OGH 3Ob178/08k

OGH3Ob178/08k3.10.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner, Hon.-Prof. Dr. Sailer und Dr. Jensik sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei „Ö*****"-***** GmbH, *****, vertreten durch Berger Saurer Zöchbauer Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei M***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Korn Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Unzulässigkeit einer Exekution (§ 36 EO; Streitwert 32.000 EUR), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 17. Juni 2008, GZ 47 R 241/08a-16, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 14. März 2008, GZ 53 C 13/07s-10, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die klagende Partei ist aufgrund der einstweiligen Verfügung des Handelsgerichts Wien vom 11. Juni 2007, AZ 41 Cg 38/07g, verpflichtet, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs einen nicht zutreffenden zeitlichen Vorsprung ihrer redaktionellen Berichterstattung zu behaupten und/oder zu verbreiten. Mit Strafbeschluss vom 7. November 2007, AZ 68 E 3498/07g, verhängte das Erstgericht auf Antrag der beklagten Partei, die vorbrachte, bereits zwei Tage vor der klagenden Partei über das geplante „Rauchergesetz" berichtet zu haben, über die klagende Partei eine Geldstrafe, weil sie am 22. Oktober 2007 durch Veröffentlichung des nachstehenden Artikels mit der Überschrift „Tabakgesetz stand als Erstes in Ö..." gegen das ihr auferlegte Unterlassungsgebot verstoßen habe:

„Seit Wochen beschäftigt der Streit um das geplante Rauchergesetz die

Öffentlichkeit. Ö... hatte von Anfang an die Fakten zur Diskussion.

Schon am 22. Dezember 2006 (!) präsentierte Ö... die ersten Pläne zum

neuen Gesetz. Am 6. September berichtete Ö... dann exklusiv über den

Kdolsky-Entwurf, inklusive aller Streitpunkte, und druckte die Vorlage - bevor sie überhaupt in Begutachtung geschickt wurde. Zwei Tage später antwortete SP-Gesundheitssprecherin Oberhauser auf den Kdolsky-Entwurf - wieder exklusiv in Ö...".

Die Vorinstanzen wiesen die mit der Behauptung, nicht gegen den Exekutionstitel verstoßen zu haben, erhobene Impugnationsklage ab. Welchen Eindruck eine Ankündigung auf den Durchschnittsleser vermittle, sei eine Rechtsfrage, die nach objektiven Maßstäben zu lösen sei. Maßgeblich sei die Verkehrsauffassung, wobei der Ankündigende bei Mehrdeutigkeit der Ankündigung auch die für ihn ungünstigste Auslegung gegen sich gelten lassen müsse. Bei der Ermittlung der Verkehrsauffassung sei ein durchschnittlicher Maßstab anzulegen, entscheidend könne immer nur jene Bedeutung der Angabe sein, die sich beim flüchtigen Lesen ergebe, hiebei komme es immer auf den Gesamteindruck der Mitteilung an. Die klagende Partei habe gegen den Unterlassungstitel verstoßen, weil sich für den Durchschnittsleser beim flüchtigen Lesen der Eindruck ergebe, dass die klagende Partei als einziges Medium über die geplante Änderung des Tabakgesetzes berichtet habe. Dies ergebe sich insbesondere aus der Verwendung des Wortes „exklusiv" im Zusammenhang mit dessen Satzstellung im ersten Halbsatz. Daraus sei zu schließen, dass die klagende Partei nicht den Eindruck vermittelt habe, sie habe exklusiv den Wortlaut des Kdolsky-Entwurfs gedruckt, sondern exklusiv über den Inhalt der geplanten Novelle berichtet. Gerade dies sei nicht der Fall gewesen, weshalb ein Titelverstoß vorliege.

Die klagende Partei macht als erhebliche Rechtsfrage geltend, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in Zivilsachen zum Verhältnis der Unklarheitenregel im Äußerungsrecht zur Meinungsäußerungsfreiheit nach Art 10 EMRK und zur Anwendbarkeit des (strafprozessrechtlichen) Grundsatzes „in dubio pro reo", obwohl der Oberste Gerichtshof in (Medien-)Strafsachen in Anwendung dieses Grundsatzes bei mehrdeutigen Äußerungen die für den Beschuldigten günstigste seiner Beurteilung zugrunde lege.

Rechtliche Beurteilung

Zunächst ist darauf zu verweisen, dass im Strafrecht die Frage, wie eine Äußerung zu verstehen ist, nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs eine Tatfrage bildet (RIS-Justiz RS0092588), während die Auslegung der beanstandeten Äußerung bei Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche als Rechtsfrage gesehen wird (RIS-Justiz RS0043590). Die Zweifelsregel „in dubio pro reo", die verlangt, Unklarheiten bei Klärung der Tatfrage nicht zum Nachteil des Angeklagten ausschlagen zu lassen, ist daher ebenso wie die von der Revisionswerberin angesprochene strafrechtliche Judikatur nicht auf die hier zu beurteilende zivilrechtliche Frage zu übertragen.

Im Übrigen hat sich der Oberste Gerichtshof bereits mit der Frage

befasst, inwieweit die Anwendung der lauterkeitsrechtlichen

Unklarheitenregel im Einklang mit der in Art 10 EMRK verbrieften

Meinungsäußerungsfreiheit steht. Zu 4 Ob 98/07a (= wbl 2007, 608 -

VÖB) wurde festgehalten, dass auch bei Anwendung der

Unklarheitenregel die Freiheit der Meinungsäußerung zu

berücksichtigen ist und diese bei der lauterkeitsrechtlichen

Beurteilung beanstandeter Aussagen ein höheres Gewicht hat, wenn ein

Mitbewerber - wenngleich in Wettbewerbsabsicht - an einer Debatte teilnimmt, die öffentliche Interessen betrifft, als bei rein unternehmensbezogenen Äußerungen. Dabei ist insbesondere die Bedeutung des Themas zu berücksichtigen, zu dem die Äußerung erfolgte. Je größer das Informationsinteresse der Öffentlichkeit ist und je weniger die Wettbewerbsabsicht des Äußernden im Vordergrund steht, um so eher wird die Äußerung zulässig sein.

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den Einzelfall wirft - von einer hier nicht vorliegenden im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifenden Fehlbeurteilung abgesehen - ebensowenig eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf wie die Frage, wie eine Äußerung nach dem Eindruck der angesprochenen Kreise zu verstehen ist (RIS-Justiz RS0031883 [T6, T28]; vgl auch RS0043000). Da das Berufungsgericht überdies die beanstandete Äußerung eindeutig in einem bestimmten, dem Exekutionstitel widersprechenden Sinn verstand ([unrichtige] Behauptung eines zeitlichen Vorsprungs bei ihrer redaktionellen Berichterstattung), blieb für die Anwendung der Unklarheitenregel kein Raum (vgl 4 Ob 84/08v; 4 Ob 236/07w). Da die klagende Partei sohin keine erhebliche Rechtsfrage nach § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen vermag, ist ihre Revision zurückzuweisen.

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