OGH 8Ob69/08t

OGH8Ob69/08t10.7.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Spenling und Dr. Kuras und die Hofrätinnen Dr. Lovrek und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Walter S*****, vertreten durch Dr. Albert Heiss, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. Mag. (FH) Martin G*****; 2. Dr. Matthias K*****, und 3. B***** GmbH, *****, alle vertreten durch Binder Grösswang, Rechtsanwälte OEG in Wien, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Februar 2008, GZ 1 R 14/08y-26, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Richtig ist, dass der vom Gericht bestellte Sachverständige nach ständiger Rechtsprechung den Prozessparteien gegenüber persönlich nach §§ 1295, 1299 ABGB für die Folgen eines in einem Zivilprozess erstatteten unrichtigen Gutachtens haftet (6 Ob 634/77 = SZ 50/98; 3 Ob 284/01p = JBl 2002, 799; 8 Ob 30/07f; RIS-Justiz RS0026319; RS0026360). Richtig ist ferner, dass diese Grundsätze auch für den im Strafverfahren bestellten Sachverständigen zugunsten des Angeklagten bzw Beschuldigten zu gelten haben (9 Ob 67/03y = RdW 2005/48).

2. Bei Strafsachen ist jedoch zu beachten, dass nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung der Verurteilte, solange das verurteilende Strafurteil aufrecht ist, vom Sachverständigen, auf dessen Gutachten sich das Urteil stützt, nicht Schadenersatz wegen unrichtiger Begutachtung begehren kann (7 Ob 180/02z = RdW 2003/58; 9 Ob 67/03y; RIS-Justiz RS0026373). Diese Rechtsprechung gründet sich darauf, dass das Zivilgericht, solange das strafgerichtliche Erkenntnis nicht beseitigt ist, bindend davon auszugehen hat, dass der Verurteilte die im Strafurteil festgestellte Tat tatsächlich begangen hat (9 Ob 67/03y; RIS-Justiz RS0074219).

3. Entgegen der in der außerordentlichen Revision vertretenen Auffassung ist der zuletzt genannte Grundsatz entsprechend auch auf den hier zu beurteilenden Fall zu übertragen: Der Kläger bringt zu seinem Begehren auf Feststellung der Haftung für Schäden durch das im strafgerichtlichen Vorverfahren erstattete Gutachten vor, dass die über ihn verhängte Untersuchungshaft, gegen die auch erfolglos eine Grundrechtsbeschwerde beim Obersten Gerichtshof erhoben worden sei, wegen des unrichtigen Sachverständigengutachtens aufrecht erhalten worden sei. Damit ist aber nach dem eigenem Vorbringen des Klägers jene im Strafverfahren ergangene und vom Obersten Gerichtshof im Grundrechtsbeschwerdeverfahren - in welchem die Begründung des dringenden Tatverdachts angefochten werden kann und somit die Überprüfung der Tatfrage in vergleichsweise besonders weitem Umfang möglich ist (RIS-Justiz RS0110146; zuletzt 11 Os 49/08b) - überprüfte Entscheidung über die Untersuchungshaft nach wie vor wirksam. Jedenfalls solange die Untersuchungshaft andauert, steht dem vom Kläger im Zivilverfahren erhobenen Begehren die Bindungswirkung dieser Entscheidung entgegen. Es muss daher hier nicht geklärt werden, ob eine Schadenersatzklage gegen den im Strafverfahren bestellten Sachverständigen überhaupt vor rechtskräftiger Beendigung des Strafverfahrens erhoben werden kann. Dagegen könnte ins Treffen geführt werden, dass im Strafverfahren, in dem das Gutachten erstattet wurde, die Beurteilung der Richtigkeit des Gutachtens ausschließlich dem Gericht, das ihn bestellt hat, obliegt. Bejahe man die Möglichkeit, den Sachverständigen vor Abschluss des Verfahrens mit einer auf die behauptete Unrichtigkeit des Gutachtens gestützten Schadenersatzklage zu belangen, käme es im Ergebnis nicht nur zu einer Überprüfung des im Strafverfahren ergangenen Beschlusses auf Verhängung der Untersuchungshaft, sondern auch zu einem mit dem Wesen dieses Gerichtsverfahrens unvereinbaren Druck auf den Sachverständigen. Aus eben diesen Erwägungen hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach entschieden, dass das Interesse an einer ordnungsgemäßen Rechtspflege die Ausnahme der Tätigkeit eines vom Gericht bestellten Sachverständigen von Unterlassungs- und Widerrufsansprüchen iSd § 1330 Abs 2 ABGB gebietet (7 Ob 588/83 = SZ 56/74; 4 Ob 75/92 = JBl 1993, 518 [krit Koziol bzgl der Übertragung dieses Grundsatzes auch auf Privatgutachten]; RIS-Justiz RS0031981).

4. An dieser Beurteilung ändert das am 1. 1. 2005 in Kraft getretene Strafrechtliche Entschädigungsgesetz (StEG) nichts, weil dort lediglich die Haftung des Bundes „für den Schaden, den eine Person durch den Entzug der persönlichen Freiheit zum Zweck der Strafrechtspflege oder durch eine strafgerichtliche Verurteilung erlitten hat", geregelt ist (§ 1 Abs 1 leg cit). Davon ist jedoch die Frage der persönlichen Haftung des Sachverständigen zu trennen, dem nach ständiger, trotz der Kritik eines Teils der Lehre (Zechner, Der gerichtliche Sachverständige - Privater oder Beweisorgan im Sinne des § 1 Abs 2 AHG?, JBl 1986, 415 ff; Reischauer in Rummel ABGB3, § 1299 Rz 23; Harrer in Schwimann, ABGB³, § 1300 Rz 107 f; Schilcher, Dogmatische und pragmatische Überlegungen zur Haftung des Gerichtssachverständigen, FS Jelinek [2002], 241 [258 ff]) aufrecht erhaltener Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs keine Organstellung zukommt (1 Ob 1/01f = JBl 2001, 788 [Rummel]; RIS-Justiz RS0026353; RS0026337).

5. Die vom Kläger in der außerordentlichen Revision angesprochene Verjährungsproblematik stellt sich nicht: Die Verjährung kann erst ab dem Zeitpunkt beginnen, an dem ein Recht zuerst hätte ausgeübt werden können. Verneint man aus den dargelegten Gründen die Möglichkeit, ein Schadenersatzbegehren zu erheben, solange jener im Strafverfahren ergangene Beschluss, der nach den Behauptungen des Klägers den Schadenseintritt herbeiführte, noch aufrecht und bindend ist, kann auch die Verjährung eines daraus abgeleiteten Schadenersatzanspruchs nicht begonnen haben.

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