OGH 4Ob276/00t

OGH4Ob276/00t16.1.2001

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Shamiyeh, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei H*****‑Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Fritz Karl und Dr. Robert Mühlfellner, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 950.000 S), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 5. September 2000, GZ 3 R 147/00h‑14, womit der Beschluss des Landesgerichtes Salzburg vom 23. Juni 2000, GZ 7 Cg 136/00m‑7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2001:0040OB00276.00T.0116.000

 

Spruch:

1. Die Revisionsrekursbeantwortung der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

2. Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die Klägerin hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung und ihres Revisionsrekurses vorläufig, die Kosten ihres Rekurses endgültig selbst zu tragen; sie ist schuldig, der Beklagten die mit 17.170,20 S (darin 2.861,70 S USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Beklagte hat die Kosten ihres Rekurses endgültig selbst zu tragen.

 

 

Begründung:

 

Beide Streitteile vertreiben Hörgeräte.

Die Beklagte bewarb ihre Produkte im März 2000 mittels Inseraten in verschiedenen Zeitungen sowie mittels Postwurfsendungen; in den Werbemitteln verwies sie jeweils auf ein zusammen mit ihren Hörgeräten angebotenes kostenloses Dienstleistungspaket, das unter anderem eine "Vollschutzversicherung" enthalte. Die von der Beklagten beworbene Vollschutzversicherung gewährt Versicherungsschutz bei Totalschaden, Verlust (mit einem Selbstbehalt von 500 S oder 1.000 S) und bei Reparaturschäden, soweit sie nicht von der Krankenkasse bezahlt werden; maßgefertigte Ohrstücke sind nicht versichert. Die Versicherungsdauer beträgt ein Jahr nach Übernahme; danach endet der Versicherungsschutz automatisch. Die Versicherung kann jeweils um ein weiteres Jahr, insgesamt bis zu fünf Jahre, verlängert werden. Die Versicherung ist nur im ersten Jahr gratis; danach ist eine Versicherungsprämie von 400 S bis 690 S je nach Gerät, für die Fernbedienung von 200 S zu zahlen. Ab dem zweiten Jahr wird Versicherungsschutz nur bei Zahlung der Folgeprämien gewährt.

Zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs beantragt die Klägerin - soweit im Revisionsrekursverfahren noch von Bedeutung -, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung aufzutragen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Behauptungen des Inhalts,

a) das von ihr angebotene Dienstleistungspaket enthalte eine "Vollschutzversicherung",

b) diese Vollschutzversicherung sei kostenlos,

oder Behauptungen ähnlichen Inhalts zu unterlassen. Die von der Beklagten angebotene Versicherung biete weder einen vollständigen noch einen kostenlosen Versicherungsschutz: Der Kunde habe im Fall des Verlusts einen Selbstbehalt von 500 S oder 1.000 S zu tragen; maßgefertigte Ohrstücke seien überhaupt nicht versichert; nach Ablauf des ersten Jahres ab Erwerb ende die kostenlose Versicherung, der Kunde müsse danach eine Versicherungsprämie zahlen.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Sicherungsantrages. Der Selbstbehalt bei der Versicherung mache die Ankündigung nicht irreführend, weil ein Selbstbehalt - wie er etwa auch in der Kaskoversicherung üblich sei - in den informierten Kundenkreisen als selbstverständlich angenommen werde. Maßohrstücke seien deshalb überhaupt nicht versicherbar, weil sie bei Verlust oder Beschädigung sowie wegen Veränderungen der Anatomie des Ohres neu angefertigt werden müssten. Im ersten Versicherungsjahr sei keine Prämie zu zahlen, daher sei die Versicherung gratis, also kostenlos.

Das Erstgericht verbot die im Revisionsrekursverfahren noch strittigen Ankündigungen und wies einen darüber hinausgehenden Teil des Sicherungsbegehrens ab. Die beanstandete Behauptung einer kostenlosen Vollschutzversicherung sei unrichtig und irreführend, weil ein Selbstbehalt zu tragen und die Versicherung nach dem ersten Jahr nicht mehr kostenlos sei.

Das Rekursgericht wies den Sicherungsantrag im Umfang der unter a) und b) näher angeführten Unterlassung ab; es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes bei jedem einzelnen Begehren 260.000 S übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil die Irreführungseignung von Werbeankündigungen im Einzelfall zu prüfen gewesen sei. Dass der Versicherte bei einer "Vollschutz‑Versicherung" in bestimmten Fällen einen Selbstbehalt zu tragen habe, mache die Bezeichnung "Vollschutz" nicht irreführend, weil solches auch bei anderen Versicherungen (so etwa der Vollkasko‑Versicherung) üblich sei. Dass die von der Beklagten angebotene Versicherung bei derartigen Versicherungen gängige Risken nicht decke und deshalb keinen "Vollschutz" biete, habe die Klägerin nicht einmal behauptet. Das Fehlen eines Hinweises darauf, dass die Versicherung nur im ersten Jahr kostenlos sei, mache die Ankündigung ebenfalls nicht irreführend, weil ein Leser der Inserate und Prospekte keinen Anhaltspunkt für die Annahme habe, die Versicherung sei für die gesamte versicherbare Lebensdauer des Hörgerätes kostenlos.

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil dass Rekursgericht die Irreführungseignung der Ankündigung einer kostenlosen Vollschutzversicherung in einer die Rechtssicherheit gefährdenden Weise unrichtig beurteilt hat; das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Klägerin vertritt den Standpunkt, die beanstandete Ankündigung sei irreführend, weil der Versicherungsnehmer einen Selbstbehalt zu tragen habe und bestimmte Produkte vom Versicherungsschutz vom Versicherungsschutz nicht umfasst seien; das Rekursgericht habe die im Rahmen des § 2 UWG zu beachtende Zweifelsregel zu Unrecht nicht angewendet. Dem ist zuzustimmen.

Die Bedeutung einer Werbeankündigung richtet sich danach, wie sie die angesprochenen Verkehrskreise verstehen, wogegen das, was der Werbende selbst mit seiner Äußerung gemeint hat, unerheblich ist (stRsp ua ÖBl 1994, 73 - Verkauf zum Fabrikspreis; ÖBl 1995, 67 - Führerschein auf Anhieb; ÖBl 1997, 20 - Steirischer Medienjumbo uva). Entscheidend ist der Gesamteindruck der Ankündigung bei flüchtiger Betrachtung und durchschnittlicher Aufmerksamkeit (ÖBl 1997, 20 - Steirischer Medienjumbo mwN; MR 1997, 170 = ÖBl 1998, 14 - Schwarzhörer willkommen mwN). Abzustellen ist dabei auf den Grad der Aufmerksamkeit des durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers, auf dessen Verständnis es ankommt (4 Ob 196/00b). Bei einer mehrdeutigen Angabe muss der Werbende die für ihn ungünstigste Auslegung gegen sich gelten lassen (ÖBl 1995, 167 ‑ Exklusivinterview; ÖBl 1996, 130 - Preiß`n Kracher I; MR 2000, 37 - TV‑Illustrierte uva), wenn ein nicht unbeträchtlicher Teil des angesprochenen Publikums die Äußerung tatsächlich in diesem ungünstigen Sinn verstehen kann (MR 1997, 170 = ÖBl 1998, 14 - Schwarzhörer willkommen mwN).

Prüft man die Ankündigung der Beklagten, sie gewähre eine kostenlose Vollschutzversicherung, im Lichte dieser Grundsätze, muss deren Irreführungseignung bejaht werden.

Der Begriff "Vollschutzversicherung" ist dem österreichischen Versicherungsrecht fremd. Ausgehend vom üblichen Sprachgebrauch ist davon auszugehen, dass eine Versicherung (nur) dann vollen Schutz bietet, wenn sie sämtliche üblichen Risiken umfasst. Wird eine Versicherung zusätzlich als "kostenlos" beworben, darf erwartet werden, dass im Versicherungsfall der eingetretene Vermögensschaden zur Gänze aus der Versicherungsleistung abdeckt werden kann. Fehlt daher ein Hinweis darauf, dass die Versicherung bestimmte Produktgruppen nicht umfasst, also sachlich eingeschränkt ist, oder dass sie in manchen Fällen einen Selbstbehalt vorsieht, oder dass die Versicherung nur befristet kostenlos ist, dürfen die angesprochenen Verkehrskreise die Ankündigung einer kostenlosen Vollschutzversicherung dahin verstehen, der Versicherungsschutz gelte für sämtliche Produkte, in deren Zusammenhang die Versicherung beworben wird, und umfasse eine volle Schadloshaltung des Versicherungsnehmers für die gesamte Lebensdauer des versicherten Gegenstands.

Diese durch die beanstandete Ankündigung ausgelöste Erwartung wird jedoch enttäuscht, weil zwar eine kostenlose Vollschutzversicherung beworben wird, in Wahrheit aber bestimmte Gegenstände (hier: maßgefertigte Ohrstücke) gänzlich vom Versicherungsschutz ausgenommen sind, bei bestimmten Risiken (hier: Verlust) vom Versicherungsnehmer ein Selbstbehalt zu tragen ist und die Kostenlosigkeit nur für das erste Versicherungsjahr gilt. Mangels entsprechender Hinweise der Beklagten in ihren Werbemitteln auf die sachliche Beschränkung der Versicherung nach ihrem Objekt, auf den Selbstbehalt bei Verlust und auf die Pflicht zur Prämienzahlung ab dem zweiten Versicherungsjahr ist dem Erstgericht darin beizupflichten, dass die beanstandete Ankündigung - zumindest im Sinne der Unklarheitenregel - irreführend iSd § 2 UWG ist.

Dem Revisionsrekurs war Folge zu geben und der Beschluss des Erstgerichts wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 393 Abs 1 EO, §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 41, 50 Abs 1 ZPO; §§ 78, 402 EO iVm 40, 50 ZPO. Im Rechtsmittelverfahren waren mangels anderer Anhaltspunkte stattgebender und abweisender Teil der erstinstanzlichen Entscheidung jeweils mit dem halben Streitwert zu bemessen (MR 1991, 35 - Aktionsverband; 4 Ob 22/99k uva).

Der Beschluss auf Freistellung der Revisionsrekursbeantwortung wurde der Kanzlei des Beklagtenvertreters am 20. 11. 2000 zugestellt. Die Frist für die Revisionsrekursbeantwortung beträgt 14 Tage (§ 402 Abs 3 EO); sie endete daher mit Ablauf des 4. 12. 2000. Der am 15. 12. 2000 zur Post gegebener Schriftsatz der Beklagten ist daher verspätet.

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