European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2008:0050OB00219.08D.1021.000
Spruch:
1.) Die außerordentliche Revision der Beklagten wird, soweit sie sich gegen die Bestätigung der Räumungsverpflichtung (Punkt 3 des erstinstanzlichen Urteils) richtet, gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
2.) Im Übrigen (außerordentliche Revision gegen die Bestätigung der Stattgebung des Zahlungsbegehrens nach Punkt 1 des erstinstanzlichen Urteils) werden die Akten dem Erstgericht zurückgestellt.
Begründung
Die angefochtene Entscheidung erging in den verbundenen Verfahren über Zahlung von Mietzinsrückstand (Streitwert 12.855,06 EUR sA) und Räumung der Wohnung Top Nr. 5 im Haus F***** in *****.
Das Rekursgericht hat die (ordentliche) Revision mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO insgesamt für nicht zulässig erklärt.
Die Zulässigkeit der außerordentlichen Revision ist aber für jeden einzelnen Anspruch der verbundenen Rechtssachen gesondert zu prüfen (vgl RIS‑Justiz RS0037252 [T11; T13]), wobei unerheblich ist, ob die in den verbundenen Streitsachen geltend gemachten Ansprüche in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen (vgl 3 Ob 139/04v).
Zur Anwendbarkeit des § 502 Abs 5 Z 2 ZPO ist anzumerken:
Nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung besteht gemäß § 502 Abs 5 Z 2 ZPO auch dann ein privilegierter - weil vom Streitwert unabhängiger ‑ Zugang zum Obersten Gerichtshof, wenn ein Anspruch auf Zahlung rückständigen Mietzinses zusammen mit einem Räumungsanspruch im selben Verfahren geltend gemacht wird. Das gilt jedoch nicht, wenn ein Anspruch auf Zahlung rückständigen Mietzinses und ein Räumungsbegehren getrennt geltend gemacht und die Rechtssachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden werden (vgl RIS‑Justiz RS0042922 [T8; T9 ua]).
Zu 1.) In der außerordentlichen Revision wird als Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zur Begründung der Zulässigkeit des außerordentlichen Rechtsmittels geltend gemacht, dass keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, wie sich mehrere Auflösungserklärungen nach § 1118 ABGB betreffend denselben Bestandvertrag zueinander verhielten. Schließlich gebe es betreffend eines Bestandvertrags nur eine Auflösungserklärung, nicht aber wie im vorliegenden Fall aufgrund verschiedener rückständiger Mietzinsperioden mehrere Auflösungserklärungen verbunden jeweils mit Klagen nach § 1118 ABGB. Die später abgegebenen Auflösungserklärungen müssten daher unwirksam sein, weil der Bestandvertrag schon durch frühere Auflösungserklärungen aufgelöst sei. Durch Einbringung mehrerer Räumungsklagen hintereinander bringe der Vermieter andererseits zum Ausdruck, dass er jeweils die früheren Auflösungserklärungen nicht mehr aufrecht erhalte, von deren Ungültigkeit ausgehe, in dem er neuerlich eine Auflösungserklärung abgebe.
Rechtliche Beurteilung
Dem ist wie folgt zu entgegnen:
Nach ständiger Rechtsprechung rechtfertigen auch während eines Prozesses aufgelaufene Mietzinsrückstände ein weiteres Räumungsbegehren (vgl RIS‑Justiz RS0020952). Wenn es dem Vermieter auch freisteht, weitere Mietzinsrückstände zum Gegenstand des schon eingeleiteten Räumungsverfahrens zu machen, wobei in der Fortführung des Verfahrens die erforderliche Mahnung und Aufhebungserklärung enthalten ist (vgl 1 Ob 685/90 = SZ 64/127; 7 Ob 248/97i = wobl 1999/115; 1 Ob 36/98w = wobl 1998/230), so ist er doch dazu nicht verpflichtet. Nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung ist Streitanhängigkeit dort ausgeschlossen, wo die Identität der rechtserzeugenden Tatsachen nur eine teilweise ist (vgl RIS‑Justiz RS0039221; RS0039366). Sind also strittige Mietzinsperioden, auf die sich jeweils Aufhebungsbegehren verbunden mit Räumungsklagen stützen, nicht ident, könnten beide Verfahren zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, weil der Rechtsgrund der beiden Räumungsbegehren nicht vollkommen übereinstimmt. Es liegt daher keine Streitanhängigkeit mehrerer Räumungsklagen zueinander vor, wenn die Berechtigung zur Vertragsaufhebung auf unterschiedliche Sachverhalte, nämlich unterschiedliche Mietzinsperioden gestützt werden (vgl 4 Ob 118/07t).
Dass die verschiedenen Räumungsklagen auf unterschiedliche Mietzinsrückstände gestützt werden, wird auch in der außerordentlichen Revision zugestanden.
Mit diesem tragenden Argument der außerordentlichen Revision wird daher keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt.
Mit dem weiteren Argument, ein Mietzinsminderungsanspruch der Beklagten sei zu Unrecht unberücksichtigt geblieben, entfernen sich die Revisionsausführungen von den maßgeblichen Feststellungen, wonach die das konkrete Räumungsbegehren rechtfertigenden Zinszahlungszeiträume vor jenem Zeitpunkt liegen, ab dem die Beklagten einen Mietzinsminderungsanspruch wegen eines Defekts der Warmwasseraufbereitung bzw Therme behaupteten.
Jedenfalls hätte nach Ansicht der Revisionsrekurswerber zuerst ein Teilurteil gefällt werden müssen, bevor über das Räumungsbegehren hätte entschieden werden dürfen.
Dabei übersehen die Revisionsrekurswerber, dass die Vorinstanzen ein grobes Verschulden der Mieter am Zahlungsrückstand zugrunde gelegt haben, weil 17 Monatsmietzinse seit Jahren offen aushafteten und auch in den Folgejahren mit Ausnahme jener Monate, in denen Zahlungen der MA 12 einlangten (Geldaushilfe aus Sozialhilfemitteln), von den Mietern keinerlei Mietzinse bezahlt wurden.
Den Vorwurf des groben Verschuldens hätten die Beklagten zu widerlegen gehabt, was ihnen nicht gelang.
In der außerordentlichen Revision wird die Frage des groben Verschuldens nicht einmal mehr angeschnitten.
Demnach bedurfte es weder einer Beschlussfassung nach § 33 Abs 2 letzter Satz MRG noch eines rechtskräftigen Teilurteils über den Mietzinsrückstand, weil den Beklagten grobes Verschulden an der Verletzung ihrer vertraglichen Verpflichtung zur Zahlung der Mietzinse vorzuwerfen war (vgl RIS‑Justiz RS011192 [T6]; RS0070394 [T3; T4]).
Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO war daher die außerordentliche Revision der Beklagten gegen die Bestätigung der Stattgebung des Räumungsbegehrens zurückzuweisen.
Zu 2.) Wie oben ausgeführt, liegt hinsichtlich der Geldleistungsklage keine unter § 49 Abs 2 Z 5 JN fallende Streitigkeit vor; § 502 Abs 5 Z 2 ZPO kommt diesfalls nicht zur Anwendung.
Die Zulässigkeit der Revision im Streitwertbereich zwischen 4.000 EUR und 20.000 EUR richtet sich daher nach § 502 Abs 3 ZPO. Im Hinblick auf den Ausspruch des Berufungsgerichts, wonach die (ordentliche) Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei, ist das „außerordentliche" Rechtsmittel der Beklagten entsprechend § 508 ZPO einem Verbesserungsverfahren zu unterziehen. Danach steht es der Partei frei, einen Antrag an das Berufungsgericht zu stellen, seinen Ausspruch dahingehend abzuändern, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde. In diesem Antrag sind die Gründe dafür anzuführen, warum entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts die ordentliche Revision für zulässig erachtet wird. Mit demselben Schriftsatz ist die ordentliche Revision auszuführen.
Im vorliegenden Fall haben die Beklagten ihr Rechtsmittel zwar rechtzeitig beim Erstgericht eingebracht, darin jedoch hinsichtlich der Stattgebung des Zahlungsbegehrens keine Gründe angeführt, weshalb die ordentliche Revision für zulässig erachtet werde. Überdies fehlt die ausdrückliche Erklärung, dass ein Antrag auf Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs durch das Berufungsgericht im Sinn des § 508 Abs 1 ZPO gestellt werde. Vielmehr wird darin ausdrücklich die Zulässigerklärung durch den Obersten Gerichtshof begehrt.
Sollte das Erstgericht bei dieser Sachlage der Meinung sein, dem als „außerordentliche" Revision bezeichneten Schriftsatz der Beklagten fehlten die Voraussetzungen des § 508 Abs 1 ZPO, wird es einen mit Fristsetzung verbundenen Verbesserungsauftrag zu erteilen haben, weil es dem Rechtsmittelschriftsatz diesfalls an einem Inhaltserfordernis im Sinn des § 84 Abs 3 ZPO mangelte (vgl 7 Ob 76/00b ua). Sollten die Rechtsmittelwerber die Verbesserung ihres Schriftsatzes verweigern, wäre die Revision jedenfalls unzulässig (vgl RIS‑Justiz RS0109501). Sollten die Beklagten ihren Schriftsatz verbessern, wird der Akt dem Berufungsgericht zur Entscheidung vorzulegen sein.
Eine Entscheidungskompetenz über das erhobene „außerordentliche" Rechtsmittel kommt dem Obersten Gerichtshof derzeit (§ 508 Abs 3 ZPO) nicht zu (vgl RIS‑Justiz RS0109623).
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