OGH 4Ob236/07w

OGH4Ob236/07w22.1.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** GmbH, *****, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Ärztekammer für Wien,2. Prim. MR Dr. Walter D*****,Präsident jener Kammer, *****, beide vertreten durch Korn Frauenberger Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Sicherungsverfahren 72.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 30. Oktober 2007, GZ 30 R 16/07d‑10, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 erster Satz ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

1. Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft, an der überwiegend institutionelle Anleger beteiligt sind. Sie finanziert sich unter anderem mit Anleihen und plant einen Börsengang; mittelbar ist an ihr auch ein Private Equity Fonds beteiligt. Derzeit betreibt sie vor allem labormedizinische Institute. Sie beabsichtigt jedoch, ihre Tätigkeit auf das Gebiet der Strahlenmedizin auszudehnen. Dafür plant sie die Übernahme von Radiologiepraxen.

Die Erstbeklagte ist die gesetzliche Standesvertretung der Wiener Ärzte, der Zweitbeklagte ist ihr Präsident. Anfang 2007 richtete er namens der Erstbeklagten ein Rundschreiben an alle Mitglieder, das auch auf der Website der Erstbeklagten veröffentlicht wurde. Darin kritisierte er die Tätigkeiten von Kapitalgesellschaften im Bereich der ambulanten Medizin. Die Klägerin und ein anderes namentlich genanntes Unternehmen bezeichnete er (mittelbar) als „Heuschrecken‑Unternehmen", deren Ziel die „Herrschaft über den ärztlichen Berufsstand" sei. Die Standesvertretung werde mit allen rechtlichen und politischen Mitteln gegen diese „desaströse Entwicklung" vorgehen. Denn dadurch würde die Qualität der Behandlung nicht mehr vom Arzt bestimmt, sondern von „Managern und Controllern".

2. Die Vorinstanzen untersagten der Beklagten die Behauptung, die Klägerin verhalte sich gegenüber Dritten, und zwar insbesondere gegenüber einzelnen Ärzten, der gesamten Ärzteschaft und/oder gegenüber Patienten, rücksichtslos, und zwar insbesondere die Behauptung, die Klägerin sei ein „Heuschrecken‑Unternehmen", eine Heuschrecke und/oder ein „Heuschrecken‑Fonds". Die Beklagten hätten zwar nicht ausschließlich, aber doch auch in Wettbewerbsabsicht gehandelt. Der Begriff der „Heuschrecke" sei eine konkludente Tatsachenbehauptung über das Unternehmen der Klägerin. Ihr werde damit unterstellt, sie interessiere sich nur für kurzfristigen Profit, sauge die Substanz übernommener Unternehmen aus, kümmere sich nicht um das Wohl der Arbeitnehmer und stelle ihre wirtschaftlichen Interessen über das Wohl der Patienten.

3. Die Beklagten stützen ihre Zulassungsbeschwerde auf das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit, das nach der Entscheidung 4 Ob 98/07a (= ÖJZ‑LS 2007/84) auch im wettbewerbsrechtlichen Zusammenhang zu beachten sei. Sie hätten sich an einer Debatte beteiligt, die im öffentlichen Interesse gelegen sei; eine allenfalls bestehende Wettbewerbsabsicht trete dem gegenüber in den Hintergrund.

Rechtliche Beurteilung

4. Damit zeigen die Beklagten allerdings im Ergebnis keine erhebliche Rechtsfrage iSv § 528 Abs 1 ZPO auf. Zwar hat das Rekursgericht die kurz zuvor ergangene Entscheidung 4 Ob 98/07a nicht berücksichtigt. Dem angefochtenen Beschluss haftet aber auch nach dem Maßstab dieser Entscheidung zumindest keine gravierende Fehlbeurteilung an.

4.1. Entscheidend ist, ob und gegebenenfalls welchen Tatsachenkern der gegen die Klägerin erhobene Heuschreckenvorwurf hat. Die Beklagten zeigen an sich zutreffend auf, dass bei der Beurteilung dieser Frage auch das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit zu berücksichtigen ist: Nimmt ein Mitbewerber - wenngleich in Wettbewerbsabsicht - an einer Debatte teil, die öffentliche Interessen betrifft, so hat die Freiheit der Meinungsäußerung bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung seiner Aussagen ein an sich höheres Gewicht als bei rein unternehmensbezogenen Äußerungen. Dabei ist insbesondere die Bedeutung des Themas zu berücksichtigen, zu dem die Äußerung erfolgte. Je größer das Informationsinteresse der Öffentlichkeit ist und je weniger die Wettbewerbsabsicht des Äußernden im Vordergrund steht, um so eher wird die Äußerung zulässig sein. Das gilt insbesondere für die Anwendung der wettbewerbsrechtlichen Unklarheitenregel (dazu ausführlich 4 Ob 98/07a mwN).

4.2. Im vorliegenden Fall nahmen die Beklagten zweifellos an einer Debatte teil, die öffentliche Interessen betraf. Allerdings trat auch ihre Absicht deutlich hervor, den Wettbewerb freiberuflich tätiger Ärzte gegenüber zwei auf den Markt drängenden Kapitalgesellschaften zu fördern. Die niedergelassenen Ärzte sollten offenkundig abgehalten werden, mit diesen Gesellschaften zusammenzuarbeiten. In diesem Zusammenhang wäre es nicht zu beanstanden gewesen, wenn die Beklagten - auch mit scharfen Worten - vor damit möglicherweise verbundenen Gefahren gewarnt hätten. Darauf hat sie sich aber nicht beschränkt. Aus dem Gesamtzusammenhang ihres Rundschreibens ergibt sich, dass (auch) die schon im Medizinbereich tätige Klägerin eine „Heuschrecke" sei.

Die Vorinstanzen haben zutreffend dargelegt, dass es sich dabei um eine Tatsachenbehauptung iSv § 7 UWG handelte: Denn maßgebend für die Abgrenzung zwischen Werturteil und Tatsachenmitteilung ist der Gesamtzusammenhang und der dadurch vermittelte Gesamteindruck der beanstandeten Äußerung (RIS‑Justiz RS0031883). Auch Urteile, die nur auf entsprechende Tatsachen schließen lassen, gelten nach ständiger Rechtsprechung als Tatsachenmitteilungen („konkludente Tatsachenbehauptung" RIS‑Justiz RS0031810). Entscheidend für die Qualifikation einer Äußerung als Tatsachenbehauptung ist, ob sich ihr Bedeutungsinhalt auf einen Tatsachenkern zurückführen lässt, der einem Beweis zugänglich ist (4 Ob 204/98y = MR 1999, 111 - PAT AND PAT PEND; RIS‑Justiz RS0031815; RS0031883 [T30]; zuletzt etwa 4 Ob 97/07d - Softwarepiraterie).

Der Begriff „Heuschrecke" bezeichnet im jüngeren politisch‑ökonomischen Sprachgebrauch nicht bloß expandierende Kapitalgesellschaften, an denen (auch) institutionelle Anleger beteiligt sind. Vielmehr werden die angesprochenen Kreise aufgrund der vom Rekursgericht zutreffend geschilderten Verwendung dieses Begriffs in der politischen Diskussion darunter Unternehmen verstehen, die nur den kurzfristigen, durch alsbaldige Weiterveräußerung zu realisierenden Profit anstreben und die Belange der Mitarbeiter, Geschäftspartner und Kunden diesem Interesse unterordnen („abfressen und weiterziehen"). Das gilt um so mehr, wenn solche Verhaltensweisen im Artikel teilweise konkret genannt werden (Herrschaft über den ärztlichen Berufstand, Kündigung nicht „spurender" Ärzte, Orientierung an ökonomischen Erwägungen und damit nicht am Wohl der Patienten etc).

4.3. Wird - wie hier - ein bestimmtes Unternehmen, das bereits im umkämpften Geschäftsfeld tätig ist, als „Heuschrecke" bezeichnet, so enthält das den Vorwurf eines solchen Verhaltens. Daher muss diese Äußerung, um erlaubt zu sein, auch unter Berücksichtigung der Meinungsäußerungsfreiheit einen sachlich richtigen Kern haben. Diesen Beweis haben die Beklagten nicht erbracht. Die bloße Beteiligung institutioneller Anleger reicht dafür ebenso wenig aus wie die von der Klägerin verfolgte Expansionsstrategie.

4.4. Zwar besteht zweifellos ein öffentliches Interesse an der Debatte über die Zukunft des Gesundheitswesens. Das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit schlösse es daher aus, eine entferntere, bloß mögliche Deutung der beanstandeten Formulierungen zur Ermittlung des für ihre rechtliche Beurteilung relevanten Tatsachenkerns heranzuziehen (4 Ob 71/06d = ÖBl 2007, 19 - Holocaust‑Fotos zu § 1330 ABGB; 4 Ob 98/07a zu § 7 UWG). Hier geht es aber nicht um eine solche entferntere Deutung, sondern gerade um den Kern des von den Beklagten verwendeten Begriffs. Die damit konkludent aufgestellten Tatsachenbehauptungen, die das Unternehmen der Klägerin - nach zumindest vertretbarer Ansicht - herabsetzen und nicht erweislich wahr sind, können mit dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung nicht gerechtfertigt werden (RIS‑Justiz RS0075732; zuletzt 4 Ob 98/07a mwN). Auf die vom Rekursgericht angesprochene Unklarheitenregel kommt es dabei nicht an.

5. Die Zulassungsbeschwerde zeigt somit keine erhebliche Rechtsfrage auf. Der außerordentliche Revisionsrekurs ist daher zurückzuweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte