OGH 4Ob98/07a

OGH4Ob98/07a4.9.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Fachverband der Holzindustrie Österreichs, *****, vertreten durch Saxinger Chalupsky & Partner, Rechtsanwälte GmbH in Linz, gegen die beklagte Partei DI Dr. Bernd W*****, vertreten durch Dr. Herbert Gschöpf und Dr. Marwin Gschöpf, Rechtsanwälte in Velden am Wörthersee, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Sicherungsverfahren 33.300 EUR), infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Beklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 11. April 2007, GZ 1 R 50/07i-9, mit welchem der Beschluss des Landesgerichts Wels vom 13. Februar 2007, GZ 26 Cg 9/07p-4, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 3.520,70 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 588,45 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Beklagte ist Vorsitzender des Verbands österreichischer Beton- und Fertigteilwerke und auch selbst im Vorstand eines solchen Unternehmens tätig. Der Verband veröffentlichte im November 2006 folgende Presseaussendung:

„Fachverband Steine-Keramik und Verband österreichischer Beton- und Fertigteilwerke (VÖB) präsentieren aktuelle Studie zu Schneedruckschäden:

Beton bei Tragkonstruktionen am sichersten

- VÖB und Fachverband warnen vor falscher Dimensionierung von Holz- und Stahlkonstruktionen

- 86 Schneeschäden an Hallen aus dem Winter 2005/06: 14 Holz-, 9 Stahl- und 1 Betonhalle in Österreich eingestürzt

- Fortschritt bei Harmonisierung der Bauvorschriften - Clearingstelle

- Ganzheitliche Nachhaltigkeitsdebatte gefordert

Wien, 27 November 2006. 'Ein Überdenken der Dimensionierung von Tragkonstruktionen bei Hallen ist dringend notwendig, um tragische Halleneinstürze in Zukunft zu vermeiden!', lautet die zentrale Forderung von DI Dr. Bernd W*****, Vorsitzender des Verbandes Österreichischer Beton- und Fertigteilwerke.

Im Winter 2005/06 häuften sich durch massive Schneefälle die Einstürze von Hallenkonstruktionen. Die Eishalle in Bad Reichenhall und die Messehalle im polnischen Kattowitz waren die tragischsten Fälle. Auch in Österreich stürzten Hallen ein oder mussten gesichert werden. Wie kann das Einsturzrisiko minimiert werden und was ist die Schadensursache? Um Antworten auf diese Frage zu erhalten, gaben der Verband der Beton- und Fertigteilwerke (VÖB) und der Fachverband Steine-Keramik beim Österreichischen Institut für Bauschadensforschung (ofi) eine Studie zum Thema „Schneedruckschäden an Hallenkonstruktionen in Österreich im Winter 2005/06" in Auftrag. Wichtigste Erkenntnis: Von allen Tragkonstruktionen erweist sich Beton als besonders stabil.

Betonfertigteile: stabil, robust und langlebig

Untersucht wurden 86 Schadensfälle von Hallen in Österreich. Während bei 39 der beschädigten Hallen die Haupttragkonstruktion aus Holz, bei 15 aus Stahl und bei 23 aus Beton war, befand sich unter den 'Totaleinstürzen' 14 eingestürzte Hallen aus Holz, 9 Stahlhallen, aber nur eine Betonhalle.

'Dieses Ergebnis zeigt deutlich, dass der anhaltende Trend zur 'Unterdimensionierung' bei Holz- und Stahltragwerken fatale Folgen haben kann. Ich sehe einen dringenden Handlungsbedarf, die Dimensionierungsvorschriften dieser beiden Materialgruppen zu überdenken. Die gesamte Baustoff-Industrie muss hier in die Pflicht genommen werden. Es kann nicht sein, dass die Verantwortung auf Bauherrn, Architekten, Statiker oder gar den Hausmeister abgeschoben wird. Die Betonindustrie hat diese Hausaufgaben schon gemacht: Die Regelwerke für Beton sind durchwegs strenger als bei anderen Baustoffen', so Bernd W*****. [...]

Unter den untersuchten Schadensfällen befanden sich einige Konstruktionen, die schon bei geringeren Schneelasten als den zulässigen einstürzten. 'Diese Hallen waren ganz eindeutig zu gering dimensioniert und damit anfällig für Verschleiß. Bei zu geringer Dimensionierung ist ein höherer Wartungsaufwand unerlässlich. Dies ist natürlich mit höheren Kosten bei der Wahl der Werkstoffe Holz oder Stahl für Hallenkonstruktionen verbunden', so W*****. [...]

Die Angaben über die Schadensfälle beruhten auf einem Gutachten des Instituts für Bauschadensforschung, das der Fachverband in Auftrag gegeben hatte.

Der klagende Fachverband der Holzindustrie beantragt, dem Beklagten die Behauptung zu verbieten, dass es bei Holztragwerken einen anhaltenden Trend zur Unterdimensionierung gebe, der fatale Folgen haben könne. Darin liege der pauschale Vorwurf gegenüber der Holztragwerke herstellenden Industrie, dass es bei solchen Tragwerken einen Trend zur unsachgemäßen, weil unterdimensionierten Herstellung gebe. Damit werfe der Beklagte der gesamten Branche vor, durch unsachgemäße Arbeit Gefahren zu schaffen. Dieser Pauschalvorwurf diene nicht der sachlichen Aufklärung und sei daher eine nach § 1 UWG unzulässige Pauschalabwertung. Darüber hinaus sei die Aussage irreführend, da sie den unrichtigen Eindruck erwecke, dass Unterdimensionierungen nur bei Stahl- und Holztragwerken vorkämen, nicht jedoch bei Betontragwerken.

Der Beklagte wendet ein, die beanstandete Aussage müsse im Gesamtzusammenhang gelesen werden. Daraus ergebe sich, dass der Beklagte weder die Mitglieder des klagenden Verbands noch deren Erzeugnisse herabsetze. Vielmehr rege er - im Rahmen der Meinungs- und Pressefreiheit und im Interesse der Aufklärung der Fachkreise und der Öffentlichkeit über Belange der Gebäudesicherheit - eine sachliche Diskussion über die einschlägigen Regelwerke an. Auch eine Irreführung der beteiligten Verkehrskreise scheide aus, da in der Presseaussendung darauf hingewiesen werde, dass es auch bei den Normen für Betontragwerke einen Änderungsbedarf gegeben habe. Hier seien die notwendigen Änderungen aber bereits erfolgt.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Systemvergleiche müssten wahr, sachlich und informativ sein; Pauschalabwertungen, unnötige Bloßstellungen und aggressive Tendenzen seien auch dann sittenwidrig, wenn eine gezielte Bezugnahme auf bestimmte Mitbewerber fehle. Im vorliegenden Fall habe der Beklagte den Boden der Sachlichkeit aber (noch) nicht verlassen. Wegen der Bezugnahme auf die Studie erwecke die Aussendung nicht den Eindruck, dass Holz für Tragkonstruktionen im Vergleich zu Beton generell minderwertig sei. Stelle man auf den Gesamteindruck ab, so seien die der interessierten Öffentlichkeit erteilten Informationen durchaus differenziert und ermöglichten ein objektives Urteil. Ein Verstoß gegen § 1 UWG liege daher nicht vor. Der beanstandeten Äußerung könne auch nicht entnommen werden, dass Unterdimensionierungen nur bei Stahl- und Holztragwerken vorkämen. Sie sei daher auch nicht irreführend iSv § 2 UWG.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des klagenden Fachverbands Folge und erließ die einstweilige Verfügung. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Tatsachenmitteilungen verstießen unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt gegen § 1 UWG, wenn sie - etwa durch Pauschalabwertungen, unnötiges Bloßstellen oder aggressive Tendenzen - das Sachlichkeitsgebot verletzten. Darunter fielen auch nicht konkretisierte Pauschalverdächtigungen gegen ganze Berufsgruppen. Der belangte Mitbewerber müsse die für ihn ungünstigste Auslegung seiner Äußerung gegen sich gelten lassen, wenn ein nicht unbeträchtlicher Teil des angesprochenen Publikums die Äußerung tatsächlich in diesem Sinn verstehen könne.

Im konkreten Fall sei der beanstandeten Äußerung bei der gebotenen ungünstigsten Auslegung der pauschale Vorwurf zu entnehmen, dass sich Hersteller von Holztragwerken unsachgemäß und damit fehlerhaft verhielten. Daran ändere auch der Gesamteindruck der Presseaussendung nichts. Denn dort warne der Beklagte zwar vor einer falschen Dimensionierung von Holz- und Stahlkonstruktionen, weise aber nicht mit hinreichender Deutlichkeit darauf hin, dass sich diese Kritik nur gegen die Dimensionierungsvorschriften als solche richte und die Hersteller der Holztragwerke (daher) frei von jeglicher Schuld am „anhaltenden Trend zur Unterdimensionierung" seien. Der „auslegungsmögliche" pauschale Vorwurf der Fehlerhaftigkeit gegen eine gesamte Branche stehe mit dem Sachlichkeitsgebot nicht in Einklang und verstoße daher gegen § 1 UWG. Schon deswegen sei die beantragte einstweilige Verfügung zu erlassen. Ob auch ein Verstoß gegen § 2 UWG vorliege, brauche daher nicht mehr geprüft zu werden. Der Revisionsrekurs sei nicht zuzulassen, da die Frage, wie eine Äußerung auszulegen sei und ob sie noch dem Sachlichkeitsgebot entspreche, keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung habe.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Beklagten ist zulässig, weil eine Klarstellung zur wettbewerbsrechtlichen Relevanz des Grundrechts auf Meinungsfreiheit erforderlich ist. Er ist auch berechtigt.

1. Systemvergleiche müssen nach ständiger Rechtsprechung wahr, sachlich und informativ sein; Pauschalabwertungen, unnötige Bloßstellungen und aggressive Tendenzen sind auch dann sittenwidrig, wenn eine gezielte Bezugnahme auf bestimmte Mitbewerber fehlt (4 Ob 168/99f = Öbl 2000, 20 - LKW-Entferner; 4 Ob 157/03x = wbl 2004, 42 - o.b.-Werbung; RIS-Justiz RS0078078 [T8]). Pauschalherabsetzung von Mitbewerbern können ebenso wenig mit dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung gerechtfertigt werden (4 Ob 128/89 = ÖBl 1990, 18 - Mafiaprint; 4 Ob 118/90 = Öbl 1991, 64 - Blättlein; RIS-Justiz RS0109629) wie unwahre Tatsachenbehauptungen (RIS-Justiz RS0075732, RS0054817 [T12]). Dabei ist es aber nicht zulässig, einzelne Formulierungen herauszugreifen und isoliert zu betrachten; maßgebend ist vielmehr ihr Bedeutungsgehalt im Gesamtzusammenhang der Äußerung (RIS-Justiz RS0031883, RS0031815 [zu § 7 UWG]; RS0078352, RS0078524 [zu § 2 UWG]).

2. Die pauschale Aussage, Unternehmen einer bestimmten Branche arbeiteten generell fehlerhaft, verstieße selbstverständlich gegen § 1 UWG. Zu prüfen ist allerdings, ob die Äußerung des Beklagten tatsächlich in diesem Sinn zu verstehen ist.

2.1. Das Rekursgericht hat seine Entscheidung mit der wettbewerbsrechtlichen Unklarheitenregel begründet. Danach muss der Ankündigende bei der Ermittlung des Bedeutungsgehalts grundsätzlich die für ihn ungünstigste Auslegung gegen sich gelten lassen, wenn ein nicht unbeträchtlicher Teil des angesprochenen Publikums die Äußerung tatsächlich in diesem ungünstigen Sinn verstehen kann (4 Ob 276/00t = Öbl 2001, 228 - Vollschutzversicherung; 4 Ob 290/00a = Öbl 2001, 262 - NET@LINE; RIS-Justiz RS0043590). Bei einer strengen Anwendung dieser Regel wäre die Auffassung des Rekursgerichts möglicherweise nicht unvertretbar. Zu prüfen ist allerdings, ob diese Vorgangsweise im konkreten Fall mit Art 10 EMRK im Einklang steht.

2.2. Der Senat hat zu § 1330 ABGB ausgesprochen, dass die Anwendung der Unklarheitenregel am Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit zu messen sei (4 Ob 71/06d = Öbl 2007, 19 - Holocaust-Fotos): Liege die Annahme eines bestimmten Tatsachenkerns nahe, der wahr sei und die damit verbundenen Werturteile als nicht exzessiv rechtfertige, so müsse die entfernte Möglichkeit einer die Klägerin noch stärker belastenden Deutung unbeachtet bleiben. Wenn auch entferntere Deutungsvarianten relevant wären, würde das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung in unzulässiger Weise eingeschränkt. Damit hat der Senat nicht die Unklarheitenregel als solche abgelehnt, sondern eine am Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit orientierte Anwendung gefordert.

2.3. Auch wettbewerbsrechtlich begründete Einschränkungen der Meinungsfreiheit erfüllen den Tatbestand des Art 10 EMRK (vgl dazu ausführlich Berka, Unternehmensschädigende Kritik und Freiheit der Meinungsäußerung, wbl 1997, 265). Daher ist nach allgemeinen Grundsätzen zu prüfen, ob sich der Eingriff innerhalb der formellen und materiellen Schranken dieser Bestimmung bewegt. Neben der gesetzlichen Grundlage muss ein legitimes Ziel vorliegen, und der Eingriff muss verhältnismäßig sein (Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2 [2005] § 23 Rz 18 ff mwN).

Die gesetzliche Grundlage ist mit dem UWG zweifellos gegeben; der Schutz des lauteren Wettbewerbs ist auch ein legitimes Ziel. Von entscheidender Bedeutung ist daher die Frage, ob ein Verbot auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht.

Dabei besteht nach der Rsp des EGMR ein Beurteilungsspielraum der Vertragsstaaten, der je nach betroffenem Grundrecht und Lebensbereich unterschiedlich weit reicht (Grabenwarter aaO § 18 Rz 20). Bei wettbewerbsrechtlich begründeten Eingriffen in die Meinungsäußerungsfreiheit ist er jedenfalls größer als sonst (Grabenwarter aaO § 23 Rz 34 mwN; EGMR 20. 11. 1989, no. 10572/83 - Markt Intern Verlag GmbH and Klaus Beermann v. Germany; zuletzt etwa 11. 12. 2003, no. 39069/97, Krone Verlag GmbH & Co KG v. Austria,). Die Kernsätze der letztgenannten Entscheidung lauten wie folgt: „Such a margin of appreciation is particularly essential in the complex and fluctuating area of unfair competition. The same applies to advertising. The Court's task is therefore confined to ascertaining whether the measures taken at national level are justifiable in principle and proportionate." („Ein solcher Beurteilungsspielraum ist auf dem komplexen und im Fluss befindlichen Gebiet des unlauteren Wettbewerbs besonders wichtig. Dasselbe gilt für Fragen der Werbung. Die Aufgabe des Gerichtshofs ist daher auf die Prüfung der Frage beschränkt, ob die auf nationaler Ebene ergriffenen Maßnahmen grundsätzlich gerechtfertigt und verhältnismäßig sind."). Durch diese Rsp ist ein strengerer Standard bei der Beurteilung kommerziell motivierter Äußerungen jedenfalls gedeckt.

Nach der Entscheidung Hertel v. Switzerland (25. 8. 1998, no. 59/1997/843/1049) ist der Beurteilungsspielraum allerdings auch in Wettbewerbssachen geringer, „when what is at stake is not a given individual's purely 'commercial' statements, but his participation in a debate affecting the general interest, for example, over public health" („wenn es sich nicht um rein 'kommerzielle' Aussagen einer bestimmten Person handelt, sondern um ihre Teilnahme an einer Debatte, die allgemeine Interessen berührt, etwa über Fragen der Volksgesundheit"). Grundlage dieser Entscheidung war ein gerichtliches Verbot, auf die Gesundheitsgefährdung durch Mikrowellengeräte hinzuweisen. Eine Besonderheit lag darin, dass das Verbot zwar wettbewerbsrechtlich begründet war, sich aber nicht gegen einen Mitbewerber richtete.

2.4. Im vorliegenden Fall handelte der Beklagte zwar offenkundig in Wettbewerbsabsicht. Zugleich nahm er aber auch an einer öffentlichen Debatte teil, die allgemeine Interessen betraf. Damit liegen besondere Umstände vor, die der Meinungsäußerungsfreiheit ein höheres Gewicht verleihen als bei ausschließlich wettbewerbsbezogenen Aussagen. Denn dem wirtschaftlichen Interesse des betroffenen Mitbewerbers am Unterbleiben der Äußerung steht nicht nur jenes des Äußernden gegenüber, seine „Informationen und Ideen ohne Eingriffe von Behörden" zu verbreiten (Grabenwarter aaO § 23 Rz 5). Zu berücksichtigen ist auch das Interesse der Allgemeinheit an einem öffentlichen Widerstreit der Meinungen. Dieses Interesse ist um so höher zu bewerten, je größer die Bedeutung des Themas ist, zu dem die beanstandete Äußerung erfolgte (zu § 1330 ABGB: 6 Ob 244/02d = ecolex 2004, 446 - Abtreibung ist Mord; 4 Ob 71/06d = Öbl 2007, 19 - Holocaust-Fotos). Daneben ist auch von Bedeutung, ob bei der Äußerung eher kommerzielle oder nicht-kommerzielle Motive im Vordergrund standen (so insb Berka, wbl 1997, 275 f). Diese Erwägungen müssen in die Anwendung der wettbewerbsrechtlichen Tatbestände einfließen. Das gilt auch für die Unklarheitenregel. Zwar steht ihr Art 10 EMRK nicht grundsätzlich entgegen (4 Ob 2118/96s = SZ 69/116 - Webpelz II); ihre konkrete Anwendung darf aber auch im Wettbewerbsrecht nicht dazu führen, dass das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit in unzulässiger Weise beeinträchtigt wird.

Zusammengefasst gilt daher: Nimmt ein Mitbewerber - wenngleich in Wettbewerbsabsicht - an einer Debatte teil, die öffentliche Interessen betrifft, so hat die Freiheit der Meinungsäußerung bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung seiner Aussagen ein höheres Gewicht als bei rein unternehmensbezogenen Äußerungen. Dabei ist insbesondere die Bedeutung des Themas zu berücksichtigen, zu der die Äußerung erfolgte. Je größer das Informationsinteresse der Öffentlichkeit ist und je weniger die Wettbewerbsabsicht des Äußernden im Vordergrund steht, um so eher wird die Äußerung zulässig sein.

3. Im vorliegenden Fall nahm der Beklagte als Vorsitzender eines Fachverbands an einer Debatte teil, die im öffentlichen Interesse lag und deren Gegenstand eine hohe Bedeutung hatte. Er handelte zwar in Wettbewerbsabsicht, da er offenkundig den Wettbewerb der Mitglieder seines Fachverbands fördern wollte. Aus dem Inhalt seiner Aussendung ergibt sich aber, dass er (auch) eine allgemeine Diskussion über Sicherheitsstandards bei Hallendächern in Gang bringen wollte. Daran bestand ein hohes öffentliches Interesse. Möglicherweise überwogen zwar die kommerziellen Motive des Beklagten, sie waren aber keinesfalls allein ausschlaggebend.

Unter diesen Umständen gebietet das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit eine zurückhaltende Anwendung der Unklarheitenregel. Das Rekursgericht hat seinen Beurteilungsspielraum insofern überschritten: Aus dem Gesamtzusammenhang ergibt sich, dass sich die Kritik des Beklagten gegen (angeblich) unzureichende Normen für Holztragwerke richtete (die einen Kosten- und damit Wettbewerbsvorteil ermöglichten), nicht aber unmittelbar gegen die holzverarbeitende Industrie. Diese Kritik hat einen Tatsachenkern (die höhere Zahl von Totalschäden bei Holzkonstruktionen), dessen Richtigkeit der klagende Verband im Sicherungsantrag nicht in Zweifel zieht. Dass die Studie die so verstandene Äußerung nicht deckte und es auch sonst keine Grundlagen dafür gäbe, hat der Kläger nicht konkret behauptet. Im Gesamtzusammenhang lässt sich der beanstandeten Aussage auch nicht entnehmen, dass bei Betontragwerken keine Unterdimensionierungen vorkämen. Denn der Beklagte nennt auch jene Zahlen, die sich auf Einstürze von Betontragwerken beziehen.

Bei diesem Verständnis ist die beanstandete Aussage weder pauschal herabsetzend noch unsachlich. Die scharfe, möglicherweise für manch einen auch missverständliche Formulierung des Beklagten verstößt angesichts der Bedeutung des Themas noch nicht gegen § 1 UWG. Auch eine Irreführung ist im Gesamtzusammenhang nicht zu erkennen.

Die entferntere Deutung, dass die holzverarbeitende Industrie - abgesehen von der Mitwirkung bei der Ausarbeitung der Normen - ein genereller Verschuldensvorwurf treffe, kann auch bei Anwendung der Unklarheitenregel nicht zu einem Verbot der Äußerung führen. Denn selbst wenn (geringe) Teile des Publikums diesen Schluss ziehen sollten, wäre durch ein Verbot sowohl die Meinungsäußerungsfreiheit des Beklagten als auch das Informationsinteresse der Öffentlichkeit in unzulässiger Weise beeinträchtigt. Es liegt vielmehr am klagenden Verband, selbst an der öffentlichen Debatte teilzunehmen und seine Gegenargumente vorzubringen.

4. Aufgrund dieser Erwägungen ist der den Sicherungsantrag abweisende Beschluss des Erstgerichts wiederherzustellen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 1 EO, §§ 50, 41 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte