtigt, denn sie mußte nicht damit rechnen, daß sich im Handschuhfach eine messerscharfe Kante befand.

Das Berufungsgericht bejahte somit zutreffend die Haftung der Beklagten - ob auch den Hersteller eine Haftung trifft, ist in diesem Verfahren ohne Bedeutung -, weshalb die dem Erstgericht aufgetragene Verfahrensergänzung erforderlich ist.

Dem Rekurs war daher ein Erfolg zu versagen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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