OGH 9ObA60/07z

OGH9ObA60/07z9.5.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Kuras sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler und Mag. Markus Szelinger als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Gerhard S*****, vertreten durch Dr. Robert Kerschbaumer, Rechtsanwalt in Lienz, gegen die beklagte Partei Michael S*****, vertreten durch Dr. Gerhard Seirer, Mag. Herbert Weichselbraun, Rechtsanwälte in Lienz, wegen Feststellung (EUR 21.800 sA), infolge außerordentlicher Revision der klagenden und der beklagten Partei (Revisionsinteresse jeweils EUR 10.900) gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. Februar 2007, GZ 13 Ra 6/07s-22, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Normalerweise wurden der Kläger (gelernter Holzfacharbeiter) und der Beklagte (gelernter Mechaniker) bei Holzschlägerarbeiten unter Aufsicht ihres Arbeitgebers eingesetzt. Beide kannten die Sicherheitsregeln für das Fällen von Bäumen, die unter anderem vorsehen, dass zu überprüfen ist, ob sich jemand im Gefahrenbereich befindet, und dass ein Warnruf abgegeben werden muss. Beide arbeiteten schon länger zusammen und nahmen diese Regeln nicht so streng wahr. Am Tag des Unfalles war der Arbeitgeber verhindert und die beiden Streitteile arbeiteten kameradschaftlich, ohne gegenseitige Anordnungsbefugnis zusammen. Der Beklagte fällte die Bäume und der Kläger sorgte für den Abtransport. Sie vereinbarten, dass der Abtransport jeweils nach dem Fällen eines großen oder von zwei kleinen Bäumen stattfinden sollte. Während der Arbeit verständigten sie sich durch Sichtkontakt. Der Beklagte verwendete den Ruf „Baum fällt" oä. nur dann, wenn sich jemand im Gefahrenbereich aufhielt. Der Kläger verrichtete - wie auch sonst üblich - während der Vorbereitungstätigkeiten für das Fällen der Bäume seine Arbeiten für den Abtransport.

An diesem Tag waren die Holzfällerarbeiten beinahe abgeschlossen und es standen nur noch drei zu fällende Bäume. Der Kläger sagte zum Beklagten sinngemäß „Die Drei holen wir noch". Der Beklagte verstand dies dahin, dass er diese Bäume möglichst einheitlich umschneiden solle. Der Kläger wollte mit seiner Äußerung keine Änderung des bisherigen Arbeitsablaufes bewirken.

Im Unfallszeitpunkt war bereits einer der drei Bäume umgeschnitten. Der Beklagte machte in einen weiteren Baum eine Kerbe als er beobachtete, wie der Kläger per Funk den Wagen für den Abtransport rief, der dann auch eintraf. Der Beklagte begann sich zu beeilen und glaubte, dass der Kläger mit dem Abtransport noch zuwarten würde. Der Kläger, der wahrgenommen hatte, dass der Beklagte bereits einen weiteren Baum für die Fällung vorbereitete, verließ sich darauf, dass der Beklagte ihn warnen werde. Als die Streitteile Blickkontakt aufnahmen befand sich der Kläger außerhalb des möglichen Fallbereiches. Der Kläger nahm wahr, dass der Beklagte weiter schnitt, begab sich aber trotzdem in den Fallbereich, um die dort liegenden kleineren Bäume zu holen. Der Beklagte achtete nach dem dargestellten Blickkontakt, bei dem sich der Kläger noch außerhalb des Fallbereiches befunden hatte, nicht mehr auf den Kläger und schnitt den Baum um. Als dieser umzufallen begann nahm er mit Schreck den Kläger im Fallbereich wahr, schrie noch „He" und veränderte durch einen schnellen Schnitt die Fallrichtung, sodass der Kläger nicht voll getroffen, aber doch schwer verletzt wurde.

Das Berufungsgericht hat einen Haftungsausschluss beim Beklagten als „Aufseher" im Betrieb nach § 333 Abs 4 ASVG verneint und eine Verschuldensteilung nach § 1304 ABGB im Verhältnis von 1 : 1 vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Die von beiden Streitteilen erhobenen außerordentlichen Revisionen vermögen keine erheblichen Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO darzustellen.

Das Berufungsgericht ist zutreffend ohnehin davon ausgegangen, dass es für die Qualifikation einer Person als Aufseher im Betrieb iSd § 333 Abs 4 ASVG nicht auf dessen Stellung im Unternehmen im Allgemeinen oder die Ausübung der Aufseherfunktion auf Dauer ankommt, sondern darauf, ob jemand bezüglich einer bestimmten, ihm aufgetragen Arbeit entscheidungsbefugt ist, also die Verantwortung für das Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte trägt (RIS-Justiz RS0088337 mwN etwa 8 ObA 104/06m; zur Entscheidungsbefugnis RIS-Justiz RS0085612 mwN etwa 9 ObA 78/05v; zur mangelnden Erfoderlichkeit einer Dauerfunktion RIS-Justiz RS0085519 mwN). Die Frage, ob eine bestimmte Person bei einem konkreten Arbeitseinsatz als Aufseher im Betrieb anzusehen ist, ist stets von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängig, sodass im Regelfall erhebliche Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zu lösen sind (9 ObA 79/05s; 8 ObA 104/06m). Eine erhebliche Fehlbeurteilung, die vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit korrigiert werden müsste, ist dem Berufungsgericht hier nicht unterlaufen. Waren doch beide Streitteile bloß kameradschaftlich verbunden, ohne dass irgendeine konkrete Anordnungsbefugnis (Partieführer) festgestellt werden konnte.

Die von den Parteien relevierten Fragen des Verschuldensgrades, des Mitverschuldens und der Verschuldensteilung, die nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles beurteilt werden können, stellen ebenfalls dann, wenn das Berufungsgericht die allgemeinen Grundsätze zutreffend heranzieht und ein Aufgreifen aus Gründen der Rechtssicherheit nicht erforderlich ist, regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 ZPO dar (vgl allgemein Kodek in Rechberger ZPO3 § 502 Rz 26; RIS-Justiz RS0042405:

RIS-Justiz RS0087606 jeweils mwN uva). Eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht in diesem Sinne vermögen die Parteien aber nicht aufzuzeigen. Dem Beklagten ist nicht nur die Unterlassung der Überprüfung des Gefahrenbereiches, sondern auch des rechtzeitigen Warnrufes anzulasten, dem Kläger, dass er ohne weitere Vorsichtsmaßnahmen sich in die ihm konkret offensichtliche Gefahr begeben hat. Soweit sich der Kläger auf die Entscheidung des OGH zu 2 Ob 1026/95 zur Frage der Verschuldensteilung bezieht ist darauf zu verweisen, dass sich diese Entscheidung teilweise im Sachverhalt unterscheidet und auch darin der OGH keine abschließende inhaltliche Überprüfung vorgenommen, sondern nur die außerordentliche Revision des Klägers zurückgewiesen hat.

Zur Frage der Bindung an die strafgerichtliche Veurteilung des Beklagten kann auf die Entscheidung des verstärkten Senates zu 1 Ob 612/95 (= SZ 68/195) und die zahlreichen Folgeentscheidungen (vgl RIS-Justiz RS0074219 mzwN zuletzt etwa 3 Ob 20/05w) verwiesen werden. Neue Aspekte dazu zeigen die Revisionen nicht auf.

Das Berufungsgericht hat ferner die Beweiswürdigung des Erstgerichtes umfassend überprüft. Eine Überprüfung der Beweiswürdigung durch den Obersten Gerichtshof ist ausgeschlossen (vgl RIS-Justiz RS0043371 mwN).

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